Das Wadi Natrun wurde im November  2015 von einer wahren Sintflut heimgesucht, die Dörfer, Klöster und Kirchen überschwemmte. Ein Jahr später besuchte eine vom DKT – dem Deutschsprachigen Kairo Treff – organisierte Besuchergruppe das beliebte Ziel für Touristen und Wallfahrer. Einhellige Meinung: Ein interessanter und lohnender Tagesausflug!

Weg ins Wadi

Eine knappe Stunde auf der sehr gut ausgebauten Autobahn Richtung Alexandria braucht der Bus von den Maut-Toren der Wüstenstraße bis zur Abfahrt ins Wadi Natrun bei km 120. Für jemanden, der schon lange in Ägypten lebt und diese Straße von früher kennt, bietet die gesamte Strecke Grund zum Schauen und Staunen. Noch vor drei Jahrzehnten zog sich eine zweispurige mit Sandverwehungen bedeckte Teerstraße durch eine öde Wüstenlandschaft, allenfalls trockene Kameldornbüsche und im Frühling nach Regengüssen blühende Flecken wundersamer Wüstenfauna boten am Straßenrand dem Auge Abwechslung. Heute donnert der Verkehr auf sechs Spuren und einer abgetrennten Fahrbahn für Schwerlastverkehr nach und von Alexandria. Nach den modernen Bauten des Technologiezentrums Smartvillage geht es vorbei an Geschäfts- und Ausstellungsräumen, Industriehallen, Hotels und Wohnanlagen. Immer wieder säumen rechts und links landwirtschaftliche Felder und Plantagen den Weg. Das auf halber Strecke nach Alexandria liegende, ehemals schon von weitem sichtbare und wegen seiner guten Küche geschätzte, Rest House steht heute unscheinbar zwischen zahlreichen ärmlichen und ungepflegten Gebäuden. Unübersehbar stattdessen ist die große, bunte und moderne Rastanlage mit Restaurants der üblichen Fastfood-Ketten gegenüber. Über eine neue Brücke kommt man problemlos auf die Gegenfahrbahn und zur Abzweigung ins Wadi Natrun zu den Klöstern Anba-Bishoy, Suryan und Baramus.

Entstehung der Klöster im Wadi Natrun

Als Ursprung des christlichen Mönchstums gilt das Einsiedlertum in Ägypten. Der Heilige Antonius (251 – 356 n.Ch.), auch Vater der Mönche genannt, soll der erste Eremit gewesen sein, dem bald viele andere nacheiferten. Er ist der Gründer und  Namensgeber des Antoniusklosters bei Zaafarana am Roten Meer, wo er seine letzten Lebensjahrzehnte verbracht hat. Auch im Wadi Natrun entwickelten sich aus Eremitenansiedlungen Klöster, die den Mönchen einen gewissen Schutz und eine grundlegende Versorgung boten. In der Blütezeit sollen in der Senke bis zu 50 Klöster und unzählige Eremitagen existiert haben. Vier Klöster haben sich bis heute erhalten können und sind von Mönchen bewohnt: Makarios, Anba-Bishoy, Suryan und Baramus.

Aus der Nähe zeigen sich die Klöster von außen als Festungsanlage und im Innern als südägyptische Kuppelbauten aus Lehm. An den festungsartigen Wänden, eisenbeschlagenen Toren, verwinkelten Treppen und Durchgängen spürt der Besucher auch heute noch die extremen Bedrohungen, gegen die die Klöster über Jahrhunderte bestehen mussten.

Klostergebäude Anba Bishoy © Alexander Vincentz

Das Anba-Bishoy-Kloster

Das Deir Anba Bishoy war zur Zeit unseres Besuchs noch schwer gezeichnet von den Schäden des bösen Unwetters im Herbst 2015, bei dem das Wadi Natrun sich in einen reißende Wasserstrom verwandelte, der ganze Dörfer mitriss und die Klöster stark beschädigte. Die unermesslichen Schäden waren noch nicht behoben.

In der Hauptkapelle balancierten Bauarbeiter und ein Mönch in seinem schwarzen Ordensgewand auf einem einfachen Holzgerüst und verputzten die Wände neu. Die Reliquien befanden sich lediglich mit dünnen durchsichtigen Plastikfolien bedeckt mehr oder weniger ungeschützt auf der Baustelle.

