„Hinter jeder Ecke lauern ein paar Richtungen"

(Stanislaw Jerzy Lec)

So manche Träne wurde schon vergossen, wenn Uli Huth mit seiner Frau Sonja und Familie einmal mehr von einem Hotel aus- und in das nächste einzog. Nicht als Gast, versteht sich, sondern vom Pagen über Küche, Personalbüro bis hin zur verantwortungsvollen Position des General Managers, die er sich von der Pike auf erarbeitet hat. American Dream in Egypt?

„Das fing im Kindergarten schon an…“, wirft er schmunzelnd ein. „…ich war ein Jahr im Kindergarten und dann bin ich da nicht mehr hingegangen. Ich war da irgendwie nicht richtig haltbar. Konnte mich nicht anpassen, wollte immer mehr. Es war ein katholischer Kindergarten, mit Nonnen und so. Damals war mir das alles zu organisiert und das einzige, was mich interessierte, war, ob die Damen Haare unter der Haube hatten. Sie hatten. Die Ohrfeige (das gab es damals noch) war es mir wert. Heute weiß ich, ich hätte ja einfach auch mal fragen können. Nun, und das Jahr vor der Schule lebte ich dann gewissermaßen auf der Straße.“ Ulis ersten Grundschuljahre bei seiner Lehrerin Frau Holz verliefen recht unproblematisch. Aber dann, nach der zweiten Klasse bei Herrn Siebert, holten Uli Huth die Schwierigkeiten schon wieder ein. Der neue Klassenlehrer, ein Verfechter der ganz alten Schule von Zucht und Ordnung, benutzte gar nicht selten auch einen Rohrstock – ein Bambusstöckchen – zur Unterstützung seiner Erziehung. Hatte ein Stock durch häufigen Gebrauch ausgedient und es wurde ein neuer benötigt, bekam dieser den Namen des Schülers, der ihn auch als erster zu spüren bekam. Lange Zeit hieß dieses Exemplar „Uli“.

Der erste Schulwechsel von Bad Hersfeld nach Kassel war dem Umstand geschuldet, dass Uli Huths Eltern in Kassel nach und nach eine Konditorei – Ulis Vater war Konditormeister –, ein Tanzcafè, ein Restaurant und später, ab 1977, auch noch ein Hotel betrieben. Für alle späteren Schulwechsel – es waren deren mehrere, die jedoch hier nicht alle im Einzelnen aufgeführt werden sollten – war Uli selbst verantwortlich.

