Als die beste Ehefrau von allen mich auf den neuen Schwerpunkt von Papyrus ansprach und ob ich dazu nicht etwas schreiben möge, verfiel ich etwas der Schwermut, denn was fällt einem ehemaligen, absolut begeisterten Motorradfahrer als erstes ein, wenn er an Profile denkt? Richtig, mit diesem Thema konnten sich Motorradfahrer ganze Abende beschäftigen: Welcher Reifen, welches Profil für welche Maschine? Und dabei ist ja noch nicht einmal ansatzweise die Frage geklärt, welchen Niederquerschnittsreifen man seinem vierrädrigen Untersatz in der notwendigen motorradfreien Winterzeit angedeihen lässt.
Ich erinnere mich noch gut, welcher wilden Überlegungen es bedurfte – ich war noch Student in München und nannte eine Yamaha RD 250 mein Eigen – dieses flotte Kleinod mit den richtigen Schlappen zu bestücken. Unvergessen: vorne einen Pirelli, hinten einen Dunlop TT100, die zusammen beste Kurvenlage mit Langlebigkeit verbanden. Allerdings sind die Profile weicher Mischungen nicht eben langlebig; später hatte ich bei meiner Vierzylindermaschine den Eindruck, die Wechsel abgenudelter Reifen nach Tankintervallen zu takten. Man konnte jedenfalls mit Freunden stundenlang die Stärken und Schwächen verschiedener Reifenmarken diskutieren.
Reifensuche für Motorräder war aber in Deutschland insgesamt eine Wissenschaft für sich: Man konnte sich nicht allein den Größen widmen, denn manche Reifen hatten zwar die richtigen Zollmaße, durften aber nicht aufgezogen werden. Dass sich dabei aber dem eigenen Gefühl gemäß bessere Gummis befanden, versteht sich und ich stand mit meiner Honda in stetem Konflikt mit Polizei und TÜV, weil ich nicht den erlaubten Metzler auf dem Hinterrad aufgezogen hatte, dessen Kanten und damit Kurvenprofil beklagenswert waren. Ach ja – deutsche Vorschriften und Normen!
Das und Ähnliches gehen mir nicht selten durch den Kopf, wenn ich in Kairo im Stau stehe - ich weiß, kommt selten vor – und die zwei- und vierrädrigen Fahrzeuge unter die Lupe nehme. Dass von vier Reifen zwei das gleiche oder zumindest ein ähnliches Profil aufweisen, ist eh die Ausnahme, man kann schon froh sein, wenn sie überhaupt ein Profil haben. Manche Pneus gleichen den Slicks in der Formel 1, deren Boliden seit 2009 nach langem Verbot wieder profillose Reifen aufziehen dürfen. Neulich im Stau auf der Ring-Road stand ich neben einem LKW, dessen einziger Reifen, der noch ein gewisses Maß an Profil aufwies, an der hochgestellten Achse hing – wahrscheinlich musste er noch geschont werden. Die linke Seite konnte ich von meinem - und hier passt das Wort trefflich: „Standpunkt“ nicht in Augenschein nehmen.
„Und sie fahren doch“, geht mir dann immer durch den Kopf, erklärt aber, dass zu den florierendsten Unternehmen in und um Kairo die Reifenreparateure gehören, die auch den letzten Schlappen noch dazu bringen, wieder Luft aufzunehmen. Apropos „Luft“: 1891 hat der Franzose Michelin den Schlauch für Reifen erfunden und ich bin mir sicher, das eine oder andere Modell dieser Tage findet heute noch in Kairo Verwendung, denn schlauchlose Reifen explodieren eigentlich nicht. Dass aber plötzlich bei einem vor einem Fahrenden der Reifen mit einem Riesenknall verschwindet, habe ich schon oft erlebt.
Im Grunde sind Profile in Reifen ja auch für ein Land, in dem es so gut wie nie regnet, fast Verschwendung, denn natürlich soll das Reifenprofil nicht zuletzt dafür sorgen, dass Wasser oder gar Schnee aufgenommen bzw. verdrängt wird. Stimmt natürlich nicht ganz, denn die Profilarten sorgen auch auf trockner Straße für unterschiedlichste Bremswege. Wer will, kann sich von dieser dürren Weisheit überzeugen, wenn er die Front- und Heckpartien der Fahrzeuge anderer Verkehrsteilnehmer mal genauer unter die Lupe nimmt: Die haben dann sehr persönliche Profile! Übrigens ist auch ein sauberer Geradeauslauf von mehrspurigen Fahrzeugen nicht nur von der Spureinstellung, sondern ganz wesentlich vom (möglichst gleichen!) Profil abhängig. Wenn also auf dem „Mehwar“ ein Auto störrisch nicht auf der Spur bleiben will, ist das nicht immer dem SMS-Schreiben der am Lenkrad Sitzenden geschuldet.
Dass der Kairoer Autofahrer ein entspanntes Verhältnis zu seinen Pneus und deren Profil hat, habe ich vor allem in den Anfangsjahren erfahren (!) dürfen: Immer wieder hatte ich sorgenvoll und gestenreich andere auf völlig abgefahrene Reifen oder schlappe fast auf der Felge liegende Reifen aufmerksam gemacht. Ich erntete freundliche Blicke und „Welcome-to-Egypt“-Begrüßungen. Selbst eine Riesenblase eines Schlauchs, die sich an der Seitenflanke vorwitzig durch den Reifen geschmuggelt hatte, um die Außenwelt zu begutachten, konnte den darauf aufmerksam gemachten Lenker eines Pritschenwagens nicht aus der Ruhe bringen. Nach kurzer Inaugenscheinnahme forderte er seine Mitfahrer auf, sich in Mehrheit auf der abgewandten Seite des lädierten Reifens auf der Pritsche niederzulassen. Wie lange die Blase noch halten würde, dieser Neugierde nachzugeben habe ich durch ein beherztes Überholmanöver widerstehen können.
Inzwischen habe ich gelernt, dass die schlauen Kairener dem desolaten Profil ihrer Reifen ein Schnippchen schlagen, indem sie zumeist eine kleine transportable hydraulische Hebebühne im Kofferraum spazieren fahren. Sie wissen, warum! Ob der Ersatzreifen dann aber auch Profil hat?