Wenn ich im Freundeskreis von den weiblichen Stadtheiligen Kairos erzähle, werde ich ungläubig angesehen. Im Islam? Frauenverehrung im Islam? Da kann ja wohl etwas nicht stimmen, höre ich oft als Entgegnung. So einfach ist das auch nicht, denn jene Frauen, die verehrt werden, sind Mitglieder der ahl al-bayt, der Prophetenfamilie und deren Nachkommen. Zu ihnen gehören Sayyida Nafisa, Sayyida Zaynab und Sayyida Ruqayya, von denen Sayyida Zaynab die beliebteste Heilige Kairos ist.
Heiligenverehrung und mawlids
Zu ihrem Heiligenfest, dem mawlid, kommen Hunderttausende Ägypter mit Kindern, Matten, Gaskochern und Trommeln aus allen Landesteilen. Vier Tage ziehen die Menschen, großteils einfache Leute, durch das Viertel Sayyida Zaynab und zur Moschee. Es muss ein unglaubliches Gedränge sein, vom Lärmpegel gar nicht zu sprechen. Sufi-Zeremonien werden abgehalten, es wird getanzt und gefeiert, manche fallen in Trance. Händler schreien ihre Angebote hinaus und Essensgerüche durchziehen die Straßen. Es scheint so, als ob die Tage eines mawlids außerhalb der Zeit existieren, außerhalb des mühseligen Lebens, das viele Menschen sonst führen. Die Zeit der Heiligenfeste gehört ihnen, da können sie alle Sorgen vergessen. Obwohl viele Sunniten diese Praktik, die in den Bereich der Volksfrömmigkeit fällt, nicht gutheißen: Ein mawlid basiere auf irregeleitetem Volksglauben, so die Meinung, denn im Islam gibt es keinen Vermittler zwischen dem Menschen und seinem Herrn. Ägypten sollte bei dieser Thematik jedoch als Sonderfall betrachtet werden, da die Heiligenverehrung in kaum einem anderen sunnitisch geprägten Land so tief und hingebungsvoll gelebt wird. In Assiut, in Mittelägypten, zelebrieren Muslime gemeinsam mit Kopten ein Fest, das zu Ehren der Jungfrau Maria von Dronka gefeiert wird. Maria, die Mutter Jesu, gehört zu den am meisten verehrten Frauen im Islam, zusammen mit Khadijah, der ersten Frau Muhammads, und Fatima, seiner jüngsten Tochter. Maria wurde von Gott wegen ihrer Frömmigkeit und Demut auserwählt, die 19. Sure trägt sogar ihren Namen. Über die Jahrhunderte entwickelte sich ein Phänomen, das als „die Vision der Mausoleen“ bezeichnet werden kann. Immer wieder sprachen Menschen über ihre Träume vom Propheten, seiner Familie und deren Nachkommen. Da sie den Träumen eine besondere Bedeutung beimaßen, gab es auch Traumdeuter, die dazu entsprechende Erklärungen abgaben. In einigen Fällen wurde aus dem Traum ein reales Gebäude, eine Moschee oder ein Mausoleum, welches vom Träumer, so er finanziell in der Lage war, in Auftrag gegeben wurde. Sakralbauten, wie ich sie in Ägypten kennenlernte, sind wie ein lebender Organismus, wo Menschen nicht nur zum Gebet hinkommen.
Um ins „Hoheitsgebiet“ der weiblichen Stadtheiligen Kairos zu kommen, kann als Startpunkt das Gayer-Anderson Museum herangezogen werden oder wie wir es machten, über die Saliba-, Suyufiya- und Khalifa-Straße. Dabei handelt es sich um eine alte Verbindung, die im vorigen Jahrhundert noch durch sumpfiges Gebiet führte. Ein Damm wurde gebaut, auf dem die Gläubigen die Gräber ihrer Verwandten trockenen Fußes erreichen konnten. Begleiten Sie mich nun ebenfalls „trockenen Fußes“ durch ein außergewöhnliches Viertel Kairos, das mit der Besichtigung der Moschee von Sayyida Sukayna beginnt.