Natürlich hatte er seine Eltern in deren Arbeit unterstützt, wobei ihm: „… das Tanzcafé ordentlich auf den Senkel ging…gar nich‘ so mein Stil…. Ganz so fern waren mir dann die 68er Jahre doch noch nicht.“ Immerhin blieb er aber mehrere Jahre im Betrieb seines Vaters. Lernte dort zwar alles, was man dazu wissen musste, schloss jedoch keine Ausbildung ab. Er war sich sehr sicher, dass irgendwo da draußen noch etwas anderes auf ihn wartete. Alles war offen. Im Mai 1973, inmitten der elften Klasse, verließ er die Schule. „Genau wie der Kindergarten – das war nix für mich!“ So schlug er einen seiner zahlreichen künftigen Umwege ein. Der Schlagzeuger der Liveband, in der Uli damals spielte, hatte ein Auto, aber keinen Führerschein. Bei Uli war das genau umgekehrt. Die Welt für Uli und seine Freunde war gänzlich offen und sie waren damit erst einmal ausreichend beschäftigt und ausgelastet. Zudem stand er zu seiner Überzeugung: „Schule war damals nix für mich…! Wozu muss ich Chemie lernen? Wenn ich Kopfschmerzen habe, dann gehe ich in die Apotheke und kaufe mir Aspirin. Die mach‘ ich mir nicht selber. – Geschichte… kann ich was dran ändern? Nein! dachte ich. Damals. Heute denke ich völlig anders. Aber damals?!- Hm, alles, was ich ändern konnte, habe ich angefasst, was nicht, das habe ich gelassen. Ich wollte keine Zeit verschwenden. In der heutigen Zeit hätte ich bestimmt mehr Möglichkeiten, in der Schule zu überleben, es wird doch mehr individuell gearbeitet. Wobei ich heute durchaus sagen kann, dass mich die Lehrer mochten, irgendwie stand auch der Direktor in der elften Klasse auf meiner Seite und meinte, dass Schule nicht unbedingt mein Ding wäre. Ich gab ihm recht mit den Worten: Sie wissen das, ich weiß das, wer’s nicht weiß, ist mein Vater. Der ließ sich aber irgendwann überzeugen. Und ich fand meine Nische. Als Page absolvierte ich 1973 ein Praktikum in Hannover im Intercontinental. Habe Koffer geschleppt, Spiegel geputzt, Socken für Gäste gekauft, damit sie zum Anzug passten,…all das. Auch kam im Mai 1973 relativ schnell das Angebot, eine Hotelfachmannausbildung im eigenen Haus antreten zu können – im April 1974. Wie bitte? Fast ein ganzes Jahr als Praktikant? Der Verdienst wäre nicht schlecht gewesen, aber plötzlich hatte ich Ziele vor Augen. Eine echte Ausbildung als Hotelkaufmann im Interkontinental in Frankfurt. Das war gar nicht so einfach, musste ich ja vor der Zeit kündigen. Ich bekam Hilfe. Der Generaldirektor der Intercontinental-Hotels Deutschland drückte alle Augen zu, ich bekam unbezahlten Urlaub und konnte die Ausbildung beginnen. Allerdings habe ich dies durch meinen Einsatz gedankt. Ich war immer da. Wann immer irgendwer etwas brauchte oder Not am Mann war: Ich war da. Und ich wollte was erreichen. Je größer die Herausforderung, desto mehr Freude hatte ich daran! Überstunden waren mein Hobby. Innerhalb von zwei Jahren hatte ich 1975 meinen Abschluss in der Hotellerie gemacht. Den besten des Jahrganges im übrigen. Ich blieb noch einige Zeit, wurde aber schon im April 1976 bereits als stellvertretender kaufmännischer Direktor in das Forum-Hotel nach Wiesbaden versetzt.“ Dort blieb Uli Huth ganze zehn Monate, um dann als Geschäftsführer für fast vier Jahre den elterlichen Betrieb Hotel-Restaurant Schloss Schoenfeld zu leiten.

Sonja Uli Huth in den Siebziger Jahren

Uli Huth 1971 mit Sonja

Vorher jedoch, bevor Uli seine Schulkarriere endgültig während der elften Klasse beendete, gab er 1970 bis 1972 ein zweijähriges Gastspiel in einem Internat der Jugenddorf-Christopherus-Schulen in Oberuff. Auch dort war er „irgendwie nicht tragbar“. Denn 1971, mit siebzehn Jahren, lernte er auf einem Rummel seine zukünftige Frau Sonja, damals ärztliche Assistentin, kennen. O-Ton Uli Huth: „Am selben Tag hat’s auch gleich gefunkt.

Das tut es heute noch. Leider hatte aber damals niemand Verständnis für unsere junge Liebe. Ich bin dann öfter mal ausgerissen, um Sonja zu sehen. Ein plötzlicher, erneuter Schulwechsel war unumgänglich und wurde meinem Vater mit weniger freundlichen Worten ans Herz gelegt.“ Geheiratet hat er seine Sonja im Wonnemonat Mai 1978 und Ende des Jahres kam Tochter Miriam zur Welt. Knapp zwei Jahre alt war Miriam, als sie ihre jungen Eltern über den Ozean begleitete. Stehenbleiben wollte Uli nämlich nicht. In New York, im „The Harley of New York – Helmsey Hotel“, mitten in Manhatten, arbeitete er sich durch alle Abteilungen des sogenannten „Food & Beverage Management“. Unter anderem verbrachte er eine sehr intensive Zeit auch als Koch dort in der Küche. Von der Pike auf wollte er alles wissen und interessierte sich für den noch so kleinsten Bereich. Zusätzlich belegte er noch zwei Semester lang Kurse an der Universität für Hotel Administration.

