Leila Aboulela beschreibt die Erfahrungen einer Muslimin im Ausland in stets neuer Variation

Eigentlich schreibt Leila Aboulela immer wieder dieselbe Geschichte. Eine nordostafrikanische Muslimin muss im Westen zurechtkommen – oder, seltener, spiegelverkehrt: ein Westeuropäer versucht, die muslimische Welt zu begreifen. Doch die Autorin tut das derart nuancenreich, dass man sie wieder und wieder gerne liest. In ihrem neu aus dem Englischen übersetzten Erzählband «Anderswo, daheim» kommen 13 solcher Kurzgeschichten, alte und neue, zusammen. Es ist, wie wenn man 13-mal an einem Kaleidoskop drehte, und mit jedem Mal arrangierten sich dieselben Themensplitter neu: Migration, Entwurzelung, Einsamkeit, Heimweh, Kulturschock, Entfremdung, interkulturelle Beziehung, Identitätssuche und Assimilation.

Eigentlich schreibt Leila Aboulela immer wieder ihre eigene Geschichte. Die Autorin wurde 1964 in Kairo geboren und wuchs in der sudanesischen Hauptstadt Khartum auf. Sie ist eine gläubige Muslimin, eher wertkonservativ, stammt aus einer privilegierten Familie und studierte unter anderem Statistik in London. Als junge Frau emigrierte sie mit ihrer Familie nach Aberdeen, Schottland. Es folgten Abstecher nach Abu Dhabi und Jakarta. Ihre Charaktere bewegen sich an und zwischen exakt denselben Orten, jede und jeder verkörpert einen Aspekt von Aboulelas eigener Erfahrung.

Da ist die sudanesische Studentin Schadia, die sich beim Statistik-Studium in Aberdeen einsam fühlt. Vom Kommilitonen Bryan, der sie anhimmelt, fühlt sie sich gleichsam angezogen wie abgestossen. Sie stammt aus einer besseren Familie, wuchs mit dem «properen Englisch des BBC World Service» auf, verkehrte im Sudan in schicken Clubs. Bryan sagt «Aye» statt «Yes», sein Vater ist Schreiner. Zusammen besuchen sie ein Museum, in dem Afrika anhand erbeuteter Objekte aus britischer Sicht präsentiert wird. Letztlich überwiegt seitens Schadia leise Verachtung sowie das Gefühl, dass da die Nachfolger von Kolonisatoren nichts verstanden haben. Für «Das Museum» hat Leila Aboulela 2000 den «Caine Prize for African Writing» erhalten.

Oder andersherum ist da in «Altes und Neues» der junge Schotte, der in den Sudan fährt, um seine Verlobte heiraten zu können. «Ihr Land verstörte ihn», beginnt diese Erzählung, in der ihm ein Unglück aufs andere widerfährt. Ein Onkel stirbt. Statt die Hochzeitsnacht mit der Ehefrau zu geniessen, muss der zum Islam Konvertierte tagelang im Trauerzelt mit fremden Männern ausharren. Sehnsucht nach seinen Eltern und ihren familiären, christlichen Ritualen kommt in ihm auf.

Leila Aboulelas Figuren sind nirgendwo ganz daheim, dafür an mehreren Orten zum Teil. Das kann traurig sein, das kann bereichern. In wenigen Sätzen zeichnet die Autorin einen Charakter oder eine Stimmung. Vieles ist fein, wie nebenbei beobachtet. Der angehende Bräutigam etwa muss feststellen, dass das, was er in Edinburgh an seiner Geliebten einzigartig fand, im Khartum allen Frauen eigen ist. «Die Frauen waren gekleidet wie sie und bewegten sich mit der gleichen Langsamkeit, die ihm so exotisch vorgekommen war, als er sie in Edinburgh spazieren gehen sah.» Und die auf ihre Wurzeln stolze Schadia wünscht sich nichtsdestotrotz glattes Haar; ein Aspekt verinnerlichten kolonialen Aussenblicks, wie ihn etwa Toni Morrison in «Sehr Blaue Augen» beschreibt.

Abuolela schreibt empathisch, manchmal zugleich ironisch. In ihrer unaufgeregten Zartheit ist sie dem tansanischen Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah näher als ihrem sudanesischen Landsmann Tayeb Salih, dessen Roman “Zeit der Nordwanderung” durchzogen ist von Sex und Gewalt.

Aktuelle sudanesische Politik kommt in ihrem Werk kaum vor. Das fällt auf angesichts einer Heimat im politischen Umbruch – und ihrem Rückfall in die alten, militärdiktatorischen Strukturen. Vielleicht hält die Autorin sich auch deshalb zurück, weil sie nicht jene negativen Seiten zeigen möchte, die wir im Westen aus den Medien am ehesten kennen. Ihr Talent sind Zwischentöne, die sich dem Klischee entziehen.

Leila Aboulela: anderswo, daheim

Lenos Verlag
Basel 2022
238 Seiten
25,00 Euro