Von der Zwergschule zur modernen Begegnungsschule

Im Jahre 2023 feierte die Deutsche Evangelische Oberschule ihr 150jähriges Gründungsjubiläum. Sie ist die älteste der mittlerweile sieben deutschen Schulen in Ägypten. Über 1253 Schülerinnen und Schüler besuchen derzeit die Schule, werden von 102 Lehrkräften unterrichtet. Seit Jahrzehnten gilt sie als ein Flaggschiff unter den deutschen Auslandsschulen weltweit.  

Die Entwicklung dieser heute so angesehenen Schule über 150 Jahre hinweg gestaltete sich äußerst turbulent und mühevoll, mit guten Zeiten aber auch zahlreichen Umbrüchen, Krisen, Kriegen, Epidemien und sogar Pandemien. Drei Mal während dieser 150 Jahre musste die Schule neu gegründet werden; treibende Kraft und Fels in der Brandung war die Deutsche Evangelische Gemeinde.

1873 – 1915      Deutsche Schule Kairo

Als die Deutsche Schule Kairo im Jahre 1873 gegründet wurde, war der Pastor zugleich Lehrer und Schulleiter. Die Schule war keine Gemeindeschule, sondern von Beginn an wurde sie von einem Vorstand verwaltet, dem der deutsche Konsul, der Pfarrer und weitere zu ernennende Mitglieder angehörten. Da die Schule nicht nur durch Schulgelder für die deutschsprachigen Kinder finanziert werden konnte, stand sie auch einheimischen und anderen ausländischen Familien unterschiedlicher Konfession offen.

Ägypten stand im 19. Jahrhundert unter osmanischer Herrschaft. Der osmanische Statthalter Mohamed Ali (1805-48) und seine Nachfolger strebten eine Modernisierung des Landes nach europäischem Vorbild an. Sie verließen ihren Herrschersitz im mittelalterlichen Kairo und gründeten am Nil eine neue Stadt nach Pariser Vorbild, die sie Ismailiya nannten – die heutige Downtown. Moderne Infrastruktur, Bildungswesen, Bewässerung und Landreformen sollten einen neuen Staat schaffen. Die für die Reformen benötigten Fachkräfte in fast allen Bereichen kamen aus Europa. Für die Einwanderer stellte das Land eine Art orientalisches Eldorado dar. Die Bezahlung war großzügig, sie waren zumeist von den Steuern befreit und unterstanden nicht der ägyptischen Gerichtsbarkeit. Die in Europa ausgebrochene Antikenbegeisterung und ein blühender Gesundheitstourismus brachten viele ausländische Gäste ins Land und ließen das Tourismusgewerbe erstarken. 1863 lebten ungefähr 70.000 Ausländer dauerhaft in Ägypten.  Die rasante Entwicklung erlebte mit dem Bau des Suezkanals (1854-1876) ihren Höhepunkt. Als die immensen Schulden bei europäischen Gläubigern nicht mehr zurückgezahlt werden konnten, kam es 1879 zum Staatsbankrott und einer finanziellen Zwangsverwaltung durch europäische Staaten.

Im Bildungswesen wurde ab 1863 das dreistufige Schulsystem nach französischem Vorbild eingeführt. Die Tradition der Koranschulen (Kuttab) blieb jedoch noch lange bestehen. Ausländische Kinder wurden häufig von Hauslehrern unterrichtet, erst allmählich entstanden ausländische Schulen.

