Der deutsch-jüdische Augenarzt und Orientalist Max Meyerhof begleitet im Winter 1900 seinen nierenkranken, 16-jährigen Verwandten Otto Meyerhof – einen späteren Nobelpreisträger für Medizin – zum Kuraufenthalt ins trocken-heiße Ägypten. Gemeinsam touren sie fünf Monate lang durchs Land.

Max Meyerhofs Reisetagebuch ist vor zwei Jahren von Isolde Lehnert kommentiert, editiert und ergänzt in dem Buch „Zur Kur an den Nil" erschienen. Ein Auszug.

Den Abend des 10. März 1901 verbringt Max Meyerhof in der Bierhalle von August Gorff im Esbekije-Viertel, die in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts als „Sammelpunkt der Deutschen und Österreicher, der Afrikareisenden u.s.w.“ gilt. Sie ist längst zu einer festen Institution geworden und hat sich gegen die starke Konkurrenz in der unmittelbaren Nachbarschaft durchgesetzt.

Schon der früheste Ägypten-Baedeker von 1877 notiert die große Anzahl von Cafés, in denen Bier, „meist Grazer oder Wiener“, ausgeschenkt wird, und nennt unter anderem das „Kovats“ und das „Café Égyptien“. Die beiden, die auch Meyers Erstausgabe von 1881 aufführt, werden sich über Jahrzehnte halten, andere kommen und gehen. Das Bier der österreichischen Brauerei-Dynastie Dreher ist und bleibt gefragt, worauf die Reisehandbücher mit der Einführung einer eigenen Rubrik für „Bier“ reagieren. Kurzzeitig avanciert die anfangs noch kleine Bierstube von „Böhr“ zum Spitzenreiter vor allem unter den Deutschen – „wegen des guten Stoffes“, wie es Meyer 1889 formuliert und im Nebensatz zum ersten Mal „Korff“ in der Esbekije-Straße erwähnt. Bis zum Jahr 1894 hat es dieser „Corff“ – in einer anderen, aber immer noch falschen Schreibvariante – auf den vorderen Rang in Baedekers Auflistung der Bierstuben geschafft, und auch Shepheard’s Hotel empfiehlt seinen Gästen dessen deutsches und österreichisches Importbier vom Fass. Gorffs bayerisches Bier sei „meist gut“, ganz im Gegensatz zu etlichen anderen Bierhäusern rund um den Esbekije-Garten, überwiegend „mit zweifelhafter weiblicher Bedienung und von weiblichen Personen gehalten“, wo man für zwei Piaster, etwa 40 Pfennig, ein Glas Bier bekam, allerdings nicht immer genießbar und selten frisch. Gorffs Bekanntheitsgrad schnellt rasant in die Höhe, sogar Reiseführer, die explizit für den anglo-amerikanischen Markt gedacht sind, verweisen als erstes auf ihn. Es lag aber sicher nicht allein an der Bierqualität, dass Gorff so prominent wurde und in etlichen Reiseberichten auftaucht, sondern am Besitzer selbst, den man gewöhnlich einfach nur „August“ nannte. Er verkörpere den „Urtypus eines gemüthlichen Herbergsvaters, welcher sich in der deutschen Colonie von Kairo sowie bei allen deutsch-sprechenden Fremden grosser Popularität erfreut“, betont das Reisehandbuch des Österreichischen Lloyd.

Die mit 1897 datierte Porträtskizze von „August Gorff in Kairo“ stammt von dem deutschen Maler JACOB ALBERTS (1860-1941).

Der Berliner Publizist Georg Schweitzer (1850-1940) kehrt während seiner Reisen mehrmals bei Gorff ein, unter anderem 1889, und skizziert ihn als einen „Urbrandenburger“, „welcher als der erste Deutsche das Bier in Kairo salonfähig gemacht hat. Sein Local war in den dreißig Jahren politischer Unruhe in Aegypten stets der Mittelpunkt der Deutschen in Kahira, die sich auch jetzt noch nach wie vor zum Früh- und Abendschoppen bei „Aujusten“ versammeln und hier wie hergebracht alle wichtigen Fragen erörtern und erledigen. Hier pflegt der Consulatsprediger zu verkehren, alle Kaufleute, Buchhändler, Aerzte, Photographen, Maler, die Aegyptologen und sonstigen Gelehrten, hier findet man an der langen Stammtafel außer der Stammgesellschaft auch die nur kürzere Zeit in Kairo anwesenden Landsleute, hier wird man bereitwillig mit Rath und That unterstützt, sobald man sich erst bekannt gemacht hat. Es ist jedem in Kairo ankommenden Deutschen nur zu empfehlen, dieses Local sobald als möglich aufzusuchen. Dort kann man sich Vorschläge und praktische Winke für alle Touren, Vorbereitung für alle Sehenswürdigkeiten, Auskunft über alles Mögliche einholen.“

Diesen Ratschlag befolgen auch Heinrich Sabersky und sein Reisegefährte, als sie Anfang Dezember 1894 in Kairo eintreffen. Sie suchen einen ortskundigen Führer, der sie nach Oberägypten begleiten soll, wo sie sich neben der Besichtigung archäologischer Denkmäler vor allem der Jagd widmen wollen. Als sich ein Dragoman mit entsprechenden Referenzen vorstellt, lassen sie sich zunächst „von dem braven, allen Deutschen behilflichen Gastwirt, Herrn August Gorff“ bestätigen, „daß der Mann vertrauenswürdig sei“, bevor sie ihn engagieren.

Sabersky scheint recht angetan von Gorff, da er eine Porträtzeichnung von ihm abdruckt, welche die Signatur von Jacob Alberts (1860-1941) trägt und mit [18]97 datiert ist. Im Werkverzeichnis des Malers, dessen Oeuvre überwiegend Motive seiner friesischen Heimat umfasst, wird dieses Porträt allerdings nicht aufgeführt. Da Alberts nach eigener Aussage Ägypten erstmals im Winter 1929/30 besuchte, kann das Bild nicht dort, sondern eher in Berlin entstanden sein, wo Sabersky und Alberts in den 1890er Jahren lebten und möglicherweise miteinander bekannt waren. Auch der Porträtierte selbst war zugegen, zumindest im Jahr 1896, worüber später noch zu berichten sein wird.

