Der deutsch-jüdische Augenarzt und Orientalist Max Meyerhof begleitet im Winter 1900 seinen nierenkranken, 16-jährigen Verwandten Otto Meyerhof – einen späteren Nobelpreisträger für Medizin – zum Kuraufenthalt ins trocken-heiße Ägypten. Gemeinsam touren sie fünf Monate lang durchs Land.
Max Meyerhofs Reisetagebuch ist vor zwei Jahren von Isolde Lehnert kommentiert, editiert und ergänzt in dem Buch „Zur Kur an den Nil" erschienen. Ein Auszug.
Das tragische Schicksal des deutschen Kaufmanns Karl Neufeld (1856-1918) bewegte damals die ganze Welt. Es war ein abenteuerliches Leben von Anfang an.
Als Sohn eines Arztes studierte er in Königsberg und Leipzig Medizin und Naturwissenschaften, musste aber abbrechen, da sein Abitur aufgrund einer Gesetzesänderung nicht mehr anerkannt wurde. Er verließ Deutschland und erreichte über Umwege etwa 1876 Alexandria, nur um erneut auf längere Reisen zu gehen. „So war er Schiffsarzt auf einem Kabeldampfer, der zwischen Aden und Bombay fuhr, später eine Zeitlang Arzt bei den Kopten in Oberägypten. In den Mahdistenkämpfen diente er unter den Engländern, zunächst als Dragoman und später als Lieferant und Unternehmer für die englische Armee. Er baute Baracken für die Truppen und legte unter anderem die Forts zwischen Assuan und dem Sudan an. Nach dem Rückzuge der Engländer verblieb er als Kaufmann in Assuan und rüstete als solcher 1886 eine Karawane aus, um im Sudan lagernde Vorräte von Gummi und Elfenbein, deren Durchfuhr durch das aufständische Gebiet des Mahdi mit großen Schwierigkeiten verknüpft war, nach Assuan zu schaffen.“
Schon kurz nach ihrem Aufbruch im März 1887 Richtung Kordofan wurde die Karawane, „166 Kamele und 64 Mann stark“, von Anhängern des Mahdi überfallen und fast alle bis auf Neufeld getötet. Man brachte ihn nach Omdurman, wo er zwölf Jahre lang in Gefangenschaft blieb und zu den verschiedensten Diensten herangezogen wurde. „So musste er einen Entwurf für das Grabmal des inzwischen gestorbenen Mahdi herstellen, mußte Pulver anfertigen, die erbeuteten Gewehre reparieren, Geldpräge- und Webemaschinen bauen und als Arzt wirken. Seine Kenntnisse wurden in jeder Beziehung ausgenutzt“ und trotzdem war er „jeder Entbehrung und Qual durch Hunger, Ungeziefer, Geißelung usw. ausgesetzt. Mehrere erfolglose Fluchtversuche trugen dazu bei, seine Bewachung zu verschärfen.“
Erst nach dem Sieg über das mahdistische Heer in Omdurman konnte Neufeld durch den englischen General Lord Kitchener (1850-1916) am 2. September 1898 eigenhändig befreit werden. Diesen Tag pflegte Neufeld „als seinen zweiten Geburtstag zu bezeichnen.“
Drei Wochen später, am 25. September, traf Neufeld in Kairo ein, wie ein Augenzeuge berichtet: „Ich war mit einigen Freunden nach Tisch beim Mokka noch im Gespräch im deutschen Hôtel von August Gorff, als ich zufällig zum Fenster hinaussah und zwei Wagen vor dem Hôtel hielten, denen der Dragoman und ein wüst aussehender, sonnverbrannter Mann in staubschmutzigem Leinenkittel und einige Schwarze entstiegen.“ Es war Neufeld. „Zehn Tage hatte er mit kurzer Unterbrechung in Assuan, wo er seine früheren Geschäfte hatte, bis Cairo gebraucht. In directer Fahrt, wenn Alles passt, kann man die Reise bereits in vier Tagen machen. Wir versorgten ihn mit frischer Wäsche aus meinem Koffer und equipirten ihn mit einem neuen Anzug, was das Nöthigste war. Dann hatte er einen guten Appetit. Er hatte sich ja durch seinen Aufenthalt im englischen Lager bei Omdurman bereits wieder an civilisirtes Essen gewöhnt, trinkt aber keinen Tropfen Alkohol bis jetzt. Rührend war die Begrüssung des Wirthes August Gorff mit ihm. Beiden standen Thränen in den Augen. Sie hatten noch Abschied gefeiert damals im März 1887, worauf nach 14 Tagen die Nachricht von seiner Gefangennahme nach Cairo kam. Das Deutschsprechen wurde ihm schwer am ersten Tage, da er auch natürlich sehr aufgeregt war, und wir sprachen daher meist arabisch. In den nächsten Tagen ging es schon besser mit dem Deutschreden.“
Ein Porträt von KARL NEUFELD (1856-1918) in Assuan nach seinem „zweiten Geburtstag“.
