Papyrus stellt seiner Leserschaft den beliebten Schmöker „Sinuhe, der Ägypter“ vor, der seit Jahrzehnten die Menschen für das Alte Ägypten begeistert. Zwei literarische Berichte führen uns zurück in den alten Jemen, das verlorene Arabia Felix. Persönliche Schicksale in Kriegen und Krisen schildern eindrucksvoll eine historische Dokumentation und ein aktueller Roman. Erleuchtung bietet ein Werk zu Liberalismus, Demokratie und Gerechtigkeit des libanesischen Philosophen Nassif Nassar. 

Sinuhe der Ägypter

Einsam und verbittert in der Verbannung, erfüllt von Sehnsucht nach seiner Heimatstadt Theben, schreibt der ägyptische Arzt Sinuhe in Form eines Tagesbuch seine Erinnerungen an sein bewegtes Leben um 1390-35 v. Chr. zur Zeit des Pharao Echnaton in Ägypten nieder. In 15 Büchern schildert der ehemalige Leibarzt des Pharaos Echnaton seine Kindheit. Als Findelkind wächst er bei dem Armenarzt Senmut und dessen Ehefrau auf, wird zum Arzt und Ammonpriester ausgebildet und macht später Karriere als königlicher Schädelöffner und Leibarzt des Pharaos Echnaton. Er erlebt die Umwälzungen und Erschütterungen durch die Abkehr vom traditionellen Götterglauben unter Ammon zum neuen Gott Aton mit.

Auf seinen Reisen nach Smyrna, Babylon und Kreta lernt er fremdartige Kulturen des Mittelmeerraums kennen, erlebt unzählige Abenteuer und trotzt großen Gefahren. Nach seiner Rückkehr nach Ägypten entwickelt sich ein Bürgerkrieg zwischen den Anhängern des Aton und den Anhängern des Ammon, den Echnaton verboten hatte. Der friedliebende Echnaton geht unter und weil sich Sinuhe weiterhin zum Aton-Kult bekennt, wird er von dem einstigen Feldherrn Haremhab, der in den Streitigkeiten den Pharaonenthron erringen konnte, in die Verbannung geschickt.
Sinuhes abenteuerliche Lebensgeschichte ist zugleich eine farbenprächtige Kultur- und Sittengeschichte des östlichen Mittelmeerraums zur Zeit der Pharaonen. Waltari wurde zu seinem Werk durch den altägyptischen Text „Die Geschichte von Sinuhe“ angeregt. Der Papyrus stammt aus der Zeit des Pharao Amenemhets I., des Begründers der 12. Dynastie, im 20. Jahrhundert vor Christus. Er gilt als eines der ältesten literarischen Werke. Für seinen historischen Roman verlegte Waltari die Handlung in die Zeit des 14. Jahrhunderts v. Chr. Vorausgegangen waren umfassende historische Studien und sogar unter Ägyptologen fand der Roman Anerkennung.
Das umfangreiche Werk des Finnen erschien bereits im Jahr 1945 und wurde in Deutschland erstmals 1950 publiziert. "Sinuhe der Ägypter" ist der weltweit meistverkaufte Roman und wird bis heute als historischer Roman zum Alten Ägypten und zum Mittelmeerraum empfohlen. Im Jahr 1954 wurde das Buch von Michael Curtiz unter dem Titel Sinuhe der Ägypter verfilmt.
Eine Herausforderung für einige der heutigen Leser mag der Umfang sein.

Mika Waltari: Sinuhe der Ägypter. Lübbe-Verlag Köln. 4. Auflage 2014. 1104 Seiten. 15,00 Euro

Mod Helmy – Wie ein arabischer Arzt in Berlin Juden vor der Gestapo rettete

Der Ägypter Mohamed Helmy wird 1901 in Khartum geboren, wo sein Vater als Besatzungsoffizier der anglo-ägyptischen Armee im Sudan stationiert ist. Später besucht er in Kairo die renommierte Saidieh-Schule, die als Hort des politischen Widerstands gegen die britische Kolonialherrschaft galt. 1922 erkannte Deutschland Ägypten als unabhängiges Land an. Mohamed Helmy, der im selben Jahr sein Abitur absolvierte, ging zum Medizinstudium  an die Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin, die damals in Ägypten als beste der Welt galt. Für nationaldenkende Ägypter  war das Deutschland der Weimarer Republik ein attraktives Ziel und 1925 studierten bereits rund 400 Ägypter in Deutschland, davon 150 in Berlin.