Moschee mit dem Grab von Sayyida Sukayna © Andreas Morawetz/ Leone Strizik
Moschee von Sayyida Sukayna und die arabische Salonkultur
Mit der Sharie al-Khalifa, die auch Darb al-Wada genannt wird, die Straße des Abschiednehmens, betreten wir das Gebiet der weiblichen Stadtheiligen. Der erste Sakralbau, auf den wir treffen, ist Sayyida Sukayna geweiht, die, obwohl sie offiziell nicht zu den Stadtheiligen gehört, sehr verehrt wird. Sayyida Sukayna bint al-Husayn, die Standhafte und Verlässliche, war die Tochter von Husayn ibn Ali ibn Abi Talib, einem Enkel des Propheten. Sie wuchs in einer religiösen Umgebung mit dem Studium des Koran auf. Ihre Mutter war Rabab bint Imria al-Qais, die Zeugin des Überfalls bei Kerbela war, wo ihr Gemahl und seine Getreuen den Tod fanden. Rabab wurde gefangen genommen und mit anderen Mitgliedern der Prophetenfamilie nach Medina gebracht, wo sie ein Jahr später starb. Sukayna immigrierte nach Ägypten, wo sie herzlich aufgenommen wurde. Da mehrere Töchter aus der Prophetenfamilie den Namen Sukayna trugen, entstand eine Vielzahl von Beinamen. Es ist daher nicht gesichert, ob es die Tochter von Husayn ist, die in dieser Moschee begraben liegt. Das tut jedoch nichts zur Sache, denn die Gläubigen laden mit ihren Gebeten diese Stätte energetisch auf. Da die Moschee als gesegneter Ort gilt, bleibt die Wirkung nicht aus. Das ursprüngliche Mausoleum von Sayyida Sukayna stammt aus dem 13. Jahrhundert. Die Moschee wurde im Jahr 1904 vom Khediven Abbas Hilmi II. über dem Grab errichtet. Unter den Khediven kam es zu einer Wiederbelebung der Verehrung der Nachkommen des Propheten. Abbas Hilmi ließ den Sakralbau, der im Jahr 1760 von Abd al-Rahman Katkhuda erneuert wurde, im neo-mamlukischen Stil erneuern. Unter seiner Herrschaft wurde auch die Kuppel rekonstruiert und ein Raum zum Rezitieren von Koransuren hinzugefügt. Auch das Mausoleum von Sukayna, das noch unter der Erde lag, ließ er auf das Niveau der Moschee anheben.
Kuppel über dem Schrein der Heiligen Sayyeda Sukayna © Andreas Morawetz/ Leone Strizik
Wir treffen Ibrahim, der sich die Zeit nimmt, uns zu begleiten. Bevor wir die Moschee betreten, übersetzt er uns die Inschrift, mit der die Eingangstür versehen ist. „Anhand dieses Titels könnt ihr erahnen, welchen Stellenwert die Tochter al-Husayns genießt. Zu lesen ist da ‚Heiliger Ort der Tochter Husayns, Sukayna, all die edelsten Werte sind die deinen‘. Überliefert ist noch ein sehr berührender Ausspruch von al-Husayn selbst: ‚Bei meinem Leben, ich liebe das Haus, in dem Sukayna und Rabab leben. Ich liebe sie und für sie würde ich all mein Glück opfern‘.“ Im Innenraum lenken vorerst ansprechende Glasfenster und Malereien von der Dekoration ab. Grüne Stoffbänder und Glitzergirlanden umgeben das Gitter um den Schrein der Verehrten. Grüne Lampen beleuchten den Sarkophag und erzeugen eine eigenartige Stimmung. Grün wird im Islam als Farbe des Propheten und seiner Nachkommen gesehen, da Muhammad selbst gerne grüne Gewänder getragen haben soll. Ibrahim bittet uns, auf dem Teppich Platz zu nehmen, da er noch etwas Interessantes zu erzählen hat. „Sukayna, die Tochter al-Husayns, war drei Mal verheiratet und betrieb sogar einen Salon“, beginnt er. Überrascht sehe ich ihn an, ein Salon in Arabien? Von der Salonkultur, die sich im 17. und 18. Jahrhundert in Frankreich entwickelte, hatte ich gelesen und natürlich ist mir als Österreicherin Berta Zuckerkandl nicht unbekannt, die letzte bedeutende Salonnière Wiens, die von 1892 bis 1942 lebte. „Ja, ihr habt richtig gehört, einen Salon. Ihr aus den europäischen Ländern glaubt immer, alles erfunden zu haben“, sagt Ibrahim etwas überspitzt. Ich widersprach ihm, denn ich wusste sehr wohl, dass die Europäer den islamischen Gelehrten viel zu verdanken haben. Ich bat ihn fortzufahren, da mich dieses Thema interessierte. „Es waren die Frauen von Medina, die solche Zusammenkünfte oder Salons eröffneten, die nach der Auswanderung des Propheten von Mekka in Medina erblühten. Sukayna soll eine der ersten gewesen sein, die Salons besuchte und selbst einen gründete. Sie galt als kluge Frau, die mit dem Koran und den Geschichten der Propheten groß geworden war. Ihr Salon, in dem anerkannte Dichter und Musiker verkehrten, wurde sehr geschätzt. Poeten besuchten sie während der Mekka-Wallfahrt, um ihr Gedichte vorzutragen und den Besten von ihr bestimmen zu lassen. Als ich wieder einmal im Buch „Schönheit in der arabischen Kultur“ von Doris Behrens-Abouseif las, entdeckte ich die Bestätigung dessen, was uns Ibrahim in der Moschee von Sayyida Sukayna erzählt hatte: „Im 8. Jahrhundert führten hochrangige Damen im Hedschas literarische Salons (Majlis), in denen galante Musiker ihre Förderin mit Liebesliedern hofierten. In dieser verfeinerten Gesellschaft bestimmten die Dichter-Musiker die Regeln, die für Eleganz und guten Stil maßgeblich waren.