Mit einigen Fotos im Gepäck lassen wir uns mit dem Taxi zur Al-Azhar-Moschee fahren, um von dort den Markt hinter der wikala al-Ghuri zu besuchen. Obwohl es erst früh am Morgen ist, sind schon Laufburschen mit Brot unterwegs, das sie auf Holzladen oder in Palmholzkisten liegend, auf dem Kopf transportieren und manchmal damit auch Fahrrad fahren.

In einer Garküche brutzeln Falafeln, die von zwei Männern zubereitet werden. Ihr Nachbar bietet Softdrinks und eingelegtes Gemüse an. Wir kommen in den Bereich des Grünmarktes und einer überdachten Markthalle.

Der Duft der Falafel lockt zum Frühstück©Andreas Morawetz/ Leone Strizik

Schon sehe ich jenen Händler, dem ich Fotos versprochen hatte. …. Der Marktstand besteht aus Holzregalen, die drei Seiten eingrenzen, und einem Dach. Jungzwiebeln, Salate, Karfiol, Kraut, Artischocken, Weinblätter und Kräuter füllen die Regale. Daneben liegen Kolokasien, große runde Wurzeln, die bis zu sechs Kilogramm schwer werden können. Roh sind sie scharf und ätzend, aber gekocht schmecken sie wie Kastanien und enthalten viel Stärke.

Gemüsehändler bietet Kolkasien an© Andreas Morawetz/ Leone Strizik

Alles was das „Gemüseherz“ begehrt, liegt hier bereit. Über manche Stände sind große schattenspendende Tücher gespannt, ihre Muster ahmen jene der Zeltmacher nach, nur dass die Stoffe hier nicht bestickt sind, sondern bedruckt. Wir entdecken einen kleinen Buchladen, der aus einem kastenartigen Gebilde besteht und mit einem Rollbalken verschlossen werden kann. Auch entlang der Mauern der Ghuria geht es mit den Marktständen weiter. Limonen, Tongefäße, eine Palmholzkiste mit reifen Tomaten und eine Garküche, setzen vor den Steinmauern farbige Akzente.

Berge von frischen Kräutern für die leckere ägyptische Küche© Andreas Morawetz/ Leone Strizik

Genau hier treffen wir Ahmed, den Arabischlehrer, der einige Jahre in Wien unterrichtete. Er bietet uns an, das Viertel südöstlich der Ghuria, das zum Al-Azhar-Bezirk gehört, mit ihm zu erforschen. Hinter dem Markt überqueren wir einen Platz, wo Schachteln und Säcke lagern, die teilweise in schwarze Plastikplanen eingewickelt sind. Ahmed erklärt, dass die Textilverkäufer diesen Bereich als Lager für ihre Waren benutzen. Ein paar Ecken weiter führt er uns zu einem Betrieb, wo Gemüse eingelegt wird. Auf den ersten Blick ist ein hallenartiger Raum mit viereckigen Pfeilern zu erkennen, der nicht sehr einladend aussieht. Fässer und Bottiche dienen der Produktion. Zwei Männer in Gummistiefeln wiegen Gemüse ab und schütten es in kleinere Kübel. Sie sind nicht erfreut über unseren Besuch und fordern uns aus Hygienegründen auf, zu gehen. Ahmed zuckt mit den Schultern, erklärt uns aber, dass eingelegtes Gemüse, turshi genannt, bei den Ägyptern sehr beliebt ist. Großteils werden rote und weiße Rüben, Karotten, Gurken, Zwiebel, aber auch Chilischoten verwendet.

Turshi - Hier werden Tonnen von Gemüse eingelegt© Andreas Morawetz/ Leone Strizik

Mir unbekannte staubige Häuserschluchten, in die wenig Sonnenlicht fällt, öffnen sich. Manche Gassen sind nur für Fußgänger geeignet, andere wiederum bieten auch Platz für Autos. Viele Fahrzeuge sind in ein großes Tuch gehüllt, um zu verhindern, dass sich der Staub in jeder Ritze breit macht. Doch nicht alle sind fahruntüchtig, manchmal mangelt es einfach nur an Geld für Treibstoff. Ich entdecke eine Freiluft-Schneiderei in einem ganz schmalen Gässchen. Zwei Männer arbeiten hier noch auf alten Tretnähmaschinen. An anderer Stelle werden Kleidungsstücke sortiert, um sie einer neuen Verwendung zuzuführen.