Nur langsam fand sich Neufeld wieder zurecht, sein Leben war ein völlig anderes als zuvor. „Zunächst war er seelisch noch sehr niedergedrückt, auch finanziell ging es ihm schlecht, da die für ihn gesammelten Geldmittel nicht an ihm [sic] ausgehändigt wurden. Er verblieb etwa noch ein Jahr in Ägypten und ging dann nach England, um Vorträge über seine Erlebnisse zu halten.“ Gleichzeitig schrieb er ein Buch, das ihm nach seinem Erscheinen 1899 nicht nur das dringend benötigte Geld einbrachte, sondern gewiss auch als therapeutisches Mittel diente, um sich von den Geschehnissen innerlich lösen zu können.
Anfang des Jahres 1901 ist Neufeld wieder in Ägypten. Am 5. Februar fällt Max auf der Straße in Assuan „ein großer gebeugter Mann mit langem etwas verwildertem Bart und dünnem grauen Haar, dunkelrotem stark eingefallenem Gesicht und heiserer Stimme auf.“ Es ist niemand anderes als Karl Neufeld. „Er wohnt jetzt hier und schlägt sich mit Commissionen und Einladungen reicher Amerikaner durch“, notiert Max im Tagebuch.
Einige Monate später, im Winter 1901/02 macht auch Sigmund Krausz zufällig Neufelds Bekanntschaft, als sie sich im Nachtzug von Luxor nach Kairo ein Reisecoupé teilen. Auf der langen Fahrt kommen die beiden Herren ins Gespräch. „Er sprach ein ziemlich gutes Englisch mit starkem Accent, aber seine Conversation verrieth weder in dieser noch in der deutschen Sprache den Mann von Bildung, dem man die Authorschaft seines seither erschienenen Buches zutrauen könnte. Er ist dagegen ein guter Erzähler und ich habe ihm während unseres Beisammenseins den Rath gegeben, Vorlesungen in Deutschland, England und Amerika zu halten, die bei dem damals noch lebhaften Interesse an der Wiedereroberung des Sudan’s unzweifelhaft gute finanzielle Resultate ergeben würden. Neufeld hat diesen Rath auch befolgt. Ich habe keine seiner Vorlesungen gehört, aber was er mir damals auf dem Wege nach Cairo frisch von der Leber weg erzählt hat über den Mahdi und seine Anhänger, sowie über seine Abenteuer und Leiden in der zwölfjährigen Gefangenschaft, die er zum größten Theile in schweren Fesseln zugebracht hatte, ist jedenfalls interessanter gewesen.“
Neufeld kehrte soeben von einem Besuch bei seiner Familie in Khartum zurück und sprach mit Rührung „von der schwarzen Abessynierin, die ihn der Mahdi gezwungen hatte, zu heirathen und deren Anhänglichkeit er sein Leben mehrfach zu verdanken hatte. Diese Zwangsehe war mit zwei Kindern gesegnet worden“, so Krausz, der offensichtlich nur von Umm es Shole erfährt, denn Neufelds Dienerin Hassina, die er zuvor hatte ehelichen müssen, bleibt unerwähnt. Ohne deren Hilfe hätte er wohl ebenfalls nicht überlebt, weshalb sich Neufeld trotz einer ausgesprochenen Scheidung immer noch um sie kümmert und das Ganze als ein „Wirrwarr der Verwandtschaftsverhältnisse“ bezeichnet. Nun war er auf dem Weg nach Kairo, wo ihn seine legitime Frau und Tochter erwarteten. Keine einfache Situation. Der einen Ehefrau Umm es Shole schuldete er Dankbarkeit, der anderen fühlte er sich verpflichtet, obwohl es keine glückliche Verbindung gewesen sein soll.
NEUFELDs englische Ehefrau CHARLOTTE EMMA NETHERTON, aufgenommen von REISER in Assuan
Es handelt sich um die sieben Jahre ältere Charlotte Emma Netherton, eine Engländerin, die in Kairo als Gouvernante tätig war. Dort hatten sie bereits im Juni 1880 geheiratet, wo ein Jahr später die Tochter Evelyn auf die Welt kam. „Dieses Dilemma schien ihm viel Schmerz und Kopfzerbrechen zu verursachen“ beobachtet Krausz, „und der einzige Ausweg, den er sah, war, die Zukunft seiner abessynischen Familie sicher zu stellen und sie endgültig zu verlassen. Die älteren und einzig legitimen Rechte der ersten Frau bedingten das und die Liebe ging jedenfalls der Dankbarkeit voraus.“ In Kairo trennten sich ihre Wege. Krausz konnte zu seinem Bedauern Neufelds Einladung „die Bekanntschaft seiner englischen Gemahlin zu machen“ nicht annehmen. Er musste seinen Dampfer in Ismailia erreichen, die „India“ der P. & O.-Linie, die ihn über Aden nach Ceylon bringen sollte.