In Gorffs Wirtshaus konnte man sogar religiösen Beistand finden, sofern gerade ein Kirchenvertreter anwesend war, wie beispielsweise Bernhard Rogge (1831-1919) im Frühjahr 1895. Der königliche Hofprediger in Potsdam legte dort einen kurzen Zwischenstopp ein während einer „Osterreise nach Jerusalem“, die „Hugo Stangen’s Reisebureau“ organisiert hatte. Rogge hielt die Erlebnisse der von ihm geführten Reisegruppe in einem Buch fest. Gorffs „treffliches, echtes Münchener Bier erfreut sich des lebhaftesten Zuspruchs. Es war ein Hochgenuß in jenen Tagen, in denen sich die Tagestemperatur bis zu 30 Grad R[éaumur] im Schatten steigerte, freilich aber auch ein Genuß, bei dem das vorsichtigste Maßhalten geboten war“, mahnt der Kirchenmann. Zum Abschied sitzt die ganze Gruppe draußen vor der Gaststätte, wo man Tische auf dem Trottoir dieser verkehrsreichen Straße aufgestellt hat, und singt bis Mitternacht Deutschland-Hymnen sowie „bekannte Volks- und Studentenlieder“, was von der Nachbarschaft und den diensthabenden Straßenpolizisten nicht nur geduldet, sondern „mit sichtlichem Wohlgefallen“ goutiert wird. So etwas sei nur in Kairo möglich, wohin es den „lieben August“ schon vor Jahren verschlagen habe, der ursprünglich „aus Kassel gebürtig ist“, beendet Rogge seinen Bericht.

Mit diesen letzten vier Worten liefert Rogge den entscheidenden Hinweis zu Gorffs Herkunft, die – wenn überhaupt – unterschiedlich angegeben wird. Tatsächlich verzeichnen die Kirchenbücher der lutherischen Gemeinde Kassel für den 4. November 1835 die Geburt von August Daniel Gorff, benannt nach dem Bruder der Mutter, der als Taufpate fungiert. Die Eltern sind Johann Georg Gorff, geboren am 4. Januar 1783 in Neukirchen, und dessen zweite Ehefrau, die 25jährige Maria Caroline Catharine Amalie, geborene Nickel, die sich am 10. Juli 1831 in Kassel vermählt hatten. Der Vater betätigt sich beruflich zunächst als Fahnenschmied im Regiment Garde du Corps in Kassel. So führt ihn das „Casselsche Adreß-Buch“ erstmals 1837 bis 1844 mit wechselnden Straßen-Adressen auf, bis 1845 eine nicht unerhebliche Veränderung eintritt. Georg Gorff wird Hausbesitzer und zugleich „Wirth zum Mohren, [...] hierselbst die Lohgerber-, Kammacher-, Riemer- und Schornsteinfegergesellen-Herberge“, die in der Alten Leipzigerstraße 163 liegt. Als er fünf Jahre später, am 12. September 1850 stirbt, übernimmt seine Witwe Amalie Gorff das Ruder und führt die Wirtschaft bis ins Jahr 1857 weiter. Ob sie danach verstorben oder weggezogen ist oder wieder geheiratet hat, bleibt allerdings unklar. Doch man kann vermuten, dass dieser Einschnitt den Sohn August dazu bewegt hat, seine Heimatstadt Kassel Ende der 1850er Jahre zu verlassen und nach Ägypten aufzubrechen.

Ein anderer Zeitgenosse aus Gorffs späterem Umfeld in Kairo kann diesbezüglich weiterhelfen. Als der aus Prag stammende Vilem Nemec (1857-1942) im Dezember 1884 Kairo erreicht, hat er eine fast zweijährige Reise hinter sich. Der gelernte Apotheker verdient sich dort seinen Lebensunterhalt mit vielerlei Jobs, unter anderem leitet er für einige Monate die Straußenfarm im Vorort Matariah, ein beliebtes touristisches Ausflugsziel. Außerdem verdingt er sich zeitweise als Veterinär und organisiert Jagdsafaris in ganz Afrika für die europäische Aristokratie und sonstige zahlungskräftige Kundschaft. In Kairo findet er schnell Anschluss bei seinen Landsleuten, die sich häufig und regelmäßig in der Gorffschen Kneipe versammeln. Nemec zufolge kam Gorff während der zehnjährigen Bauarbeiten des Suezkanals nach Ägypten und trat bald in die Fußstapfen seines Vaters. 1867 eröffnete er in Ismailia eine Kantine, die schon damals mit Bier aus Deutschland beliefert wurde, anfangs sogar kostenlos. Nach der Inbetriebnahme des Kanals im November 1869 verschwanden jedoch die Arbeitskolonnen, und sämtliche Kantinen zwischen Port Said und Suez mussten mangels Gästen schließen. Gorff zog nach Kairo um, wo er spätestens 1872 eintraf und Mitglied der Deutschen Evangelischen Gemeinde wurde, die sich 1864 gegründet hatte.

Der Ausschnitt des Kairener Stadtplans im BAEDEKER 1897 zeigt die Gegend um den Esbekije-Garten. Nordöstlich ist auch der „Fischmarkt“ eingezeichnet.

Laut Nemec mietete er in einer belebten Straße des europäischen Viertels ein Haus in direkter Nachbarschaft von Gasthöfen und einer Weinkellerei, das der Baedeker in der Sharia Wagh el-Birket lokalisiert, schräg gegenüber dem Hôtel Royal und ganz in der Nähe von Shepheard’s Hotel. Im übrigen nicht weit entfernt vom sogenannten „Fischmarkt“, dem berüchtigten Rotlichtviertel der Hauptstadt, vor dem die Reiseführer warnen, es sei als eine der verrufensten und „unsittlichsten Gegenden von Kairo (selbstverständlich nicht mit Damen zu besuchen)“.

Ein Blick auf den nahe gelegenen „Fischmarkt“, das berüchtigte Rotlichtviertel Kairos.