1864 wurde in Kairo eine deutsch-schweizerische evangelische Gemeinde gegründet. Durch die Schenkung eines Grundstücks in dem neu erbauten Stadtteil Ismailiya wurde der Bau einer evangelischen Kirche in der heutigen Sh. Adly möglich. Im Erdgeschoss des Pfarrhauses befanden sich einige Klassenzimmer, in denen 1873 die Deutsche Schule Kairo mit Pfarrer Dr. Trautvetter als Schulleiter und Lehrer für 15 Jungen eröffnet wurde.  Schnell erlangte die Schule hohes Ansehen und bereits im Schuljahr 1876/77 unterrichteten zwei weitere Lehrkräfte und ein ägyptischer Lehrer für Arabisch die inzwischen 67 Jungen. Sie stammten überwiegend aus wohlhabenden ägyptischen und türkischen Familien, während die Mitglieder der deutschen Kolonie ihre Kinder weiterhin lieber Hauslehrern anvertrauten oder sie in Internatsschulen in Europa erziehen ließen. Der Unterricht wurde deshalb in Französisch erteilt, der Verkehrs- und Verwaltungssprache im damaligen Kairo.  Die Schule finanzierte sich schlecht und recht aus Schulgeldern, Spenden und Mitteln aus dem Deutschen Reich. Die Unterstützung aus Deutschland wurde immer wieder in Frage gestellt mit der Begründung, dass der deutsche Charakter der Schule zu wenig ausgeprägt sei.

Als 1882 viele Ausländer wegen der Orabi-Unruhen aus dem Land flohen, wurde die Schule nur für wenige Monate geschlossen. Unter großen Mühen betrieb man den Aufbau der Schule mit deutschem Profil weiter. 1893 gab es zwei Mädchenklassen und drei Jungenklassen, die erstmals nach Altersstufen unterrichtet wurden. Die 134 Kinder gehörten elf verschiedenen Nationalitäten und fünf verschiedenen Religionen an. Deutsch war mittlerweile verpflichtendes Unterrichtsfach geworden, der Fachunterricht verlief aber mehrsprachig wegen der fehlenden Deutschkenntnisse vieler Kinder. Erstmals im Schuljahr 1897/98 wurde in den unteren Klassen ein koedukativer Unterricht eingeführt, und 1901 konnte der Unterricht in den oberen Klassen vollständig in deutscher Sprache erteilt werden. 1904 wurde auch ein Kindergarten eingerichtet. 1906/07 besuchten 175 Schülerinnen und Schüler die Schule, von denen die meisten aus deutschsprachigen Familien stammten, der Französischunterricht war stark reduziert. Der Unterricht orientierte sich an deutschen Lehrplänen, sodass der Übergang an innerdeutsche Schulen einfacher wurde.

Insbesondere Pfarrer Kahle, der fünfte Pfarrer und Schulleiter, setzte sich energisch und konsequent für den Aufbau einer Realschule und ihre Anerkennung ein. Im Schuljahr 1907/08, über dreißig Jahre nach der Gründung konnten die älteren Schüler erstmalig ihr Examen für die „Berechtigung zum Einjährigen freiwilligen Dienst“, so der offizielle Name der Mittleren Reife, erhalten.

Deutsche Evangelische Kirche und Deutsche Schule Kairo 1911 in Boulak©DEO

Im November 1908 bezog die Schule ein neues Gebäude in Boulaq, das mit Spenden aus der Gemeinde und den Einnahmen aus dem Verkauf des alten Grundstücks im Stadtteil Ismailiya finanziert worden war. Hier konnten auch Kinder aus weiter entfernten Orten in einem von Diakonissen geleiteten Pensionat untergebracht werden, in der Küche wurden Ganztagsschüler und Lehrkräfte verköstigt. Eine Aula stand für größere Veranstaltungen zur Verfügung, die Kinder wurden nun in Pferdebussen zur Schule gebracht.  Der Neubau fand großes Lob, Reichskommissar Prof. Dr. Schmidt schrieb, dass keine andere deutsche Auslandsschule in der Welt ein vergleichbares Gebäude besitze und es geeignet sei „das Ansehen der Schule und der deutschen Kultur im Pharaonenlande wesentlich zu steigern“. Die kulturpolitische Rolle und das Ansehen der Schule ließen sich ermessen an dem kaiserlichen Besuch durch Kronprinzessin Cecilie im Jahre 1911.

