Eine Nil-Reise mit der Dahabeya Queen Tiy führt uns auf wundersame Wege zwischen fremdartiger Realität und paradiesisch anmutender Träumerei.
Als ich zum ersten Mal mit der Queen Tiy von Luxor nach Assuan segelte, habe ich mich in diese Art des Reisens verliebt. Seither bringt sie meine Seele immer wieder zum Schwingen. Aus der Hektik eines Arbeitsalltags heraus vergesse ich auf dem traditionellen Nilsegler die Zeit und glaube für einen kurzen Augenblick, im Paradies angekommen zu sein, verwoben mit dem ewigen Universum in einer fließenden Gegenwart.
Die Dahabeya Queen Tiy ist einer jener klassischen Nilsegler, wie sie schon seit hunderten von Jahren auf dem Nil unterwegs sind. Sie ist der schönen und sehr einflussreichen Gemahlin von Pharao Thutmosis III. gewidmet. Königin Teje, so heißt sie auf Deutsch, stammte aus dem Bürgertum. Die nach damaligen Vorstellungen unstandesgemäße Heirat beflügelt gerne Spekulationen über eine romantische Liebe zwischen dem gottähnlichen Pharao und der Bürgerstochter, die wegen ihrer Schönheit und Klugheit große Berühmtheit erlangte und zur Namensgeberin unserer Dahabeya wurde.
Eine königliche Reise
Vom Deck der Dahabeya geben wir uns der meditativen Wirkung der vorbeigleitenden Landschaft hin: Sattes Grün, Palmen, hin und wieder Fischer am Rand des Nils oder in kleinen Booten, Kühe, Esel und Schafe, Wäsche waschende fröhlich schnatternde Frauen, laut rufende Kinder. Das Blau des Wassers, das Grün des fruchtbaren Streifens Land und die Wüste dahinter bilden das Panorama. Das sind die Momente, in denen man Zeit und Raum hinter sich lässt, in denen man den Augenblick festhalten möchte und zugleich eine so enge Verbindung zum gesamten Universum spürt, dass man sich mit dem Weltall und mit den vergangenen Zeitläufen verwoben fühlt. Festhalten und Loslassen fließen ineinander, das Wasser des Lebens, die Mutter der Welt – wo sonst könnte man ein solches Erlebnis in dieser Intensität genießen.
Für diese Augenblicke sorgt der Spirit der Segel-Yacht: Khyry, der Macher und Manager, der dieses Boot mit Leidenschaft betreibt; einer, der als Selfmademan dieses kleine Familienunternehmen aufgebaut hat, der stets dafür sorgt, dass alles läuft und dass alle zufrieden sind. Unersetzbar ist er mit seinem fröhlichen Humor bei auftretenden Problemen oder kleineren Konflikten. Sein Ruf als Organisationstalent und seine Reputation im Heimatdorf eilen ihm voraus. Er ist Vorstand einer großen Familie, gewählter Vertreter für Konfliktfälle im Dorf, berufener Elternvertreter der Schule und vom Bürgermeister eingesetzter Organisator bei verschiedenen Projekten, Geschäftspartner eines befreundeten englischen Bauherren und Architekt dieser in der traditioneller Bauweise errichteten Häuser. Zwar ist Khyry ausgebildeter Lehrer, er hat jedoch die Selbstständigkeit gewählt und sich dabei mit seinen verschiedenen Talenten verwirklicht.
Natur, Götter und Pharaonen
Die Reise von Luxor nach Assuan führt natürlich auch zu Ägyptens berühmtesten Grabstätten und Tempeln. Der exzellente, deutschsprachige Guide Mahmoud geleitet uns mit detailreichen und spannenden Geschichten in alte Zeiten und weckt unsere Neugier: Wie war das Zusammenspiel von Lebensweise, Götterglaube und Herrschaft?
