Seit 2010 kommt es in Ägypten wiederholt zu gezielten Anschlägen auf die christliche Minderheit der Kopten. Trotz Religionsfreiheit und rechtlicher Gleichstellung leiden die koptischen Christen seit mehr als 60 Jahren unter der religiösen „Erweckung" des Islam und werden zur Zielscheibe von Gewalt.
Wie zum orthodoxen Weihnachten am 7. Januar 2010, als moslemische Schützen acht koptische Christen nach einer Christmette vor der Kathedrale von Nag-Hammadi erschossen. Wie am 1. Januar 2011, als bei einem Anschlag auf die Peterskirche in Alexandria 23 Menschen getötet und 97 weitere verletzt wurden. Wie in Kairo, als im Dezember 2016 bei einem Attentat auf die Kirche St. Peter und Paul 28 Personen, überwiegend Frauen und Kinder, ihr Leben verloren und 35 weitere verletzt wurden.
Die Organisation Islamischer Staat erklärte sich für diesen Anschlag verantwortlich und rief nur zwei Monate später zu weiteren Terroranschlägen gegen Christen in Ägypten auf. Am Palmsonntag 2017 starben bei Bombenattentaten auf zwei koptische Kirchen mindestens 44 Menschen, mehr als 120 wurden verletzt. Nur wenige Tage vor dem Jahreswechsel 2018 wurde auf die Mar-Mina-Kirche in Helwan ein Anschlag verübt, bei dem acht koptische Christen und ein Polizist getötet wurden.
Die Markuskathedrale in Alexandria nach dem Anschlag 2017 © Mina Abd El Malek
Matthias Riemenschneider stellte bereits in seinem Artikel „Zur Situation der Christen in Nahost und Nordafrika“ von 2011 fest, dass der Druck auf Christen in der Region seit einigen Jahren wachse. Auch wenn die drei großen Schriftreligionen Judentum, Christentum und Islam hier gemeinsame historische Wurzeln hätten und die christliche Gemeinde mit ihrer Minderheitensituation in der wechselvollen Geschichte des Orients vertraut sei, verliere „sie zunehmend die Zuversicht, dass ihr in Zukunft eine ungefährdete Existenz gewährleistet werden“ könne. Die Islamisierung bestimmter Gruppen in der arabischen Welt, in der gesellschaftliche und ökonomische Spannungen durch einen religiösen Narrativ eine zusätzlich konfliktverschärfende Dimension erhielten, erschwere vielen Christen das Leben. „Als eine Minderheit unter Muslimen sind sie mitunter sozialen Benachteiligungen ausgesetzt, die in Einzelfällen zu gezielten terroristischen Anschlägen eskalieren können", so Riemenschneider.
Verfolgung
Die koptische Kirche wurde Überlieferungen zufolge im ersten Jahrhundert vom Evangelisten und Apostel Markus in Alexandrien gegründet. Schon ihre frühe Geschichte ist gekennzeichnet von Verfolgung, und Unterdrückung, angefangen im Römischen Reich, fortgesetzt unter byzantinischer Herrschaft und später während der Mamelukenzeit. „Die koptische Kirche ist im Blut der Märtyrer errichtet worden", bringt es K. S. Kolta in seiner 1987 erschienen Abhandlung „Christentum im Land der Pharaonen“ auf den Punkt.
Der Kreuzestod Christi, die Hinrichtung des Kirchengründers Apostel Markus und die Märtyrertode unzähliger Kopten in späteren Jahrhunderten bilden bis heute das existenzielle Fundament der koptischen Kirche. „Verfolgung bedeutet für sie eine Prüfung ihres Glaubens und eine Manifestation göttlichen Segens. Hat nicht die 2000 Jahre währende Verfolgung ihnen geholfen, ihren orthodoxen Glauben zu verteidigen und ihn rein zu bewahren? Es scheint Gottes Wille zu sein, daß die Kirche der großen Heiligen auch die Kirche der Märtyrer bleiben soll", konstatiert Fuad Ibrahim in seiner Veröffentlichung „Die Kopten und ihre gegenwärtige Situation 1983.“
Koptische Priester zwischen 1898 und 1914 © American Colony (Jerusalem). Photo Dept. photographer
Gleichzeitig gelten die Kopten als die ursprünglichen Ägypter: In der arabischen Sprache werden sie „Gins Fir´ōnī" genannt; das heißt „von pharaonischer Abstammung“ und die arabische Bezeichnung „qibti“, auf Deutsch „Kopte“, leitet sich aus dem frühgriechischen Namen „aigyptios“ ab. „Ägypten ist nicht Heimat, in der wir leben, sondern es ist eine Heimat, die in uns lebt“, so charakterisierte Papst Shenouda III, bis 2012 das geistliche Oberhaupt der Kopten, ihr besonderes Verhältnis zum Land. Über die Zahl der Kopten in Ägypten gibt es keine stimmigen Angaben. Die meisten Schätzungen liegen bei ca. 10 Prozent. Zwischen den Angaben der ägyptischen Regierungs-Statistik von ca. 6 Prozent und denen des koptisch-orthodoxen Patriarchats von bis zu 20 Prozent klafft jedoch eine erhebliche Diskrepanz.
Miteinander
Zu einem entscheidenden Umbruch kam es mit der ägyptischen Unabhängigkeitsbewegung, die 1919 in einer Revolte gegen die Kolonialherrschaft mündete: Zum ersten Mal in der modernen Geschichte Ägyptens partizipierten Kopten in großer Zahl an einer nationalen Bewegung. Öffentliche politische Reden für ein freies Ägypten wurden damals sowohl von koptischen Priestern in Moscheen und muslimischen Imamen in Kirchen gehalten. Als Zeichen der nationalen Einheit wurde erstmals eine Fahne mit Kreuz und Halbmond bei Demonstrationen geschwenkt.
1922 wurde Ägypten eine konstitutionelle Monarchie. Die erste ägyptische Verfassung von 1923 garantierte die politischen Rechte von Kopten und sie erhielten grundsätzlich die bürgerliche Gleichstellung mit den Muslimen. Der gemeinsame patriotische antikoloniale Kampf und die neue Verfassung verhalfen ihnen zu einer höheren Präsenz im politischen Leben. Viele von ihnen bekleideten staatliche Ämter als Minister, Ministerpräsidenten und Parlamentspräsidenten und waren vor allem in der liberalen Wafd-Partei sehr aktiv.
Die 1952 beginnende Revolution in Ägypten galt von Anfang an als eine national-ägyptische Bewegung für alle Ägypter, die Religion spielte keine entscheidende Rolle. Jedoch heißt es in Artikel 1 der Verfassung der Arabischen Republik Ägyptens: „Der Islam ist die Religion des Staates". Gleichzeitig spricht Artikel 2 von der Gleichheit aller Bürger gemäß den Vorschriften der islamischen Gesetzgebung und Nasser betonte, dass diese Festlegung keine Unterdrückung bedeute und alle religiösen Gegensätze überwunden seien. 1953-1954 wurde der Religionsunterricht in öffentlichen Schulen für christliche Schüler Pflichtfach und am 24. Juli 1965 legte Präsident Nasser den Grundstein für die neue Markus-Kathedrale in Kairo. Später unterstützte die Regierung die missionarischen Bemühungen der koptischen Kirche in Afrika. Die Jahre 1959-1971 führten unter dem Patriarchen Kyrillos VI zu einer vollen inneren Befriedung der Kirche, zur Neugründung und Revitalisierung von Klöstern, zur Intensivierung des geistlichen Lebens in den Pfarrgemeinden, zur pastoralen Betreuung der wachsenden koptischen Diaspora.
Abgrenzung
Die Wende kam, als Anwar Al-Sadat glaubte, als Gegengewicht zu den von Gamal Abd Al-Nasser geförderten Kommunisten, reaktionären islamischen Kreisen wie den Moslembrüdern Konzessionen machen zu müssen. Seitdem haben die sogenannten Fundamentalisten sich in Fernsehen, Presse, Gewerkschaft, Schulen und Behörden festsetzen können. Ihr Ziel ist die Aufhebung der Trennung von Religion und Staat und die Errichtung eines Gottesstaates, in dem allein die Scharia herrscht – das Religionsgesetz, das, aus dem Koran und der als vorbildlichen Lebensweise (sunna) Mohammeds abgeleitet, als göttliches Recht für nicht veränderbar angesehen wird. Die Kopten sollen demzufolge nach den Fortschritten, die sie im 20. Jahrhundert erreicht hatten, in der eigenen Heimat wieder zu Menschen zweiter Klasse und der Verfolgung ausgesetzt werden.
Der Tatbestand, dass der Islam als die alleinige Staatsreligion in der Verfassung festgelegt ist und seine Gesetze als Vorschriften des Staates gelten, bestärkte nun bei den Kopten das Gefühl von Angst und den Eindruck, in der eigenen Heimat isoliert zu sein.
In den siebziger und achtziger Jahren trat neben die politische auch die religiöse Abgrenzung. Weil Anwar El-Sadat dem politischen Islam mehr Raum verschaffte, sich selbst als „muslimischer Präsident eines muslimischen Staats" verstand und sukzessiv die Islamisierung von Staat und Gesellschaft vorantrieb, änderte sich nun auch das Klima des interreligiösen Zusammenlebens. Eine sich zunehmend religiös definierende muslimische Bevölkerungsmehrheit und die Arbeitsmigration in die konservativen arabischen Golfstaaten förderten vielerorts religiös begründete antichristliche Ressentiments. Längst überholt geglaubte oder bislang in Ägypten fremde Vorstellungen von den Christen als Vertretern des Unglaubens, der Unmoral und der Verunreinigung kamen damals auf. Islamistische Terrorgruppen versuchten, ihre Vision eines islamischen Staates zu verwirklichen, indem sie eine Reihe blutiger Anschläge auf Christen und christliche Einrichtungen verübten.
Parallelwelten
Während unter Präsident Mubarak die Parole von der Gleichheit aller Ägypter hochgehalten und die Diskriminierung einer religiösen Minderheit im Land negiert wurde, zogen sich Muslime und Christen zunehmend in parallele Gesellschaften zurück. Gleichzeitig veränderten sich Hintergrund und Begleitumstände von gewaltsamen Übergriffen gegen Christen. Wurden diese früher von militanten Extremisten mit einer klaren politischen Agenda an exponierten Orten (Kirchen, Klöstern) verübt, kommen sie nun zunehmend aus der Mitte der muslimischen und christlichen Bevölkerung und entwickeln sich oft anlässlich nichtiger alltäglicher Streitigkeiten.
Bei der Revolution vom 25. Januar 2011, die mit dem Rücktritt von Mubarak endete, rückten Muslime und Christen im Kampf gegen den verhassten Diktator vorübergehend etwas zusammen. Die Fahne mit Halbmond und Kreuz, dem Symbol der nationalen Einheit von 1919, wurde wieder getragen, als Muslime Christen bei Sonntagsgottesdiensten auf dem Tahrir-Platz und umgekehrt Christen die Muslime beim Freitagsgebet schützten. Zu den Forderungen der Demonstranten zählten ein Ende der Korruption und des totalitären Staates sowie eine Lösung in Bezug auf die strukturelle Armut und die grassierende Arbeitslosigkeit. Ein wichtiger Slogan war: "Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit". Nach dem Umsturz kühlten sich die Beziehungen zwischen den Religionsgruppen jedoch schnell wieder ab. Islamistische Gruppierungen und kriminelle Banden missbrauchten das entstandene Machtvakuum und die schlechte Sicherheitslage für ihre Ziele. Auf christlicher Seite gab es viele Todesopfer zu beklagen und Übergriffe auf privates Eigentum wie Geschäftslokale sowie Kirchenzerstörungen.
Noch schlimmer wurde die Lage der Christen unter der Mursi-Regierung. Es kam zu neuen blutigen Übergriffen. Nach der Absetzung von Mursi wurden die Christen von Seiten der Muslimbrüder der Verschwörung bezichtigt und in einer Art Rachefeldzug der Islamisten flammten christenfeindliche Übergriffe in ganz Ägypten auf. Die Medien berichteten wiederholt über Zerstörungen von annährend 80 Kirchen und weiteren koptischen Einrichtungen, darunter Klöstern, Schulen und Krankenhäusern, Brandstiftungen von Häusern und Vertreibungen von Christen aus ihren Dörfern. Nach diesem Höhepunkt aufkochender antichristlicher Gewalt im August 2013 hat sich die Lage nach der Revolution vom 30. Juni 2013 und der damit verbundenen Absetzung der Mursi-Regierung für die Religionsfreiheit wieder verbessert.
Perspektiven
Präsident El-Sisi setzt ermutigende Zeichen im Hinblick auf die nationale Einheit der Muslime und Christen. Entscheidend sei die gemeinsame Staatsbürgerschaft, die unabhängig von kulturellen und religiösen Unterschieden gelte. Am Abend des 6. Januars 2015 hatte er an der Mitternachtsmesse zum koptischen Weihnachtsfest in der St.-Markus-Kathedrale in Kairo teilgenommen und dabei auch eine kurze Ansprache gehalten. Das war ein historisches Ereignis, denn in der Vergangenheit waren immer nur Vertreter des Präsidenten entsandt worden. Die größte christliche Kathedrale im Nahen Osten wurde zum Weihnachtsfest am 7. Januar 2018 durch Papst Tadrous und Präsident El Sisi in der neu gegründeten Verwaltungshauptstadt eingeweiht.
Papst Tawadros II begrüßt Präsident Abdel Fattah El Sisi bei der Einweihung der großen Kathedrale in der neuen Verwaltungshauptstadt Weihnachten 2018 © Photo Courtesy of Egypt's Presidency/ Reuters
Welche Perspektiven stellen sich für die Kopten auf dem Hintergrund der widersprüchlichen gesellschaftlichen Transformationsprozesse? Das Schicksal der koptischen Christen in Ägypten wird davon abhängen, ob die Bildung eines säkularen Staates gelingt – mit einer politischen Kultur, in deren Zentrum Bürgerrechte, Minderheitenrechte und religiöse Freiheit stehen – in einem Land, das gegen Armut, Analphabetentum und die Ausbreitung eines unversöhnlichen fundamentalistischen Islamverständnisses ankämpft.