Denkmalschutz in Ägypten? Das architektonische Erbe aus dem 19. und 20. Jahrhundert in Kairos Downtown bleibt im Hintergrund angesichts der Fülle an Altertümern und Antiquitäten, mit denen Ägypten so überreich gesegnet ist.

Historische Phasen der Stadtentwicklung

„Hier in Kairo gibt es das ganz besondere Phänomen, dass vier bis fünf historische Phasen nebeneinander liegen. Es ist nicht wie in vielen anderen Städten, wo diese Phasen übereinander geschichtet sind und die älteren nicht offen zu Tage treten“, erklärt  Dr. Soheir Hawas, Professorin für Architektur an der Kairo-Universität. Im Westen thronen die pharaonischen Grabmäler, im Südosten liegt die Stadtgründung von Fustat aus dem 7. Jahrhundert mit christlichen, jüdischen und ganz frühen islamischen Bauwerken, heute unter „Altkairo“ bekannt. Weiter nördlich am Fuße des Mokkatam gründete um 1000 n.Ch. der fatimidische Feldherr Gawhar el Siqulli die neue Stadt Al Qahira – die Siegreiche. Neben dem Palast und der bis heute erhaltenen Azhar-Moschee wurden bald die Grundmauern für die Zitadelle gelegt und recht schnell entstand eine neue, islamisch geprägte Kultur- und Handelsmetropole. Die heute sogenannte historische oder islamische „Altstadt“ wurde als eine der ältesten islamischen Städte 1979 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Das moderne Kairo, die heutige Downtown, wurde ab Mitte des 19. Jahrhunderts in den Sumpfgebieten direkt am Nil nach europäischen Vorbildern gegründet und dehnte sich als Kern der heutigen Hauptstadt bald bis nach Gizeh auf das Westufer aus.

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts breiten sich im Großraum Kairo neugegründete Satellitenstädte wie Heliopolis, Nasr-City, Rehab-City , 6. Oktober-City, Sheich-Zayed, New Cairo/Togamaa usw. aus, eine neue Verwaltungshauptstadt wird im Südosten nicht weit von Kairo aus der Wüste gestampft. Was passiert in diesem auf engem Raum sich verdichtenden Konglomerat an antiken Monumenten, historisch wertvollem Kulturerbe und modernen Ansprüchen einer rasant wachsenden Gesellschaft mit der Architektur der Belle Epoque?

Anfänge des Denkmalsschutzes

Dr. Soheir Hawas, ist Expertin für die europäische Architektur in Kairo und Pionierin des Denkmalschutzes. Ihr Interessengebiet sind nicht die antiken Altertümer und Monumente, sondern die Bauwerke der Neuzeit. Ihr Vater, der Architekt Dr. Zaki Hawass, leitete ab 1996 ein Projekt zur städtebaulichen Verbesserung der Downtown, bei dem auch Soheir mitarbeitete. Nach seinem Tod führte sie das Projekt weiter. Zusammen mit ihrem Studententeam erfasste sie seit 1996 die Gebäude von 35 Straßen und Plätzen, dokumentierte sie bis in die kleinsten Details, bestimmte architektonische Merkmale und Stile der äußeren Fassaden und soweit möglich ihre Architekten und die Entstehungszeiten. Vor 20 Jahren war dies ein aufwändiges Unternehmen, weil es meistens keine Pläne für die Gebäude gab. „Wir mussten jedes Detail an den Fassaden mit der Hand ausmessen und dann fotografieren. Sechs junge Architekturstudenten stiegen dazu auf die Dächer. Wir brauchten für nur eine Fassade über 100 Stunden“, erinnert sich Soheir. Damals wurden diese Daten anschließend in Computer eingegeben und dann ausgedruckt.

Prof. Dr. Soheir Hawas - Pionierin des Denkmalschutz © Soheir Hawas

Außerdem analysierte sie die Entwicklung der Bezirke unter städteplanerischen Kriterien. 2002 veröffentlichte sie ihre Dokumentationen unter dem Titel  „Khedivian Cairo – Identification and Documentation of Urban-Architecture in Downtown Cairo“.

Khedivisches Kairo und europäisches Viertel

„Der Name Khedivisches Kairo ist kein historischer Name. Das Viertel al Ismailia – so der frühere Name des Viertels zwischen Abdin-Palast und Nil – sowie die heute noch so bezeichneten Stadtteile Tawfikia und Abbasseia wurden nach ihren Gründern, den drei Khediven Ismail, Tawfik und Abbas, benannt. Darum habe ich für diese von den Khediven zwischen 1870 und 1914 gegründeten Gebiete den Begriff ‚Khedivisches Kairo‘ ausgewählt“, erklärt die Architektin. Hier entstanden bis zum 2. Weltkrieg nach dem Vorbild von Paris und nach den Plänen bedeutender europäischer Architekten einzigartige Bauwerke. Besonderen Einfluss hatten französische und italienische Architekten, wie z.B. der Italiener Antonio Laschiac, Freund und amtlicher Palastarchitekt des Khediven Abbas. Der Deutsch-Österreicher Julius Pascha war nicht nur verantwortlich für die Sammlungen islamischer Kunst, sondern auch  Hofarchitekt des Khediven Ismail. Ihm wird in der neuzeitlichen Architektur Ägyptens eine besondere Rolle zugeschrieben, weil er den sogenannten neoislamischen oder arabesken Stil einbrachte. Nach 1940 erhielt auch in Kairo der sogenannte internationale Stil Einzug, der fortan mit schlichten und klaren Betonfassaden die Architektur Kairos prägte.

Das Ende der Belle Epoque

Nach der Revolution von 1952 kam es im Zuge der Nationalisierung zu Enteignungen und einer antikolonialistisch geprägten Feindseligkeit gegenüber der ehemals hochgeschätzten europäischen Kultur. Viele Ausländer verließen das Land, gleichzeitig führte die explosionsartig steigende Einwohnerzahl zur Überbevölkerung in Kairo und zu einem steten Verfallsprozess der einstmals luxuriösen Viertel. Während in den 70er Jahren noch viele bürgerliche ägyptische und ausländische Familien in den großzügigen Altbauwohnungen der Innenstadt lebten, haben heute die meisten Bewohner die Häuser verlassen, sie leben entweder im Ausland oder in einem der Satellitenstädte um Kairo herum. Auch die Restaurants, Geschäfte und der damals größte Markt Kairos, El Tawfikia, sind verschwunden.

Eine Schlüsselrolle bei dieser Entwicklung wird den restriktiven Mietgesetzen zugeschrieben, mit denen Mieten seit den 50er Jahren eingefroren sind. Für eine großzügige Fünfzimmerwohnung in der Sharia Abdel Khalek Tharwat bezahlt Ismail El Guindy, der in den 70er Jahren hier einzog, bis heute weniger als 30 Ägyptische Pfund an Miete. Mit fatalen Folgen: „Der Hausbesitzer kümmert sich verständlicher Weise schon lange nicht mehr um den Erhalt und die Wartung des Hauses. Selbst die einfachsten Dienste, wie Bawab und Müllabfuhr müssen von den einzelnen Mietern selbst organisiert werden. Während der Hausbesitzer nicht erreichbar ist, kümmere ich mich um Wasser, Abwasser, Strom, Gas und den ganzen Ärger mit den Behörden.“

Viele Wohnungen stehen leer, andere dienen als Büros, Arztpraxen, Bekleidungsgeschäfte, Lager für Ersatzteile u.a. „Die niedrige Miete wiegt unsere ganzen Probleme und die zusätzlichen Kosten nicht auf“, so Ismail. Allein der Parkplatz in einem der Parkhäuser kostet ihn 400 Pfund pro Monat.

Für die Eigentümer solcher Gebäude lohnt sich eine Vermietung nicht, die Gebäude verfallen und bei steigenden Grundstückspreisen entstand die Tendenz, alte Gebäude abzureißen und stattdessen höhere und größere Gebäude zu bauen.

Durch die Unruhen 2011 in der Stadtmitte wurden Zerstörung und Verfall noch beschleunigt. Der Tahrir-Platz und die Straßen und Plätze in der Umgebung verwandelten sich zu Kampfzonen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. Zudem wurden Bürgersteige, Passagen, Hauseingänge von Straßenhändlern und zwielichtigen Elementen geradezu überschwemmt. Erst ab 2014 war ein normales Leben wieder möglich, nachdem die Straßen - teilweise mit Gewalt - geräumt worden waren und allmählich die öffentliche Ordnung wieder eingezogen war.

Wiederbelebung der Downtown

Nur allmählich entwickelte sich eine erneute Wertschätzung des europäischen Viertels mit seinen Bauwerken aus khedivischer Zeit in der Öffentlichkeit und bei Regierung und Behörden.

Bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts war selbst in der Forschung das Interesse für die Architektur aus der europäischen Gründerzeit in Ägypten sehr gering. „Die erste umfängliche und grundsätzliche Forschungsarbeit auf diesem Gebiet ist 1989 in Tübingen auf Deutsch erschienen“, wundert sich Soheir Hawas. Auf dieser Forschungsarbeit „Kairo – Stadt und Architektur im Zeitalter des europäischen Kolonialismus“ von Mohamed Scharabi beruhen auch die Arbeiten der Architekturprofessorin. Außer ihr gibt es in Ägypten nur sehr wenige Wissenschaftler, die sich mit den architektonischen Preziosen der Kairoer Innenstadt beschäftigen. Allerdings mit steigender Tendenz, stellt sie fest, „denn 1998 hatte ich nur fünf Studenten, heute sind es 100 Studenten, die sich für Stadtentwicklung und Denkmalsschutz interessieren.“

Ende der 90er Jahre entstanden erste Gesetzesvorlagen, damit die relativ jungen wertvollen Gebäude und ihr historischer Wert erfasst und in die Stadtentwicklung einbezogen werden. Aber es brauchte über ein Jahrzehnt, bis 2004 das Gesetz Nr. 144 zur Erfassung historisch bedeutsamer Gebäude und bis 2008 das Gesetz 119 für den Schutz und Erhalt historischer Gebäude in Kraft traten, die nicht als Monumente bzw. Altertümer gelten. Ende 2004 wurde im Kulturministerium die „National Organisation for Urban Harmony“ (NOUH) gegründet. Sie soll ein ästhetisch ausgewogenes  Stadtbild fördern und für eine Abstimmung zwischen historischem Erbe und modernen sozialen und ökonomischen Anforderungen sorgen. Diese Organisation ist insbesondere auch für den Denkmalsschutz zuständig.

Soheir Hawas, Mitbegründerin und bis 2013 Direktorin von NOUH, erklärt die wichtigsten Regularien des Denkmalsschutzes. Zunächst werden besonders schützenswerte Distrikte bestimmt wie Downtown, Garden City, Maadi oder Heliopolis. Hier gelten bei der Stadtentwicklung besondere Auflagen zum Schutz historisch bedeutsamer Gebäude. Dies sind Bauwerke von außergewöhnlicher Architektur bzw. stellen ein repräsentatives Beispiel für einen bestimmten Baustil dar oder stammen von einem berühmten Architekten. Ebenso werden touristisch bedeutsame Gebäude wie der Kairo-Turm eingestuft oder Häuser, in denen bedeutende Personen lebten. In der Stadtmitte wurden über 500 solcher Gebäude identifiziert und dokumentiert. Sie dürfen nicht beschädigt oder zerstört werden.

Für die Renovierung der denkmalgeschützten Bauwerke gibt es in Ägypten drei verschiedene Kategorien: Es sind keinerlei Änderungen sind von innen oder außen erlaubt wie beim Abdin Palast oder einigen Villen, Änderungen von außen sind nicht erlaubt, begrenzte Änderungen zur Verbesserung der Bausubstanz im Innern sind möglich, damit der Wert und Nutzung erhalten bleiben. Ein in Ägypten noch neues Verfahren wird z.B. beim Interkontinental-Hotel am Opernplatz systematisch umgesetzt, wo die Fassade teilweise erhalten bleibt als Erinnerung an das Gebäude, während das Innere völlig umgestaltet werden kann.

Das erste Gebäude, das Soheir Hawas renovierte, war 2008 das Gouvernoratsgebäude in Abdin. Nach der Zwangspause durch die Unruhen 2011-13 leitete sie von 2013-2017 die Restaurierungsmaßnahmen zunächst in der Alfi-Straße und am Orabi-Platz, die auch ihre Lieblingsprojekte sind. Insgesamt renovierte sie die Fassaden von 200 Gebäuden.

"Magasines Gattengno" im venezianischen Stil (1913-1928) an der Ecke Emad-Eldin und Adly-Straße © Roshanak Zangeneh

Das Glück der Denkmalschützerin

Voller Stolz schildert Soheir Hawas die Reaktionen der Öffentlichkeit auf die positiven Veränderungen im Stadtbild: „Es war eine schöne Überraschung für die Ägypter, als sie die renovierten Gebäude sahen und ihren Schatz erkannten, denn niemandem war das vorher klar.“ Dieses neue große Interesse und die hohe Partizipation, die sie wecken konnten, gehört zu ihren schönsten Erlebnissen. Besonders glücklich machte sie jedoch der Kontakt mit den Bewohnern der Gebäude. In der Regel lehnten diese das Projekt zunächst ab, weil sie durch die Renovierungen ihren Lebensunterhalt bedroht sahen. Die Vorbehalte gegen dieses scheinbar dumme und sinnlose Projekt, das Misstrauen gegen die Regierung musste sie ausräumen. „Wir befragten jeden einzelnen nach seinen Vorstellungen und Wünschen und bezogen alle in die Veränderung mit ein.“ Nachdem es ihr gelungen war, große Geschäfts- und Restaurantinhaber davon zu überzeugen, sie bei der Entwicklung ihrer Stadt und ihrer eigenen Zukunft zu unterstützen, machten auch die anderen mit. Eine Zeitlang wurden offizielle Ehrungen der Unterstützer durch den Gouverneur durchgeführt. Die Erwähnung in den Medien war gleichzeitig eine besondere Werbung für die Geschäfte und Restaurants, wie z.B. der Kosheri-Laden von Sayed Hanafi. Der drei Meter breite Stand liegt zwischen Orabi-Platz und Alfi-Straße. „Unerwarteter Weise hat er seine sehr saubere Küche und noch mehrere andere Geschäfte in der Stadt verteilt. Per Handy beobachtet er alle Küchen. Das kam in die Medien und er war sehr zufrieden über die Wertschätzung und die Werbung. Niemand wurde gezwungen, nichts wurde zerstört, sondern die Menschen wurden überzeugt, dass sie teilnehmen. Das waren meine glücklichsten Momente“, schwärmt Soheir Hawas.

Die Esbakeya-Fußgängerzone von der Emad-Eldin-Straße zum Orabi-Platz © Roshanek Zangeneh

Sehr viel Vergnügen bereitete ihr immer wieder die Überraschung der Anwohner, dass eine Frau auf der Straße stand, unter die Oberfläche schaute, die Wasser- und Abwasserrohren, Abflüsse für Regenwasser, Hydranten usw. erneuern wollte. Sie waren sehr verwundert, „dass ich sehr gründlich war, alles genau nahm und darauf bestand, dass alles richtig ausgeführt wurde. Ich akzeptierte keine Korrekturen, sondern ließ alles neu machen, wenn es nicht passte.“

Der Denkmalsschützerin Soheir Hawas liegen jedoch nicht nur die einzigartigen Fassaden der italienisch-französischen Architektur am Herzen. Ihr Anliegen verdeutlicht sie am Beispiel des Tahrir-Platzes: „ Hier wollten die  Landschaftsplaner eine schicke Gartenanlage mit Bäumen usw. anlegen. Damit das ägyptische Museum seine Wirkung entfalten kann, habe ich diese Pläne gestoppt. Auch die 8 m hohen Entlüftungsschächte der Parkdecks wurden wieder gekürzt.“ Ebenfalls konnte sie die Verschönerung der Mugamma mit einem neuen Anstrich  verhindern. Vielmehr erreichte sie, dass das Gebäude, das 1952 mit Granulat verputzt worden war, lediglich mit Sandstrahler gereinigt und dadurch der ursprüngliche Charakter erhalten wurde. „Dies ist sehr mühsam und sehr teuer, aber eine teilweise Reinigung oder einfaches Übertünchen der Wände zerstören sehr viel. Statt Säubern, Reinigen und Reparieren verkleistert man alle Schäden mit einem Makeup  aus Farbe und zerstört dadurch oft die Substanz.“

Auch die Mogamma liegt der Denkmalschützerin am Herzen © Roshanek Zangeneh

Natürlich gibt es für einige Menschen auch Nachteile und entsprechende Widerstände. In den geschützten Bereichen wurden Fußgängerzonen eingerichtet sowie Einbahnstraßen und Parkverbote für die gesamte Innenstadt. Straßenverkäufer, die in der Zeit nach 2011 die Straßen überschwemmt hatten, wurden vertrieben. Es war nicht einfach, die öffentliche Ordnung wieder zu etablieren.

Ein breites Bündnis für den Denkmalschutz

Seit 2008 spielt ein großer privater Investor in Kairos Innenstadt eine tragende Rolle: „Al Ismaelia for Real Estate Investment S.A.E". ist ein Zusammenschluss mehrerer ägyptischer und arabischer Investmentunternehmen, unter ihnen auch der ägyptische Unternehmer Sawiris. Laut online-Informationsplattform „Fanak" ist das Ziel des Unternehmens „die klassische Grandeur von Kairos Downtown wieder herzustellen und sein kulturelles Erbe zu erhalten“, indem es bedeutsame Immobilien kauft, renoviert und an sogenannte „higher end tenants“, z.B. luxuriöse Studios, Geschäfte und kleine Hotels vermietet. Gleichzeitig fördert Al Ismaelia die Wiederbelebung des künstlerischen und kulturellen Lebens.

22 Gebäude hat Al Ismaelia bisher aufgekauft und renoviert, unter ihnen auch das prestigeträchtige La Viennoise, das zu einem „mega-headquater in dowtown-Cairo“ umgebaut werden soll. Nach aktuellen Pressemeldungen will Al Ismaelia im Jahr 2019 um 150 Mio Ägyptische Pfund für die Sanierung und Renovierung der Downtown ausgeben, dazu sollen weitere vier bis fünf geschichtsträchtige Gebäude gekauft werden, so der Vorsitzende Karim Shafei. Für die kommenden drei Jahre seien der Kauf und die Sanierung von elf historischen Gebäuden geplant.

Neben der Sanierung der Gebäude und der Infrastruktur unterstützt Al Ismaelia die Kunst- und Kulturszene und fördert das Bewusstsein der Öffentlichkeit u. a. mit Stadtspaziergängen, die jeder Interessierte unter www.cairo-dtour.com für zwei unterschiedliche Touren buchen kann.

Al Ismaelia sponsort z.B. das „Downtown Contemporary Arts Festival", abgekürzt D-CAF, das seit 2014 jährlich stattfindet und das wichtigste Kulturevent Kairos ist. Im November 2018 wurde erstmals die „Cairo Foto Week" veranstaltet mit Workshops, Ausstellungen und Networking in den geschichtsträchtigen Anlagen der Kodak-Passage und dem Tamara-Gebäude. Sie soll zukünftig zu einem großen zweijährigen regionalen Festival werden. Februar 2019 startete als sportliches Ereignis der erste „Cairo marathon hub“, der von Al Ismaelia gesponsert wurde. Zu dem Ismaelia-Projekt gehören auch eine Facebook-Seite und ein Instagram account.

Nationale Banken und Versicherungen, denen viele Gebäude aus der Belle Epoque gehören, sind ebenfalls bei den Renovierungsprojekten eingebunden.

Um die Attraktivität der Downtown für Besucher zu steigern, startete die Organisation NOUH Anfang 2017 die Kampagne „3ash hena“, das sich mit „hier lebte…“ übersetzen lässt. Dabei wurden ca. 100 Schilder mit Hinweisen zu wichtigen historischen Personen Künstlern, Literaten, Politiker usw. an Gebäuden angebracht, in denen sie gelebt hatten. Per QR-Code lassen sich weitere Informationen abrufen.

Der Palast von Khairy Pasha auf dem alten AUC-Campus gehört ebenfalls zu den Denkmälern © AUC

Ein weiteres Projekt wurde 2018 unter dem Motto „hekayet share3“ oder „street story project“ initiiert. Auf besonderen Straßenschildern wird auf bedeutsame Ereignisse hingewiesen, die in diesen Straßen stattgefunden haben.

Involviert in die Rettung der Innenstadt sind auch Bürgerinitiativen wie „al Mantiqi", ein lokales Informationszentrum, oder das „Cairo Laboratory for Urban Studies, Training and Environment Research" - kurz CLUSTER. Beide Initiativen wollen die Idee der Bürgerbeteiligung umsetzen. Dem Mitbegründer von CLUSTER, Omar Nagati, geht es dabei um mehr, als öffentliche Plätze zu gestalten oder die schönen Fassaden der historischen Gebäude. Ihm geht es um die Passagen und Hinterhöfe, denn an diesen schattigen und kühlen Orten zwischen den Straßen und Plätzen, befindet sich der soziale Raum der Nachbarschaft. In diesen kleinen Gässchen sieht er etwas einzigartiges Kairenisches, das es zu erhalten und zu fördern gilt. Neben Dokumentation und Analyse der Plätze liegt ihm die Vernetzung von Menschen und Gruppen, die Kooperation zwischen privat und öffentlich und ein Konzept der städtischen Diplomatie oder Kommunikation am Herzen. Die zentrale Frage: „Welche Art von Entwicklung und für wen?“ geht weit über das Ziel des vormaligen Gouverneurs von Kairo Galal Said hinaus, der zur Eröffnung der ersten Renovierungsphase 2015 erklärte, in der Innenstadt ein “open museum for all Egyptians to be proud of” zu schaffen.

Um die wichtigen Shareholder und Interessenten an einen Tisch zu bringen, wurde Ende 2016 dasCairo Heritage Development Committee" (CHDC) durch Präsidialdekret ins Leben gerufen mit dem Ziel, eine strategische Zukunftsplanung für Kairos Stadtmitte und das historische Altkairo zu entwickeln. Staatlichen Stellen unter ihnen NOUH, Bürgerinitiativen und Finanziers wie Al Ismaelia sollen sich hier insbesondere über den Erhalt historischer Bauwerke und die Entfaltung des ökonomischen Potenzials abstimmen. Eine besondere Herausforderung sieht das CHDC vor allem in der Entwicklung von Kairos Downtown, wenn die neugegründete Verwaltungshauptstadt zu einem Abzug der Regierung, von Behörden und Ämtern führen werde.

Euphorie und Skepsis dicht beieinander

Nach Meinung der Denkmalschützerin Soheir Hawas fehlt es trotz der gesetzlichen Regelungen und vieler Initiativen immer noch an einem öffentlichen Bewusstsein für den Wert der alten Gebäude. Zwar vermehre sich die Zahl der Interessierten und engagierte Ägypter täten sich zusammen, um die Innenstadt zu retten. Es gebe auch wieder mehr Menschen, die bewusst in die Stadt ziehen oder dort bleiben. Leider würden die Auflagen zum Schutz aber nicht immer eingehalten. Die Mietgesetze führen weiterhin zu Verkäufen an die falschen Leute, die diese Gebäude nicht wertschätzen, sondern damit spekulieren. Vor allem aus finanziellen Gründen würden Gebäude vorsätzlich durch Wasser oder Feuer zerstört. Man müsse noch mehr Menschen motivieren hier zu wohnen und zu investieren und aufzupassen, dass die Gebäude nicht zerstört werden.

Dazu kommen die schwierigen Lebensverhältnisse in der Stadtmitte. Trotz Fußgängerzonen, Einbahnstraßen und Parkverboten ist der Lärmpegel mit teilweise über 90 Dezibel bei geschlossenen Fenstern und einer kaum vorstellbaren Luftverschmutzung unerträglich. Und auch wenn die Fassaden renoviert werden, braucht es noch viel Arbeit und Geld, um die Infrastruktur und innere Ausstattung der Altbauten an moderne Standards anzupassen. Viele der wohlhabenden Bürger erliegen deshalb den Annehmlichkeiten des aus dem Wüstensand gestampften amerikanischen Traums in den Satellitenstädten um Kairo herum. Mit ihren Palmen, weiträumigen Wohnanlagen, breiten Boulevards und einer Rundumsorglos-Infrastruktur scheinen sie direkt aus Kalifornien nach Ägypten versetzt zu sein.

Ob sich der Nostalgiebonus dennoch auswirkt? Wird auch in Kairo die weltweite Trendwende zum urbanen Leben eine neue Blüte der Innenstadt begünstigen? Oder sind es eher pragmatische Gründe, wenn Pendler auf dem Weg von ihren amerikanischen Vorstädten zu ihren Arbeitsplätzen täglich Stunden im Stau verbringen und ein großes Stück der neugewonnen Lebensqualität wieder verlieren? Auch zukünftig sind unablässiges Engagement, viel Unterstützung und ungebrochene Wertschätzung des jungen kulturellen Erbes unerlässlich. Die online-platform „Fanak" stellt aller Euphorie eine gesunde Portion Skepsis gegenüber, wenn sie konstatiert, dass „alle Beteiligten sich paradoxerweise ein Stadtzentrum vorstellen, mit hochwertigen Bewohnern und Geschäften, einem geordneten und kontrollierten Unterhaltungsangebot und einer lebendigen, aber dennoch klar zensierten Kunst- und Kulturszene. In der Zwischenzeit ist der Großteil der Ressourcen für eine städtische Entwicklung woanders hingeflossen, z.B. in die neue Hauptstadt.“