Im Erdgeschoss des Hauses befand sich die Gaststätte, den oberen Stock baute Gorff zu einem Hotel mit 40 Zimmern um – „deutsch, einfach, aber gelobt“, zu einem Pensionspreis von 40 Piaster, umgerechnet 8,40 Mark. Den genauen Zeitpunkt lässt Nemec zwar offen, doch dürfte der Umbau zum „Hôtel Gorff“ bereits in den 1880er Jahren erfolgt sein. Das legt unter anderem ein Brief von Gorff nahe, der am 26. Oktober 1886 in der Zeitung „Mährisches Tagblatt“ unter der Rubrik „Locales und Provinzielles“ abgedruckt wurde. Darin berichtet er über den tragischen Unfalltod eines Olmützer Bürgers, ein Prof. Dr. Rudolf Kindl, der bei ihm in Kairo „logierte“ und nun bedauerlicherweise während einer Nilfahrt ertrunken ist. Der Postdampfer lag schon vor Anker, als abends ein Feuer ausbrach, wie es heißt „hätte ein Diener (Araber) bei Spiritus Caffee gekocht, stieß die Maschine um und lief auf Deck, ohne etwas davon zu sagen.“ Das Schiff brannte völlig aus, doch Mannschaft und Passagiere konnten unversehrt an Land gebracht werden, bis auf einen. Bei der Suche nach Dr. Kindl fand der Matrose in dessen Kajüte lediglich die Papiere des Vermissten und den seinerzeit obligatorischen Revolver. Später ließ sich rekonstruieren, dass sich Dr. Kindl schwimmend retten wollte, doch der Nilschlamm hatte ihn auf den Grund gezogen. „Gott gebe ihm die ewige Ruhe“, beschließt Gorff die traurige Geschichte und bekundet sein Beileid.

Eigentlich wäre eine solche Berichterstattung für die Angehörigen und Bekannten Sache des amtierenden Konsuls gewesen. Dass sich Gorff darum kümmerte, zeigt seine soziale Seite, die auch von Nemec hervorgehoben wird: „He was a wonderful person who was always there to help those in need.“ Das bezeugt auch seine langjährige Mitgliedschaft im Deutschen Unterstützungs-Verein Kairo, der laut Paragraph 1 der Satzungen am 22. März 1880 gegründet wurde, mit dem Zweck „hilfsbedürftige Deutsche in Kairo durch Geldbeträge, Lebensmittelgaben oder andere Hilfeleistungen zu unterstützen.“ Gorff gehörte zwar nicht zum Gründungskomitee, stieß jedoch schon in den 1880er Jahren dazu. Wie etliche andere Landsleute, deren Anzahl in den ersten 25 Vereinsjahren die Hundert nie überschritt, zahlte er konstant seinen Jahresbeitrag von 100 Piastern ein. Gelegentlich nahm er am „Kaiseressen“ teil, mit dem die deutsche Kolonie alljährlich den Geburtstag des jeweils amtierenden Kaisers feierte, und beteiligte sich an Spendenaktionen außerhalb der Reihe. Was läge näher, als auch die Generalversammlung in Gorffs Lokal abzuhalten, wo die Arbeit bei einem frisch gezapften Bier leichter vonstatten ging.

Das Biergeschäft lief mittlerweile immer besser, vor allem nachdem die anfänglichen Schwierigkeiten bei der Lagerung und Frischhaltung behoben waren. Durch die Einführung spezieller Kühlsysteme an Bord der Transportschiffe sowie durch den Bau zweier Eisfabriken in Kairo und Alexandria ließ sich der Import von Bierfässern der Brauerei Dreher professionalisieren, womit eine erhebliche Qualitätsverbesserung einherging.

Obwohl Gorff die höchsten Umsätze verbuchen konnte, da erstaunlicherweise auch Einheimische gerne Bier tranken, stand ihm zwischenzeitlich der Sinn nach einer anderen Betätigung. Er verpachtete die Bierstube und verlegte sich auf die Herstellung von Lederwaren, speziell auf Peitschen und Stöcke, die er aus Nilpferdhaut fertigen ließ. Die Qualität überzeugte, so dass die Hotels seine Produkte gerne ihren Gästen empfahlen und er kaum mit den Lieferungen hinterherkam. Das Unternehmen entwickelte sich bestens und warf lukrative Gewinne ab, was Nemec eher Gorffs Glück als seinem Geschäftssinn zuschreibt. Dazu kamen die Einnahmen aus dem Hotel, das seine Frau leitete, die aus Gleichenberg in der Steiermark stammte. Sie war angeblich sehr kritisch and redete viel – „nonstop“ –, was ihren Ehemann des öfteren zur Rage trieb. Dementsprechend sollen die beiden eine äußerst stürmische Ehe geführt haben, bei der es nicht selten zu Handgreiflichkeiten kam, denen Versöhnungsorgien folgten, bis das Spiel von neuem begann. Irgendwann verkaufte Gorff die Lederfabrik, da er wieder einen Bierkeller haben wollte. Er kündigte seinem Restaurant-Pächter, mietete zwei weitere Häuser direkt daneben an und schuf aus beiden ein geräumiges Bierhaus. Für die Innendekoration hatte er die originelle Idee, sie von europäischen Künstlern ausschmücken zu lassen, die es damals zahlreich an den Nil zog, auf der Suche nach Motiven und wegen des besonderen Lichts, dessen intensive Helligkeit ein ganz eigenes Farbenspiel mit Licht- und Schatteneffekten erzeugt. Gorff bot ihnen freie Unterkunft und Verpflegung an, lieh ihnen zuweilen auch Geld und verpflichtete sie im Gegenzug zur malerischen Ausgestaltung seiner Wirtschaft. So entstanden sechs stattliche Wandbilder von drei namentlich aufgeführten Malern und anderen, deren Identität Nemec jedoch nicht überliefert.