40 Jahre nach Gründung der Schule trat im Februar 1913 der erste weltliche Schulleiter, Konrad Hildenbrand, seinen Dienst an der Deutschen Evangelischen Schule an. 262 Kinder besuchten jetzt die Schule, die auch viele außerunterrichtliche Aktivitäten und ein jährliches Ferienlager in Ras el Bahr anbot. Die meisten Schülerinnen und Schüler stammten aus deutschsprachigen Familien, an zweiter Stelle nach den Deutschen waren, neben zehn weiteren Nationen, ägyptische Kinder vertreten. Außer den überwiegend evangelischen Schülerinnen und Schülern besuchten viele katholische, orthodoxe, jüdische und muslimische Kinder die Schule.

Bereits im August 1914 musste Konrad Hildenbrand wegen des Ausbruchs des 1. Weltkrieges den Dienst in Kairo quittieren. Nachdem England Ende 1914 Ägypten zum Protektorat erklärt hatte, wurde auch alles Vermögen des Kriegsgegners Deutschland in Ägypten konfisziert und unter englische Verwaltung gestellt. Die in Ägypten verbliebenen Deutschen wurden interniert. Die Gebäude der evangelischen Gemeinde dienten als Internierungslager für Frauen und Kinder.

1915 – 1930       Zwangspause durch den ersten Weltkrieg

Der erste Weltkrieg endete am 11.November 1918 und hinterließ in Europa tiefe Spuren der Zerstörung. In Ägypten kämpfte die ägyptische Nationalbewegung unter Saad Zaghlul für die nationale Unabhängigkeit; 1922 endete das englische Protektorat und man errichtete eine konstitutionelle Monarchie unter König Fouad. Ende 1921 nahm Deutschland wieder seine diplomatischen Beziehungen zu Ägypten auf, ab 1922 gab es eine deutsche Gesandtschaft. Die deutsche Gemeinde konsolidierte sich nur allmählich, auch wegen der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre.  Erst im Oktober 1925 rekonstituierte sich die Deutsche Evangelische Gemeinde Kairo mit 25 Mitgliedern, und im März 1926 kam wieder ein Pastor nach Kairo. Pfarrer Karigs und Ludwig Borchardts unermüdlichen Verhandlungen war es zu verdanken, dass ab 1933 das Pfarrhaus mit Lehrerwohnungen und Schule in Boulaq an die Gemeinde zurückgegeben wurden.

1930 – 1939              Deutsche Realschule Kairo

Als Ende der zwanziger Jahre wieder viele Deutsche nach Kairo zurückkehrten, wurde eine Schule dringend erforderlich. Mit Unterstützung des Ägyptologen Ludwig Borchardt, der in der Weimarer Republik offensichtlich über gute Kontakte zu Politikern in Deutschland verfügte, wurde die Wiedereröffnung der Deutschen Schule Kairo genehmigt. Als Schulleiterin wurde Elisabeth Anthes vom Auswärtigen Amt vermittelt. Jedoch konnten die Kinder 1930 zunächst nur in gemieteten Räumen unterrichtet werden, bis 1933 endlich das Schulgebäude in Boulaq wieder bezogen werden durfte. Finanziell trug sich die Schule aus Mitteln der Schulgemeinde, den Schulgeldern und Zuschüssen des deutschen Außenministeriums, das vor allem Lehrkräfte entsandte, sowie privaten Spenden. Es war jedoch die außergewöhnlich hohe Spende des Großindustriellen Otto Wolff aus Köln, der die Wiedereröffnung der Schule erst möglich machte. Sie war als sechsjährige Realschule konzipiert und nannte sich „Deutsche Realschule im Entstehen“. Eine dreijährige Grundschule war vorgeschaltet.  Nach der Rückkehr in die Schulgebäude wurde auch wieder ein Kindergarten eingerichtet.