“ Gelten diese arabischen Barden nun als Vorläufer von Herzog Wilhelm von Aquitanien, der drei Jahrhunderte später als erster bezeugter Minnesänger in Südfrankreich auftrat, oder von Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach? Die Spur lässt sich zurückverfolgen, nach Spanien, nach al-Andalus, das vom 7. bis 10. Jahrhundert islamisiert wurde.
Shajarat al-Durr – vom Sklavenmädchen zur Sultanin für achtzig Tage
Wir verlassen den Verehrungsort der „Salonnière“ und gehen weiter die al-Khalifa Straße entlang. und entdecken das Grab der „Sultanin für achtzig Tage“ östlich der Straße.
Mausoleum von Shajarat al-Durr, der Sultanin für achtzig Tage © Andreas Morawetz/ Leone Strizik
Shajarat al-Durr, übersetzt Perlenbaum, regierte als Sultanin achtzig Tage das islamische Ägypten. Gibt man ihren Namen in eine Suchmaschine ein, poppen viele Fotos von orientalischen Schönheiten auf. Ob eine davon Ähnlichkeit mit der historischen Sharjarat hatte, bleibt unbeantwortet. Sie war eine außergewöhnliche Persönlichkeit, ausgestattet mit Klugheit, Schönheit und einer Portion Kaltblütigkeit. Sharjarat war türkischer Abstammung und wurde dem Ayyubiden Emir al-Salih Ayyub zum Geschenk gemacht. Bald schon war sie seine Favoritin und er heiratete sie. Ihr Gemahl sollte die Nachfolge des Sultans al-Kamil antreten, der aber seinem Sohn nicht vertraute und ihn nach Damaskus abkommandierte. Al-Kamil favorisierte al-Adil, der wiederum den Emiren nicht passte. Sie nahmen ihn gefangen und baten al-Salih zurückzukommen, was er 1240 auch tat und das Sultanat übernahm. Es war auch das Jahr des sechsten Kreuzzuges unter König Ludwig IX. von Frankreich. Als das Heer bis nach Mansura vorgedrungen war, starb al-Salih. Sharjarat und der Anführer der Kavallerie verheimlichten diesen Umstand, um das Heer nicht zu demoralisieren. Die Mamluken siegten und nahmen den französischen König gefangen, den sie später wieder freiließen. Der Stiefsohn von Sharjarat, Turan Schah, wurde zum neuen Sultan ausgerufen. Doch seine Regentschaft war nicht von langer Dauer, da er ermordet wurde. Von welcher Seite der Auftrag dazu erfolgte, ist nicht geklärt. Eine Quelle nennt Sharjarat als Auftraggeberin, eine andere die Mamluken. Während der Abwesenheit ihres Gemahls, der sich auf einem Kriegszug befand, hatte sie sich bewährt, mit Klugheit die Fäden gezogen und die Regierungsgeschäfte geführt. Sharjarat nahm das Sultanat an, verlor es aber nach achtzig Tagen wieder. Als die Nachricht über die Einsetzung einer Frau als Sultanin Syrien erreichte, gab es die ersten Aufstände, denen sich der abbasidische Kalif in Bagdad anschloss. Dadurch waren die Sharjarat gegenüber loyalen Mamluken verunsichert und setzten sie wieder ab. Im Gegensatz zu Sitt al-Mulk, der Schwester von al-Hakim, die für ihren Neffen regierte, bestand Sharjarat auf Münzprägung und darauf, dass die chutba, die Predigt, beim Freitagsgebet in ihrem Namen zu sprechen war. Als neuen Sultan riefen die Emire Izzn al-Din Aybek aus, der auch der neue Gemahl Sharjarats wurde. Somit hatte sie zwar keine direkte Macht mehr, aber immer noch genug Einfluss. Neben ihren oben erwähnten Qualitäten, war sie sehr eifersüchtig, denn als Aybek eine weitere Frau nahm, ließ sie ihn ermorden. Diese Tat blieb nicht ohne Folgen und brachte sie in den berüchtigten roten Turm auf der Zitadelle. Sharjarat wurde getötet und ihre Leiche über die Mauer geworfen. Angeblich erschlugen Dienerinnen von Aybeks erster Frau sie mit hölzernen Badepantoffeln. Einige erbarmten sich ihrer sterblichen Überreste und begruben sie in ihrem Mausoleum, das sie zu Lebzeiten in der Nähe der Gräber der heiligen Frauen aus der Prophetenfamilie errichten hatte lassen. Dem Bau waren noch eine madrasa und ein Palast angeschlossen, von denen keine Spuren mehr erhalten sind.