Mohamed Helmy, der sich selber Mod Helmy nannte, wurde 1930 Assistenzarzt im Städtischen Krankenhaus Moabit, erhielt 1931 seine Approbation als Arzt. 1932 lernte er Emmy Ernst kennen und lieben. Eine Rückkehr nach Ägypten schien für den erfolgreichen jungen Arzt nicht in Frage zu kommen.
Durch die Rassenpolitik der Nationalsozialisten ergeben sich für Mod Helmy berufliche Chancen, weil die Suspendierung und Verfolgung vieler jüdischer Ärzte in Berlin extremen Ärztemangel verursacht. Als Ägypter hat er nur wenige Nachteile. Gleichzeitig erfährt er über seine jüdischen Patienten auch von deren Leid und Verzweiflung. Die 16-jährigen Anna Boros rettet er trotz des hohen Risikos vor der Deportation und hilft auch deren Familie zu überleben. Jahrzehnte später erfährt der israelische Journalist Igal Avidan von Mod Helmy, dem ersten Araber, der von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als „Gerechter unter den Völkern“ anerkannt worden war. Er begreift sofort die einzigartige politische Bedeutung dieses Falls und beschließt, die Ereignisse zu rekonstruieren und zu dokumentieren. Er findet die letzten noch lebenden Zeitzeugen und legt Spuren aus der Vergangenheit frei.
Seine Dokumentation ist nicht nur ein Zeugnis eines einzigartigen Schicksals, sondern eine historisch erhellende Zeitreise in die ägyptische Gemeinde im Berlin des frühen 20. Jahrhunderts.

Igal Avidan: Mod Helmy – Wie ein arabischer Arzt in Berlin Juden vor der Gestapo rettete. DTV Verlagsgesellschaft. München 2017. 235 Seiten. 20 Euro

Stockwerk 99

In New York 2000 treffen und verlieben sich Madschid und Hilda. Beide stammen aus dem Libanon aus verfeindeten Lagern und leben alleine in New York. In dieser Stadt, in der alle Menschen gleichermaßen Fremde sind, können sie ihre große Liebe zueinander leben.

Der Palästinenser Madschid verlor bei einem von libanesischen Milizen 1982 verübten Massaker im Lager Shatila seine hochschwangere Mutter. Der Junge wird durch Granatsplitter schwer verletzt. Weil er von seinem Vater in ein Krankenhaus gebracht wird, überleben die beiden zufällig. Er flieht mit seinem traumatisierten Vater nach Amerika.

Hilda ist die verwöhnte Tochter einer einflussreichen christlichen Familie, deren Vater als Mitglied der libanesischen  Falangisten maßgeblich die Massaker an Palästinensern unterstützte. Sie hat ihre Heimat verlassen, um sich aus den engen Hierarchien ihrer familiären Umgebung und dem traditionellen Rollenverständnis zu befreien und mit dem Studium des modernen Tanzes und Modedesigns sich selber zu verwirklichen. Palästinenser kennt sie nur vom Hörensagen als feindliche Straßenräuber, ihr historischer Hintergrund ist ihr fremd. Während Madschid, der mittlerweile in New York erfolgreich ist und ein eigenes Büro im 99. Stock eines Hochhauses hat, immer wieder von der Wut, Zweifeln und Verzweiflung heimgesucht wird, geht Hilda ganz unbefangen die neue Beziehung ein. Zwar kann sich Madschid in dieser Liebesbeziehung immer stärker aus seiner alptraumhaften Vergangenheit befreien, dennoch möchte er sich nicht operieren lassen. Seine Gesichtsverletzung und sein beschädigter Fuß konservieren für ihn das Böse, das er andernfalls vergessen könnte. Darin läge für ihn der Verrat an seiner Geschichte.
Als Hilda gegen Madschids heftigen Widerstand ihre Familie im Libanon besucht, um vor Ort ihre neuerworbene Identität mit ihrer Vergangenheit abzustimmen, holen die blutigen Schatten der Vergangenheit Madschid ein. Während Hilda das Lügengespinst in ihrer Familie und Umgebung aufzuspüren versucht und provokativ Rechenschaft fordert, droht Madschid in New York an seinen Zweifeln und seiner bitteren Geschichte zu verzweifeln. Hilda kapituliert letztendlich vor der ihr völlig fremd gewordenen Realität in ihrem Heimatort, wo niemand eine Schuld an der Vergangenheit sehen möchte und reist zurück nach New York.
Jana Al-Hassan erzählt die Liebesgeschichte zweier junger Migranten, die mit den blutigen Schatten ihrer Vergangenheit zu kämpfen haben und legt dabei eine großartiges historisches Zeugnis der Geschichte von Palästina und dem Libanon offen sowie die Bedeutung der Spannungen für das Schicksal einzelner.  Dabei beleuchtet sie für den Leser das ein Psychogramm eines Flüchtlings in einer fremden Welt.