Im Tal der Könige erhalten wir zum Beispiel einen Einblick in die Denkweise der Pharaonen, die vor allem auf das Leben nach dem Tod – als tieferen Sinn des irdischen Lebens – ausgerichtet war. Während dieser „Goldenen Zeit“ Ägyptens, von 1560 bis 1050 v. Chr., als mächtige Pharaonen über ein riesiges Territorium herrschten, hat jeder Pharao bereits am Anfang seiner Regentschaft begonnen, sein Grab errichten zu lassen. Das bedeutet: Je kürzer die Herrschaft, desto kleiner das Grab.
Mächtige Pharaonen, wie Ramses I. oder Ramses II. ließen hier tiefe Stollen in das natürliche Felsengebirge treiben, um ihre einbalsamierten Körper und ihre Schätze bis zum Übergang ins Jenseits vor gierigen Grabräubern zu schützen. Ihre Vorstellung vom richtigen Leben erst nach dem Tod spiegelt sich auch in den prächtigen, farbenfrohen Grabstätten mit einer interessanten Farbsymbolik. Das Blau des Himmels, das Rot des Lebens, das Weiß der Reinheit, das Grün des Paradieses, das Gelb der Wüste und das Schwarz der Fruchtbarkeit stehen für die Orientierung der Alten Ägypter an der Natur und für den Respekt vor ihr.
Natur, Götter und Pharaonen schienen eine symbiotische Verbindung einzugehen. Legenden von ihrer göttlichen Abstammung sind bei vielen Pharaonen zu finden, wie etwa bei Haremhab, der sich auf seine Abstammung von seinem persönlichen Schutzgott Horus berief, oder Hatschepsut, die mit göttlicher Legitimation des Windgottes Amun herrschte.
Edfu-Tempel © Margret Ruep
Bezeichnend ist die Vielzahl der Götter, die sich aus der Beobachtung der Natur heraus erklären lassen, z.B. Amun, der Windgott oder auch Hapi, der personifizierte Nil. Sie zeigen, was die Menschen sehen und beobachten konnten: Die sie umgebende Natur, geprägt durch das Wasser des Nils, durch die Wüste und die Gestirne, durch das Klima und den fruchtbaren Streifen Land links und rechts des Stroms. Die Nöte des irdischen Lebens mögen dazu geführt haben, dass man sich aus verständlicher Angst hinter den Unbilden der Natur höhere Mächte vorstellte, die man sich geneigt machen wollte durch Opfergaben aller Art. Die Mächtigkeit und Bauweise der Tempel mögen die Menschen vor Tausenden von Jahren noch mehr beeindruckt haben als die heutigen Touristen. Ehrfurcht vor dem Unbekannten und ihr hartes Leben mögen die damalige Bevölkerung dazu bewogen haben, sich den Pharaonen und Priestern nicht nur zu unterwerfen, sondern ihnen auch treu zu dienen und ihnen freiwillig Opfergaben zu bringen. Nicht zuletzt darauf beruhten wohl der Reichtum der Herrschenden und die besondere Macht der Priester-Kaste.
Familienstreit gab es schon bei den Pharaonen
Genauso beeindruckend wie die Königs-Gräber sind der Tempel und die Geschichte von Hatschepsut, der Tochter von Thutmosis I., verheiratet mit ihrem Halbbruder Thutmosis II., die nach dessen Tod anstelle des eigentlichen, jedoch erst 6-jährigen Nachfolgers die Regentschaft übernahm. Sie war als erste Pharaonin ein Novum. Und ihr Terrassentempel strahlt nicht nur weithin über die Landschaft, sondern erinnert an die wirtschaftliche Blütezeit unter der Regentschaft dieser Frau. Allerdings lässt sich auch das Ausmaß der Familienstreitigkeiten erahnen. Denn ihr Stiefsohn Thutmosis III., der nach ihr die Macht übernahm, ließ aus Hass gegen Hatschepsut ihre Bilder und Statuen zerstören.
