Nun ist es auch in Kairo kühl, zumindest abends. Zentralheizung gibt es hier nicht, also wollte ich mir kürzlich ein warmes Bad einlassen. Aber als ich den Stöpsel in den Wannenabfluss steckte, musste ich feststellen, dass er kleiner war als die Öffnung. Seufzend stellte ich ihn zurück auf den Wannenrand. Ach.

Wir wollten einfach unbedingt diese Nilsicht. Das glänzende Wasser, die farbigen Boote, das malerische Minarett im Hintergrund, dazu ein paar Palmen und die Muezzinrufe, die vom anderen Ufer herüberdringen. Nilsicht von der Stube, vom Esszimmer, vom Schlafzimmer aus. Rheinsicht ist ja sehr nett, aber Nilsicht ist Exotik, ist Abenteuer, ist Hercule Poirot und African Queen. Wo ist der Mietvertrag, wo können wir sofort unterschreiben? Vom ersten Augenblick völlig vom Nil betört, achteten wir nicht auf die Wohnungsdetails. Wir wollten zudem auf keinen Fall kleinlich schweizerisch scheinen im grossen Ägypten.

"75 Prozent fertig sind hier das neue 100 Prozent."

Diese Nachlässigkeit rächte sich, kaum waren wir eingezogen. Bei näherem Hinsehen bröckelt der Verputz, stehen störrische Kabel hervor, kriechen Ameisen aus Spalten, gurgelt Wasser aus einem Loch im Badezimmerboden. «Achte nicht auf die ‹Finishings›», sagt eine neue Freundin aus dem Quartier. «Wir Ägypter sind nicht gut darin.» Die Finishings, die Ausführungen, damit gehen die Ägypter richtig locker um. 75 Prozent fertig sind hier das neue 100 Prozent. Im Land der Pyramiden hält man sich nicht mit Kleinigkeiten auf, sondern denkt grösstmöglich. Gerade wird in der Wüste eine neue Verwaltungshauptstadt für Millionen von Menschen aus dem Nichts gestampft. Doch wir sind nun einmal schweizerisch sozialisiert und können kaum anders, als uns pingelig bei jeder schimmligen Fuge aufzuhalten.

Kürzlich, während des grossartigen Films «Körper und Seele», als die Protagonistin mit Asperger-Syndrom die Erbsen auf ihrem Teller symmetrisch zurechtrückte, wurde mir klar, dass wir Schweizer als Nation unter dieser milden Form von Autismus leiden. Dieses Problem kennen die Ägypter nicht. Ein kleines Loch da, eine mehrere Meter tiefe ungeschützte Baugrube dort. Malesh! Pech! Unser Lift bleibt des Öfteren stecken. Malesh! Und als es letzthin zum ersten Mal regnete, schrieb mir unser Vermieter eine SMS: Er habe vergessen, uns zu sagen, dass wir bei Regen die Sonnenstoren über dem Balkon ausfahren müssen. Denn dieser Balkon, von ihm selbst innert zwei Wochen angebaut, verfüge über keinen Abfluss. Sollte es also einmal stark regnen, könnte das Gewicht des Wassers den Balkon sieben Stockwerke hinunterkrachen lassen. Malesh! Inshalla, kommt schon alles gut. Am Ende ist ja doch alles in der Hand Gottes, da kann der kleine Mensch nicht viel ausrichten.

An meine eigene Wirksamkeit glaubend, nehme ich das Badewannenproblem proaktiv an die Hand. Ich gehe in den Alphamarket, um einen passenden Stöpsel zu kaufen. Unser Arabischlehrer ist glücklicherweise wieder gesund, aber das Wort «Stöpsel» hat er uns noch nicht beigebracht. Mit Armen und Händen zeichne ich pantomimisch eine Wanne und einen kleinen Kreis in die Luft. Mehrere Male werde ich von ratlosen Verkäufern zwischen dem zweiten und dritten Stock hin- und hergeschickt. Dazwischen lade ich allerlei Fundstücke in meinen Einkaufskorb. Am Ende packt ein Angestellter wie immer alles in viele kleine Plastiksäcke. Ich bitte ihn, doch lieber einen grossen Sack zu verwenden. Murrend packt er um, die junge Kassiererin grinst. Ich schwöre mir, das nächste Mal endlich einen Jutesack mitzubringen.

Auf Recycling achtet unser Arabischlehrer. Umweltbewusst benutzt er nun die Rückseite seiner Krankenakten, um neu zu lernende Wörter für uns aufzuschreiben. «Yenaddaf: putzen. Yeheb: lieben», notiert er in roten Grossbuchstaben. Die Vorderseite desselben Blattes treibt uns später beim Wörterlernen die Schamesröte ins Gesicht. «The prostate is of normal size, shape and pattern.»

Nur das arabische Wort für «Stöpsel» hat er weiterhin nirgends notiert. Dabei brauche ich immer noch einen. Denn der Stöpsel, den ich nach langem Irren im Alphamarket gefunden habe, hat beim Umpacken den Weg in den grösseren Sack nicht gefunden. Ich dusche also weiterhin. Und versuche, den bröckelnden Mörtel auszublenden. Wenn über dem Nil die Sonne rot untergeht, gelingt das am besten. Auf der anderen Nilseite liegt das Armenviertel Imbaba. Ich sollte wirklich nicht so kleinlich sein. Mit unseren lächerlichen Löchern sind wir noch sehr gut dran.

Susanna Petrin ist eine Schweizer Kulturjournalistin und lebt derzeit in Ägypten. Für Papyrus schreibt sie über die kleinen Irritationen und das grosse Staunen im Kairoer Alltag.