Da ist zum einen Nemecs Freund Leopold Dietmann (1857-1942), ein österreichischer Maler und Graphiker aus Prag, der mit Leo Diet signierte. Sein Oeuvre umfasst Bildnisse, stimmungsvolle Landschaften sowie Genre- und Historiengemälde mit romantischen Zügen. Dank der Förderung durch Kronprinz Rudolf von Österreich und Ungarn (1858-1889) konnte er die Jahre 1882/83 bis 1887 zu Studienzwecken am Nil verbringen und bewohnte zwei der besten Zimmer bei Gorff.

Etwa um 1883 wandte sich auch Franz (oder Ferencz) Eisenhut (1857-1903), ein Ungar aus Budapest, der Orientmalerei zu. Sein Werkverzeichnis lässt vermuten, dass schon seine frühen Reisen Kairo miteinschlossen, obgleich in der Literatur nur eine Ägyptenreise für das Jahr 1894 explizit erwähnt wird. Seine thematisch und motivisch breit gefächerten Genreszenen sollten ihm später die Bezeichnung „ein typischer Maler der bunten Welt des Orients“ einbringen.

Der Deutsche Karl Wilhelm Diefenbach (1851-1913) war vielleicht der eigenwilligste unter jenen Künstlern und sorgte mit seinen sozialreformerischen Ansichten für Aufsehen. Er propagierte einen naturgemäßen und gottgerechten Lebensstil, der auch in seinen Bildern zum Ausdruck kommt, mit denen er 1892 einen ersten Ausstellungserfolg in Wien erzielen konnte. Von 1895 bis 1897 hielt er sich in Alexandria und Kairo auf und entwarf überdimensionierte Monumentalbauten. Ein projektierter Tempel der Humanitas mit Sphinx, für dessen Errichtung die ägyptische Regierung sogar Land zur Verfügung gestellt hatte, ließ sich jedoch nicht realisieren.

Nemec betont, dass sich nahezu jedes Wandgemälde auf Gorff bezog. Eines zeigte ihn in seiner Lieblingsposition, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, und eine an den Pyramiden vorüberziehende Karawane betrachtend. Vermutlich tat er dies mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck, denn die Kamele waren mit Bierfässern beladen, von denen jedes einzelne Fass seine Adresse trug.

Wie bei dem erwähnten Wandbild im Wirtshaus tragen auch die Bierfässer auf dieser Ansichtskarte links unten die Aufschrift „August Gorff Cairo“.

Ein anderes Gemälde bildete Gorff bei einem heftigen Wortwechsel mit seiner Frau ab, und auf einem dritten ließ er sich auf der Straße vor seinem Etablissement stehend von einem einheimischen Schuhputzjungen die Stiefel polieren.

Zu Gorffs langjährigen Stammgästen zählte der Österreicher Dr. Anton Kautzky Bey (1867-1944), ein Internist, der im Herbst 1894 nach Ägypten übersiedelte und mehr als 18 Jahre als Leibarzt im Dienst des Khediven Abbas Hilmi II. stand.

Ein Porträtfoto von Dr. ANTON KAUTZKY Bey (1867-1944), signiert mit April 1897, das der Hoffotograf J. HEYMAN hergestellt hat.

Umgehend freundete er sich mit einem anderen Hofarzt an, dem Wiener Dr. Hans von Becker Bey (1850-1927), der zugleich österreichischer Gerichts- und Konsulararzt sowie Leiter des österreichisch-ungarischen Rudolf-Spitals war. Als äußerst geselliger und unterhaltsamer Mensch spielte er eine der Hauptrollen an Gorffs Stammtisch, wie aus den Memoiren von Kautzky hervorgeht, die interessante Einblicke in Kairos gesellschaftliches Leben jener Zeit bieten. Gorff würdigt er darin auf zwei Seiten: „Das Bier lag jetzt schon unter Eis und unter Kohlensäuredruck und man konnte es jetzt schon an jedem Tag und fast zu jeder Stunde frisch bekommen. Eine echte Künstlerkneipe war das Bierhaus von August Gorff, einem mächtigen Bajuvaren mit grossem Bau; immer mit Tarbusch bekleidet und einer Nilpferdpeitsche bewaffnet. Die Wände seines Lokals waren geschmückt mit prachtvollen Malereien, welche seine Gäste im Laufe der Jahre dort angebracht hatten. Z.B. ein Riesengemälde zeigte unseren Freund Gorff auf einem grossen Floss dahersegelnd, welches von vier schwarzen und weissen, wenig bekleideten im Nil schwimmenden Frauen getragen wurde. Gorff selbst sass auf einer Biertonne im Fez und einem grossen Sonnenschirm, die obligate Nilpferdpeitsche in der Hand. Gezeichnet waren die Maler Wilda, Grünwald, Eisenhut.“

Der Ungar Béla Iványi Grünwald (1867-1940) hatte in Budapest, München und Paris studiert. Dank eines Staatsstipendiums konnte er 1894 seinen schon erwähnten Landsmann Eisenhut nach Ägypten begleiten, wo einige orientalisch geprägte Gemälde entstanden.

Der gebürtige Wiener Charles Wilda (1854-1907) gehört zum Zentrum der österreichischen Orientmalerei, als deren bedeutendster Vertreter Leopold Carl Müller (1834-1892) gilt. Während zahlreicher längerer Ägyptenaufenthalte in den Jahren 1874 bis 1886 ließ er sich dort für seine illusionistisch-realistischen Gemälde von Menschen und deren Alltag inspirieren, die ihn als „Ägypten-Müller“ berühmt machten. Wilda war einer seiner Schüler und gab bevorzugt Szenen aus dem täglichen Leben in Kairo wieder. Vermutlich kam er schon Anfang der 1880er Jahre an den Nil, obwohl nur wenige seiner Reisen nachgewiesen sind, so etwa eine im Jahr 1892. Es entstanden Genrebilder wie „Der Märchenerzähler“ oder „Der Schlangenbeschwörer“, aber auch Landschaftsansichten wie das Bild eines Sandsturms. Dieses schenkte er seinem Freund Kautzky, bei dem er in Kairo auch wohnte, zu dessen Hochzeit im Jahr 1897.