Trotz der Skandale um ihr Leben, stieg ihre Verehrung. Dass sie ihr Mausoleum neben den heiligen Frauen der Prophetenfamilie bauen ließ, trug sicher dazu bei. Auf der Website von archnet.org sind einige Fotos zu sehen, die Sir Keppel Archibald Cameron Creswell angefertigt hat, der 1974 fast hundertjährig starb. Er war Architekturhistoriker und hat wie kein anderer das islamische Architekturerbe Kairos mit 12.000 Fotos dokumentiert. Zu seiner Zeit war das Mausoleum in einem erbärmlichen Zustand und schien zu verfallen. Obwohl seither schon einmal restauriert, weist es heute wieder Zeichen des Verfalls auf. Ein hohes schwarzes Eisengitter umgibt das im Jahr 1250 errichtete Gebäude. Leider ist es versperrt und nur gegen Voranmeldung zu besichtigen, auch Ibrahim kann uns da nicht helfen. Er erzählt uns aber, dass der Name der Sultanin in Form eines Bilderrätsels in der Gebetsnische zu lesen ist. Die Wölbung der Nische soll mit Glasmosaiken geschmückt sein, die einen Baum darstellen, der mit Perlen verziert ist, gelesen ergibt es den Namen Perlenbaum, Shajarat al-Durr.
Ein Leser hat uns nach der Veröffentlichung des Artikels dieses Foto des Perlenbaumes gesendet © Frank van der Velden
Von der Straße sind nur die mit kielbogenförmigen Nischen verzierten Außenmauern zu sehen. Darauf erhebt sich ein sechseckiger Aufbau, der die Kuppel des Mausoleums trägt. Es ist insofern ein interessantes Gebäude, als es das letzte ist, das während der Herrschaft der Ayyubiden, der Dynastie Salah al-Dins, entstand.
Da Sharjarat sowohl mit einem Ayyubiden als auch mit einem Mamluken verheiratet war, begann mit ihr eine neue Zeit in Ägypten, jene Zeit, als die Mamluken, die ehemaligen Sklaven, das Land regierten und das teilweise sehr erfolgreich.
Der Schrein der Heiligen Sayyida Ruqayya © Andreas Morawetz/ Leone Strizik
Gräber von Sayyida Ruqayya, Sayyida Atika und Muhammad al-Ga‘fari
Für Schiiten spielt die Blutsverwandtschaft mit der Prophetenfamilie eine ganz große Rolle im Hinblick auf den Führungsanspruch über die Gemeinschaft der Gläubigen. Es kommen daher viele schiitische Pilger nach Kairo, um die weiblichen Verwandten des Propheten zu ehren und um deren Segen zu bitten. Westlich der Straße, gegenüber dem Grab von Shajarat al-Durr, befindet sich der Eingang zu einem Wallfahrtsbezirk, wo sich drei mashads befinden. Als mashad bezeichnet man ein Gebäude, das gleichzeitig als Moschee und Mausoleum dient. Ursprünglich ein überkuppelter Grabraum, erhielt er durch das Anbringen einer Gebetsnische auch die Funktion einer Moschee. Neben dem mashad für Sayyida Ruqayya, sind hier auch die Gräber von Sayyida Atika und Muhammad al-Gafari zu sehen. Alle drei sind von besonderem Interesse, da sie wichtige architektonische Zeugnisse aus der Fatimidenzeit sind. Wir wenden uns zuerst dem mashad von Sayyida Ruqayya zu, der aus dem frühen 12. Jahrhundert stammt. Er wird auch heute noch als Andachtsraum und Ort, an dem Eheversprechen abgegeben werden, genutzt. Erfahren habe ich auch, dass hier sogenannte „Fürsprache-Gebete“ beauftragt werden können. Wenn jemand Hilfe benötigt oder krank ist, kann eine andere Person für den guten Ausgang einer Situation oder eines Zustandes beten. Ich kenne noch den Begriff „Gesundbeter“ und „Abbeter“ aus dem deutschsprachigen Raum. Es bedeutet, mit Hilfe von Gebeten Probleme und Krankheiten zu eliminieren. Sayyida Ruqayya war die Tochter von Ali ibn Abi Talib. Mütterlicherseits stammt sie nicht von der Prophetentochter Fatima ab, sondern von einer anderen Gemahlin Alis. Ibrahim erzählte mir, dass sie mit ihrer Stiefschwester nach Kairo kam, aber in Damaskus begraben liegt. Andere Quellen behaupten, dass Sayyida Ruqayya nie in Kairo war. Trotzdem ließ die Gemahlin des zehnten fatimidischen Kalifen al-Amir im 12. Jahrhundert für Sayyida Ruqayya in Kairo einen Schrein errichten. Dies ist ein gutes Beispiel für eine Verehrungsstätte, die zu Ehren einer Person errichtet wurde, obwohl diese an einem anderen Ort beerdigt ist. Es wird daher von einem mashad ru’ya, einem visuellen Gedenkort, gesprochen, der auch als „Erhöhungsort“ gilt. Bittsteller sitzen tagelang an ihrem Grab, ins Gebet und die Hoffnung auf Erhörung vertieft. Auch heute noch sollen durch die weiblichen Stadtheiligen Kairos Wunder geschehen.
Der Gedenkort sieht restauriert aus und wir dürfen ohne Probleme hinein. Noch vor einigen Jahren standen im Innenhof mehrere Sarkophage, die von der indisch-schiitischen Sub-Sekte der Bohras entfernt wurden. Damit wollten sie die Umgebung für Mitglieder der Prophetenfamilie „rein“ halten. Gebaut wurde der silberne Schrein von Muhammad Burhanuddin im 14. Jahrhundert, dem Da‘i der Dawudi-Bohras. Die Dawudis sind ismailitische Muslime, die als Sekte innerhalb der Schiiten gesehen werden und überwiegend im Westen Indiens, in Pakistan und Ostafrika leben. Silberne Gitter in Nischenform mit Messingverzierungen umgrenzen den Sarkophag, auf dem ein weißes Brautkleid als Zeichen der unbefleckten Reinheit von Ruqayya liegt. Zwei weiß gekleidete Besucherinnen sind mit uns im Raum. Sie sind ins Gebet vertieft und berühren mit ihren Händen den Schrein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich dabei um indische Dawudi-Bohras handelt, da die weiße Kleidung in ihrer Tradition wichtig ist. Auch hier tauchen Neonröhren alles in grünes Licht. Das Glanzstück des Gedenkortes ist eine von mehreren Gebetsnischen, eine wahre Meisterarbeit der Stuckdekoration. Die Kuppel ist außergewöhnlich groß und ruht auf einem achteckigen Aufbau, unterbrochen von Nischenfenstern, ebenfalls mit Stuck verziert. In den beiden anderen Grabanlagen ruhen Sayyida Atika und Muhammad al-Gafari. Beide Bauten sind überkuppelt und noch älter als der Gedenkort für Ruqayya. Im Grab mit der glatten Kuppel liegt der Ur-Ur-Ur-Enkel des Propheten, der Sohn von Ja’far al-Sadiq, dem sechsten schiitischen Imam. Der Sarkophag von al-Gafari steht in einem Holzschrein, abgedeckt mit einem grünen Samttuch, das mit Goldstickereien verziert ist. Das Grab mit der gerippten Kuppel beherbergt die sterblichen Überreste von Sayyida Atika. Sie war eine Tante des Propheten und wird als „schöne Dichterin“ beschrieben. Der Schrein von Sayyida Atika ist ebenfalls aus Holz, auch hier geben Glasfenster den Blick auf den Sarkophag frei, auf dem ein weißes Brautkleid liegt.
Moschee von Sayyida Nafisa
Der Sharie al-Khalifa weiter nach Süden folgend, treffen wir auf den Sayyida Nafisa Platz, auf den mehrere Straßen einmünden. Die prächtige Moschee der Stadtheiligen Nafisa erhebt sich östlich davon. Sie soll ein Meisterstück an Proportionen und Ausstattung sein. Als Urenkelin des Propheten an seinem Geburtstag in Mekka geboren, kam Nafisa mit ihrem Vater nach Medina. Bereits im Kindesalter begann sie den Koran zu studieren. Sie lebte asketisch und nahm nur jede dritte Nacht Nahrung zu sich. Mit sechzehn Jahren wurde sie mit ihrem Cousin verheiratet, mit dem sie zwei Kinder hatte. Als 44-jährige übersiedelte sie im Jahr 804 nach Kairo, wo sie sich in Fustat niederließ. Sie wirkte als Korangelehrte und unterrichtete Studenten, darunter auch den bekannten Muhammad ibn Idris al-Shafi‘i. Mehrere Legenden ranken sich um ihr Leben, so soll sie dreißig Mal nach Mekka gepilgert sein und das Grab Abrahams besucht haben, der ihr in einer Vision erschien. „Auch eine Geschichte über das Ausbleiben der Nilflut ist überliefert. Der Nil begann zu steigen, nachdem Nafisa ihren Schleier abgenommen und in den Fluss geworfen hatte“, verkündet Ibrahim. Als sie ihr Ende nahen fühlte, bat sie ihren Mann und die Kinder, nach Kairo zu kommen. Nafisa grub selbst eine Grabhöhle für sich in ihrem Haus, in der sie betete und auch begraben wurde. Vor ihrem Tod rezitierte sie 199 Mal den Koran und starb letztendlich beim Wort „Barmherzigkeit“. Viele Menschen ließen sich in ihrer Nähe begraben, um von ihrem Segen zu profitieren.
Der Schrein von Sayyida Nafisa stammt aus der Fatimidenzeit. Die Moschee stürzte mehrmals ein, wurde aber immer wieder aufgebaut und verschönert, zuletzt wieder vom Khediven Abbas Hilmi II. In den 1990er Jahren entstanden Erweiterungen, da sich die Moschee zu einem Zentrum für religiöse Instruktionen entwickelt hatte. Auch außerhalb der Festzeiten kommen viele Pilger nach Kairo, um in der Moschee zu beten. Frauen dürfen nicht beim Haupteingang hineingehen, denn dieser ist nur für Männer geöffnet. Auch im Inneren der Moschee herrscht Geschlechtertrennung. Da Frauen von Männern beim Gottesdienst nicht beobachtet werden sollen, beten die Frauen hinter den Männern, abgetrennt in eigenen Räumen oder auf einer Empore. Für Frauen, die bei Sayyida Nafisa beten wollen, ist der Eingang an der Westseite geöffnet, wo Händlerinnen sitzen, die Blumen und Räucherwerk verkaufen.
Historische Aufnahme der Moschee von Sayyida Zeinab © CC BY 4.0
Da die Zeit bereits fortgeschritten ist, gehen wir die al-Khalifa Straße wieder zurück zu unserem Minibus. Ibrahim will uns noch die Moschee von Sayyida Zaynab zeigen, die Lieblingsheilige der Kairoer, die vom Volk liebevoll sitta Zainab genannt wird. Es gibt Quellen, die behaupten, sie habe ihrer verehrten Tante Nafisa vierzig Jahre treu gedient. Sayyida Zainab wollte ihre letzten Lebenstage in der Nähe des Grabes ihres Großvaters, des Propheten, verbringen. Doch die Umayyaden forderten sie auf, Medina umgehend zu verlassen. Widerstrebend folgte Zainab der Anweisung und ging nach Ägypten, wo sie den Rest ihres Lebens im Gebet verbrachte. Wir geraten in einen Stau, da es plötzlich Straßensperren gibt. Soldaten und Stacheldrahtbarrieren machen ein Weiterkommen mit dem Auto unmöglich. Nach einem Blick auf Sayyida Zaynabs Moschee, die Touristen nicht besuchen dürfen, verlassen wir den Bus und gehen zu Fuß zum Nil, über die Brücke nach Zamalek.
Der Text ist ein Auszug aus „Das Wunder Kairo. Geschichten aus der Mutter aller Städte" von Leone Strizik. Sisile-Verlag Wien 2021