Das wünscht sich ausser mir keine Ägypterin: belästigende Anrufe. Guter Kolumnenstoff, denke ich, und freue mich, wenn wieder einmal einer ins Telefon brüllt: «Here is Yousef! Youssef! What is your name?» Ich brülle zurück: «Du hast mich angerufen, du solltest meinen Namen kennen!» Und ich frage mich, ob diese Methode bei Youssef jemals zu irgendeinem Erfolg führen wird. Er scheint nicht der einzige Mann in diesem Land zu sein, der gern wild in den Äther telefoniert und hofft, da auf eine Frauenstimme zu treffen. Er brüllt unbeirrt weiter: «I’m Youssef, Youssef!» Und was passiert dann? Ich hänge auf.
Seit ich eine ägyptische Telefonnummer besitze, blinken ständig Werbe- und Informations-SMS auf meinem Handy auf, die ich erst dann halbwegs verstehe, wenn ich sie in den Google-Translator werfe. Das klingt dann zum Beispiel so: «Radiologie beweist, dass Abdullah Al-Saeed nicht durch einen Bruch des Hintermuskels verletzt wird. Fathi, Saad, Abdullah und Kwalis Spiel Uganda 2.»
Die Mobiltelefonie bietet für die Ägypter derart viel Aufregendes, dass sie ihr Handy keine Millisekunde aus der Hand legen. Nicht beim Autofahren, nicht im Kino, nicht einmal in der Oper: Irgendwo piepst und flackert stets ein kleines Display auf. So hat ein ganzes Land ständig nur eine Hand frei für anderes; und nicht selten keinen Kopf.
Meine Fitnesstrainerin schaut in ihre Facebook-App, während ich mir mit falschen Bewegungen einen Rückenmuskel zerre. Meine Ärztin nimmt Telefonate entgegen, während sie mich mit der freien Hand weiterbehandelt. Mein Arabischlehrer tippt fiepende Nachrichten an andere Schüler, während er sich mein Gestammel anhört; sein Gefummel entlockt mir diese Sprache nicht eben flüssiger von den Lippen. Ich gehe mittlerweile fest davon aus, dass Ägypter mit dem in der Hand umklammerten Handy schlafen und im Traum weiterschreiben, weitertelefonieren.
In Chalid al-Chamissis gesammelten Taxifahrt-Geschichten «Taxi» regt sich ein Fahrer über diese ägyptische Telefonitis auf. «Die Ägypter geben jedes Jahr mehr als zwanzig Milliarden Pfund fürs Telefonieren aus», sagt er: «Dieses Volk spinnt! Es hat nichts zu fressen, aber jeder läuft mit einem Handy herum und hat eine Zigarette im Mund. Eigentlich sollten Männer doch Grips haben. Aber sie geben ihr ganzes Geld für Handys und Zigaretten aus. Und dann jammern sie: «Dieses Land ist nicht so, wie es sein sollte!»
Die intensivste Telefonbelästigung ist mir von einer Frau widerfahren. Als sie zum ersten Mal anrief, war es 1 Uhr nachts. Ich war gerade eingeschlafen, erschreckt nahm ich ab. Am anderen Ende Stille. Stille und Atmen. Lange Pause. Dann eine weibliche Stimme: Mahmoud? Zehn Minuten später ruft sie wieder an. Am nächsten Tag wieder, immer wieder. Sie spricht auf Arabisch auf mich ein, ich versuche auf Englisch zu parieren, zu erklären: «Nein, ich bin nicht Mahmoud, kenne keinen Mahmoud.»
Sie schreibt SMS, immer längere SMS. Google Translate ist überfordert. Eine ägyptische Freundin übersetzt schliesslich deren neuste Nachricht: «Ich war sicher, du würdest das Telefon öffnen, sobald du angekommen bist. Also gut, Mahmoud, du bist sicher bei deiner Familie angekommen, ohne auch nur daran zu denken, mich das wissen zu lassen. Gut, du hast das so gewählt. So billig bin ich also, so wenig Würde habe ich in deinen Augen. Und all das, weil ich mein Leben dafür gäbe zu wissen, ob es dir gut geht. Verdammt sei mein Herz, das mich so tief erniedrigt.»
Ihr verdammtes Herz gibt dieser Frau tagelang keine Ruhe. Sie ist überzeugt, ihr Mahmoud schiebe mich vor. Sie denkt, ich sei seine neue Freundin. Eine Ausländerin, auch das noch! Sie schreibt und schreibt; ruft an, ruft an. Bis ich verzweifelt meine Putzfrau Hoda bitte, ihr die Situation auf Arabisch zu erklären. Die beiden Frauen telefonieren lange zusammen. Meine Nummer sei früher Mahmouds Nummer gewesen, erklärt mir danach Hoda. Er habe sie aber über sechs Monate nicht gebraucht. Da habe Vodaphone mir offenbar seine Nummer vermacht.
Die Exfreundin hat es mittlerweile begriffen, aber viele Freunde Mahmouds immer noch nicht. Einer schickt mir mit Vorliebe Gandhi-Witze. Manchmal frage ich mich, was Mahmoud für ein Mensch ist. Vielleicht ist er der einzige Ägypter, der ohne Telefon auskommt. Allerdings auf meine Kosten.
Susanna Petrin ist eine Schweizer Kulturjournalistin und lebt derzeit in Ägypten. In ihrer Kolumne „Kairos Kairo" schreibt sie über die kleinen Irritationen und das grosse Staunen im Kairoer Alltag.