Der Österreicher Dr. HANS VON BECKER Bey (1850-1927), langjähriger Leibarzt des Khediven und gern gesehener Stammgast bei GORFF.

In seinen Memoiren erzählt Kautzky weiter, dass sein Kollege von Becker, der nicht nur von ihm als überaus humorvoll und trinkfest geschildert wird, sogar eine rühmliche Inschrift zu dieser Gorffschen Gemäldegalerie verfasst hat, ebenso witzig wie wortspielreich: „Ave Auguste importator cervisiarum germaniae etc.“, was sich mit „Heil dem erhabenen Importeur deutscher Biere“ übersetzen lässt.

„Die anderen Wände waren alle mit ähnlichen Kunstwerken deutscher Maler geschmückt. Auf einer Wand Gorff und seine Frau als Memnonskolosse am Wüstenrand gegenüber von Luxor. Sie mit einer blitzenden Gewitterwolke als Hintergrund, mit drohend erhobenem Zeigefinger, er mit einer jämmerlichen, anscheinend bussfertigen zerknirschten Miene. Auf einer dritten Wand sah man von Gorff nur die vordere Profilsilhouette und kniend vor ihm, resp[ektiv] vor seinem, auf einem Schemel stehenden Fuss, einer von den arabischen Stiefelputzerjungen. Gorff’s ganze Gestalt war durch einen Wandschirm verdeckt. Gezeichnet von Franz Kosler in Wien. Alle diese Bilder waren Wandmalereien direkt auf der Mauer.“

Und alle diese Maler machten Karriere, die wie im Falle von Franz Xaver Kosler (1864-1905) in Ägypten begann, wo er ab 1892 fast jedes Jahr verweilte, fasziniert von der schier unerschöpflichen Fülle und Variationsbreite der Motive. Wie Wilda gehörte auch er zum Kreis um Leopold Carl Müller, bei dem er sein Handwerk gelernt hatte, und freundete sich mit Kautzky an. In Kairo hatte er 1894 seine erste Kollektivausstellung, die ihm auf einen Schlag eine nicht geringe Popularität und jede Menge gut bezahlter Auftragsarbeiten bescherte. Max Meyerhof lernt den Künstler persönlich kennen, entweder im Hotel du Nil oder beim Besuch der Kairener Ausstellung am 9. März 1901, wo er eigentlich nur an Koslers Bildern Gefallen findet, der Rest sei recht trübselig.

Ein Blick in den Innenhof und Garten des Hotel du Nil aus dem Jahr 1894, das bei deutschen Gästen sehr beliebt ist.

Auch der Reiseführer des Österreichischen Lloyd enthält einen kurzen Abschnitt zu den „Bierlocalen, deren es eine grosse Menge in Kairo gibt“, der sich vielleicht nicht nur auf Gorffs Etablissement bezieht: „Diese Localitäten sind von namhaften Münchner Künstlern, wie Hanfstaengel, Uhl, Wilda u.a.m. in origineller Weise decoriert und mit Bildern ausgestattet. Auch im Fremdenbuche finden sich schöne Skizzen und die Namen von interessanten Personen [...].“

Der genannte Emil Uhl (1864-1945) war ein österreichischer Kunstmaler aus Böhmen, der durch Landschafts- und Volksszenen aus dem Orient bekannt wurde und sich außerdem als Fotograf versuchte. Nach 1889 lebte er sieben Jahre lang in Kairo, von wo aus er Reisen nach Palästina, Syrien und in den Libanon unternahm.

Der Name „Hanfstaengel“ lässt sich nicht eindeutig zuordnen. Am ehesten könnte damit Ernst Hanfstaengl (1840-1897) gemeint sein, ein Genre-, Landschafts- und Stillebenmaler und einer der Söhne des Münchners Franz Seraph Hanfstaengl (1804-1877), der den gleichnamigen Kunstverlag gründete, eine lithografische Anstalt, die ihm den Beinamen „Graf Litho“ einbrachte.

Weitere Darstellungen von Gorff finden sich auch im umfangreichen Oeuvre des Hamburgers Christian Wilhelm Allers (1857-1915), ein Zeichner, Maler und Illustrator, dem Ende der 1880er Jahre mit seinen naturalistischen Porträts sowie Szenen aus dem Alltag und der kaiserlichen Marine der Durchbruch gelang. Im Februar 1891 kam er an Bord der „Augusta Victoria“ nach Kairo, als Teilnehmer der ersten deutschen Kreuzfahrt durchs Mittelmeer. Die Idee einer Schiffsreise als bloßes Vergnügen stammte von Albert Ballin (1857-1918), dem Direktor der Reederei Hapag, der damit zunächst auf völliges Unverständnis stieß. Die Vorstandsmitglieder hielten es „für frivolen Unsinn“ und mutmaßten, dass es in seinem Oberstübchen nicht ganz richtig ticke. Doch entgegen aller Zweifel im Vorfeld konnte diese ganz spezielle Jungfernfahrt einen grandiosen Erfolg feiern. Allers wirkte von seiner „Kabine 116 Steuerbord“ maßgeblich an der Bordzeitung mit und rührte während dieser zwei Monate als „Mittelmeermaler“ kräftig die Werbetrommel. In Wort und Bild dokumentierte er auf launische Art sowohl die Seereise als auch die recht abenteuerlichen Landexkursionen in seinem Buch „Backschisch“.

AUGUST GORFF, porträtiert von dem Hamburger Maler und Illustrator CHRISTIAN WILHELM ALLERS (1857-1915), datierend 1.2.1896 und von GORFF unterschrieben.

Im Frühjahr 1896 kehrte Allers für sieben Wochen zurück, um den Nil stromaufwärts bis Assuan zu bereisen. Spätestens jetzt lernte er Gorff persönlich kennen, wie ein mit „1.2.1896“ datiertes Porträt belegt, das auch die Unterschrift von Gorff trägt. Er nutzte die Rückseite als Werbekarte für seinen Gasthof, den er selbstbewusst als „Sammelplatz aller Deutschen in Cairo“ titulierte. Wie so oft schrieb Allers einen Kommentar direkt ins Bild, dessen arabische Zeile bedeutet: „So war es die Gewohnheit Gorffs, sich täglich vor sein Geschäft zu setzen und Wasserpfeife zu rauchen, bis er in den Schlaf findet.“

Die Rückseite des Porträts nutzte GORFF als Werbekarte für den „Sammelplatz aller Deutschen in Cairo“, dessen Hotel und Bayerische Bierhalle deutsche Küche zu billigen Preisen und gute Bedienung bot.