Wieder gelang ihm diese Aus- oder Weiterbildung in kurzer Zeit auf der Überholspur. Nach nur einem Jahr und neun Monaten kehrte er für ein weiteres Jahr als „Assistant Banquet Manager“ nach Frankfurt ins Intercontinental-Hotel zurück, um dann ab Juni 1983 für vier Jahre als „Food & Beverage Manager“ die Geschicke des Frankfurter Sheraton-Hotels zu leiten. Gewohnt hat die Familie allerdings in Offenbach. Die Mieten waren günstiger. Uli lacht, als er darüber spricht: „Eigentlich merkt man gar nicht, ob man in Frankfurt oder Offenbach ist. Aber für manche ist das Wohnen dort in „O“ ‘ne ziemlich große Strafe. Allein das Kennzeichen OF wird oft so übersetzt: Ostfriesland oder ohne Führerschein oder zehn Jahre unfallfrei Autofahren, dann kann man das O entfernen. Wir haben aber sehr gerne dort gelebt.“

Und dann rief 1987 der Nil. Es rief Ägypten, rief das „Heliopolis Sheraton Hotel & Towers“. Geplant waren dort im großen Stil Veränderungen im Restaurantbereich. Vielleicht ist nicht ganz klar, was dies bedeuten mag. Es werden da nicht nur neue Tische und Stühle aufgestellt, nein, die ganze Logistik wird umstrukturiert, das Personal geschult, neue Wege müssen erklärt und durchgesetzt werden. In all diesen großen Hotels oder Hotelketten handelt es sich ja nicht mehr um kleine Familienbetriebe. In der Regel sind zwischen 500 und 800 Zimmer und deren Gäste zu versorgen. Auch begnügt man sich nicht mehr mit nur einem Restaurant und/oder einer Bar. Internationale und regionale Restaurants sind gefragt und längst Standard geworden. Konferenzen, ganze Delegationen müssen entsprechend betreut und begleitet werden. Für Uli Huth galt es also, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Dreizehn Restaurants galt es umzustrukturieren – nach zwei Jahren standen zwanzig im Angebot. Eine sehr reizvolle Herausforderung der besonderen Art im neuen Land war natürlich die Geburt von Tochter Desirée im April 1989.

Herr Huth wäre auch gerne dort geblieben. Wenn da nicht wieder eine neue Herausforderung am Horizont gewinkt hätte. Eigentlich war ihm das „Cairo Marriott Hotel“ mit dem dazugehörigen „Omar Khayyam Casino“ ein wenig zu steif. Er sagt aber auch ganz ehrlich, dass das Angebot dort als „Director of Food & Beverage“ zu arbeiten, finanziell so lukrativ war, dass er es nicht ausschlagen konnte. Längst war Uli Huth kein Unbekannter mehr in seinem Metier. Auch die Lufthansa interessierte sich für sein Talent, neue Ideen umzusetzen. 

Uli, Sonja, Miriam und Desirée Huth

Bevor er zu Marriott-Hotels in Frankfurt gerufen wurde, managte er zwischendurch für sechs Monate in der LSG- Airportgastronomie eine neue Firma für Entwicklung und Management für Airportrestaurants weltweit. Während dieser Zeit wurde er sich aber bewusst, dass er seine Zukunft und seine Karriere mit Sicherheit im Hotelbereich sehen wollte.

Nun, vieles in seiner bisherigen Karriere erledigte er mal flugs innerhalb von zwei Jahren. Drei Jahre jedoch blieb er als „Director of Operations“ im Frankfurter Marriott-Hotel, um seine Dienstzeit dann ab 1995 auf vier Jahre zu steigern, um für „Marriott International CEMEA“ (Europe, Africa, Middle East and South Asia) zuständig zu sein. Ein weites Feld für Uli Huth. Seinem Ideenreichtum und seiner Kreativität waren kaum Grenzen gesetzt. An dem Aus- und Umbau und der Umstrukturierung angekaufter Hotels und der Gestaltung „echter“ Marriott-Hotels hatte er immer wieder maßgeblich Verantwortung und Anteil.

„Wer einmal Nilwasser getrunken hat, kehrt immer wieder dorthin zurück“, heißt es. Nach Jahren in Frankfurt kehren die Huths 1998 nach Kairo zurück. Und bleiben. Bleiben bis heute in einem Land, das ihnen ans Herz gewachsen ist. Das sie kennen und lieben und manchmal verfluchen. Wie wir alle. Selbst nach mehr als elf Jahren im „Cairo Marriott Hotel“ – inzwischen als General Manager, bleibt die Familie weiter in Ägypten.

