Neue Anbaumethoden machen es möglich: Es grünt und blüht auf dem Dach der Es-Salam-Schule im informellen Wohnviertel Moytamadeia. Auf 30 Anbautischen von je 1m2 Fläche werden verschiedene Gemüse- und Gewürzsorten der Saison wie Tomaten, Auberginen, Paprika, Gurken, Molucheiya und Minze angebaut. Pro Anbautisch wachsen durchschnittlich 10-12 Pflanzen. Je nach Pflanzenart kann pro Pflanze mit einem Ernteertrag von 2-6 kg gerechnet werden, welcher den Angestellten und Schülern der Schule zugutekommt. Einige Pflanzen, die kontinuierlich geerntet werden können, wie z.B. Molucheiya, erreichen einen monatlichen Ertrag von 2-3 kg pro Quadratmeter Anbaufläche.

Die Dachfarm wurde im Frühjahr 2017 von der Environmental Development Association Moyatamdeia (EDAM) im Abfallverwertungsviertel auf einem der Schuldächer installiert.

„Rooftop Farming“ ist ein neuer Versuch, der Versiegelung von Grund und Boden und dem Schwinden von Natur und Anbauflächen in städtischen Räumen etwas entgegenzusetzen und damit die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern.

Durch eigenen Gemüseanbau kann die Versorgung verbessert werden © schaduf

Ägypten, einst als „Kornkammer des Römischen Reiches“ betrachtet und mit einem der wohl fruchtbarsten Böden der Welt gesegnet – solange über Jahrtausende der Nil fruchtbaren Schlamm aus Äthiopien und dem Sudan im Niltal und im Nildelta anschwemmte – ist heute in vielen Bereichen auf Nahrungsmittelimporte angewiesen. Verschiedenen Quellen zufolge ist Ägypten weltweit der größte Weizenimporteur und muss darüber hinaus bereits 40-50% seiner benötigten Lebensmittel einführen. Lediglich etwa 5% der Gesamtfläche Ägyptens, d.h. 50.000 km2 von 1 Mio. entfallen auf das fruchtbare Niltal und Nildelta, während der Großteil des Landes von Wüsten und Gebirgen dominiert wird.

In diesem fruchtbaren Bereich leben heute mit etwa 90 Mio. Bewohnern rund 95% der ägyptischen Bevölkerung. Das stetige Bevölkerungswachstum  von derzeit  etwa 2% jährlich, verbunden mit der oftmals einhergehenden informellen Bebauung des natürlichen Bewässerungslandes, lassen die bereits raren Fruchtlandflächen am Nil dramatisch schrumpfen. Allein rund um Kairo gehen jährlich mehr als 5 km2 landwirtschaftliche Nutzfläche durch informelle Bebauung verloren; das entspricht mehr als 700 Fußballfeldern.

Nach UN-Angaben wird Ägyptens Bevölkerungszahl von aktuell rund 95 Mio. Einwohnern auf etwa 150 Mio. im Jahre 2050 anwachsen, insbesondere in den einkommensschwachen Schichten, die zumeist die riesigen, dicht bebauten informellen Gebiete Ägyptens bewohnen. Diese oftmals illegal, in Eigenregie der Bewohner und ohne Baugenehmigung oder staatliche Kontrolle errichteten Gebäude beherbergen nach Schätzungen bereits mehr als 60% von Kairos Großraumbevölkerung. Schon heute – und voraussichtlich auch zukünftig – absorbieren informelle Siedlungen einen Großteil dieses Bevölkerungszuwachses. Schätzungen der Weltbank gehen in einigen in und um Kairo liegenden informellen Gebieten von Zuwachsraten von bis zu 7% aus! Eine dramatische Entwicklung, da sich rund 80% aller informellen Siedlungen hier auf Fruchtland befinden.

Die Versorgung mit Nahrungsmitteln stellt deshalb für das Land zukünftig eine der größten Herausforderungen dar!

Seit einigen Jahren beobachtet man allerdings in Ägypten sowie in vielen anderen Ländern dieser Welt einen neuen landwirtschaftlichen Trend: In dicht besiedelten Gebieten werden unkonventionelle Anbaumethoden etabliert, bei denen oftmals ungenutzte Dachflächen in landwirtschaftliche Nutzfläche umgewandelt werden. Da die fruchtbaren Ackerflächen bebaut sind, setzt man auf die Dächer nun das, was unter Stein und Beton verborgen wurde!

Dachgärten und begrünte Dächer gibt es bereits seit Jahrtausenden, bspw. die begrünten Zikkurats von Mesopotamien, die hängenden Gärten von Babylon oder auch die bekannten skandinavischen Grasdachhäuser. Im Gegensatz zu den heutigen Dachfarmen wurden diese zumeist aus ästhetischen und seltener aus praktischen Gründen, etwa zur Wärmedämmung, angelegt.