Schon im folgenden Jahr tauchte Allers erneut auf, im Rahmen seiner großen Tour „Rund um die Erde“, die er vom November 1897 bis zum Juni 1898 zusammen mit zwei Freunden von Neapel aus unternahm. Kaum im Nilland eingetroffen, führte ihn einer seiner ersten Wege zu Gorff und einem kühlen Bier. Für den 8. November 1897 hält er in seinem Buch fest: „Auf der herrlichen Terrasse vor dem Hotel Shepheard sitzt es sich sehr behaglich und das bunte Gewimmel des gemischten Occidents und Orients bleibt immer sehr interessant, aber vor der Thür von August Gorff kann man doch mehr Detailstudien machen. Um ein Bild zu geben von dem malerischen Gesindel, das da vorbeiflutet und seine Herrlichkeiten anbietet, notierten wir uns die Händler und Künstler, die innerhalb zwanzig Minuten bei uns vorsprachen und gastierten. [...] Zwischenhinein allerlei Musikantentrupps, ungezählte Scharen von Bettlern ohne besondere Kennzeichen. Stehenbleibende Fellahs mit offenem Maul. Stiefelputzer in allen Farben und Zündholzjungen in allen Größen. Einzelne von diesen letzteren, z.B. der allbekannte kleine Mohammed, haben von August die Berechtigung ins Lokal zu treten, während alle andern Händler und Bettler stets einzeln oder in Schwärmen wieder hinausgejagt werden. Eine vergebliche Aufgabe, die August Gorff und seine Satelliten aber seit Jahren betreiben. Langbeinige Polizisten, die wie überall in der Welt die natürlichen Feinde der Straßenjungen, Stiefelputzer und Zündholzbengel sind, leisten dabei Unterstützung. Sie hauen immer wild um sich, ohne irgend welchen Nutzen, da die Bengel viel gelenkiger sind und sich in ihren faltigen Kleidern so winden, daß man stets nur auf eine Art Luftballon oder Windsack schlägt, falls man einen trifft.“

Zum Abschied, als die Fahrt am 5. Dezember über Ismailia durchs Rote Meer nach Aden weiter geht, sind „alle Freunde an der Bahn“, einschließlich „August mit seinem kleinen Hund Schnauzy“.

Von diesem Besuch hinterließ der Maler erneut ein bildliches Denkmal von Gorff. Es zeigt den stattlichen Wirt als zentrale Figur einer belebten „Strasse in Kairo“, auf einem Maultier reitend und Pfeife rauchend.

Ein weiteres Porträt von ALLERS, das GORFF im Zentrum einer belebten „Strasse in Kairo“ zeigt und mit 1897 datiert ist. Die Originalzeichnung war ursprünglich in Kreide ausgeführt.

Zu diesem Zeitpunkt ist Gorffs Name auch in Deutschland ein Begriff, zumindest in der Reichshauptstadt, wie sich Kautzky erinnert: „Als im Jahre (ich glaube 1896-97) in Berlin eine grosse Gewerbeausstellung stattfand, errichtete man dort in der Unterhaltungsabteilung eine Strasse von Kairo und Gorff bekam dort einen Platz, um sein Bierhaus in Kairo aufzustellen. Da setzte sich das ganze lustige und gutmütige Völkchen der deutschen und österr[eichischen] Maler zusammen und kopierten ihm die ganzen Wandgemälde auf Leinwand, so dass er sie mitnehmen und in Berlin wieder aufspannen konnte.“

Eine schlichte Grußkarte von der beim Publikum äußerst beliebten Spezialabteilung „Kairo“ auf der Gewerbeausstellung in Berlin 1896.

Tatsächlich gehörte zur Berliner Gewerbeausstellung, die sich vom 1. Mai bis 15. Oktober 1896 im Treptower Park präsentierte, eine Spezialabteilung „Kairo“, die mit ihrem orientalischen Flair zum Publikumsrenner wurde. Ähnlich wie schon bei den Völkerschauen versprach man lebendige und vermeintlich echte, wahrhaftige Einblicke in diese fremde Welt am Nil, die plötzlich so nah war, quasi direkt vor der Haustür. Die Präsentation als großflächige und bevölkerte Szenerie sollte dem Publikum ermöglichen, vollkommen darin einzutauchen, so dass der Besuch zu einem „Erleben mit allen Sinnen“ werden konnte. Dass es sich nur um eine Inszenierung nach dem einzig maßgeblichen Wertekanon westlicher Impresarios handelte, sollte verborgen bleiben. Selbst eher kritisch eingestellte Personen zeigten sich ambivalent oder mussten gar eingestehen, dass sie sich dem Reiz des Orients nicht ganz entziehen konnten. So schreibt etwa der einflussreiche Schriftsteller und Theaterkritiker Alfred Kerr (1867-1948) von einem seiner Besuche: „Es ist ja wahr: im Grunde ist ‚Kairo’ nur ein enormes Tingeltangel. Aber eines, das die Phantasie in ungeahntem Maße anregt. Hier ist der leibhaftige Orient. Beduinen, Derwische, Kairenser, Türken, Griechen und die dazugehörigen Weiberchen und Mägdlein sind in unbestreitbarem Originalzustande vorhanden. [...] Sie sind sich der Schaustellung, die ihr Amt ist, wohl bewußt und posieren wahrscheinlich grenzenlos. Das Ganze ist, wie angedeutet, ein starker Mumpitz – aber doch unleugbar ein sehr geistvoller und ein sehr anregender Mumpitz.“

In möglichst naturgetreu arrangierter Kulisse ließen sich 400 Ägypter und Ägypterinnen in Landestracht als scheinbar „authentische Fremde“ bei ihrem jeweiligen Handwerk über die Schulter schauen. Ein Basar lockte mit kleinen und großen ägyptischen Antiquitäten, von Schmuckstücken über Gebrauchsgegenstände bis hin zu orientalischen Möbeln und Merkwürdigkeiten aller Art. Schließlich verfolgte die Exposition auch handfeste Werbezwecke, um den Handel mit Ägypten und die Tourismusindustrie anzukurbeln.