Dennoch standen die Klostertüren allen Besuchern offen und organisierte Führungen aber auch Einzelbesuche waren möglich; an diesem Samstag pilgerten vor allem koptische Besuchergruppen und Familien  zu den Heiligen Reliquien. Wir wurden von einem sehr gut Deutsch sprechenden Mönch begrüßt, der mehrere Jahre in koptisch-orthodoxen Klöstern in Deutschland und in Österreich gelebt hatte. Er erklärte, dass der Begriff Kopten von dem altgriechischen Wort „aigyptos“ für Ägypten stammt.

Das Kloster Anba-Bishoy wurde im 4. Jahrhundert n.Ch. durch St. Bishoy gegründet, seine heilige  Reliquie liegt in der großen Kapelle und ist Wallfahrtziel für zahlreiche Gläubige, die auch an diesem Samstag ihren Weg dorthin finden und uns nüchterne Europäer mit ihrer tief emotionalen Anbetung des Heiligen in Verwunderung setzen. Über den heiligen Bishoy geht die Legende, dass er sich die Haare an der Decke festgebunden habe, um zu verhindern, dass er einschläft, weil er seine gesamte Zeit mit Gebeten verbringen wollte.

Reliquie des Heiligen Bishoy © Alexander Vincentz

Das Kloster hat fünf Kapellen, die Hauptkapelle ist die Bishoy-Kirche. Der Altarraum mit der Reliquie des heiligen Bishoy ist abgetrennt von einer nach hinten gelegenen Galerie, in die während des Gebets  Mönche als Strafe für Unbotmäßigkeiten verbannt werden. Der Hauptaltar befindet sich hinter der Reliquie des heiligen Bishoy. Über ein nach Osten ausgerichtetes engelförmiges Fenster mit dem Kreuz Jesus kann der Betende direkten Kontakt mit Gott aufnehmen.

Neben den alten Kirchtürmen befinden sich auch die alten zellenartigen Räume der Mönche, die an Höhlen aus der frühen Eremitenzeit erinnern. Sie haben heute nur noch museale Bedeutung, denn die Klosterbewohner leben in modernen Gebäuden mit Küche und Dusche in jedem Zimmer.

Eine Attraktion ist die Befestigungsmauer mit Zugbrücke. Sie wurde während der römischen Zeit im 5. Jahrhundert zum Schutz gegen Berber, die aus der libyschen Wüste kamen, errichtet. Die Befestigungsanlage mit Kirche und einem Vorratslager war ein Geschenk des Kaisers Zenon (425-491 n. Ch.) als Zeichen der Dankbarkeit für die Gastfreundschaft der Mönche. Dessen Tochter war fortgelaufen und hatte sich als Mann verkleidet in das Kloster eingeschlichen. Nach langer Suche wurde sie von ihrer Schwester dort aufgespürt.

Zugbrücke und Burg im Bishoy-Kloster © Alexander Vincentz

Eine weitere Sehenswürdigkeit ist die Quelle der Märtyrer im Innenhof des Klosters. Nach koptischer Überlieferung wurden bei einem Überfall feindlicher Beduinen 49 Einsiedler-Mönche getötet. Anschließend reinigten die Berber in diesem Brunnen ihre Schwerter vom Blut der Märtyrer und warfen diese hinein. Die Reliquien wurden später geborgen und in das Makarios-Kloster überführt.
Seinen heutigen Status verdankt das Kloster Anba-Bishoy dem ehemaligen koptisch-orthodoxen Papst Shenouda III. Er übernahm vor 40 Jahren das Kloster mit damals nur fünf Mönchen inmitten der Wüste. Nach und nach machten die Mönche ödes Land in der näheren Umgebung urbar, bis im Rahmen der Bewässerungsprogramme durch die ägyptische Regierung alle freien Ländereien in der Wüste an private Besitzer verkauft wurden und in deren Besitz übergingen. Papst Shenouda hat außerdem durch weitere Bauten das Kloster als Residenz des Papstes und Tagungszentrum vergrößert. Zurzeit leben ca. 200 Mönche in dem Kloster von der Herstellung landwirtschaftlicher Produkte überwiegend für den Eigenbedarf. Nach dem Tode Papst Shenoudas III. im März 2012 wurde um dessen Grabstätte ein Museum für ihn eingerichtet, in dem Fotos, Wandmalereien und viele persönlichen Gegenstände des verehrten Papstes vom Zeremoniengewand bis hin zum einfachen Kugelschreiber das Leben des Patriarchen für seine Gläubigen dokumentieren.

