Die Moschee des Ahmad Ibn Tulun, erbaut mit einem imaginären Schatz an einem legendenumwobenen Ort, war im 19. Jahrhundert ein sehr reales Armenquartier.

Wie eine mächtige Festung ragt die Moschee aus dem Häusermeer des heutigen Kairo empor. Die starken Mauern der Gebetsstätte und deren hohe, mit Eisen beschlagene Tore vermitteln auch dem heutigen Besucher noch einen imposanten Eindruck von der Tatkraft und der Machtfülle des Erbauers. Dieser wollte – nach den Worten des arabischen Gelehrten al-Jaghmuri – seine Moschee so errichten, dass, „wenn Misr verbrennt, sie bestehen bleibt, und dass, wenn Misr überschwemmt wird, sie auch bestehen bleibt“.

Ahmad ibn Tulun wird 835 n. Chr. als Sohn eines Sklaven in Samarra im heutigen Irak geboren. Er genießt eine vorzügliche Ausbildung. Er lernt den gesamten Koran auswendig und studiert Rechtsprechung und Theologie. Unter dem Kalifen al-Mutazz steigt er zum Statthalter Ägyptens auf, das er bald dem Einfluss des Abbasiden-Herrschers entzieht. Er stellt die fälligen Steuerzahlungen an den Kalifen ein, der seinerzeit in Samarra residiert. Damit ist Ahmad ibn Tulun der erste islamische Herrscher Ägyptens, der das Land unabhängig vom Kalifen regiert.

Die Widderburg-Legende

Die Moschee wird Mittelpunkt der neuen Stadt al-Qatai, die Ibn Tulun unweit von al-Fustat gründet. Sie entsteht rund um den Kala’at el-Kebsch, zu dt. Widderburg, genannten Hügel. Lokale Legenden erzählen, auf dieser Anhöhe habe einst der Stammvater Abraham seinen Sohn Isaak Gott opfern wollen. Der Hügel habe seinen Namen wegen des Widders erhalten, den Gott im letzten Moment als stellvertretendes Opfer von Abraham annahm. Andere erzählen, nach der Sintflut sei Noah hier gestrandet und ein Widder habe als erstes Tier die Arche verlassen. Eine weitere Legende berichtet dagegen, Ibn Tulun habe am Berg Ararat die Reste der Arche Noah gefunden und sie als Fries, in welches der ganze Koran geschnitzt war, in seine Moschee einfügen lassen.

Gerecht und großzügig – aber auch brutal

Nicht weniger von Legenden umwoben ist Ahmad ibn Tulun selbst. Ein Gewährsmann dafür ist Ibn Challikan, der von 1211-1282 n.Chr. lebte. Er verfasste ein im Orient weit verbreitetes biographisches Lexikon. In diesem stellt er zirka 800 Persönlichkeiten vor, die das islamische Leben von Anfang an prägten. Ein Kapitel widmet er Ahmad ibn Tulun. Der Biograph schreibt: „Ibn Tulun war gerecht und großzügig, tapfer und bescheiden, sauber in der Lebensführung und sicher in der Menschenkenntnis. Er beaufsichtigte persönlich die Staatsangelegenheiten, sorgte für das Wohlergehen der verschiedenen Provinzen, informierte sich über die Lage seiner Untertanen und schätzte Menschen mit Bildung. An seinem Tisch fanden sich tagtäglich hochstehende und einfache Menschen ein. Seine allmonatlichen Aufwendungen für Almosen betrugen eintausend Dinar.“ Der Biograph unterstreicht die Großzügigkeit des Herrschers: „Eines Tages kam sein Beauftragter für die Ausgabe von Almosen zu ihm und fragte: ‚Wenn nun eine Frau zu mir kommt, angetan mit einem edlen Gewand und mit einem Goldring am Finger, und mich um ein Almosen bittet, soll ich ihr etwas geben?‘ ‚Wer immer bittend seine Hand ausstreckt‘, erwiderte Ibn Tulun, ‚dem gib!‘“ Ibn Challikan kennt jedoch auch die Schattenseiten des Herrschers: „Trotz all dieser löblichen Eigenschaften war Ibn Tulun leichtfertig im Umgang mit dem Schwert, und al-Quda‘i berichtet, man habe angeblich die Personen, die er tötete, gezählt, ebenso diejenigen, die in seinen Gefängnissen starben – es sollen achtzehntausend gewesen sein.“