Krokodile in Assuan und ein Geschwister-Mord in Philae
Kurz vor Assuan fasziniert der Doppeltempel von Kom Ombo. Verehrt wurden hier Sobek und Horus – der Gott der Krokodile und der Himmelsgott mit dem Falkenkopf. Im Museum sind folgerichtig eine Reihe mumifizierter Krokodile zu besichtigen
Der Tempel von Komombo © Margret Ruep
In früher Zeit hätten die Priester Krokodile im Tempel gehalten und sogar gezüchtet, wird uns erklärt. Bei jeder Reise habe ich an dieser Stelle die Frage gehört, ob es im Nil noch Krokodile gibt. Manche mögen nicht so recht glauben, dass auf dieser Seite des Staudamms keine dieser gefährlichen Tiere mehr leben, und vermeiden es deshalb, im Nil zu schwimmen, was auf dieser Reise jedoch durchaus an manchen Stellen möglich ist.
Krokodilmumien im Tempel von Komombo © Olaf Tausch CC BY 3.0
Im griechisch anmutenden Philae-Tempel auf der Insel Agilkia, spüren wir dem Osiris-Mythos nach, der seinen Weg bis in Mozarts Zauberflöte gefunden hat: Isis und Osiris sind Tochter und Sohn der Himmelsgöttin Nut und des Erdgottes Geb. Sie gelten als Fruchtbarkeitsgötter und werden als weise und gerecht verehrt. Osiris wird bald Gottkönig von Ägypten, aus Eifersucht jedoch von seinem Bruder Seth ermordet und zerstückelt. Seine Körperteile werden im ganzen Land versteckt. Isis sucht alle Teile und setzt sie wieder zusammen. In einem lebendigen Moment zeugt Osiris mit ihr seinen Sohn Horus, bevor er wieder in der Unterwelt verschwindet. Horus rächt die Tat an seinem Vater und wird der Gott der Oberwelt.
Der Osiris-Tempel von Philea © Margret Ruep
Der Tourist von heute bestaunt bei allen Tempeln zwischen Luxor und Abu Simbel die monumentale Architektur, die damit verbundene Bautechnik, das Wissen um den Jahreslauf, die Gestirne oder die Medizin, die aus den vielen bildhaften Darstellungen ersichtlich sind. Vor allem beeindruckt die Vielfalt derjenigen, die durch diesen Landstrich gezogen und auch wieder gegangen sind. Sinnbildlich dafür ist die Wüste, die überall sichtbar und spürbar ist und die gewiss ihren Anteil an der besonderen Mentalität der Menschen hat, dem Bewusstsein nämlich, dass die Dinge immer in Bewegung und vergänglich sind.
Süßer Tee, ein Baby und Fußballfans
Doch die Queen Tyi steuert nicht nur Gräber und Tempel an. Auf der Strecke von Luxor nach Assuan gibt es auch einige Möglichkeiten, die an dem schmalen Uferstreifen gelegenen Dörfer zu besuchen und mit den Menschen in Kontakt zu kommen.
Da war der Schulleiter, dessen Schule wir gerne besucht hätten, der uns aber nicht in seine Schule einladen konnte und uns stattdessen zu sich nach Hause zum Tee bat. Zu Hause, das war ein kleiner Bauernhof am Rande des Dorfes mit mehreren Kühen, einigen Schafen, Hühnern, Hunden und Katzen. Wir setzten uns reihum auf die mit Polstern und handgewebten Teppichen bedeckten Bänke. Der Tee wurde von der freundlichen Frau des Schulleiters serviert, heiß und süß in Gläsern. Wir bekommen einen Eindruck von einer Familie, die in einer guten Situation lebt, die ihre Kinder in die Schule schicken kann, und die im Übrigen sehr traditionell auf dem Land in festgefügte soziale Strukturen und die dazu gehörigen Regeln eingebunden ist. Fromme Menschen, die dem Fremden offen und freundlich begegnen und sich freuen, dass man sich für sie und ihr Dorf interessiert.
In einem anderen Dorf, in einem kleinen Bauernhaus inmitten von Feldern und einigen Haustieren, trafen wir auf eine junge strahlende Frau, eine Schönheit weitab von der Hauptstadt, mit einem gerade drei Wochen alten Baby auf dem Arm. Sie zeigte es uns stolz und glücklich: ein schönes Kind, wie die junge Mutter, die sicherlich noch keine 20 Jahre alt sein dürfte.