In Kairos informellen Siedlungen lassen dicht bebaute Grundstücke meist keinen Raum für Grün- oder Freiflächen. Hohe Temperaturen und eine schlechte Belüftung im Sommer resultieren aus der dichten Bebauung und Flächenversiegelung. Hohe Arbeitslosigkeit und begrenzte finanzielle Mittel stellen ebenfalls eine große Herausforderung für die Menschen dar, die in informellen Siedlungen leben.

Der Großteil aller Flachdächer ist jedoch ungenutzt. Urbane Dachgärten und Anbauflächen haben hier das Potential, in kurzer Zeit beachtliche positive Veränderungen herbeizuführen.

Die Installation von Dachfarmen zielt besonders bei einkommensschwachen Haushalten darauf ab, in Eigenregie und ohne allzu großen finanziellen Aufwand Gemüse und Obst der Saison für den Eigenbedarf auf den eigenen vier Wänden anzubauen. Je nach Größe der Dachfarm kommt es bei den Ernten nicht selten zu einem Überschuss, der verkauft werden kann und ein Extraeinkommen beschert. Zwei weitere „Seiteneffekte“ sind dabei ebenfalls willkommen: Durch begrünte Dächer kommt es sowohl im Sommer als auch im Winter zu einer positiven klimatischen Anpassung innerhalb der darunter liegenden Räumlichkeiten.

Zudem ist die Nutzung einer begrünten und eventuell beschatteten Dachfläche als Rückzugs- und Erholungsort deutlich attraktiver.

Hochbeete beim Rooftop Farming © Sebastian Drabinski

Beim „Rooftop Farming“ können verschiedene Anbausysteme und -techniken zur Anwendung kommen.

Im sogenannten „hydroponic system“ schwimmen die Pflanzentöpfe mit ihren Wurzeln in einem wassergefüllten Bassin, das mit einer Wasserleitung/Pumpe verbunden ist. In den Töpfen befindet sich eine Erdmischung aus Torf und künstlichem Substrat. Die Zugabe einer Nährstofflösung zum Wasser ist für das Wachstum der Pflanzen essentiell.

Auch können die Pflanzen im „container system“ mit einer ähnlichen, wie der oben genannten, Erdmischung in extra angefertigten Anbautischen und Töpfen, mit täglicher Wässerung morgen und abends und der täglich einmaligen Zugabe einer Nährstofflösung hochgezogen werden.

Es gibt noch weitere Anbausysteme. Jedoch sind die beiden oben genannten Systeme relativ einfach zu installieren und zu pflegen. Nach Installation und einem professionellen Training zu Instandhaltung, Pflanzenarten, Erntezeiten und so fort können die Haushalte direkt mit dem Anbau beginnen.

Auberginen gedeihen trotz Sommerhitze © Sebastian Drabinski

In Ägypten können einige Pflanzenarten wie Tomaten ganzjährig auf dem Dach angepflanzt werden, andere wie Gurken und Paprika gedeihen nur in den warmen Sommermonaten  oder wie Zwiebeln und Salat in den kühleren Wintermonaten andere Arten wiederum, wie Erdbeeren können nur einmal im Jahr für eine kurze Zeit angepflanzt und geerntet werden. Die Ernte kann je nach Pflanzenart nach 30-120 Tagen eingeholt werden.

Trotz einiger Probleme wie  Finanzierung, konstante Wasserversorgung u.a. überwiegen doch die Vorteile. Bei der Es-Salam-Schule ist deshalb für das kommende Kairo-Jahr 2017/2018 geplant, die Anbaufläche auf den Schuldächern zu vergrößern, sowie „Rooftop Farming“ auch auf privaten Hausdächern in der Nachbarschaft bei interessierten Anwohnern zu etablieren, zumal dadurch auch Grünflächen und Aktivitäten für Kinder geschaffen werden. Alleine in EDAMs Mar Girgis  Straße in Ard el-Liwa/Giza befinden sich rund 100 ungenutzte Flachdächer, auf denen Gemüse- und Obstanbau einfach zu bewerkstelligen ist.

Viele freie Dächer stehen zur Verfügung © Sebastian Drabinski

Obwohl es in Kairo und Ägypten noch keine Bewirtschaftung der Dächer informeller Siedlungen im großen Stil gibt, hat das System des „Rooftop Farmings“ ein beachtliches Potential, zukünftig die Bewohner informeller Siedlungen mit vor Ort angebauten Produkten zu versorgen. Millionen Haushalte könnten alleine in Kairo durch Eigenanbau die Gesamtsituation der Nahrungsmittelversorgung verbessern! Dennoch bleibt zu hoffen, dass informelle Stadtexpansionen auf Fruchtland zukünftig eingedämmt werden können, denn für expansiveren Anbau lebenswichtiger Erzeugnisse muss Ägyptens traditionelle Landwirtschaft auch langfristig erhalten bleiben.