Traditioneller Silberschmuck aus islamischen Ländern erfreut sich in Mitteleuropa seit einigen Jahren einer wachsenden Aufmerksamkeit und wird von den Touristen in den Souks von Assuan, Luxor oder Kairo gern gekauft. Es handelt sich dabei meist um Neuware oder um Schmuck aus dem Jemen, der in Einzelteile zerlegt wurde.

Im Orient selbst hat der Schmuck seine Bedeutung fast überall verloren. Mit dem von mir publizierten Buch - „Silberschmuck aus Nubien“ ein fast verlorenes Kulturgut - kann hoffentlich eine Lücke in der Bestandsaufnahme dieser einzigartigen silbernen Schmuckstücke geschlossen werden. Mir war es wichtig, die Vielfalt der Formen, ihre materiellen und geistigen Quellen und ihrer Bedeutung für das Leben der Nubierinnen und Nubier gerecht zu werden.

 Nubien – ein verlorenes Paradies

 1971 stellte Ägypten den seit den 1960er-Jahren geplanten Assuan-Staudamm fertig und nahezu ganz Unternubien wurde von den angestauten Wassermassen überschwemmt. Ein Jahrtausende alter Kulturraum ging so für immer verloren. Der größte Teil der nubischen Bevölkerung wurde nach Oberägypten umgesiedelt, in die Region um die Stadt Kom Ombo. Die südlichen Stämme wurden in Wadi Halfa oder am Roten Meer angesiedelt.

Nubische Hausarchitektur©Wolfgang Mayer

Durch eine Rettungsaktion der UNESCO konnten noch rechtzeitig zahlreiche nubische Baudenkmale versetzt oder in Museen in der ganzen Welt gebracht werden. Dennoch sind die kulturelle Geschichte Nubiens und das tausendjährige Kulturland Nubien heute praktisch ausgelöscht und nur noch in wenigen Zeugnissen erhalten. In Assuan wurde, finanziert durch die UNESCO, 2003 ein nubisches Museum eröffnet. Dieses Museum ist heute eine Erinnerungsstätte der umgesiedelten Nubier. Täglich kommen Familien aus der Umgebung, um die Geschichte der Eltern und Großeltern kennenzulernen.

Die nubische Bevölkerung ist sowohl in Ägypten wie auch im Sudan heute weitgehend arabisiert. Die nubische Sprache wird von der älteren Bevölkerung teilweise noch gesprochen, ist aber oft mit der arabischen Sprache vermischt und zumindest im ägyptischen Siedlungsgebiet inzwischen weitestgehend verloren gegangen.

Außer ihrer Heimat haben viele Nubierinnen und Nubier auch kulturelle Bindungen verloren. So ist die einzigartige Architektur aus Lehm und Stein, die bemalt und dekoriert die Landschaft Nubiens prägte, ebenso verschwunden wie die Tradition des jahrhundertealten Silberschmucks.

Nubierinnen früher©Wolfgang Mayer

Silberschmuck aus Nubien

Nach dem Exodus der nubischen Bevölkerung vollzog sich mit dem Verlust der eigenen Kulturlandschaft auch ein Wandel im Geschmack und der Wertschätzung beim Schmuck.

...und heute©Wolfgang Mayer

Neue Schmuckstücke wurden nicht mehr als die Erhaltung von Tradition gesehen, sondern meist unter modischen Aspekten ausgesucht.

Silberblechanhänger mit geometrischen Mustern©Wolfgang Mayer

Die in dem Buch „Silberschmuck aus Nubien“ gezeigten Schmuckobjekte sind historische Belegstücke einer langen Tradition von Formen und Schmuckelementen der nubischen Kultur, die heute leider weitestgehend verlorengegangen ist.

Mit der in dem Buch gezeigten Auswahl unterschiedlicher Silberschmuckstücke hat man einen Überblick über die Vielfalt der Ornamentik, der Symbolik und der magischen Bedeutung einzelner Objekte. Sammler erfreuten sich an der Ästhetik des Schmucks, für die Trägerinnen bedeutete er eine Verbundenheit mit den Traditionen ihrer Kultur. Sie vertrauten darauf, durch seine Symbolkraft vor allen bösen Mächten geschützt zu sein.

Traditioneller Schmuck kommt in Nubien und der Region in den unterschiedlichsten Formen vor: Es gibt Fingerringe, Armreifen und -bänder für das Handgelenk und für den Oberarm, Ohr- und Nasenringe, Fußreifen und -ketten und Halsketten, an denen oft Silberscheiben hängen.

Meist sind die Schmuckstücke mit geometrischen Mustern verziert. Eingravierte Koranverse sollen eine schützende Wirkung haben, ebenso Zahlen in Form des sog. magischen Quadrats, das besonders bei Silberringen weit verbreitet ist.