Irgendwann danach, etwa 1902, kehrt Neufeld dauerhaft nach Assuan zurück und kurz darauf folgt ihm seine Schwester Margarete Neufeld. Die Lehrerin hatte dafür ihre Schule für höhere Töchter aufgegeben und ihr Heim, die „Villa Neufeld“ in Thale im Harz verkauft. In Assuan eröffnet sie ein „deutsches Familienheim“ mit Zimmern für 40 bis 50 Piaster, also etwa 10 Mark, das nur lobende Kritiken erhielt.
Eine Werbeanzeige der Familien-Pension von MARGARETE NEUFELD.
Die „Pension Neufeld“ lag am Nordende von Assuan in einer Seitengasse der Uferstraße. Von der Veranda auf der Rückseite des Hauses ließ sich der Bischarinmarkt gut einsehen. Laut dem viel gereisten englischen Schriftsteller und Historiker Douglas Sladen (1856-1947), der sich im Winter 1907/08 in Ägypten aufhielt, eigne sich dieser Standort hervorragend, um das bunte Treiben unbemerkt zu beobachten und im richtigen Moment auf den Auslöser des Fotoapparates zu drücken. Von der Frontseite aus blickte man über den Garten, den Nil und dann direkt auf die Kubbet el-Hawa.
Blick von der Pension Neufeld über den Garten zum Westufer mit der Kubbet el-Hawa.
Während Margarete als Inhaberin die Pension führt, betätigt sich ihr Bruder Karl als Tourguide. Wer „die äußerst malerischen Täler der Arabischen Wüste, die in der Umgegend von Assuân münden“, sehen will, kann bei ihm „ein- oder mehrtägige Ausflüge mit Kamelen“ buchen, empfiehlt der Baedeker, nicht ohne Neufelds früheren Status als Gefangener des Mahdi werbeträchtig einzusetzen. Er wird ihn sein Leben lang nicht mehr los.
Neufeld hat sich außerhalb der Stadt, in dem kleinen Dorf El Gezireh niedergelassen. Dort bemüht er sich, „im Verein mit einem tüchtigen, unternehmenden arabischen Kompagnon eine moderne industrielle Anlage zu schaffen“, berichtet Dr. Hans Mayer, ein österreichischer Ingenieur, der die Wintermonate 1905/06 in Ägypten verbrachte. Andere Reisende erwähnen ebenfalls diese „im Bau befindliche Dampfmühle mit Pumpwerk“. So etwa der Geistliche Friedrich Würz, ein „Sekretär der Basler Mission“, der im März 1906 das Dorf besuchte und von Neufeld „im Kleid des Arabers, den Turban auf dem Kopf“ empfangen wurde.
Neufeld leitet selbst „den Bau dieser Getreidemühle, welche eine rationelle Verarbeitung der Landesprodukte nach europäischem Muster mit modernen Maschinen ermöglichen soll; als Betriebskraft für die Anlage waren Gasmaschinen geplant. Auch eine Eisfabrik gedenkt Neufeld bei der Anlage einzurichten, was gewiß in diesen heißen Gegenden eine große Wohltat für die Bevölkerung bedeuten würde. Heute muß man in Oberägypten das Eis aus Kairo beziehen; wie umständlich der 1000 km weite Transport durch die heiße Wüstenlandschaft ist, läßt sich leicht ermessen.“
NEUFELDs Mühle im Norden von Assuan gelegen.
Mayer ist sichtlich beeindruckt und zeigt sich erstaunt über Neufelds Vitalität: „Die langen Leidensjahre scheinen fast spurlos an Neufeld vorübergegangen zu sein; allen Qualen und Strapazen trotzte er mutig und standhaft und stets heiteren und frohen Gemütes erzählte er uns oft in lebendiger Schilderung seine schrecklichen Abenteuer [...].“ Thema ist natürlich auch die Zwangsheirat mit Umm es Shole, „einer eingeborenen Sklavin; eine aus dieser Ehe stammende Tochter wird in einem Pensionate europäisch erzogen.“
Ein Blick ins Innere der Mühle.
Im Sommer 1908 trifft der bereits bekannte Ludwig Hamann in Assuan ein. Er logiert mit seinen Reisegefährten in der „Pension Neufeld“, die zu diesem Zeitpunkt temporär unter der Aufsicht eines deutschen Pastors stand. „Dieser geistliche Herr, aus Berlin wenn ich nicht irre, hält sich in Assuan aus Gesundheitsrücksichten auf und hat, während Fräulein Neufeld eine Europareise angetreten hat, mit Hülfe einer schwarzen Dienerin und schwarzer Köche, die Verwaltung der Pension gefälligkeitshalber übernommen und spielt jetzt den liebenswürdigen Wirt.“ Im Salon des Hauses „liegt ein Album aus mit den Original-Bildern, die s. Z. zu Neufelds Werk ‚In Ketten des Khalifen’ gezeichnet sind und da liegen an der Erde auch diese schweren Ketten, die der unglückliche Mann so viele Jahre in der Gefangenschaft schleppen mußte.“ Sie sollen „etwa 60 Pfund schwer“ gewesen sein.