Deutsche Realschule Kairo: Sommerfest imJuni 1932 im Garten der Familie Borchardt©Schweizerisches Institut für ägyptische Bauforschung und Altertumskunde Kairo

Nach der Wiedereröffnung der Schule besaß die eher kleine Schule noch einen sehr familiären Charakter. Feste und Feiern fanden häufig in privatem Rahmen statt. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Deutschland 1933 änderte sich das massiv. Die deutsche Kolonie in Kairo spaltete sich bald in zwei Lager der Demokraten und Nationalsozialisten. Der Deutsche Verein Kairo (DVK), der bereits vor dem 1. Weltkrieg als Anlaufstelle für Deutsche gegründet worden war, übernahm die Rolle des Repräsentanten der NSDAP in Kairo und betrieb als Spitzenorganisation aller Vereine und Institutionen und nunmehr rechtlicher Schulträger die Gleichschaltung an nationalsozialistische Ideologie und Gesetze.  Als Schulleiter und Lehrkräfte waren nur noch „Reichsdeutsche“ erlaubt, Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien wurden angepasst, jüdische Kinder aus der Schule ausgeschlossen. Wie in Deutschland gab es ein Jungvolk - Hitler-Jugend und Bund deutscher Mädchen veranstalteten Heimatabende und Ausflüge.

1936 besuchten 80 Schüler die sechsjährige Realschule, die Grundschule und den Kindergarten.  Erstmalig wurde die Prüfung für die Mittlere Reife abgelegt, für die ein Schulrat aus Deutschland anreiste.

Deutsche Realschule Kairo im Jahre 1936/37: 4.Klasse mit Klassenlehrer Herrn Schittenhelm©Schweizerisches Institut für ägyptische Bauforschung und Altertumskunde Kairo

Drei Jahre später waren bereits 130 überwiegend deutsche Jungen und Mädchen zusammen mit Kindern aus 13 anderen Nationen in der Schule eingeschrieben. Das Schulgeld betrug 120 Piaster monatlich; für bedürftige deutschsprachige Familien waren Ermäßigungen vorgesehen, weil nach den Grundsätzen der Schule allen deutschsprachigen Kindern der Schulbesuch ermöglicht werden sollte. Die Kinder wurden aus einem weiträumigen Einzugsgebiet in Schulomnibussen zur Schule gebracht. Zehn Schüler bestanden die Prüfung der Mittleren Reife, man strebte den Ausbau der Schule bis zum Abitur an.

Als sich im Juni alle frohen Mutes in die Sommerferien verabschiedeten, ahnte niemand, dass am 1. September der Beginn des zweiten Weltkrieges zu einer langjährigen Schulschließung führen würde. Vielen Deutschen gelang noch rechtzeitig die Flucht, die verbliebenen wurden interniert. Kirche, Pfarrhaus und Schule wurden geschlossen und in die Verantwortung der schwedischen Gesandtschaft übergeben, die vorübergehend die deutschen Interessen in Ägypten vertrat.  

 1939 – 1953       Zwangspause durch den zweiten Weltkrieg

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieg 1945 lag die Welt in Trümmern, auch Ägypten war stark in Mitleidenschaft gezogen. Zunächst lebten nur wenige Deutsche in Kairo. Eine erste Versammlung der evangelischen Gemeinde wurde 1948 einberufen, das Kirchengebäude in Bulaq erst nach langen Verhandlungen 1951 zurückgegeben. Am 23.Juli 1952 übernahmen die Freien Offiziere die Macht, König Farouk dankte ab, das Land wurde mit umfassenden Reformen zur Republik umgestaltet. Für die ägyptischen Kinder wurde erstmals eine Schulpflicht eingeführt mit einer einheitlichen dreistufigen Ausbildung nach gleichen Lehrplänen, keine leichte Zeit für Ausländer und private Schulen.