Jana Al-Hassan: Stockwerk 99. Swallow edition. Verlag Hans Schiler Berlin/Tübingen 2018. 326 Seiten. 21,50 Euro

Weihrauch, Khat und Pfeffer – Erinnerungen an den Jemen

Mit ihren Erinnerungen aus den Jahren 1986 bis 2013 lässt Marianne Manda ein Jemen aufleben, das es nicht mehr gibt: Das Arabia Felix.
Manda arbeitete als wissenschaftliche Zeichnerin beim Deutschen Archäologischen Institut im Jemen und lernte auf den archäologischen Ausgrabungen den Norden und Süden dieses faszinierenden Landes kennen. Mit dem Blick einer Europäerin erzählt sie mit viel Sympathie für dieses geliebte Land, aber dennoch sachlich und unbestechlich, von abenteuerlichen Ausgrabungen uralter Kulturen im Wüstensand, von der imposanten Natur diese wunderschönen Landes, der beeindruckenden Architektur, den starren Gesellschaftsformen und den charakteristischen jemenitischen Menschen.

Sie beschreibt mit den Augen einer Fremden befremdliche Phänomene, gepaart mit humorvoller Leichtigkeit und Wohlwollen über ihre ganz eigenen Erlebnisse insbesondere auch in der Gemeinschaft der Deutschen. Erklärt den Reiz des Jemen für Ausländer, insbesondere für Deutsche. Sie schafft Verständnis für das Ausmaß der Tragödie, die sich hier seit Jahren abspielt und den traditionellen Jemen auf immer zerstört.
Marianne Manda: Weihrauch, Khat und Pfeffer – Erinnerungen an den Jemen. Edition Tandem Salzburg/Wien10_2019. 346 Seiten. 23,00 Euro

Fritz Kortler: Allein durch den Jemen

Allein durch den unbekannten Jemen– Tagebuch einer Entdeckungsreise

von Wolfgang Freund

Ich muss gestehen: persönlich „kenne“ ich Jemeniten nur aus einer Ecke, der israelischen. Aus beruflichen Gründen in Israel über ein Jahrzehnt lang gelebt habend (1996-2009 als Hochschullehrer und Journalist), war ich zwischen Akko und Eilat, Tel Aviv und dem Jordantal nicht selten aus dem Jemen stammenden Israelis begegnet.