Gebrauchte Kleidung wird sortiert und wieder aufbereitet© Andreas Morawetz/ Leone Strizik

Die Ziegelbauten sind einige Stockwerke hoch und meistens unverputzt. Mehrere, noch nicht restaurierte historische Gebäude erheben sich dazwischen. Ein alter Mann hat sich das mächtige Portal einer madrasa als Schlafplatz auserkoren, daneben liegt ein Bündel Klee. Ein Pferdegespann durchquert eine Gasse, ein Auto kommt ihm entgegen. Wie sie es schaffen, aneinander vorbeizukommen, grenzt an ein Wunder. „Die Färber sind wichtig, die möchte ich Ihnen noch zeigen. Es ist ein altes Gewerbe, tausende Jahre alt. Kommen Sie, kommen Sie“, ruft Ahmed ungeduldig. Wir laufen hinter ihm her, denn er hat es eilig, die Universität ruft schon wieder an. Ich sehe das Bleistift-Minarett der Fakahani-Moschee und weiß jetzt, wo wir uns befinden. Noch ein paar Abzweigungen weiter und wir haben die Färberei erreicht. Gleich hinter dem Tor stehen große weiße Säcke in der dunklen Einfahrt, obenauf Garne zu einem Ballen geschnürt. Daneben, wie achtlos hingeworfen, weitere Bündel von aubergine, oliv, gelb und schwarz gefärbtem Bändchengarn. Ahmed greift nach der Farbkarte einer Textilfirma. „Sehen Sie sich das an, diese Färber hier produzieren sogar für Österreich, alles veredelte Baumwoll- und Seidengarne in vierhundert verschiedenen Farben. Ägypten ist berühmt für die beste und feinste Baumwolle weltweit“, erklärt er stolz.

Werkstatt eines Garnfärbers© Andreas Morawetz/ Leone Strizik

Ein offener rauchgeschwärzter Hof mit steinernen Arkaden, Mauerresten und Schutthalden empfängt uns. Ahmed und die hier arbeitenden Männer begrüßen einander freundschaftlich. Gemauerte Wannen mit blauen Farblaugen, auf Ziegeln stehende Badewannen, aber auch Fässer, Eisengestelle, Wasserschläuche und Kübel mit Farbpigmenten gehören zu den Arbeitsutensilien. Weiße Garne werden gerade von einem Mitarbeiter aus dem Wasser genommen, ausgewrungen und vorerst am Wannenrand abgelegt. Dampf steigt auf, am Boden fließt rotes, blaues und gelbes Wasser zwischen den Steinen. Ich fühle mich wie in einer Alchemistenküche. Auf den Arkaden ist ein anderer Mitarbeiter damit beschäftigt, vierfarbige Garnstränge auf einfachen Holzstangen, die auf zwei Ölfässern liegen, zum Trocknen aufzuhängen. Dahinter erhebt sich ein Gerüst, an dem schon weiße, braune und gelbe Garne hängen.

Garnbündel hängen zum Trocknen aus© Andreas Morawetz/ Leone Strizik

Die manuelle Färbung von Garnen, Wolle und Textilien hat eine lange Tradition in Ägypten. Die ältesten Funde von gefärbtem Leinen stammen aus der 6. Dynastie des Alten Reiches, sind also 4.300 Jahre alt. Sie wurden in den Pyramiden von Pepi I. und Merenre gefunden. Auch damals verwendeten die Menschen Naturpigmente zum Färben. Einige Jahrhunderte jünger ist der Wollfund bei der Pyramide von Sesostris II. aus dem Mittleren Reich in Illahun. Die Untersuchungen ergaben, dass die rote Wolle durch Krappfärbung auf Alaun-Beize entstand und die blaue Wolle mit der Indigofera-Pflanze gefärbt wurde. Vier rote Leinentücher sind ebenfalls aus dieser Zeit bekannt, die mit Salflor oder der Färberdistel gefärbt wurden. Bei gelb-bräunlichen Stoffen konnte gerbsaures Eisen auf dem Gewebe festgestellt werden. Als Gerbstofflieferanten nahmen die Alten Ägypter wahrscheinlich Akazienhülsen, die noch heute in der Ledergerberei Verwendung finden. Für ihr Entgegenkommen geben wir den Handwerkern bakshish, rufen noch shoukran und masalama und folgen Ahmed im Laufschritt. Über die Schulter ruft er uns zu, dass es nur noch wenige Färbereien in Kairo gibt.