Ziegelpfeiler statt Säulenraub

Ungewöhnlich ist die Architektur des Minaretts der Ibn Tulun-Moschee. Es ist eines der wenigen, bei der der Aufgang nicht im Turm, sondern außen herum gebaut ist. Ibn Tulun ließ sich dabei offenbar von dem Minarett der berühmten Moschee seiner Geburtsstadt Samarra inspirieren.

Blick auf das Minarett und den Brunnen im Innenhof © Jürgen Sorge

Die Gebetsstätte weist eine weitere Besonderheit auf. Die Arkaden sind statt mit Säulen aus Hartgestein mit Ziegelmauerwerk, das mit einer dicken Putzschicht überzogen ist, gestaltet. Der 1442 n. Chr. in Kairo verstorbene Historiker Ahmad al-Maqrizi überliefert, wie der Architekt der Moschee, ein Christ, Ibn Tulun ursprünglich vorschlägt, 300 Säulen für den geplanten Neubau zu verwenden. Aber: „Andere sagten zu Ahmed ibn Tulun: ‚Du wirst diese Säulen nicht finden können, wenn du nicht in die Kirchen sowohl in den bewohnten wie in den verödet daliegenden Gegenden hineingehst und sie von dort wegnimmst.‘ Er aber verabscheute dies und ergrimmte in seinem Gemüt bei diesem Gedanken. Der Christ, der mit der Ausführung des Baus beauftragt war, kam, als der Emir noch gegen ihn erzürnt war, er schlug ihn und ließ ihn in das Gefängnis werfen.“ Der Architekt will daraufhin eine Moschee „ohne Säulen, außer den Säulen der Kibla“ bauen. Dieser Plan gefällt dem Herrscher. Der Christ kommt wieder frei. Ibn Tulun schenkt ihm ein Ehrengewand.

Gemunkel von einem großen Schatz

Das Geld für den Bau der Moschee und die zahlreichen Paläste in al-Qatai sowie ein großes Krankenhaus für die Zivilbevölkerung – in denen Kranke, Krüppel und Schwachsinnige vorbildlich versorgt werden – soll aus einem Schatz stammen, den Ibn Tulun in dem nahen Muqattam-Gebirge gefunden hat, munkelt das Volk. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass die ausgesetzten Tributzahlungen an den Kalifen die ägyptischen Kassen füllen und dass Ahmad ibn Tulun es zudem versteht, umsichtig und effizient zu wirtschaften.

Der Glanz al-Qatais währt jedoch nicht lange. Nach dem Tod Ahmad ibn Tuluns schmückt sein Sohn Chumarawai die Stadt weiter prächtig aus. Doch schon die Enkel Ibn Tuluns können dessen Erbschaft nicht bewahren. Muhammad ibn Soliman, ein General des Abbasiden-Kalifen al-Muktafi beendet die Selbstständigkeit Ägyptens. Er zieht mit seinen Truppen 905 n. Chr. in al-Qatai ein. Die Soldaten plündern und zerstören die Stadt. Nur die Moschee des Ibn Tulun verschonen sie.

Trotz manch weiterer Anfeindungen durch Mensch und Zeit ist das stattliche und geschichtsträchtige Bauwerk des Ibn Tulun bis heute erhalten geblieben. Und seit jeher beeindruckt es Reisende die nach Kairo kommen – selbst zu seinen schlechtesten Zeiten im 19. Jahrhundert.

