Seit dem offiziellen Beginn der Corona-Krise in Ägypten Mitte März  wuchs über Nacht die Nachfrage nach Desinfektionsmitteln und Seife ins Uferlose. Ethylalkohol  und Alkohol basierte Produkte  verschwanden von einem Tag auf den anderen  aus den Regalen der Supermärkte und Apotheken oder waren nur noch zu einem Vielfachen ihres Preise zu erhalten. Der Schwarzmarkt für Desinfektionsmittel, Sanitärartikel und Gesichtsmasken blühte.

Bei der Suche nach Alternativen stießen viele Ägypterinnen und Ägypter  in ihrem eigenen Schränken auf „555“. Das Eau de Cologne der Firma Kesma und Chabrawichi war seit 1920 über Jahrzehnte hinweg  die erfolgreichste Parfümmarke, das 4711 Ägyptens. Auch wenn es in der jüngeren Vergangenheit zunehmend durch ausländische Produkte verdrängt wurde, ist „555“ noch immer in fast jedem ägyptischen Haushalt zu finden.

Das Eau de Cologne "555" findet sich immer noch in vielen Haushalten. © Kesma und Chabrawichi

In Windeseile verbreitete sich der heiße Hinweis auf das ägyptische Originalprodukt mit 70-90% Alkoholkonzentration über Facebook und Whats App und schon bald war auch „555“ aus den Regalen in Apotheken und anderen Geschäften verschwunden. Findige Nasen entdeckten bald die speziellen Outlets der staatlichen Fabrik Kesma und Chabrawichi, z.B. in der Stadtmitte. Seitdem bilden sich vor dem kleinen Laden gegenüber der Zentralbank von Ägypten in der Kasr el Nil lange Menschenschlangen. Das Metallgitter vor dem Geschäft ist für einen schmalen Durchschlupf geöffnet, der den Zutritt von nur einer Person erlaubt. Im Geschäft stapeln sich die braunen Schachteln mit dem begehrten Eau de Cologne und andere Produkte der Parfümfabrik. Die Preise sind moderat. Hier wird die 260 ml Plastikflasche „555“ offiziell für 36 LE verkauft. Vor der Krise erhielt man sie in Apotheken noch für 18 LE.

Eine ähnliche Renaissance erlebte in Italien das Desinfektionsmittel „Amuchina“, berichtet die FAZ vom 7. März 2020. Ende der dreißiger Jahre als wirksames Mittel zur Desinfektion  gegen die damalige Tuberkulose-Epidemie auf den Markt gebracht, wurde es zuletzt durch neue globalisierte Reinigungsmittel immer mehr verdrängt, die Produktion sollte eigentlich eingestellt werden. Seit Ausbruch der Corona-Krise in Italien erfährt dieses traditionell bewährte Mittel eine ungeahnte Nachfrage, und während die Fabrik die Preise beibehält, wird es auf dem Schwarzmarkt als „transparentes Gold“ gehandelt.

In Ägypten wird „555“  wieder in sehr großen Mengen hergestellt, die Fabrik konnte flexibel reagieren. Der Engpass für Ethylalkohol war nur von kurzer Dauer, denn die staatliche Produktionsstätte in Menya hat keine Lieferschwierigkeiten für Alkohol, weil sie in der Lage sind, aus lokalem Zuckerrohranbau 154000 Liter Alkohol pro Tag zu produzieren, der zu großen Teilen in den Export geht. Weil mit Beginn der Krise  der Export aller medizinisch wichtigen Güter gestoppt wurde, steht eine große Menge guten und preiswerten ägyptischen Alkohols zur Verfügung.

Werbeplakat für 555 © Kesma und Chabrawichi

Die Marke „555“ ist eine einfache Mischung aus Limetten-Duft mit purem Ethylalkohl. Sie wurde 1920 erstmalig auf dem Hussein-Parfümmarkt von einem einfachen Kleinunternehmer aus dem Nildelta  angeboten. Hamza Chabrawichi  aus Dakkaliya  begann hier mit dem Verkauf von „555“, das zum bekanntesten und beliebtesten Eau de Cologne Ägyptens bei Frauen und Männern wurde und der Grundstein für das ägyptische Parfüm- und Kosmetikimperium Chabrawichi legte.

Bis 1950 bot Chabrawichi über 20 Parfüms an, unter ihnen Secret, May Fair and Femme Chic, die sowohl die Zeiten als auch die Globalisierung überlebt haben und bis heute bei älteren ägyptischen Ladys benutzt werden. Die Beliebtheit von triple five oder talat chamsat in allen ägyptischen Haushalten gründete sich auch auf seinen breiten Einsatzmöglichkeiten, denn nicht nur als beliebter frischer Duft wurde es geschätzt, sondern auch zur Desinfektion und als fiebersenkendes Mittel zu medizinischen Zwecken verwendet.

Die berühmte Sängerin Om Kalthoum warb für 555. © Kesma und Chabrawichi

Ein großer Verehrer und Kunde von Chabrawichi und seinen Produkten soll auch Ägyptens damaliger Präsident Abdel Nasr gewesen sein. Dennoch wurde das Unternehmen zu Beginn der 60er Jahre verstaatlicht und mit der neugegründeten staatlichen Parfüm- und Kosmetikproduktion Kesma verschmolzen. Das Unternehmen Kesma und Chabrawichi ist heute eine Tochtergesellschaft der Egyptian Sugar and Integrated Industries Company, die zur staatlichen Holding Company for food industries gehört.

Hamza Chabrawi verließ 1965 das Land für eine Behandlung in der Schweiz, kehrte aber nicht mehr nach Ägypten zurück und verstarb Ende der 60er Jahre in Beirut.

Firmengründer Hamza Chabrawichi © Kesma und Chabrawichi

Im März 2020 wirbt die Facebook-Seite von Kesma und Chabrawichi „Der neue Superheld 555 ist wieder zurück“ im Kampf gegen Corona. „Schütze dich! Schütze dein Land!“