Neufeld kommt am nächsten Tag von seiner Farm in die Pension, um Hamann und seiner Begleitung beim Abendbrot Gesellschaft zu leisten. „Allerdings genießt er jetzt nur arabische Kost und verschmäht den Alkohol, aber er beteiligte sich dafür umso eifriger an unserer Unterhaltung.“ Im Mittelpunkt steht Neufelds bewegtes Leben, das nicht nur in dieser Runde unterschiedliche Reaktionen hervorruft. Man zweifelt an seiner Loyalität, immerhin blieb er auch nach seiner Befreiung Muslim, und wer vermag schon zu beurteilen, ob er dem Khalifa nicht doch nützlicher war als der Situation angemessen. Neufeld selbst hat immer bestritten, wichtige Informationen weitergegeben zu haben, stattdessen habe er versucht, so manche auferlegte Aufgabe durch kleine Fehler zu sabotieren.
„Von der Parteien Haß und Gunst entstellt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte“, formuliert es Hamann diplomatisch. „Ich will nicht untersuchen, wie weit der Mann schuld war an seinem Verhängnis. Jedenfalls hat er unsägliches erduldet [...]. Neufeld ist in seinem Aeußeren vollständig Orientale geworden, er trägt einen weißen Burnus und Turban und reitet wie der Aegypter seinen Esel. Eine Einladung für den Nachmittag mit Neufeld einen größeren Wüstenritt zu unternehmen und seine Farm und Mühle zu besehen, nahm ich mit vier Reisegefährten dankbar an.“
Die Gäste, die dabei als erstes das Bischarinlager besuchen, werden reichlich belohnt, da sich Neufeld in jeder Hinsicht als exzellenter Führer erweist. „Neufelds Versprechen, uns die Wüste in ihrer Romantik und Großartigkeit, ja man kann sagen in ihrer Naturschönheit zu zeigen, hat er getreulich erfüllt und insofern ist dieser Ritt mir eine besonders interessante Erinnerung. Der Meinung, daß man sich die Wüste immer als ein unabsehbares, flaches Sandmeer vorzustellen habe, bin ich schon früher entgegengetreten. Hier bei Assuan aber ist die arabische Wüste von geradezu pittoresker Gestaltung. Eine Felsschlucht nahm uns auf, die an malerischer Wirkung ungemein großartig war. Neufeld versäumte nicht, uns auf allerlei Interessantes aufmerksam zu machen, z. B. auf Schakal- und Hyänenspuren, ganz besonders aber auch auf die geologischen Verhältnisse.“
Nach einer Rast in einem Felsenkessel reitet die Gruppe talwärts in die Ebene hinunter, wo zwischen Palmen und Feldern Neufelds Farm und Mühle liegen. „Wir kommen erst durch ein bewässertes Feld, treten dann durch ein Tor und befinden uns in dem ummauerten Gartenhof, wo sich Neufeld häuslich niedergelassen hat. Der Garten selbst ist nämlich seine ‚Behausung’. Er ist ganz mit jungen Dattelpalmen von mäßiger Höhe bestanden und unter diesen Palmenbäumen sehen wir die Betten der Familie hier unter freiem Himmel stehen. Hier wohnt Neufeld mit seiner schwarzen Frau, während sein weißes Ehegespons, dem man übrigens nicht viel Anhänglichkeit nachsagt, in einer Gasse in Assuan wohnt. Ein hübsch gebautes, schwarzbraunes Töchterchen von vielleicht 14 Jahren, das übrigens deutsch spricht, sonst aber in Kleidung einer Araberin gleicht, erscheint und wird uns von unserem Wirte vorgestellt. Bald bringt das hübsche dunkle Mädchen uns den türkischen Kaffee, den wir unter Palmen sitzend trinken, während Neufeld uns etwas aus seiner Lebensgeschichte zum Besten giebt. [...] Jetzt fühlt er sich bereits ganz als Aegypter, wenn auch ein flüchtiger Blick in eines der Zimmer des einstöckigen Hauses, wo ein Schreibtisch und ein besetztes Bücherregal ziemlich vereinsamt stehn, uns an den gebildeten Europäer gemahnen. Mir kam unser ägyptischer Landsmann mehr als Naturmensch vor.
Ein Foto von KARL NEUFELD mit seiner Tochter, das bei HAMANNs Besuch im Sommer 1908 entstanden ist.
Natürlich wurde die Kamera auf ihn und sein schwarzbraunes Töchterlein gerichtet. Seine Frau blieb uns unsichtbar im Harem.