Ein „Nest der Mittellosen" in „einstiger Herrlichkeit"

Einer von vielen Besuchern der Ibn Tulun-Moschee im 19. Jahrhundert ist Georg Ebers (1837-1898). Der Ägyptologe ist vor allem bekannt durch den nach ihm benannten Papyrus Ebers, den er bei einer Forschungsreise in Ägypten erwarb. Dabei handelt es sich um das größte medizinische Nachschlagewerk aus dem Alten Ägypten, das bisher wiederentdeckt wurde. (siehe auch Papyrus-online „Der Papyrus Ebers“ von Bernd Landmann). In seinem „Cicerone durch das alte und neue Ägypten“ (1886) beschreibt der Professor auch die Ibn Tulun-Moschee, die im 19. Jahrhundert als Armenhaus genutzt wird.

„Feste Außenmauern umgeben, um den Lärm der Straße zu dämpfen, in seinem Westen, Norden und Süden den stattlichen Bau, welcher im Laufe der Zeit schwer gelitten und grausame Verunstaltungen erfahren hat. Von dem großartigen Eindruck, den er zur Zeit seiner Vollendung hervorgerufen haben muss, wird es gegenwärtig dem Beschauer schwer, sich eine Vorstellung zu machen, denn fast überall hat man die Bogen vermauert und die Arkaden in Zellen eingeteilt, welche Bettlern, die den Besucher belästigen, und arbeitsunfähigen Kairenern Unterkunft gewähren. Wo sich früher weite Pfeilerhallen öffneten, umgeben jetzt schlecht getünchte Wände mit viereckigen Fenstern und Türen den weiten Hof. Nur der Fries und seine zerbrochene Bekrönung, die Nischen und Rosetten zwischen den vermauerten Spitzbogen und die verschont und offen gebliebene Seite des Liwan oder Sanktuariums erinnern an die einstige Herrlichkeit dieses edlen Bauwerks.“

Einen Eindruck vom Leben in diesen Armenquartieren, die in der Moschee entstanden sind, vermittelt Lady Duff Gordon (1821-1869). Die englische Schriftstellerin lebt ab 1862 bis zu ihrem Tod in Ägypten. Sehr bekannt ist sie durch ihre „Letters from Egypt“. Aus diesen ist auch die nachfolgende Beschreibung entnommen.

„Die Tulun-Moschee ist heutzutage ein großes Armenhaus, ein Nest der Mittellosen. […]

Mehrere türkische Familien waren in einem großen quadratischen Raum zusammengepfercht, der durch an Seilen aufgehängte alte Matten unterteilt war. In jeder Ecke waren zahlreiche Teppichreste, Matten und Flicken, so viele, wie der arme Besitzer sammeln konnte, eine kleine Kiste und eine niedrige Feuerstelle aus Backstein in einer Ecke des Raumes mit drei irdenen Töpfchen für – ich weiß nicht wie viele Menschen – das war alles. Sie besitzen keine Möbel aber alles war peinlich sauber und es roch auch beileibe nicht.

Ein kleiner Junge nahm mich bei der Hand und zeigte mir mit ausdrucksvoller Miene seinen Schlafplatz, wo er aß und kochte. Da es auch Frauen dort gab, konnte Hekekian nicht mit hinein. Als ich herauskam, erzählte uns ein alter Mann, sie bekämen drei Fladen Brot (Kuchen so groß wie ein sailor’s biscuit), vier Piaster im Monat (d. i. 8 pence pro Erwachsener), ein Gewand im Jahr und an Feiertagen Linsensuppe. So sieht das Armenhaus hier aus.“ 

Imposante Aussicht

Frida Schubart besucht zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehrmals Ägypten. In ihrem Buch „Von Wüste, Nil und Sonne“ beschreibt sie zahlreiche Baudenkmäler. Bei ihrem Besuch der Ibn Tulun-Moschee fasziniert sie vor allem der grandiose Blick von dem Minarett der Gebetsstätte.