Museum für Papst Shenouda III. im Bishoy-Kloster © Alexander Vincentz

Der Tagesablauf der Mönche beginnt im Kloster Anba Bishoy um drei Uhr morgens, es gibt jedoch nur wenige gemeinsame Mahlzeiten und Gebete, in den unzähligen Kapellen und Altären können die Mönche ihre geistlichen Verpflichtungen nach eigenem Ermessen verrichten.

Das alte, nicht mehr genutzte Refektorium im Bishoy-Kloster © Alexander Vincentz

Das Deir el Suryan

In Sichtweite und nur wenige Autominuten entfernt liegt das Marienkloster, auch Deir el Suryan genannt, weil es im Mittelalter vor allem von Syrern bewohnt war. Hier wird die Reliquie des heiligen Yehnes Kamas verehrt, die bis 1430 in seinem drei Kilometer entfernten Kloster aufbewahrt wurde. Nach der Zerstörung dieses Klosters zogen die Mönche mit der Reliquie ihres Gründungsabtes und ihrem gesamten Vermögen in das Kloster der Jungfrau el Suryan. In der Kirche befindet sich bis heute ein Gedenkstein zu diesem Ereignis. 

Die verheerenden Folgen der Überschwemmung treten in diesem vergleichsweise kleinen Kloster, das im 6. Jahrhundert gegründet wurde, sehr deutlich zutage: noch mehr Baustellen, vielfach sieht man nur kahle Betonwände statt der berühmten Fresken.

Eine besondere Attraktion, die große Altar-Tür aus Syrien, die den Namen Tür der Prophezeiung trägt, ist zum Glück unbeschädigt. Sie besteht aus sechs Abschnitten, von denen jeder 2,75 m breit und 45 cm hoch ist. Jeder Abschnitt  ist wiederum in sieben Abschnitte quergeteilt. Mit wertvollen Schnitzereien und Intarsien aus Elfenbein sind im oberen Teil die Bilder der Heiligen mit ihren Namen auf Griechisch angebracht. Die übrigen Abschnitte sind mit Zeichnungen aus Elfenbein und einem Kreuz verziert. Sie stellen die sechs verschiedenen Stufen der Glaubensentwicklung der koptisch-orthodoxen Kirche dar:

Die syrische Tür im Kloster El Suryan © Alexander Vincentz

Zuoberst ist die Zeit der Apostel dargestellt in der Reihenfolge nach von rechts nach links St. Dioscorus, St. Markus, die Patriarchen von Alexandria und Emmanuel, Gott, St. Maria, St. Ignatius und St. Severus, der syrische Patriarch. Darunter erscheint die Zeit des Martyriums: Das Kreuz befindet sich inmitten von Kreisen, die die Verbreitung des Christentums symbolisieren. Die sechs Kreise mit jeweils einem Kreuz stehen für die sechs Apostolischen Stühle: Jerusalem, Alexandria, Rom, Konstantinopel, Antiochia und Karthago. Die nächste Stufe zeigt das Zeitalter der neuer Glaubensausrichtungen und das Aufkommen anderer Gemeinden. Das Hakenkreuz symbolisiert die Häresien, das Auftreten von Protestanten, anderen Konfessionen und abtrünnigen Gemeinden. Die große Anzahl von sich kreuzenden Linien zwischen den Kreuzen bezieht sich auf die große Zahl von Gemeinden und die aktuelle Schwäche des Glaubens. Abschließend weist eine klare Ausrichtung des Kreuzes  im Zentrum auf die gefestigte und geordnete Struktur der Glaubensmitglieder hin. Ein von Kreuzen umgebenes Kreuz steht für die Einheit der Kirche. Auf der oberen Türschwelle steht in Syrisch geschrieben, dass diese Tür von Moses, Abt zur Zeit des Patriarchen Gabriel von Alexandria und Johannes von Antiochien im Jahre 913 n.Ch. angefertigt wurde.

