Erst Stunden nach Sonnenuntergang, wenn nur noch der Mond sein fahles Licht auf die Plantagen wirft, beginnen die Jasmin-Pflücker im Nildelta mit ihrer Arbeit. In der Erntezeit von Mai bis November pflücken tausende Männer, Frauen und Kinder sieben Nächte in der Woche die Basis für einen der teuersten Düfte der Welt.
Halas taunasse Hände schnellen in den mannshohen Busch hinein, wie zwei Spechte, blitzschnell und zielsicher picken ihre Finger und beide Fäuste füllen sich in wenigen Augenblicken mit den winzigen Blüten. Konzentriert ist die 40-jährige, nichts lenkt sie ab. Zeit ist Geld, auch in dieser rabenschwarzen Nacht im Norden Ägyptens.
Und dann ergießt sich eine leuchtend-weiße Flut in den Bastkorb, den sie neben sich auf die feuchte, fruchtbare Erde gestellt hat. Neben ihr: ihre Tochter und nur einen Busch entfernt, Halas Freundin Samah. Hinter dieser pflücken Ahmed und sein Sohn Mohammed und je mehr man seinen Blick erweitert, desto klarer wird, dass das ganze, mehrere Hektar große Feld von ungezählten Erntehelfern regelrecht durchpflügt wird. Und neben diesem liegen dutzende andere Felder. Tausende Frauen, Männer und Kinder beginnen in dem Halbjahr von etwa Mai bis November ihre Nachtschicht gegen zwei Uhr in der Frühe; und was sie zusammenklauben, das ist die Basis für einen der teuersten Düfte der Welt. Ein nasenbetäubender Duft wölbt sich in Sommer- und Herbstnächten wie dieser über den Plantagen im Delta des Nil, wenn die Königin der Blumen sich in alle Winde verströmt: der Jasmin.
Pflückerin Hala mit der Ausbeute der letzten Nacht © Thomas Aders
„Sechs Monate dauert die Saison”, sagt Hala Ahmed Omar während sie emsig weiterpflückt, „an sieben Tagen die Woche. Es ist nicht einfach, immer so früh aufzustehen, aber wir müssen Opfer bringen, wenn wir Geld verdienen wollen.” Und ihre Freundin Sameh el-Badry fügt hinzu: „Wenn man konzentriert ist, schafft man deutlich mehr, als wenn man sich ablenken lässt. Jede Nacht kann die Menge, die ich pflücke, total variieren. Wenn es gut läuft, dann schaffe ich in einer Stunde ein ganzes Kilo!”
Der Jasmin vor dem Wiegen, es geht um jedes Gramm. © Thomas Aders
Warum – so fragen wir uns – muss es ausgerechnet von kurz nach Mitternacht bis zum Sonnenaufgang sein? Die Antwort: Der Jasmin blüht nachts, weil er von Motten bestäubt wird und nicht von Bienen. Und nur aus seinen geöffneten Knospen können Spezialisten das aus ihm herausfiltern, was später einmal zum Verkaufsschlager für die wichtigsten Parfumhäuser in Paris, Mailand und New York werden soll: sein Aroma, sein Duft, seine Persönlichkeit. Die Nachfrage ist gewaltig, denn – so sagen die Fachleute – ein Parfum ohne Jasmin ist schlechterdings nicht vorstellbar.
Junger Jasminpflücker © Thomas Aders
Auf kaum einer Farm dürfte man es so ernst nehmen mit der Qualität wie bei Hussein und Cherifa Fakhry. Die beiden hatten ihre eigenen Felder schon, bevor sie sich kennen lernten. Als die Chemie stimmte, schlossen sie sich geschäftlich und privat zusammen und beliefern mit ihren knapp einhundert verschiedenen Essenzen – von A wie Amberbaum bis Z wie Zitronengras – mittlerweile Kunden in 80 Ländern weltweit. Ein Traumpaar mit Edelaroma, für das auch soziale Verantwortung kein leeres Gerede ist. Cherifa hat eine eigene Schule gegründet, in der die Kinder der Pflückerinnen und Pflücker kostenlosen Nachmittagsunterricht erhalten, in Naturwissenschaften, Religion und Fremdsprachen.