1953- 2023    Deutsche Evangelische Oberschule - 70 Jahre Erfolgsgeschichte

Im Jahr 2023 fiel das 150jährige Gründungsjubiläum zusammen mit dem 70jährigen Geburtstag der DEO. Der Grundstein für diese Schule wurde 1952 gelegt, als die evangelische Gemeinde den „Schulverein der Deutschen Evangelischen Gemeinde zu Kairo“ ins Leben rief, der später durch den „Schulausschuss“ abgelöst wurde. Sein Ziel war, eine deutsche Schule für die ca. 150 deutschsprachigen Kinder zu eröffnen, die bis dahin englische und französische Schulen oder auch die „Deutsche Schule der Borromäerinnen“ besucht hatten. Die neue Schule sollte nach Lehrplänen einer deutschen Oberrealschule zum Abitur führen.

Am 12.Januar 1953 nahm die „Deutsche Evangelische Oberschule“ in einer möblierten Mietwohnung in Bulak in der Sharia Sahafa mit 18 Kindern von Kindergarten bis 11. Klasse den Unterricht auf.  Die Umstände waren höchst bescheiden, es fehlte an Schulmöbeln und Unterrichtsmaterial. Außer den Kindern „war nicht mehr als der gute Wille, ein paar Tische und Stühle und eine Landkarte Ägyptens da“, so eine Lehrerin der ersten Stunde. Die Finanzierung erfolgte durch Schulgelder, Spenden der deutschen Industrie und das Auswärtige Amt. Letztere Mittel waren vor dem Hintergrund des zerstörten Deutschlands keinesfalls üppig. Dank des unermüdlichen Einsatzes von Pfarrer Höpfner und der Unterstützung der „Evangelischen Kirche Deutschland“ konnte die Schule eröffnet und der erste Schulleiter Artur Hachmeister für den Wiederaufbau der Schule gewonnen werden.

Schulgebäude in der Sharia Dr. Mahmoud Azmi auf Zamalek©DEO

In den Sommerferien 1953 erfolgte der Umzug aus dem ersten Provisorium nach Zamalek in eine geräumigere Villa mit Garten in der Sharia Dr. Mahmoud Azmi Nr. 2. Nun besuchten bereits 100 Kinder die Schule, ein Jahr später war die Schülerschaft bereits auf 200 Kinder in allen 13 Klassenstufen angewachsen. Unter dem Druck dieser rasant anwachsenden Schülerzahlen mussten immer wieder neue Wohngebäude angemietet und teilweise ausgebaut werden. Im Schuljahr 1962/63 wurden 843 Kinder an sieben verschiedenen Standorten auf Zamalek unterrichtet und in einem Internat betreut. Es muss für die 55 Lehrkräfte und die Schulleitung eine unvorstellbare Herausforderung gewesen sein unter diesen Umständen einen geordneten Unterricht und die erforderliche Aufsicht für die Schülerinnen und Schüler zu leisten.     

Ab 1954 wurde in Absprache mit der ägyptischen Erziehungsbehörde Arabischunterricht für die überwiegend ägyptische Schülerschaft eingeführt, und Dr. Auni und Frau Helmi kamen für das ägyptische Programm an die Schule.  1955 genehmigte Deutschland auch die Abnahme der Reifeprüfung, und sechs Prüflinge bestanden unter Leitung des aus Deutschland angereisten Ministerialrates die erste Reifeprüfung. Für die Aufnahme an ägyptischen Universitäten wurde die Reifeprüfung 1958 anerkannt.

Schulbus in den Fünfzigern©DEO

1956 erlangte Ägypten seine nationale Souveränität, in der Folgezeit holte die Regierung unter Nasser viele Experten zum Ausbau der Wirtschaft und der Armee ins Land. Wieder war Ägypten ein beliebtes Ausreiseziel, insbesondere für deutsche Ingenieure und Techniker aus der Rüstungsindustrie, die in ihrer Heimat als Waffenexperten oder ehemalige Nazis keine Anstellung mehr fanden. Bis 1962 verdreifachte sich die Anzahl der deutschen Schülerinnen und Schüler.