Die Sonne ging zur Rüste, wir besahen uns die Kulturen im angrenzenden Feld. Neufeld macht Versuche mit perenierender Baumwolle und zeigt uns stolz seine Resultate. Einen Riesenrizinusbaum mußte ich bewundern, als ich erfuhr, daß er erst zwei Jahre alt. Wenn man sich auf die Lauer legt, kann man vielleicht sehen wie er wächst. Neufeld besitzt hier mit einem arabischen Compagnon eine Mühle, die er mit einem Motor treibt, und den letzteren verwendet er auch zum Wasserpumpen. Da Wasser hier Gold ist, so ist ein Motor, der Wasser pumpt, gewissermassen eine Goldpumpe. Die deutsche Maschinenindustrie macht aus falschen Gründen dort in Aegypten jetzt gute Geschäfte.“
Es fängt schon an zu dunkeln, als Neufeld die Gruppe im scharfen Trab zurück zum Hotel geleitet. „Während die afrikanische Nacht über das Niltal herniederflutete“, sitzen sie noch auf der Veranda und lauschen den Geschichten ihres Gastgebers aus jenen schweren Lebensjahren. „Seine Freude, wieder einmal mit Landsleuten zusammen zu sein, war sichtlich.“
Hamanns ausführlicher Bericht enthält auch eine Passage zum „Wüstensanatorium“, das Neufeld 1907 dort aufgeschlagen hatte und „das Nieren- und Lungenkranken schnelle Erholung brachte.“ Dieses Zeltlager befand sich nordöstlich von Assuan, etwa 40 Minuten Reitweg entfernt, und stand in Verbindung mit der Pension. Das Angebot umfasste Sand-, Sonnen- und Luftbäder sowie eine spezielle Diät für 60 Piaster am Tag. Später hieß die Dependenz, die am Anfang des Wâdi Abu Agag liegt, Bab el Wadi Camp, das für Nierenkranke und Rheumatiker von November bis April geöffnet war. Ein Aufenthalt kostete einschließlich ärztlicher Behandlung zwischen 60 und 80 Piaster.
Die Idee stammte von Margarete Neufeld, die ihre „Deutsche Pension“ ursprünglich schon um 1903 in der Wüste erbauen wollte, gemeinsam mit einem deutschen Arzt. Damit sollte auch weniger betuchten Kranken ein behaglicher und heilsamer Aufenthalt ermöglicht werden. Doch erst drei Jahre später, 1906, konnte sie dieses Vorhaben „in originellster Weise“ verwirklichen.
Das Wüstensanatorium im Winter 1907/08 mit 12 Wohnzelten, fotografiert von dem Arzt Dr. KARL STILLKRAUTH.
Das Wüstensanatorium erregt auch in deutschen medizinischen Kreisen Aufmerksamkeit und wird wegen seines trockenen und sonnigen Klimas als Alternative zu Heluan angepriesen. Der Standort im Bab el Wadi, der auf drei Seiten von Hügelreihen gegen alle unangenehmen Winde geschützt ist, hätte nicht besser ausgewählt werden können, meint der Mediziner Dr. Karl Stillkrauth aus Regensburg, der sich im Winter 1907/08 einen persönlichen Eindruck verschafft. Er findet ein stabiles Zeltlager mit zwölf Wohnzelten vor, deren Anzahl je nach Bedarf vermehrt werden kann: „Jeder Gast bewohnt sein eigenes geräumiges Zelt, das mit einem oder zwei Betten, Tisch, Kommode, Waschtisch usw. bequem eingerichtet ist. Die dicke Zeltwand hält bei Nacht die Kälte, bei Tag die Hitze ab, erlaubt aber eine so reichliche Ventilation, wie sie bei Steinbauten natürlich nie erzielt wird und gewährt hierdurch den nicht zu unterschätzenden Vorteil, daß sich der Patient bei Tag wie bei Nacht in gleichmäßig warmer, reiner Luft aufhält. [...] Ein großes Speisezelt vereint die Gäste bei den verschiedenen Mahlzeiten. Die Beköstigung ist nach ärztlicher Vorschrift gewürzlos und genau den einzelnen Krankheitsformen angepasst; gute Milch steht zum Frühstück wie unter Tags reichlich zur Verfügung. Mittags gibt es stets einen frischen Fleischgang abwechselnd mit den köstlichen Nilfischen und sehr reichlich frisches Gemüse und Obst. Abends Milch- und Mehlspeisen, Eierspeisen, Gemüse, dagegen Fleisch nur mit besonderer ärztlicher Erlaubnis. Als Getränke dienen Milch, Kefir, Mineralwasser der verschiedensten Art und, wie in ganz Aegypten, Nilwasser, das, in Berkefeldschen Filtern doppelt filtriert, in den von Alters her bekannten Tonkrügen aufbewahrt wird, in welchen es sich durch die stete Verdunstung auch an heißen Tagen angenehm kühl erhält.“
Die „Bedienung und Pflege durch geschulte einheimische Kräfte“ sei ausgezeichnet. „Die ganze Einrichtung und Versorgung des Lagers hat die deutsche Pension Neufeld in Assuan übernommen. Von dort aus werden täglich sowohl die immer frischen und vorzüglichen Nahrungsmittel für die Küche, als auch alle sonstigen Bedürfnisse ins Lager geliefert, in diesem selbst wacht ein äußerst liebenswürdiger deutscher Pastor mit seiner sorgsamen Gattin über das Wohl der Gäste, während die ärztliche Leitung in Händen eines tüchtigen deutschen Kollegen liegt.“
Das Foto von Dr. THEODOR WAUER, aufgenommen im Winter 1908/09, zeigt die Anlage leicht verändert, vor allem die Steinbauten fallen auf.