Ich zeige Ahmed einige Fotos vom „Holzkästchenmacher“, der hier irgendwo seine Werkstatt haben muss. Natürlich kennt er ihn. Es dauert auch nicht lange und wir stehen vor einer kleinen Werkstatt, wo der Spezialist für Einlegearbeiten seinem Handwerk nachgeht. Es stimmt nicht ganz, denn in dem kleinen Raum sitzt nun ein anderer Mann. Wir erfahren, dass vor einigen Jahren noch der ältere Bruder dieses Handwerk ausführte und dass dieser jetzt beim Militär ist. Nichtsdestotrotz möchte ich ihn fotografisch festhalten. Ahmed strahlt, seine Zähne blitzen. In der einen Hand hält er das alte Foto, die andere legt er um die Schultern des Handwerkers. Umgeben von alten und neuen Kästchen, Tischen, Döschen, Tabletts und vielem mehr führt der Bruder nun das Handwerk aus. Winzige Stückchen aus Rinderhorn, Perlmutt, Elfenbein und eher seltener Kamelknochen klebt er auf das vor ihm stehende Werkstück. Das wunderschön geschnitzte Beistelltischchen mit gedrechselten Beinen ist schon zur Hälfte fertig und wird seinen Weg nach Europa oder in die Wohnung eines wohlhabenden Ägypters finden. Zunehmend interessieren sich auch Ägypter für die alte Handwerkskunst.

Mit großem Geschick werden Plättchen zu traditionellen Mustern zusammengesetzt und geleimt© Andreas Morawetz/ Leone Strizik

Schon lange ist das Land am Nil für seine Einlegearbeiten bekannt, die ältesten Werkstücke sind 4.000 Jahre alt. Der Stern ist ein sehr beliebtes Motiv, da er ein Zeichen für die Güte und Allmacht Allahs ist, der die Gestirne an das Firmament gesetzt hat, um die Menschen durch die Finsternis zu geleiten. Die Perlmuttstückchen stammen heute ausschließlich von Gastropoden (Schnecken) der Familie der Seeohren und werden aus Australien, Japan und dem Oman importiert. Die zu dekorierenden Objekte werden aus Altholz hergestellt, da wie schon zur Zeit der Pharaonen Holz Mangelware ist. Eine extrem staubige und gesundheitsschädigende Angelegenheit für die Handwerker und ihre mitarbeitenden Kinder ist das Abschleifen der Werkstücke. Perlmuttimitate aus Acryl und vorgefertigte Plättchen oder Streifen finden ebenfalls Verwendung. Händler verkaufen diese Kunststoffintarsien oftmals als hochwertige Handarbeit an die Touristen, die den Unterschied nicht erkennen. Dass Erfreuliche aber ist, dass es immer noch Handwerker gibt, die die alten Traditionen aufrechterhalten.

Tischler fertigt eine Tür mit traditionellen Ornamenten© Andreas Morawetz/ Leone Strizik

In der Nähe dieser Werkstätten befinden sich meist Tischlereien und Drechslereien. Einmal beobachtete ich drei junge Männer beim Abschleifen von zwei Platten, die auf Holzböcken lagen, die auf der Straße standen. Deutlich war ein geometrisches Muster zu erkennen, das jedoch noch weiterer Arbeitsschritte bedurfte. Begonnen wird mit einem Rahmen, der die Struktur für eine Tür, Verkleidung für einen minbar oder anderer Objekte bildet, der auf Sperrholzplatten befestigt wird. Dadurch entsteht eine Vertiefung, in die je nach Muster schmale Leisten aus unterschiedlichen Hölzern genagelt werden, bis die Fläche ausgefüllt ist. Zur Zeit der Mamluken wurde noch mit der Nut und Feder-Technik gearbeitet.