Im Hof des Klosters steht ein 1600 Jahre alter Tamarinden-Baum, der der Sage nach aus der Krücke des Heiligen Ephrem wuchs. Der syrische Diakon lebte  im 4. Jahrhundert acht Jahre in der Öde des Wadi Natruns und stütze sich nach übermäßiger Askese erschöpft auf einen Stock. Einige Mönche empfanden das als anmaßendes und respektloses Verhalten und kritisierten ihn. Ephrem steckte daraufhin den Stock in den Boden, der zu einem blühenden Baum auswuchs. Ähnlich wie bei dem  Stab des Aaron wird von den Gläubigen hierin ein Zeichen Gottes für die Rechtschaffenheit und Frömmigkeit des Heiligen Ephrem gesehen. Bis heute werden die Früchte des Tamarindenbaumes als Segen bringend verzehrt. Wunderbarerweise ist der Baum trotz seines biblischen Alters und des ihn zum Schutz umgebenden Betonbaus vital und trägt reichlich Früchte.

Garten im Kloster El Suryan, rechts im Bild der Tamarinden-Baum © Alexander Vincentz

Der Mönch, der uns durch das Deir el Suryan führt, fasziniert durch seine Begeisterung und Empathie, wenn er über sein Leben erzählt. Nach drei bis vier Jahren Novizenschaft tritt man ins Kloster ein, eine Rückkehr ins weltliche Leben selten.

Von ihm erfahren wir auch die Bedeutung der Stickereien auf der bei koptischen Mönchen einheitlichen Kappe: Die zwölf Kreuze an den Seiten symbolisieren die zwölf Apostel, für Jesus steht das dreizehnte auf dem Hinterkopf. Die eingestickte Scheitelnaht erinnert an die Glaubensfestigkeit des Heiligen Antonius und seinen Widerstand gegen den Teufel. Dieser wollte ihn von seinem Gebet ablenken, indem er ihm seine Kopfbedeckung zerriss. Jedoch nähte Antonius seine Kappe ohne sein Gebet zu unterbrechen wieder zusammen. Bis heute symbolisiert diese Naht den Zusammenhalt der Mönche gegen den Teufel.

Das Makarios-Kloster

Zum 20 km südlich liegenden Makarios-Kloster führt uns der Weg zurück auf die Autobahn Richtung Kairo. Nach einigen Kilometern biegt der Bus rechts ab. Schon von weitem erkennt man den beeindruckenden festungsartigen Bau des Klosters. Augenfällig ist der gepflegte Bau mit großzügig angelegten Parkmöglichkeiten und geräumigem Innenhof. Die Restaurierungen sind abgeschlossen. Alle Schäden scheinen beseitigt, außerhalb der Klostermauern ist ein Neubau die einzige Baustelle. Am Zustand der Gebäude, aber auch bei der Organisation der Führung wird ein moderner und dynamischer Geist in diesem Kloster deutlich.

Hauptaltarraum im Makarios-Kloster © Alexander Vincentz

In der Hauptkapelle lassen sich der Altar und die Reliquie des Heiligen Makarios und wunderschöne Deckenmalereien bewundern. In der Kapelle der 49 Märtyrer, die an dieser Stelle später begraben wurden, hängen Straußeneier als Zeichen der Unsterblichkeit.

Kapelle der 49 Märtyrer im Makarios-Kloster © Alexander Vincentz

Der uns durch das Refugium führende Mönch, ein ehemaliger Architekt, spricht hervorragendes Englisch und hat eine beeindruckende Persönlichkeit, die vor allem die Damen bezaubert. Während er uns mit erstaunlichem pädagogischem Talent durch die Anlage führt, erklärt er die Grundsätze des Klosterlebens. Hier müssen Regeln eingehalten werden, es gibt gemeinsame Mahlzeiten und Gebetszeiten. 120 Mönche leben von einer professionellen modernen Landwirtschaft mit Obstanbau und Tierzucht. Die Produkte werden sehr erfolgreich auch vermarktet, die Erträge reichen für die eigene Versorgung und Spenden für Arme aus.

Leider hat durch die Abnahme des Tourismus auch die ehemals große Anzahl ausländischer  Besucher sehr abgenommen. Alle Klöster freuen sich über Gäste.

Herzlichen Dank an Dr. Michael Ghattas für wichtige Details zur Geschichte der koptisch-orthodoxen Kirche.