Gleich im nächsten Winter 1908/09 folgt ein weiterer Fachkollege aus Deutschland, Dr. Theodor Wauer, ein Stabsarzt der Landwehr außer Dienst. Das Wüstensanatorium sieht leicht verändert aus, wie ein Vergleich der beiden Abbildungen zeigt.
„Aus einzelnen sehr praktisch und behaglich eingerichteten Zelten und vortrefflich ventilierten Mattenhütten, aus gemeinsamem Speise- und Konversationszelt, massiv erbauter Küche nebst Vorratsräumen, Baderaum, Spielplatz und zu guter Letzt noch Arztwohnung nebst Laboratorium ist dort in einem felsigen Tale der arabischen Wüste gleichsam ein luftiges Sanatorium entstanden, das in der Tat wohl einzig in seiner Art bis jetzt bestehen mag. Für 11-15 Mark täglichen Pensionpreises, je nach Grösse und Einrichtung des Wohnraumes, ärztliches Honorar mit einbegriffen, ist es den Patienten ermöglicht, unter beständiger Aufsicht eines Arztes, fern von allem lästigen Zwang und in leichtester, dem dortigen Klima angepasster Bekleidung, daselbst ganz und völlig ihrer Gesundheit zu leben. Alle hygienischen und sanitären Massnahmen sowie Befolgung der diätischen Vorschriften und gewissenhafte Reinhaltung des Trinkwassers stehen unter fortwährender Kontrolle des behandelnden Arztes, der auch die verschiedenen chemischen Untersuchungen zu machen hat.“ Zudem kommt jede Woche mindestens einmal Dr. Eddy (Charles) Schacht (1872-1952) vorbei, „der bereits seit 7 Jahren als deutscher Arzt in Assuan praktiziert, und dem somit reichliche Erfahrung zu Gebote steht, [...] um daselbst den Bericht des Kollegen entgegenzunehmen und eventuell gemeinsame Anordnungen zu treffen.“
Schacht hatte sich in verschiedenen Wasserheilanstalten im Schwarzwald fortgebildet, bevor er sich als Kurarzt in Baden-Baden niederließ. Seit er den Winter regelmäßig in Assuan verbringt, arbeitet er intensiv mit der seit 1901 bestehenden „Poliklinik für Ägypter und Beduinen“ zusammen, „zu der später ein Missionshospital, außerdem eine Apotheke hinzukamen“, die unter der Trägerschaft der Sudan-Pionier-Mission standen.
Wauer fährt fort: „Die wirtschaftliche Leitung dagegen ruht in den Händen einer erfahrenen, älteren deutschen Dame, welche, da sie als Johanniterin auch in Krankenpflege ausgebildet ist, sich sehr dazu eignet, diesem Wüsten-Sanatorium vorzustehen und auch Damen, welche dort ebenfalls Heilung suchen, unter ihren besonderen Schutz zu nehmen. Also auch in dieser Beziehung ist in bester Weise für die Kranken gesorgt!“
Eine Ansichtskarte der Pension Neufeld mit verschiedenen Motiven.
Margarete Neufeld führte die Pension mit 25 oder 40 Zimmern sowie das Sanatorium mit 20 Hütten und Zelten bis 1914 weiter, während Karl 1912 nach Omdurman übersiedelte. Was ihn zu diesem Schritt bewog, bleibt offen, vielleicht wollte er sich noch einmal neu erfinden, so wie er während des Ersten Weltkrieges auch noch einmal heiratete.
Laut dem Nachruf wurde er bei Kriegsausbruch „von den englischen Behörden ausgewiesen und begab sich sofort nach Deutschland, um sich für etwaige Unternehmungen im Orient zur Verfügung zu stellen. 1915 ging er in wichtiger Mission nach Arabien, um von dort aus den Versuch zu machen, nach Abessinien zu kommen.“ Danach „war er in den arabischen Gebieten der Türkei für die deutsche Seite tätig. [...] Im Verkehr mit den Mohammedanern führte er den Namen Scheich Abdallah, und sein deutscher Name Neufeld wurde von den Arabern in den echt arabischen Namen Naufel verwandelt.“
Dass er nicht sehr erfolgreich war, „war nicht seine Schuld, das lag an andern Verhältnissen“, meint ein Zeitgenosse, der deutsche Arzt Arthur Berger (1871-1947), der Afrika dank mehrerer Forschungsreisen und Jagdausflügen wie seine Westentasche kannte und Neufeld während des Krieges einige Male traf. Über seine geheime Mission, als Propagandist des deutschen Kaiserreichs in Feindesland, hat Neufeld ein Tagebuch geschrieben, aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Max Meyerhofers Tagebuch
6.II.
Heute Morgen sehe ich Anatole France. Er hat einen grauen Knebelbart und etwas vortretende lebhafte braune Augen. Unsre beiden jungen Misses reisen leider ab. Vorgestern Mittag fanden wir bei glühender Sonnenhitze in einem Steinbruch den Obelisk, halb eingegraben im Sand, an drei Seiten bearbeitet, aber noch nicht losgesprengt.