 Schmuckformen

Der nubische Silberschmuck, wie er von den Frauen getragen wurde und zum Teil noch heute getragen wird, ist meist geprägt durch ein geometrisches Ornament und zeigt nur selten Abbildungen von Menschen oder Lebewesen. Er ist sowohl in den Darstellungen wie auch in seinen Verzierungen sehr eigenständig. Ein gewisser Einfluss auf die Darstellungen und Verzierungen dürfte der althergebrachten nubischen Kultur zuzuschreiben sein.

Diese allgemeine Aussage muss jedoch – auf das alte Siedlungsgebiet Nubiens bezogen – relativiert werden, denn es gab nicht nur in Bezug auf die Hausformen keine Einheitlichkeit. Durch die verschiedenen Stammesgebiete entwickelten sich u. a. auch bei der Kleidung der Frauen ganz unterschiedliche Traditionen, ebenso bei den getragenen Schmuckstücken.

Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass einzelne Schmuckformen ausschließlich einem Stammesgebiet zugeordnet werden können, da nur wenige Silber- und Goldschmiede aus der Vergangenheit namentlich bekannt sind.

Silberscheiben mit geometrischen und floralen Motiven

Bei einer großen Anzahl der nubischen Schmuckstücke bestehen die Schmuckformen aus den geometrischen Grundformen wie Kreis, Dreieck und Viereck (Rechtecke, Quadrate, Rauten und Trapeze). Laut Dr. Cordula Brand, Bochum, gibt es hier eine gewisse Verwandtschaft zur Ornamentik der Tuareg in der Sahara.

Besonders eindrucksvoll sind die weit verbreiteten runden, scheibenförmigen Silberblechanhänger, die mit ihrem geritzten und gepunzten Dekor die Blicke auf sich ziehen.

Traditioneller Silberschmuck sind Relikten einer untergegangenen Kultur©Wolfgang Mayer

Silberschmuck aus Münzen (Geldtalern)

Das Tragen von Münzen, meist als Kette am Hals, ist sichtbar getragenes „Bargeld“ und so ebenfalls ein Zeichen von Wohlstand. Heute noch weit verbreitet ist der Maria-Theresia-Taler mit einer angelöteten Öse zum Auffädeln auf eine Halskette. Bis Ende des Zweiten Weltkriegs galt der Maria-Theresia-Taler in Silber in weiten Teilen Afrikas als Zahlungsmittel, so auch in Nubien.

Durch die Grundform der Münze, eine Scheibe, waren Münzen zur Schmuckverarbeitung bei den Silberschmieden beliebt und wurden meist durch Applikationen wie kleine Glöckchen zu Anhängern für Halsketten umgearbeitet. Laut Susann Weeks haben für die Nubierinnen auch Münzen ein amulettartige Wirkung.

Maria-Theresia-Taler mit Glöckchen©Wolfgang Mayer

Im traditionellen nubischen Silberschmuck ist die Nachahmung von Münzen weit verbreitet. Oft sind es umrissartig dargestellte Köpfe. Bei manchen Abbildungen kann eine Anlehnung an den Maria-Theresia-Taler vermutet werden.

Viele der abgebildeten Schmuckscheiben haben freie Umrissformen, inhaltlich manchmal sicherlich mit einem Bezug zu einem lokalen Scheich oder Heiligen. Da man nicht mehr feststellen kann, aus welcher Region oder von welchem Silberschmied diese Taler stammen, ist dieser Bezug aber nur als Theorie zu bewerten.

Nachahmung einer Münze©Wolfgang Mayer

Armspangen aus Nubien

Da der Schmuck für die nubischen Frauen nicht nur ein Teil des weiblichen Auftretens war, sondern der verheirateten Frau auch als Wertanlage diente, waren und sind die Frauen meist bemüht, viele Schmuckstücke zu besitzen. So tragen sie Schmuck nicht nur am Hals, sondern auch am Arm, an den Fußfesseln, an Nase und Ohren und an den Fingern.

Armreifen mit Münzen©Wolfgang Mayer

Auffallend ist, dass bei fast allen Armspangen ein geometrisches Muster, wie wir es von den Silberscheiben kennen, überwiegt. Bei den flachen Armspangen, die senkrecht über das Handgelenk geschoben werden, sodass beide Seiten zu sehen sind, ist dieser Formenkanon neben unregelmäßigen Schlangenlinien dominierend. Beide Seiten weisen unterschiedliche Muster auf. Die Armspangen enden jeweils zur Öffnung hin mit Verdickungen, die nochmals gestalterisch ausgearbeitet sind und bei manchen Stücken einem Schlangenkopf ähneln.