Zurück auf der al-Mu‘izz-Straße südlich der Ghuria finden wir uns unter Unmengen von Textilien jeder Art wieder. Von Steppdecken und Handtüchern bis zur Kinderbekleidung, von Unterwäsche, Negligees, Bauchtanz-Ensembles, Galabiyas, Schals, Tüchern bis zu Schuhen kann alles erworben werden. Ein unglaublich buntes Bild entsteht, da die Händler ihre Waren auf Puppen oder Stangen präsentieren, die in die Straße hineinragen.

Auf dem beliebten Markt herrscht immer Gedränge© Andreas Morawetz/ Leone Strizik

Ob wir zurück zur Ghuria blicken oder nach vorne zum sabil kuttab von Tusun Pascha und den Minaretten der al-Mu‘ayyad-Moschee, es wimmelt von Menschen. Frauen mit Kopftüchern, Mütter mit Kindern, junge Mädchen ohne hijab und Männer mit langärmeligen Pullovern und Lederjacken prägen das Straßenbild. Zwischen all den Menschen verschafft sich ein Brotausträger Platz, bestrebt, ja nichts zu verlieren.

Tarbusche werden in Form gepresst© Andreas Morawetz/ Leone Strizik

Auf eine Produktionsstätte der besonderen Art treffen wir als nächstes, sie gehört dem Tarbusch- oder Fezmacher. Er ist als einziger von früher zwanzig Betrieben übriggeblieben. Auf einem Sessel in der Frühlingssonne sitzend, näht er die schwarzen Quasten an die Tarbusche, wie die Feze in Ägypten genannt werden. Ein schwerer langer Tisch steht an der rechten Innenwand des schmalen Geschäftes, obenauf Pressen und verschiedene gusseiserne Hut-Formen. Der Meister zeigt uns die stabile Stroheinlage aus Dattelpalmfaser, die dem Filz Halt gibt. Er stülpt sie über eine der Formen und gibt den Filzrohling darüber, anschließend wird gepresst und bedampft, bis er mit dem Ergebnis zufrieden ist. Im rückwärtigen Teil des Raumes befinden sich schöne Holzvitrinen mit schon fertigen Kopfbedeckungen.

Der letzte Tarbuschmacher in Kairo in seiner Werkstatt© Andreas Morawetz/ Leone Strizik

In Ägypten tragen heute nur noch religiöse Würdenträger und Koranschüler den Tarbusch. Angeblich erfand ein geschickter Handwerker der Stadt Fez in Marokko um diese neue Kopfbedeckung, die bald von Schülern einer bestimmten Schule getragen wurde, denen man hohe Intelligenz zuschrieb. Allerdings gibt es Überlieferungen über eine ähnliche Kopfbedeckung, die schon im punischen Karthago getragen wurde. 1826 hatte der türkische Sultan Mahmud II. die Idee, die offizielle Traditionskleidung der Reichsbediensteten zu reformieren. Da soeben eine Schiffsladung Feze aus Tunesien angekommen war, wählte er die kegelförmigen Gebilde mit den schwarzen Quasten dafür aus. Der Fez als Kopfbedeckung sowie enge Hosen nach westeuropäischem Muster wurden für Staatsbedienstete nun vorgeschrieben. Die türkische Herrschaft über Ägypten war es auch, die den Fez ins Land am Nil brachte. Er wurde sogar in Europa während der Zeit des Biedermeier getragen, als er zu einem Symbol für Gemütlichkeit und einen speziellen Lebensstil geworden war. Nur wenige wissen, dass sich in Wien und Umgebung einst die weltweit größte Produktion von Fezen befand. Im Militär der kaiserlichen und königlichen Monarchie gab es eine halbe Million Muslime, die eine eigene Uniform mit Fez trugen. Pro Jahr wurden sechs Millionen Stück von dieser Kopfbedeckung produziert und exportiert. Den Niedergang der Produktion in Österreich besiegelte 1925 Atatürk, als er das Tragen des Fezes und aller anderen orientalischen Kopfbedeckungen in der Türkei verbot.

Der Text ist ein Auszug aus „Das Wunder Kairo. Geschichten aus der Mutter aller Städte" von Leone Strizik. Erschienen bei BoD – Books on Demand, Norderstedt 2018

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