Der lang gesuchte Obelisk im Steinbruch ist endlich gefunden.
Neben ihm ein haushoher Granitblock. Wir beide vertragen die Hitze vorzüglich. Abends Billardpartie im Savoy-Hotel.
7.II.
Mittags gemischtsprachige Unterhaltung mit einer Engländerin, einem deutsch redenden Amerikaner und zwei französisch redenden Italienern. Es ist sehr amüsant, einen Italiener und einen Amerikaner deutsch mit einander reden zu hören! (II,49) Abends freunde ich mich sogar mit den Italienern stark an. Mein Nachbar stellt sich als Cavallerieleutnant Massa aus Turin (Tenente Lancieri VIII Reg.), der andere als Advokat Lanza aus Turin vor. Der Leutnant verliebt sich schleunigst in eine reizende blonde Amerikanerin mit süßen Grübchen, die auch ich verehre und bemüht sich den ganzen Abend vergeblich, von mir ihren Namen Miss Higinbotham, zu lernen. Auf der Straße seufzt er vor ihrem vermeintlichen Fenster und singt Canzonen, indem er auf dem Spazierstock klimpert. Spät Abends in der Bar deutsch-englisch-italienische Verbrüderung mit Wein, Whisky und Selters. Ich funktioniere als Dolmetsch! Nachher wortloser Abschied zwischen England und Italien, da keine von beiden Parteien in der anderen Sprache reden kann.
8.II.
Jeden Abend nach Tisch gehen wir vor die Thür, um uns mit den zahlreich dort lungernden Arabern, Nubiern und Bischarîn zu unterhalten.
Die Uferstraße in Assuan.
Otto hat viel Vokabeln gelernt und kann sich schon ganz gut unterhalten. Seine (II,50) beiden Spezialfreunde Hassan und Mohammed bringen ihm arabische Worte bei, dafür er ihnen deutsche, die sie erstaunlich schnell behalten. Mein Kopf ist schon zu alt zum Vokabeln lernen oder vielmehr ich bin zu faul, aber ich kann mich über das Notwendigste schon Arabisch verständigen. Bei dem wundervoll lauen mondlosen Abend mit herrlichstem Sternenhimmel sitze ich mit zwei jovialen englischen Geistlichen noch bis ½ 12 vor der Thür. Die Milchstraße leuchtet prachtvoll, der Orion steht senkrecht über uns, das Kreuz des Südens ist hier noch nicht zu sehen. Um 11 Uhr werfen Amerikaner eine Whiskyflasche herunter. Die meisten Araber wenden sich verächtlich ab, ein Eseljunge aber nimmt sie, trinkt und ist nach kaum fünf Minuten so betrunken, daß er fortgesetzt vom Esel fällt. Endlich führt er noch, ein Weib imitierend, den Bauchtanz auf. Die American young ladies kugeln sich vor Vergnügen, die beiden Clergymen sind begeistert.
(II,51) Das Hotel ist wie ein Taubenschlag. Ganze Ladungen von Amerikanern und Engländern kommen und gehen, zeitweise häufen sich Berge von Gepäck im Hof an. Heute gehen 26, kommen 20 Personen. Privatdozent Dr. Cornelius aus München mit Familie reist ab. Wir hatten ihn kaum kennen gelernt. Nach dem Luncheon bin ich meist vor der Thür, um den vierjährigen dunkelbraunen Hassan zu sehen.
Nicht der kleine Bischarinjunge HASSAN, sondern ein Geschwisterpaar, das KEIMER Jahre später in Assuan fotografiert hat.
Er ist ein Bischarînjunge, trägt daher seine wenigen Haare auf dem Scheitel zu einem riesigen Schopf emporgedreht, ist an den Seiten und hinten rasiert. In der Hand ein Stück Zuckerrohr, im Munde die Cigarette (!) stolziert er umher und verlangt mit furchtbarem Augenrollen Bassîss. Seine fetten Bäckchen sind durch je drei Schnitte verziert, an seinen Augen krabbeln natürlich stets 6 - 8 Fliegen herum, aber das stört ihn nicht. Giebt ihm einer nicht Bakschisch, so schenkt Hassan ihm einige Kupfermünzen (II,52) oder stellt sich finster blickend mit untergeschlagenen Ärmchen seitlich hin. Heute photographiert ihn Otto, dessen Bilder jetzt immer besser werden. Übrigens ist er noch nicht der photographierwütigste, denn ich sprach Leute, die in 14 Tagen an 200 Films verknipst haben.
9.II.
Heute lerne ich einen Stockamerikaner kennen, dessen typisch durch die Nase geschnubbelte Sprache ich kaum verstehe. Seine Landsmännin mit den entzückenden Grübchen interessiert mich viel mehr. Einer Sonnenblume gleich drehe ich mein Gesicht beim Essen immer nach ihrem Tisch zu. Heute ist zweiter Briefschreibetag. Ich bekomme einen tüchtigen Schnupfen, obwohl die Temperatur Mittags 30° C. im Schatten, Abends 11 Uhr 21° beträgt. Da auch kein Wind ist, so kann Schnupfen und Rachenkatarrh nur durch Staub und Lufttrockenheit erzeugt sein. Ma’alesch, sagt der Araber.