Armreifen mit geometrischem Muster©Wolfgang Mayer

Die meisten dieser Armspangen bestehen aus einem hohen Silberanteil und sind massiv gearbeitet. Durch den hohen Silberanteil sind sie leicht biegsam und lassen sich so ohne Probleme über das Handgelenk streifen.

Breite Armreifen mit angelöteten konischen „Höckern“, die in rechteckige Umrahmungen eingebunden sind, wurden nur von verheirateten Frauen getragen.

Fußspangen

Die nubischen Fußspangen werden in der Regel wie die Armreifen als Paar getragen und sind meist aus gegossenem Silber mit polyedrisch verdickten Enden und gepunztem Ornament. Viele sind von der Art und Form her vergleichbar mit den massiven Armspangen.

Nubierin mit Fußspange, die auch im Alltag getragen werden©Wolfgang Mayer

Ohr- und Nasenschmuck

Die in Nubien getragenen Ohrringe haben als Verzierung das von anderen Schmuckstücken her bekannte Motiv der geometrischen Muster, oft in Zickzack-Ausformung, wie es insbesondere bei den Armspangen sehr häufig zu sehen ist. Die Ohrringe haben meist ebenfalls einen hohen Silbergehalt und lassen sich aufgrund der dadurch gegebenen Biegsamkeit einfach in das oft schon bei den Kindern eingestochene Ohrloch einbringen.

Ohrringe©Wolfgang Mayer

Fingerringe

Die von den Nubierinnen getragenen Silberfingerringe haben wie die Armspangen sehr oft einen symbolischen Hintergrund. Angelötete oder aus Silberblech getriebene Höcker an den Ringen sollen wie die konischen Erhebungen bei den Armreifen Fruchtbarkeit und eine gute Ernährung der Säuglinge symbolisieren, vermutet Peter Schienerl. Da der Durchmesser dieser Ringe jedoch oft sehr klein ist und sie daher von Mädchen getragen worden sein dürften, ist diese Vermutung sehr infrage zu stellen.

Fingerringe u.a. mit quadratischen Silberblechen©Wolfgang Mayer

Weit verbreitet sind auch Ringe mit quadratischen Silberblechplatten, die mit magischen Zahlen verziert sind. Die in einem Quadratraster eingetragenen Zahlen ergeben addiert in jede Richtung die gleiche Endsumme. Bei den hier abgebildeten Ringen beginnt die Zahlenreihe fast immer mit „4“ – die Summe der Zahlen horizontal, vertikal wie auch Diagonal ist dann „15“. Magische Zahlenreihen, oft vermischt mit Buchstaben, kennen wir auch bei Amuletten. Ursprünglich geht die Zahlenordnung eines quadratischen Schemas im arabischen Raum in das 9./10. Jahrhundert zurück und galt damals übersetzt als „harmonische Anordnung von Zahlen“. Erst mit der Herstellung von Amuletten und dem damit verbundenen Glauben an ihre Kraft wurden dem ursprünglich völlig unmagischen Quadrat magische Kräfte zugeschrieben.

Schminkstifte

Bisher kaum in der Literatur erwähnt oder aus Sammlungen bekannt sind silberne Schminkstifte aus Nubien. Die Schminkstifte wurden, wie schon in pharaonischer Zeit, zum Auftragen des Lidstrichs entlang der Augen benutzt. Hierzu verwendete man Kohol, eine Mischung aus pulvrigem Antimon, Bleiglanz (Blei-Schwefel-Verbindung) oder Ruß mit Fetten als Bindemittel.

Schminkstifte mit traditionellem Muster©Wolfgang Mayer

Bei fünf Stiften in der dargestellten Abbildung ist der obere Abschluss als Nil-Ente ausgebildet, bei einem Stift als ein Menschengesicht mit Fratze, was möglicherweise dazu dienen sollte, böse Geister, z. B. Zar-Geister, zu erschrecken.

Das Gefieder der Enten ist fein ziseliert und zum Teil mit Mustern verziert, wie wir sie als Zierelemente bei Schmuck und Häuserfassaden aus ganz Nubien kennen. Fein ausgearbeitet sind auch der Kopf und der Schnabel der Tiere. Die zum Halten ausgeformten Stäbe sind unterschiedlich lang und mit geometrischen Mustern verziert.

Fazit

Mit dem von mir publizierten Buch - „Silberschmuck aus Nubien“ ein fast verlorenes Kulturgut - kann hoffentlich eine Lücke in der Bestandsaufnahme dieser einzigartigen silbernen Schmuckstücke geschlossen werden.

Bei einem internationalen Kongress über Nubien im April 2019 in Berlin, auf dem ich über den nubischen Silberschmuck referierte, habe ich zugesagt, dass ich für ein geplantes Museum zur Geschichte Nubiens in Wadi Halfa große Teile der Sammlung zur Verfügung stelle.