„An einer Seite des Hofes erhebt sich das Minarett, das jetzt auch den Ungläubigen zugänglich ist. Wir liebten sehr den Blick von oben über die ungleich hohen flachen Dächer mit Hühnerställen, Wäschestücken und allerlei sonstigem Haus- und Unrat; in die Gassen, manchmal so eng, dass man kaum hineinsehen kann; nach der Zitadelle und den Kalifengräbern mit dem Wüstenberg dahinter. Nach der anderen Seite sieht man die Häusermassen, bis sie sich auflockern und nach dem Nil zu die Ezbekije, die große öffentliche Anlage, und andere Gärten um die einzeln stehende Häuser sichtbar werden; über dem Nil die große, fruchtbare Insel Gesire und am Horizont die Pyramiden von Giseh mit den Wüstenerhebungen, die durch die Begrenzung das Gefühl der dahinter weit, weit sich ausdehnenden Wüste erwecken.“

Blick von der Ibn-Tulun-Moschee auf die benachbarten Moscheen Sultan Hassan und El Rifai © Jürgen Sorge

„Würde der Monumentalität"

Der Kunsthistoriker und Schriftsteller Johannes Guthmann (1876-1959) ist 1914 mit dem berühmten Maler Max Slevogt in Ägypten unterwegs. In der Folge entsteht sein Buch „Bilder aus Ägypten“. Darin schildert Guthmann auch seine Eindrücke von der Ibn Tulun-Moschee. Die Moschee besucht er an einem trüben Tag. Durch den wehmütigen Ton seiner Schilderung fühlt man sich fast in die Zeit zurückversetzt, als die Abbasiden-Armee die Stadt des Ibn Tulun zerstört hatte.

„Die späte Nachmittagsstunde eines grauen Tages. Wir wandeln zwischen den öden Mauern des Vorhofs der Moschee ibn-Tulun. Sie steht verlassen, nur ein Denkmal noch aus der kriegerischen Jugendzeit der aufstrebenden arabischen Herrschaft. Die weiten Hallen der Liwane sind leer. Der Farbenglanz der Ornamente, die sich noch, aus Gips tief herausgeschnitten, mit edler Strenge und Knappheit um die Spitzbögen und unter der Decke entlangziehen, ist verblichen. Von den backsteingemauerten Pfeilern fällt der Putz herab. Keine Teppiche, keine Matten bedecken den harten Boden. Hier betet keiner mehr. Der Koran ist verstummt in dem Schweigen dieser Mauern, und das melodische Anrufen des Hundertnamigen ist verklungen. Leer liegt das weite Geviert des Hofes, der einst in geschichtlicher Heldenzeit ein ganzes Volk zu religiöser Feier versammelte, leer und öde und grau, wie der dunstbezogene Himmel heut.

Aber in seinem Verfall und Verlassensein ist ihm die Würde der Monumentalität geblieben, ein Pathos von ergreifender Gewalt. Nicht die säulengekanteten Pfeiler, nicht die Mauern mit dem kargen Schmuck, nicht die schlangenhaft heraldisch verschlungenen Linien ihrer Zinnen machen es: das feierliche Ausmaß seiner quadratischen Gestalt ist es, die Verhaltenheit einer in ihm schwingenden Harmonie des Raumes, die Wucht seiner Weite, die wie ein tiefes Atemholen ist zu einem einzigen lauten Ruf des geheiligten Namens Allahs.“

Ganz in Ibn Tuluns Sinne steht seine Moschee noch heute so, wie er sie errichten ließ: Einst hatte der Herrscher ja gewünscht, dass „wenn Misr verbrennt, sie bestehen bleibt, und dass, wenn Misr überschwemmt wird, sie auch bestehen bleibt“.

Veröffentlichung aus Jürgen Sorge (Hrsg.): Die Moscheen von Kairo. Ein Lesebuch. Leipzig 2011

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