Wieder zwei Jahre lang lenkt Uli Huth erfolgreich die Geschicke als „Chief Operating Officer“ – diesmal bei „JAZ Hotels, Resorts & Cruises“ und wieder wird jemand auf ihn aufmerksam: Die „Radamis Group Egypt“, die in Sharm El Sheikh und El Alamein an der Nordküste Ägyptens eine ganze Reihe an Luxushotels betreibt. Seit 2012 bis heute ist er Repräsentant dieser Kette und seit 2014 ist er zusätzlich als Generalmanager für das Rixos-Alamein-Hotel zuständig. Wie an allen vorherigen Arbeitsstätten auch lebt er seinen Mitarbeitern „das Arbeiten“ vor. Er ist sich nicht zu schade, dem Personal bei den einfachsten Arbeiten die Hand zu reichen – ihnen zu helfen. Dies ist nun keine Aussage von ihm selbst, das konnten wir immer wieder beobachten. Wir, das sind einige aus dem sich ständig verändernden Papyrusteam, Freunde, die wir in den gemeinsamen Jahren gefunden haben und auch mein Mann und ich. Es ist auffällig, wie sehr sich ehemalige Kollegen aufrichtig freuen, ihn wiederzusehen – oft in der Hoffnung, er käme wieder in „ihr“ Hotel zurück und tatsächlich auch mit Tränen in den Augen. Bei einem Besuch im Rixos-Hotel in El Alamein erlebten wir dies erneut. Das Personal lachte und scherzte herzhaft mit ihm und Sonja, war deutlich respektvoll und zeigte sich wirklich professionell ausgebildet.

Keiner mag es wirklich glauben, aber für diesen Sommer hat Uli seinen Abschied angekündigt. Uli Huth nimmt seinen Hut? Der Plan ist da, vor allem, weil Uli und Sonja im vergangenen Jahr Großeltern geworden sind und ihnen diese Rolle ausnehmend gut gefällt. Tochter Miriam mit Mann und Enkelkind leben in Zürich, in der Schweiz. Den langjährigen Vorsitz des Schulausschusses der DEO (Deutschen Evangelichen Oberschule) wird er zum Schuljahresende abgeben. Ein sehr seltsames Gefühl, hat er doch jahrelang die Geschicke der Schule mitgetragen. Und die Jahre seit dem 25. Januar 2011 waren keineswegs einfach.

Leise, aber beständig unterstützte er auch immer wieder durch seine Erfahrung, seine Kontakte und seinen persönlichen Einsatz intensiv soziale Projekte. Ob dies ein Heim für die Betreuung krebskranker Kinder und deren Familien war, um nur eines der zahlreichen Projekte zu nennen, oder den Weihnachtsbasar betraf, bei dem Sonja über all die Jahre im Organisationsteam immer wieder verschiedene wichtige Positionen übernahm. Uli sieht sich als Teamarbeiter. Sogar oder erst recht in seiner Familie. Besonders liebe Worte findet er immer wieder über „seine“ Sonja: „Sonja ist schon eine sehr spezielle Frau. Ich bin bestimmt kein einfacher Mensch. Aber sie hat immer alles mitgetragen und absolut cool gemanagt. Ohne viele Worte. Viele andere wären einfach ausgerastet. Ohne sie wäre das alles gar nicht möglich gewesen. Außerdem habe ich noch nie unseren Hochzeitstag vergessen.“

Einfach wird eine Rückkehr nach Europa nicht werden. Tochter Desirée, die ihm wohl mehr ähnelt als ihm lieb ist, sieht sich als Ägypterin und möchte in Ägypten bleiben. Wer so lange im Ausland gelebt hat, noch dazu im bunten Orient, hat so viele Facetten des Lebens gesehen. Wer immer Neues gelebt hat… – kann der sich tatsächlich nichts Neues mehr ausdenken?

Uli Huth und ich führten dieses Interview via Skype, während er seinen 86-jährigen Vater in Frankfurt besuchte. Und während dieses Gesprächs rückte er dann doch mit einigen neuen Gedanken heraus. Für den Tourismus in Ägypten hat er viel getan und viel erreicht. Leider liegt dieser momentan auf Eis, was sich auch auf der Tourismusmesse ITB in Berlin zeigte. Sein jetziger Chef, den er schon seit 27 Jahren kennt, der Eigentümer der „Radamis Group“, hätte Uli gerne weiter im Boot, um evtl. in Saudi Arabien…..

Und, nicht zu vergessen:

„Hinter jeder Ecke lauern ein paar Richtungen….“, wie Stanislaw Jerzy Lec, polnischer Lyriker und Aphoristiker, einst sagte. So bleiben alle Perspektiven offen. Egal, in welche Ecke sich Sonja und Uli Huth bewegen: Papyrus wünscht ihnen bestes Gelingen und dankt für die gemeinsamen Jahre.