Als 1956 der Suezkrieg das Land erschütterte, verließen auch viele Ausländer das Land. Die DEO musste für zwei Monate schließen. Unterricht fand währenddessen im „Homeschooling“ statt, indem Arbeitsaufträge der Lehrkräfte an Sammelpunkte gebracht und dort abgeholt wurden. Die fertigen Aufgaben wurden von den Schülern ebenfalls dort zurückgegeben und an die Lehrkräfte weitergeleitet.

Reifeprüfungsfeier 1955 im "Haus München" in Kairo©DEO

1958 stellte das neu erlassene ägyptische Privatschulgesetz die DEO vor die Wahl, mit einer ägyptischen Leitung weiterzuarbeiten und sich komplett dem Einfluss und den Vorgaben der einheimischen Behörden zu unterstellen oder zu einer Auslandschule für ausschließlich ausländische Kinder zu werden. Diese existentielle Krise konnte jedoch dank der deutschfreundlichen Regierung und nach zähen Verhandlungen abgewendet werden: Die DEO durfte weiterhin Kinder aller Nationalitäten und Religionen unterrichten und ihre mehrheitlich ägyptischen Kinder an der Schule behalten.

Neben der Feier des fünfjährigen Schuljubiläums fanden in diesem Jahr die erste Studienfahrt der Oberstufe nach Oberägypten und der erste Tanzkurs mit Abschlussball statt. 1961 wurde zum ersten Mal wegen der hohen Anmeldezahlen ein Aufnahmeverfahren in Grundschule und Kindergarten durchgeführt, erstmalig fanden Bundesjugendspiele und Klassenfahrten in ein Zeltlager am Roten Meer statt. In diesem Jahr wurden auch die ägyptischen Abschlussprüfungen verbindlich eingeführt. Die ägyptischen Schülerinnen und Schüler mussten nunmehr die Ibtidaeya (Grundschule), die Adadeya (Mittelstufe) und die Thanaweya (Hochschulreife) ablegen, wobei erstere einige Jahre später ausgesetzt wurde. Die Oberstufe richtete einen A-Zweig für die Vorbereitung auf die zentrale ägyptische Thanaweya-Prüfung ein und einen B-Zweig, der zur deutschen Reifeprüfung führte.

1962 kaufte die Bundesregierung für den Neubau der Deutsche Evangelische Oberschule ein Grundstück nahe der Kairo-Universität in Dokki. Die große Hoffnung auf eine schnelle Lösung der brisanten Raumprobleme wurde jedoch enttäuscht; bis zum Bau und Umzug der Schule sollte es noch weitere 15 Jahre dauern.  1962/63 erhielten DEO und die DSB in Kairo und Alexandria nach zähen Verhandlungen mit den ägyptischen Behörden den Status einer „Kolonieschule“, wodurch die Anerkennung und damit der Fortbestand der Schulen gesichert wurden. Die Schülerzahlen stiegen trotz des Platzmangels und der sehr bescheidenen Ausstattung der Schule weiter an.

1963 kam Dr. Alban an die DEO, der für 16 Jahre die Geschicke der Schule leitete. Bald überschattete die eskalierende Nahost-Krise Ägypten. Wegen der guten Beziehungen Deutschlands zu Ägyptens Gegner Israel kam es 1964/65 zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Ägypten. 1967 drohten ab Mai Luftangriffe auch in Kairo, Ausländer wurden evakuiert.  Die Schule konnte jedoch vor allem wegen der deutschfreundlichen Haltung Nassers weiterarbeiten: „Trotz Verschärfung der Nahostkrise und Zunahme der Kampftätigkeit an der Sues-Kanal-Front verlief die Arbeit der Schule ohne wesentliche Störungen,“ so Schulleiter Alban in seinem Bericht im Jahre 1969.