Da war die Großfamilie, im Hof eines großen Anwesens mit mehreren Wohngebäuden und einer ganzen Kinderschar, die ungezwungen, freundlich und laut auf uns zukam. Alle setzten sich auf Bänke und Stühle neben den Besuchern, auch die Frauen, offen und neugierig. Frisches Brot wurde gereicht und heißer süßer Tee. Dann wurden wir eingeladen in das Haus, wo uns alle Räume gezeigt wurden, alle ausgestattet mit den notwendigen Möbeln. Wohlhabende Leute offenbar, die stolz sind auf das, was sie uns zeigen können. Die größeren Jungen zählten die deutschen Fußballvereine und Nationalspieler auf, nachdem sie erfuhren, woher wir kommen: Bayern München, Borussia Dortmund, Schweinsteiger, Müller, Manuel Neuer. Sie zeigten stolz auf eine Fahne mit der ägyptischen Nationalmannschaft, die in einem der Räume aufgehängt ist. Zum Schluss wurde frischer Mangosaft angeboten, nachdem wir im großen Garten die vielfältigen Obstbäume bestaunt hatten.
Bei diesen Besuchen zeigt sich ein Ägypten, das man nicht kennenlernt, wenn man in den feinen Hotels von Hurghada oder Kairo untergebracht ist oder wenn man auf den großen Kreuzfahrtschiffen unterwegs ist, die an den Stellen nicht anlegen können, wo man von der Dahabeya aus an Land gehen kann. Der unmittelbare Kontakt mit den Menschen in ihren Dörfern zeigt das Leben, wie es die meisten Ägypter heute führen. Die Landwirtschaft links und rechts des Nils ist existentiell wichtig für die Menschen, ihr Leben ist davon geprägt.
Mohammeds Insel
Ein besonderes Erlebnis ist es, wenn die Queen Tiy an einer Nilinsel anlegt, die ich als Mohammeds Insel bezeichne. Damit hat es folgende Bewandnis: Mohammed ist ein Mann, der seit 40 Jahren auf dieser Insel lebt, nachdem er seine Familie verlassen hat. Diese wiederum hat ihn gedemütigt und so schlecht behandelt, dass er sich zu diesem Einsiedlerdasein entschieden hat. Der Grund für diesen Zwist war eine große Liebe, die ihm verwehrt wurde. Ebenso wurde ihm ein Beruf verweigert, an dem sein Herz hing. Er lebte für die Musik und wollte sie zur Grundlage seines Lebens machen. Nun lebt er einfach und sehr bescheiden auf dieser Insel, immer freundlich und immer ein wenig melancholisch und scheu. Wenn die Dahabeya vorbeikommt und dort für eine Nacht anlegt, gibt es als Abendessen ein Barbecue draußen auf der Insel. Mohammed wird selbstverständlich zum Essen eingeladen. Im Anschluss singt er, begleitet von einem Tamburin, melancholische Liebeslieder, deren Traurigkeit die unglückliche Liebe, die er selbst erlebt hat, erahnen lässt. Wenn die Stimmung am Ende trotzdem gut ist, fordert die Crew der Dahabeya zum Tanz auf, auf den sich alle gern einlassen. Gesang und Tanz auf einer Nil-Insel, melancholisch und wild, traurig und heiter zugleich. Nahezu unvermittelt ist dann alles zu Ende. Wir hören auf, wenn es am schönsten ist.
Wir haben den Sternenhimmel über uns, der nirgendwo so schön ist wie in Oberägypten. Zum Greifen nahe erscheinen die Sterne und der Mond. Schön und vollkommen, so kommt mir hier die Welt vor. Immer wieder denke ich an dieser Stelle an den Satz von Goethe aus seinem Faust: „Wenn ich zum Augenblicke sage, verweile doch, du bist so schön…“. Wie bei Faust bleibt es die ewige Sehnsucht des Menschen, etwas besonders Schönes festhalten zu wollen.
Die Reise auf der Queen Tiy bleibt für mich immer wieder das kleine Wunder auf dem Nil.