Ein verkleinerter Nachbau des Tempels von Edfu auf der Berliner Gewerbeausstellung, der ein Stück pharaonischer Architektur repräsentieren sollte und den „Salon für Orientmalerei“ beherbergte.

Kulturell Interessierte konnten die verkleinerten Nachbauten ausgewählter Denkmäler bestaunen, obwohl sie letztlich nur als Fassade herhalten mussten, deren Inneres zweckentfremdet benutzt wurde. So fanden in einer Moschee pikanterweise Bauchtanzdarbietungen statt, während im Tempel von Edfu neben der wertvollen Waffensammlung des Khediven auch der „Salon für Orientmalerei“ untergebracht war, den man laut Krugs offiziellem Kairo-Ausstellungsführer mit mehreren hundert verkäuflichen Werken „hervorragender Künstler“ bestückt hatte. Vertreten waren unter anderem die schon genannten Herren Kosler, Eisenhut, Grünwald sowie Emil Uhl, die teilweise auch zur Ausstellungs-Kommission zählten. Die Cheops-Pyramide büßte trotz der auf 38 Meter verringerten Höhe nichts von ihrer Wirkung ein, zumal man für 20 Pfennige den Aufstieg bequem per Fahrstuhl bewältigen konnte. Ein idealtypisch inszeniertes Straßenensemble, das sich an der bei früheren Weltausstellungen äußerst erfolgreichen „Rue du Caire“ anlehnte, diente als Promenier- und Vergnügungsmeile, auf der sich sogar das deutsche Kaiserpaar sehen ließ.

Nach dem Vorbild der „Rue du Caire“ wurden auch in Berlin verschiedene islamische Denkmäler in Kopie idealtypisch nachgebaut, die meist nur als Fassade dienten.

Und genau hier wartete „die Lieblingskneipstätte der Deutschen am Nil“ auf Kundschaft, „wohl das Originellste“ überhaupt, meint Paul Lindenberg, einer der offiziellen Berichterstatter, der ein großformatiges „Pracht-Album photographischer Aufnahmen der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896“ editiert hat. „Herr Gorff ist persönlich mit seinem schwarzen Leibkellner nach Berlin gekommen und hat nicht allein seine Sammlung von Alterthümern, sondern auch getreue Kopieen der amüsanten Wandgemälde, die sein Kairenser Lokal schmücken, mitgebracht. Diese Bilder, welche der Laune fideler deutscher Maler ihre Entstehung verdanken, stellen Gorff bald als Memnonssäule, bald als Odaliske oder in sonstiger phantastischer Umgebung vor.“

Diese Gelegenheit wollte sich auch ein „Berliner Verkehrs-Institut“ nicht entgehen lassen, das immerhin einen Teil des Massenpublikums dorthin befördert hatte und mit einem eigenen Büro auf dem Gelände präsent war. Carl Stangen persönlich organisierte einen Rundgang durch „Kairo in Berlin“ und beschrieb die einzelnen Stationen mit ihren jeweiligen Attraktionen aus der Perspektive eines Insiders. Das Beste hob er sich für den Schluß auf. „Uns drängte es, zum Abend bei unserem Freunde Gorf, dem originellsten aller orientalischen Bierverzapfer, noch einen Schoppen zu trinken. In Kairo bildet die Bierstube bei Gorf einen Versammlungsplatz aller Ägyptenreisenden und besonders aller sich in Kairo aufhaltenden Deutschen. Einige deutsche Maler haben die Räume mit interessanten Wandgemälden verziert. Vater Gorf ist nun mit seinem ganzen Personal hierhergekommen und läßt während der Dauer der Ausstellung hier in den Räumen, die den seinigen in Kairo genau nachgebildet worden sind, und in denen auch die originellen Wandgemälde nicht fehlen, Bier vom Faß ausschänken. Vor seinem Hause tummeln sich auch meistens die Stiefelputzer, denn diese wissen recht gut, daß die Ägypten-Reisenden Vater Gorf aufsuchen und daß diese auch hier leichter, als ein andrer geneigt sind, sich einmal für 10 Pfennig die Stiefel putzen zu lassen.“

Der Nachbau von Gorffs Kneipe auf dem Ausstellungsgelände stand in der Gamelîje-Straße, an den weitläufigen Khedivialplatz angrenzend, und bot von der Terrasse im ersten Stock dicht neben dem Orchester einen ausgezeichneten Blick auf die dort stattfindenden Shows und Großveranstaltungen. Wer es von den über zwei Millionen BesucherInnen noch nicht bis dahin geschafft hatte, wurde spätestens von Krugs pathetischen Worten zu einem Besuch verführt.

Die nachgebaute Brasserie von AUGUST GORFF, dem „Begründer der ersten Bierhalle in Kairo“, auf einer offiziellen Ansichtskarte der Berliner Gewerbeausstellung 1896.