Qualitätskontrolle gibt es zwar auch im gigantischen, düftegespickten Lagerhaus auf der Farm, rund 20 Kilometer von der Stadt Tanta entfernt. Die eigentliche Analyse und Selektion der Essenzen findet aber im Fakhry-Labor in Kairo statt, im Viertel Garden City. Das Geschäft erfordert Fingerspitzengefühl und den richtigen Riecher. Denn ein Kunde will immer exakt jene Qualität, die er für sein jeweiliges Produkt braucht. Ein Geranium-Öl oder eine Neroli-Essenz kann also nicht nur zu schlecht sein für ein Parfum, sondern ebenso zu gut!
Hussein und Cherifa Fakhry © Thomas Aders
Auf den Fakhry-Farmen geht es jetzt dem Jasmin an den Kragen. Alles muss schnell gehen, denn spätestens am Mittag haben sich die kostbaren Aromen verflüchtigt. Stufe eins: In riesigen Stahlfässern werden die Blüten in mehreren Lagen ausgebreitet und versinken nach dem Schließen des Deckels in flüssigem Hexan, einem kalten Lösungsmittel. Das ist absolut geruchsfrei, ideal, um darin den Duft des Jasmins zu binden. Stufe zwei: Über ein Geflecht von altersschwach aussehenden Rohren wird das Hexan in einen weiteren Behälter gepumpt und dann so lange erhitzt, bis es fast vollständig verdampft ist. Danach folgt Stufe drei: In einem Container setzen sich feine, aber schädliche Schwebstoffe ab und werden entfernt. Diese Flüssigkeit wird – Stufe vier – noch einmal erhitzt, bis es zu „Jasmin Concrete" geworden ist, eine nach der Abkühlung gelbliche, feste Masse. Die ist mittlerweile so wertvoll, dass es dreier Unterschriften bedarf, um sie auch nur zu wiegen. Schließlich wird das darin befindliche Ethanol noch einmal in einer kugelartigen Vorrichtung zur Verdunstung gebracht und abgeschöpft. „Und was dann am Boden der Kugel zurück bleibt“, sagt Aromastoff-Produzent Hussein Fakhry nicht ohne Stolz, „das ist das Endprodukt: 'Jasmin Absolut'. Der Behälter fasst fünf Kilo, das Konzentrat von 3,3 bis 3,5 Tonnen Jasmin-Blüten!“
Der Raum der 1000 Düfte. Hier werden die Essenzen gelagert. © Thomas Aders
Um es noch einmal anders zu formulieren: Mehr als 3,3 Tonnen Jasminblüten mussten Hala und ihre Kolleginnen auf den Feldern pflücken für einen Aluminiumbehälter mit fünf Kilo „Jasmin Absolut". Marktwert dieses Konzentrats des Konzentrats des Konzentrats: rund 22.000 Euro. Purer Duft.
„Unsere Arbeit ist außergewöhnlich“, sagt der gelernte Wissenschaftler Hussein Fakhry, der die Farm von seinem verstorbenen Vater geerbt hat, „sie ist verbunden mit den Wurzeln des antiken Ägypten – sowohl von der Art unserer Tätigkeit als Bauern als auch von unseren Produkten her.“ Der bärtige Vater von zwei Mädchen fügt nicht ohne Stolz hinzu: „Unsere Aromen haben einen direkten Bezug zu Kosmetik, zu Ölen, zu allem Schönen. All das reicht zurück bis zum Reich der Pharaonen und wir tragen es weiter mit dem, was wir tun.“
Ein wenig pragmatischer sieht das Pflückerin Hala Ahmed Omar, die wir in ihrem kleinen Dorf Shobra Beloula besuchen, wo sie mit ihrem Mann und ihren Kindern wohnt. Zunächst kommt das Ehepaar ins Schwärmen: „Der Jasmin versorgt uns finanziell ziemlich gut, von Mai bis November haben wir ausgesorgt!“ Im anderen blütenlosen Halbjahr jedoch müssen die Familienmitglieder Alternativen suchen. Der Vater zum Beispiel hat eine Taubenzucht, mit der sich das ganze Jahr über ein paar Pfund machen lassen. Auf die Frage, ob sie denn nicht zufrieden sei, auf der Farm jeden Tag umgeben zu sein von einem der schönsten Düfte der Welt, gibt Hala eine überraschende Antwort. „Als ich zum ersten Mal ins Delta gekommen bin“, sagt sie, „habe ich den Jasmin wirklich sehr gerne gerochen. Aber jetzt, wo ich weiß, wie anstrengend der Job ist...“, plötzlich bricht sie in schallendes Gelächter aus, „... kann ich ihn nicht mehr riechen!“