Nach dem Tod Nassers im September 1970 geriet die DEO unter verstärkten Druck als ausländische Eliteschule. Um diesem Ruf entgegenzuwirken, wurde die N-Stufe eingeführt, mit der begabten ägyptischen Schülerinnen und Schülern aus einkommensschwachen Familien der Zugang zur Schule eröffnet werden sollte. Mit vielen Aktivitäten vor allem musischer und kultureller Art auch mit ägyptischen Partnern wie der Oper und dem Symphonieorchester wurde der kulturelle Begegnungscharakter der Schule hervorgehoben. 

Kurz nach den Feiern zum 100jährigen Jubiläum der ersten Schulgründung brach am 6. Oktober 1973 der Nahost-Krieg aus. Zwar wurden deutsche Frauen und Kinder evakuiert, die Schule aber nur drei Wochen geschlossen. Im Jahr 1974 wurde der Verein der Ehemaligen gegründet.

Das neue Schulgebäude der DEO 1979©DEO

Im Januar 1977 fand endlich der Umzug auf das eigene großzügige Gelände nach Dokki statt.  Er wurde mit einer großen Einweihungsfeier zelebriert, zu der viele deutsche und ägyptische Ehrengäste, allen voran Außenminister Genscher, geladen waren. Trotz „Brotunruhen“ und kritischer Sicherheitslage fand am 8. Februar der erste Pyramidenlauf statt. 

Schlüsselübergabe und Einweihung des neuen Schulgebäudes am 12.Februar 1977 durch Außenminister Genscher©DEO

Schon bald erwiesen sich die Gebäude am neuen Standort als zu klein. Als die Schülerzahl 1983 auf 1329 Kinder anwuchs, wurden als provisorische Notlösung zwei Pavillons zur Unterbringung von acht Klassen im hinteren Pausenhof errichtet.

Bis zur Feier der 125jährigen Gründung der evangelischen Schule im Schuljahr 1997/98 entwickelte sich die DEO kontinuierlich weiter zu einer integrierten Begegnungsschule und zu einem kulturpolitischen Repräsentanten mit einem breiten Spektrum an künstlerischen und sportlichen Aktivitäten. Viele dieser Aktivitäten und Veranstaltungen haben sich bis heute erhalten und prägen das Profil der DEO wie der jährliche Pyramidenlauf, der Klaus-Heller-Lauf, der Vorlesewettbewerb, das Sozialkomitee, Modell United Nations (MUN), Tanzkurse, Sportwettbewerbe, verschiedene Austauschprogramme mit Deutschland und anderen Auslandsschulen, Berufspraktikum und Studienberatung sowie vielfältige Kooperationen mit ägyptischen und internationalen Partnern.

Zum Schuljahr 2007/08 wurden die Thanaweya-Klassen an der DEO und die Deutsche Sprachdiplomprüfung abgeschafft. Das deutsche Abitur war nun das einzige Abschlusszeugnis der Schule. Ägyptische Absolventen wurden weiterhin für die „Mua'adla“ vorbereitet, das ist eine externe Prüfung in Arabisch und ägyptischer Geschichte für den Zugang zu ägyptischen Universitäten.

Der „Arabische Frühling“ führte zum Jahresbeginn 2011 auch in Ägypten zu massiven Unruhen. Viele ausländische Schüler, Eltern und Lehrkräfte wurden im Januar ausgeflogen, die Schule vorübergehend geschlossen. Unterricht fand wieder im „Homeschooling“ statt, nunmehr technologisch fortschrittlicher per Internetplattform und Mail. Das schriftliche Abitur, das bereits an zwei Standorten parallel in Berlin und Kairo geplant war, konnte zur großen Erleichterung aller mit etwas Verspätung doch noch in Kairo stattfinden. Erstmalig musste jedoch der Pyramidenlauf entfallen.