„‚Brasserie August Gorf’ leuchtet es von der Front des nächsten, im sogenannten italienischen Styl hergerichteten Hauses den ‚Kairo’-Pilgern entgegen. Schade, dass die schönen Zeiten der romantischen Redeweise vorüber sind, in denen alles gut hiess, was recht verwegen klang, – wir würden jetzt an jeden Uneingeweihten die Aufforderung richten: ‚Fülle dein Herz mit Andacht, denn du wirst die Blume der Gamelîje schauen!’ In der That: wo sucht der Deutsche die Blume, wenn nicht beim Bier, und wo gehen die Deutschen in Kairo zum Biere, wenn nicht bei August Gorf? Auch die höchsten Herrschaften haben, sobald sie in der aegyptischen Residenz eintrafen, niemals versäumt, das gastliche Haus mit den grünen Läden und den Bäumchen davor aufzusuchen. Kein Wunder, dass der würdige Herr Gorf mit völligem Recht die Empfindung hegt, ein Patriarch aller Deutschen im Orient zu sein. Werden doch geradezu erhebende Beispiele erzählt, wie biderb und kernig er seinen Mannesstolz selbst vor Königssöhnen kundgethan hat, und zu bedauern bleibt nur, dass über die näheren Umstände dabei unter den Gelehrten Streit herrscht. Aber er weilt ja in eigener Person hier und leitet das Conterfei seines Lokales! Sollten aber vorsichtige Zweifler entgegnen, dass, da das ganze Haus von oben bis unten täuschend wiedergegeben sei, wohl auch sein Besitzer blos Façon sein könnte, so lautet die Antwort: August Gorf kann niemals nachgeahmt werden, denn er ist ein Original durch und durch!“

Gorff stellte also eine äußerst prominente Figur auf der Berliner Gewerbeausstellung dar, die wiederum wie ein Magnet Berliner Prominente jeder Couleur anzog. Es wäre durchaus denkbar, dass Gorff seinen Aufenthalt vielleicht bis Anfang 1897 verlängerte und ebendort von Jacob Alberts porträtiert wurde, in seinem „Kairo“, das so detailgenau nachgebaut worden war. Doch dies ist reine Spekulation.

Kurz nach Beendigung der Ausstellung verschwanden sämtliche Bauten vom Gelände des Treptower Parks, Kulissen, die nicht mehr gebraucht wurden, mit Ausnahme des Riesenfernrohrs, das an Ort und Stelle blieb.

Das weitere Schicksal der Gorffschen Porträts ist unbekannt. Sogar Kautzky muss passen: „Ich weiss nicht, was aus diesen Kopien später geworden ist, die Originale fielen einige Jahre später nach Gorff’s Tod der Vernichtung anheim. Ein Grieche mietete das Lokal und fand es natürlich viel geschmackvoller, die Wände mit griechischen Landschaften und Szenen aus der griechischen Mythologie bemalen zu lassen. Was aber zu Gorff’s Zeiten Auswirkung wirklicher Künstlerlaune gewesen war, war jetzt bestellte und wahrscheinlich schlecht bezahlte Stümperarbeit. Auch war Kairo zu international, grossstädtisch und modern geworden, als dass eine Gruppe etwas bohemehafter junger Künstler sich hätte austoben können. Das letzte war noch in dem eben beschriebenen Winter 1896-97, dass unsere ganze Gesellschaft von Wilda und Genossen als Schattenrisse in ein kleines langes Stübchen an die Wand gemalt wurde. Ich glaube, um die Jahrhundertwende starb unser alter August und keiner von uns ging mehr hin.“ Wann genau Gorff das Zeitliche gesegnet hat, bleibt etwas unscharf, es müsste jedenfalls um 1902 gewesen sein. Ein zeitgenössischer Reisender bedauert: „Seitdem der deutsche Bierwirt Gorff die Augen geschlossen hat, gibt es hier kein gemütliches Lokal mehr. Was soll der Fremde abends beginnen, wenn er nicht im Hotel sitzen will?“

Max Meyerhofers Tagebuch

11.III.

Heute begleiten wir Morgens Miss Weinberg und Duncan zu den Bazaren, wo sie Einkäufe machen. Am Nachmittag fahren wir nach Helouan und treffen im Grand Hotel viele Bekannte wieder, Cap[itän] Reichmann und Frau, Mamroths, Thon, Dr. Müller, Miss Hirschl, Herrn von Schapringer etc. Im Tewfik Palace Hotel besuche und treffe ich Rosensteins Vetter Herrn Possmann und Frau aus London, die liebenswürdigen Weltenbummler. Abends sind wir gemütlich bei Amsters zum Essen.

12.III.

Morgens Bazarvisite mit Bachrach. Die vielen Auslagen reizen sehr zum Kauf, doch ist alles z.Z. sehr teuer, da die Saison noch nicht am Ende ist. Nachmittags fahren wir zur Moschee Sultan Hasan, der größten von Cairo. Ich war sehr enttäuscht, denn äußerlich sieht sie aus, wie ein Gefängnis, innerlich wie ein Misthaufen. Der Verfall und die Schäbigkeit ist so traurig, daß man die einstige Schönheit der Moschee kaum ahnen kann.

Ein Blick auf Kairo mit der Sultan Hassan Moschee im Vordergrund. Die Ibn Tulun Moschee verliert sich im links dahinter liegenden Häusermeer.

Besser gefiel mir Ibn Tulun, die älteste Moschee der mohammedanischen Welt. Sie besteht aus einem riesigen viereckigen (III,3) [sic, ergänze Hof] mit schönen Säulenhallen. Kufische Inschriften und Verzierungen verleihen dem verfallenen, aber imposanten Bauwerk mit seinen arabischen Spitzbögen noch etlichen Reiz. Von dem Minaret aus, das die Treppe nicht innen, sondern außen hat, ist eine prachtvolle Rundsicht über Kairos Häusermeer und seinen Wald von Minareten. Wir steigen dann zur Citadelle hinauf, um von der Alabastermoschee aus den Sonnenuntergang zu sehen. Leider war es so dunstig, daß wir kaum die Pyramiden sehen konnten, die uns stark umnebelt, ihren Scheidegruß zuwinkten. Auch die Sonne tauchte sans façon und sans couleurs hinter Wolken. Durch die von schottischen Soldaten wimmelnden Höfe kehrten wir zurück.

13.III.

Heute nahm ich Abschied von Elouï Bey und seiner Klinik, sah noch die Schuh- und Leinenbazare, und kehrte ermüdet heim. Ich sah wieder endlose Gassen und Gäßchen, stets neue komische und traurige Straßenscenen, endlosen Schmutz und in ihm vergraben malerische kleine Moscheen (Kairo hat deren 400!). (III,4)

Auf die Fußnoten des Originaltextes wurde für die online-Fassung aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichtet.

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ISBN: 978-3-95490-136-4
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