10.II.
Heute ist direkt ein Augusttag. Seit 8 Tagen keine Wolke mehr. Mittags (II,53) leiste ich mir einen Wüstenspaziergang. Vorbei an dem Sudanesenposten komme ich in das Gebiet der Gräber und Steinbrüche.
Auf seinem Wüstenspaziergang zu Gräbern und Steinbrüchen kommt MAX auch bei diesem kufischen Friedhof vorbei, den TALBOT KELLY gemalt hat.
Die Sonne brennt kolossal auf die weite braunschwarze Steinwüste herab, in der nur vereinzelte Araber zu Fuß, auf Eseln oder Kamelen umherirren. Ich selbst laufe mit Strohhut und leichtestem Anzug in der Sonne umher, meine Nase läuft auch; doch fühle ich mich recht wohl. Mittags unterhalten wir uns wieder mit den Arabern, die behaglich in der heißen Sonne hocken. Die hockende Stellung ist charakteristisch für den Araber. Er braucht weder Stuhl noch Bank, er hockt sich nieder. So hockt auch der Steuermann in dem Boot das uns täglich nach Elephantine hinüberbringt. Das ist für ihn die sicherste Stellung, die zugleich am wenigsten Platz einnimmt
Die Bootsleute scheinen trotz allem viel Spaß bei ihrer Arbeit zu haben.
Heute Abend als wir zurückfahren, geht das Boot mitten im Nil nicht weiter. Es sieht sehr sonderbar aus, wie die Bootsleute mitten im breiten Strom aussteigen und das Boot schieben; wir sind nämlich auf eine Sandbank aufgefahren, da der Nil (II,54) mit jedem Tag flacher wird. Überall ragen gelbe Sandflächen aus ihm hervor, und bald wird man den Nilarm, der uns vom Savoy-Hotel trennt, zu Fuß überschreiten können. Nicht nur Dampfer, sondern auch kleinere Schiffe können jetzt nicht mehr hindurch. Am Abend redet mich ein Herr deutsch an und stellt sich als Herr Leopold aus Frankfurt a[m]/M[ain], ehemals Hannover vor. Er kennt Felix, Wilhelm, Johanna etc. vom Ansehen und hat ein ungeheures Gedächtnis. Im übrigen ist er der Typus eines ehemal[igen] Handlungsreisenden, sehr stolz auf sein Selfmade-tum – vermittelst Dörings Seife mit der Eule ist er hochgekommen. Seit 6 Jahren ohne Geschäft reist er stets.
11.II.
Andauernd Augustwetter, ohne Wolken. Temp[eratur] im Schatten Mittags 31°, Abends 21° Celsius (um 10 Uhr). Um 6 ¾ Uhr beobachte ich den Himmel. Der große Bär steht so tief am Horizont nördlich, daß nur 4 Sterne von ihm sichtbar sind, der Orion steht fast im Zenith. Die Sonne ist (II,55) wie gewöhnlich hier ohne besondere Pracht untergegangen, die Wolken fehlen. Am Horizont erhebt sich an der Stelle, wo sie verschwand, eine riesige rötliche kegelförmige Lichterscheinung bis zum Zenith. Ich glaube, das ist das Zodiakallicht! Im Hotel sind die Stangenschen Deutschen von Wadi Halfa wieder angekommen, auch die Dicken. Unser fetter Assessor beklagt sich, daß er durch die Stangens in seiner ganzen Stimmung gestört wäre. Nur einmal hätte er Abends im Mondlicht vor dem Tempel von Abu-Simbel im Mondlicht auf dem Rücken gelegen (man denke sich das Bauchprofil) und da habe er „Stimmung“ gehabt. Sonst hat ihm noch ein gefangener Löwe einen neuen Anzug – bepinkelt. Das sind alle seine Abenteuer. Nachmittags sitzen die Stangens vor der Thür, amüsieren sich über das vorüberflutende ägyptische Leben, besonders die seiden aufgeputzte arabische und italienische Demi-monde von Assuan, haben aber kein Verständnis für die (II,56) Witzchen des kleinen Hassan – die Stumpfböcke. Das einzig gescheite Gesicht unter ihnen gehört dem Geh[eim]-Rath v[on] Richter, Pariser Ausstellungsbevollmächtigter Deutschlands an.
Auf die Fußnoten des Originaltextes wurde für die online-Fassung aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichtet.
© 2017 Dr. Ludwig Reichert Verlag Wiesbaden
ISBN: 978-3-95490-136-4
www.reichert-verlag.de
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Verfielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronsichen Systemen, auch bei nur auszugsweiser Verwertung. Die Vergütungsansprüche des § 54, Abs. 2, UrhG. werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen.