„`id al-hubb“ – das Fest der Liebe -, nennen die Ägypter den Valentinstag, an dem sich viele Paare an den romantischen Orten der Städte treffen, um beisammen zu sein. Doch der Valentinstag provoziert innerhalb der Gesellschaft auch eine Spannung zwischen romantischen Idealen, ehelichen Vorstellungen, religiösen Interpretationen und kommerziellen Bedürfnissen.
Blumen, rote Herzen und viel Romantik
Der Valentinstag entstand im 19. Jahrhundert in den U.S.A. und Großbritannien und gewinnt seither weltweit an Beliebtheit. Auch in Ägypten wird seit den 1990er Jahren jährlich am 14. Februar der Tag der Liebe zelebriert. Zu seinem Erfolg haben nicht zuletzt romantische Bilder aus westlichen Medien beigetragen. Auch ägyptische Frauen- und Jugendmagazine veröffentlichen anlässlich des Tages eine Ausgabe mit Definitionen von Liebe und unterhaltsamen Liebesgeschichten von Persönlichkeiten aus Film und Fernsehen. In den Geschäften Kairos hängen rote Teddybären oder Herzen mit englischen und arabischen Phrasen aus, und Blumengeschäfte machen an diesem Tag einen beträchtlichen Umsatz. In Kairo spazieren Paare am Nil entlang, sitzen händehaltend auf einer der Brücken oder schlendern durch die Parks der Metropole. Die ein oder andere junge Dame trägt abgestimmt auf den Anlass ein passendes Outfit inklusive rotem Hijab.
Blumengeschäft in Kairo am Valentinstag © Anja Reich-Gehlen
Valentinstag in Ägypten oder ägyptischer Valentinstag?
Bereits 1978 wurde das „`id al-hubb al-misri“, der ägyptische Valentinstag, durch Mustafa Amin, einen Journalisten der Regierungs-Zeitschrift „Akhbar al Yaum“, eingeführt. Dieser findet jährlich am 4. November statt und unterscheidet sich vom internationalen Valentinstag. Die Liebe für Gott, für die Nation, die Familie und auch die Nachbarn soll an diesem Tag im Mittelpunkt stehen, nicht aber die romantische Paarbeziehung. Durchgesetzt hat sich der ägyptische gegenüber dem internationalen Valentinstag bis heute nicht.
Rote Rosen gelten auch in Ägypten als Zeichen romantischer Liebe © Anja Reich-Gehlen
Viele religiöse Gelehrte verurteilen den 14. Februar als schlechte Innovation, die Leidenschaft, Verlangen und Sittenlosigkeit fördert. Dies hindert jedoch viele Ägypter nicht daran, den Tag der Liebe zu feiern. `Abd al-Mu`ti al-Bayumi, ein ehemaliger Dekan für islamische Theologie der Al-Azhar-Universität, sieht jedoch keinen Grund für eine Verurteilung des Valentinstags, durch den auch eheliche Beziehungen gestärkt werden könnten. Er sieht durchaus positives Potential in ihm, zumal es im Qur’an kein Verbot für das Zelebrieren von Liebe gibt, sagt er.
Das Nilufer ist ein beliebter Treffpunkt für Paare © Roshanak Zangeneh
Liebe ist allgegenwärtig
Das Thema Liebe ist in Ägypten auch an anderen Tagen des Jahres allgegenwärtig. In Filmen, Talkshows, in der Musik und in Alltagskonversationen mit Freunden und Familie spielt sie eine bedeutsame Rolle unabhängig von Alter und sozialer Schicht. Gerade weil Liebe und Partnerschaft außerhalb der Ehe eine Herausforderung, für die meisten Ägypter gar unmöglich sind, spielen romantische Imaginationen eine weit größere Rolle als in westlichen Ländern. Körperliche Zärtlichkeiten vor und außerhalb der Ehe sind grundsätzlich für Muslime sowie auch für Kopten nicht gestattet.
Liebes-Heirat vs. Traditions-Heirat
Konzepte darüber, was genau Liebe ist, sind weltweit unterschiedlich. So wird Liebe in Ägypten meist weniger als reine leidenschaftliche Erfüllung, sondern als stetig wachsendes Fundament für eine erfolgreiche Ehe verstanden. Und diese bildet als Institution den Kern der Familie, dem zentralen Element der ägyptischen Gesellschaft.
Ist „wahre Liebe“ eine voreheliche Leidenschaft oder eine stille Beziehung, die nach der Eheschließung über die Zeit hinweg wächst? Liebe ohne Ehe können die meisten Ägypter sich nicht vorstellen, sie gehen Hand in Hand miteinander. Die Liebe wächst mit der täglichen Interaktion zwischen Ehepartnern, dem einander Kennenlernen und der gegenseitigen Zärtlichkeit füreinander. Die Liebe vor der Heirat basiere hingegen auf gegenseitiger Anziehung. Ältere Menschen verstehen die Aufregung um den Valentinstag deshalb häufig nicht. Für sie ist sowohl der Tag als auch das damit einhergehende Gerede über Liebe von oberflächlicher Natur. Tiefgehende Liebe hingegen wachse nur über viele Ehejahre hinweg, betonen sie.
Romantische Liebe und ägyptische Realität
Die Vorstellung Liebe und Ehe unabdingbar in einer romantischen Zweierbeziehung miteinander zu verbinden, bringt in der Umsetzung Schwierigkeiten mit sich, denn in der Realität können die Familien der Liebenden nicht weggedacht werden. Allein durch die hohen Kosten, die eine Heirat mit sich bringt, sind junge Paare auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. So stoßen sie gelegentlich auf ein romantisches Liebes-Aus, wenn jene ihrer Partnerwahl nicht zustimmen.
Bei der Hochzeit ist die Mitwirkung der Familien für viele Ägypter Garant für eine stabile Beziehung © Ana Weber
Die Liebes-Heirat und die Traditions-Heirat stehen einander als Konzepte gegenüber, bei denen der Hauptunterschied in der Involviertheit der Familien liegt. Diese haben ein Mitsprache- oder gar Entscheidungsrecht in der Wahl des Ehepartners. Beide müssen einander aber nicht grundsätzlich ausschließen. Auch Verliebte bekommen häufig die Zustimmung ihrer Familien, eine Ehe miteinander einzugehen, wenn die Rahmenbedingungen passen. Voreheliche Beziehungen werden jedoch, selbst wenn sie nicht körperlich sind, meist nicht geduldet.
Was wünschen sich junge Ägypter?
Als ich mich zum Mittagessen mit meiner Bekannten Mariam in einem Kairoer Café am Nil treffe, erzählt sie mir von ihrer kürzlichen Verlobung. Als ich sie frage, was in der Partnerwahl für sie wichtig sei, erklärt sie, dass er freundlich und fürsorglich sein müsse, er solle Verantwortung für sie übernehmen und sie müsse sich auf ihn verlassen können. „Und Respekt! Respekt ist wichtiger als Liebe”, fährt sie fort. „Wenn er mich respektiert, wird die Liebe mit der Zeit wachsen. Wenn wir einander respektieren, können wir alle Hindernisse gemeinsam überwinden.“ Romantische Liebe, erklärt Mariam, sei für sie lediglich ein Austausch von oberflächlichen Worten. Jemanden zu respektieren bedeutet dagegen, jemanden wahrhaftig zu lieben. „Respekt ist die Liebe, die mit der Zeit wächst.“
Eine Ehe mit einem Partner, den ihre Eltern nicht akzeptieren, käme für sie nicht in Frage. Sie vertraut ganz auf den Rat ihrer Familie. Die meisten Männer, mit denen sie bislang ausgegangen war, wurden zuvor von ihren Eltern vorgeschlagen. Einer, der ihr wirklich gefiel, war jedoch nicht dabei. ”Jetzt ist es anders, ich bin so glücklich”, erzählt sie fröhlich. „Alles fühlt sich anders an, wenn unsere Hände sich berühren.“
Mariam und ihr Verlobter treffen sich meist in der Öffentlichkeit. An den Wochenenden stehen gemeinsame Aktivitäten mit ihren Familien an, sodass die Eltern sich näher kommen können. Sie und ihr Zukünftiger sollen sich hingegen vor der Heirat noch nicht zu nahe kommen. Eine Liste von Formalitäten, die bis zur Eheschließung noch abgehakt werden müssen, steht noch an.
Auch das frisch verlobte Paar zelebriert den Valentinstag mit einem gemeinsamen Abendessen in einem neuen Restaurant nahe den Pyramiden von Gizeh. Die Eltern der beiden sind dieses Mal auch dabei, sitzen jedoch am Nebentisch.
Liebe und Romantik sind im Leben der meisten Ägypter wichtige Bestandteile. Während junge Menschen oft hoffnungsvoll der idealen romantischen Beziehung entgegenblicken, sind die Älteren oft in der Realität angekommen, in der Romantik nicht immer einen Platz findet. Der Valentinstag kann sicherlich ein Anstoß für Menschen aller Altersgruppen und sozialen Schichten sein, romantische Vorstellungen mit persönlichen Erfahrungen und intimen Beziehungen zu verbinden. Freude am gemeinsamen Zelebrieren der Liebe haben viele Ägypter auf jeden Fall.