2011 wurde der DEO von der Bund-Länder-Inspektion die Auszeichnung als „Exzellente deutsche Auslandsschule“ verliehen.  Im Herbst 2019 wurde mit Mitteln der Bundesrepublik Deutschland ein hochmoderner Neubau für die Oberstufenklassen eingeweiht. Er entstand anstelle der Pavillons, die 36 Jahre zuvor als provisorische Klassenräume aufgestellt worden waren.

Am 18.März 2020 wurde wegen der weltweiten Corona-Pandemie auch an der DEO der Präsensunterricht eingestellt. Der Unterricht fand wieder im „Homeschooling“ über Online-Lernplattformen statt. Das mündliche Abitur im Mai 2020 wurde mit Beschluss der KMK ausgesetzt. Ab Herbst fand hybrider Unterricht, das heißt eine Mischung aus Online-Unterricht und Präsenzunterricht, statt. Auch wenn die Corona-Pandemie in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht schwerwiegende Nachteile mit sich brachte, für die Digitalisierungsprozesse an der Schule war sie ein spürbarer Beschleuniger.

Die Schulen der Deutschen Evangelischen Gemeinde Kairo waren seit Beginn offen für alle Nationen und – bis auf politisch bedingte Ausnahmen – alle Religionen. Seit 150 Jahren bewahrt die Schule ihren eigenen Charakter, wirkt als Begegnungsschule und Kulturträger, auch wenn durch gesellschaftliche und technologische Entwicklungen Veränderungen unausbleiblich sind. Die Anzahl deutschsprachiger Kinder verringerte sich seit Jahrzehnten dramatisch, da immer weniger ausländische Experten mit Familien vor Ort tätig wurden. Das Einzugsgebiet um Kairo/ Gizeh wächst in rasantem Tempo, die neugegründeten Vorstädte bieten attraktive Lebensräume, liegen weit entfernt von der Schule, und sie bieten mit zahlreichen internationalen Schulen interessante Alternativen. Heute besuchen überwiegend ägyptische Kinder, die häufig aus traditionsbewussten „DEO-Familien“ kommen, die Schule. Anders als früher findet heute Begegnung weniger im direkten Umgang der Kinder und Familien statt, sondern zwischen ägyptischen Familien und deutschen Bildungsinhalten und Lehrkräften.

Schwierig gestaltete sich nach den Unruhen 2011 die Versorgung mit Lehrkräften aus Deutschland, weil Ägyptens Attraktivität stark nachgelassen hatte. Der Ausbruch des Krieges zwischen Israel und der Hamas im Oktober 2023 führte neuerlich zu großer Verunsicherung, zumal die Lehrerversorgung auch in Deutschland augenblicklich sehr schlecht ist.

Die DEO stellt sich nach 150 Jahren trotz aller Widrigkeiten und sogar längerer Schließungen der Schule immer wieder vielfältigen Herausforderungen. Dabei werden Traditionen beibehalten und verbinden ganze Schülergenerationen im DEO-Wir-Gefühl. Die Schule steht nach wie vor an der Spitze deutscher Auslandsschulen und genießt bei aller Konkurrenz in Ägypten einen hervorragenden Ruf. Als Kulturträgerin wirkt sie bis heute in ihr Umfeld und trägt zum Ruf Deutschlands bei.   

Überschattet von einem neuerlichen Krieg in der Region lässt das 150jährige Gründungsjubiläum voller Stolz auf das Vergangene und voller Zuversicht in die Zukunft blicken.

Die Zitate und viele Informationen sind entnommen aus: Stefan Gerke, 150 Jahre Deutsche Evangelische Oberschule Kairo – Drei Schulen und eine Geschichte, Kairo, 2023. Hier können viele historische Details und Quellen nachgelesen werden. Erhältlich ist das Buch in der Bibliothek der DEO Kairo.