An ihnen faszinierten mich zwei Dinge immer von Neuem: die physische Schönheit der jeweiligen Menschen, ob Frauen oder Männer, sodann ihre besondere Beziehung zu Musik, Malerei und Kunsthandwerk (Edelmetallverarbeitung), ja den schönen Künsten überhaupt, und über diese hinaus: fürs gut Gemachte schlechthin,  pour les choses bien faites, wie man in meiner zweiten Heimat Frankreich zu sagen pflegt ... Küche ebenfalls. Die jemenitische Kochkunst, ob islamisch oder jüdisch, steht erfreulich über dem Niveau jener „Hammel-am-Spiess-plus-Reis-Orgien“, welche die restliche arabische Halbinsel kennzeichnen.
Natürlich wusste ich auch von Fritz Kortlers „Jemen-Expedition“ 1976. Den Jugendfreund aus Au bei Illertissen, den ich als Jugendlicher bereits 1959 in Kairo kennenlernen durfte, als dieser zusammen mit Franz Krieger († 2014) aus Krumbach im Begriffe war, Afrika auf Drahtesels Rücken zu durchqueren*. Fritz Kortler machte derartige Weltreisen später zu seinem Beruf. Das dazu notwendige Kleingeld erbrachten Vorträge in Deutschland und in der Schweiz, Rundfunk- und TV-Sendungen sowie Zeitschriften- und Buchveröffentlichungen.
Sein nunmehr vorliegendes „Jemen-Buch“ beinhaltet die redaktionell leicht überarbeiteten Tagebuchaufzeichnungen des Autors aus dieser Zeit, aber nicht nur das. Fritz Kortler hatte die ausserordentliche Chance, dank einer ungewöhnlichen Reisetechnik zu Fuss, auf Kamels Rücken oder da und dort in vorsintflutlichen Jeeps per Autostopp im Nordosten des Jemens Wüstengebiete, in die vermutlich ein Europäer noch nie einen Fuss gesetzt hatte, zu durchqueren. In diesen Grenzzonen zur „unendlichen“ Wüste Saudi-Arabiens stiess er unter anderem auf Felszeichnungen, die weit ins 1700 bis 3000 Jahre zurückliegende Altertum reichen; nicht unähnlich jenen, die im Hoggar- und Tibesti-Gebirge in der Zentralsahara angetroffen werden können. Der perfekt ausgebildete technische Zeichner konnte hiervon einiges, teils fotografisch teils zeichnerisch kopierend, festhalten. Eine Auswahl findet sich am Ende des Buches unter dem Kapitel „Eine Kunstgalerie in Fels“. Hervorzuheben wäre hier auch, dass Fritz Kortlers Fotos und Zeichnungen ihren Weg bis in einen internationalen Arabisten-Kongress, der 1977 in Oxford abgehalten wurde, gefunden hatten. Professor Walter Müller von der Universität Marburg, Spezialist für den sabäischen Kulturraum, hatte F. Kortlers Arbeiten dort erfolgreich vorgestellt. Sie bilden ein Steinchen in jenem kulturwissenschaftlichen Gebäude, das die Rätselhaftigkeiten einer mystisch vernebelten sabäischen Hochkultur unter dem Stichwort „Königin von Saba“ darstellt.
Auch die Tagebuchaufzeichnungen zu dem geografischen Raum Jemen, Somalia, Äthiopien, Eritrea sind von hohem sozialwissenschaftlichen Wert. Fritz Kortler ist ein scharfer Beobachter sowie mit genügend brauchbaren Arabischkenntnissen ausgestattet, um in einer rein arabischsprachigen Umwelt alles um ihn herum Geschehende ungebremst zu erfassen. Niemand konnte dort Fritz Kortler „über den Tisch ziehen“. Seine Erlebnisse mit Jemeniten aller sozialen Schichten sind von hintergründigem Humor getragen, informativ geschildert, ja lesen sich streckenweise geradezu unterhaltsam. Fritz Kortler berichtet von einem ungewöhnlichen Kulturvolk, das mit Genie verstanden hatte, die geografisch-klimatischen Unwirtlichkeiten des arabischen Südens mit seiner Wüste, Hochgebirgen und jährlichem Monsun-Regen in eine von kluger Menschenhand geformte Kulturlandschaft mit einer dank Terrassensystem streckenweise blühenden Landwirtschaft zu verwandeln. Bereits die Römer sprachen hier von Arabia Felix, dem glücklichen Arabien.
Kleine kritische Anmerkung des Rezensenten: ab und zu verwendet Kortler den Begriff „die Araber“ etwas zu pauschal, so dass ein unbedarfter Leser der Ansicht verfallen könnte, die Menschen zwischen Marokko und dem Persischen Golf seien alle gleichartig gestrickt. Was natürlich nicht zutrifft. Desungeachtet: Wer immer sich mit der südöstlichen Nahost-Region heute näher befasst, sollte Fritz Kortlers Entdeckungsreise durch den Jemen unbedingt lesen. Und dafür gibt es heute  -  leider  -  mehr als triftige Gründe.

Fritz Kortler: Allein durch den unbekannten Jemen – Tagebuch einer EntdeckungsreiseEigenverlag F. Kortler, Bürststr. 32, D-89257 Illertissen (Au), Germany. 2019. 250 Seiten. 19,00 €

Liberalismus mit Gemeinsinn. Die politische Philosophie Nassif Nassars im libanesischen Kontext

von Sonja Hegasy

Michael Freys Buch erscheint zu einer Zeit, in der im Libanon erneut für eine gerechte Verteilung der Macht gekämpft und der religiöse Proporz grundsätzlich in Frage gestellt wird. Es ist dies also ein guter Moment, sich mit einem libanesischen Denker vertraut zu machen, der ein ausgereiftes Werk zu Liberalismus, Demokratie und Gerechtigkeit vorgelegt hat, in das nun zum ersten Mal in einer europäischen Sprache eingeführt wird.

https://de.qantara.de/inhalt/politischer-diskurs-in-der-arabischen-welt-philosophie-als-einbahnstrasse

Michael Frey: Liberalismus mit Gemeinsinn. Die politische Philosophie Nassif Nassars im libanesischen Kontext. Verlag Velbrück Wissenschaft Weilerswist-Metternich. 2019. 404 Seiten. 49,90 Euro