Mythischer Ursprung der Oud

Der Erste, der eine Oud baute, war Lamech, der Sohn Kains. Auch er hatte einen Sohn, der im Alter von fünf Jahren starb. In seiner großen Trauer konnte sich Lamech nicht vom Anblick des Kindes trennen. Der Legende nach soll er den Leichnam an einen Baum gehängt und gewartet haben, bis das Fleisch von den Knochen fiel und nur noch ein Bein übrig war. Dieser Anblick inspirierte ihn dazu, ein Stück Holz zu nehmen, es in mehrere dünne Teile aufzuspalten und sie zu einem Klangkörper zusammenzufügen. Nachdem er die Saiten aufgezogen hatte, begann er darauf zu spielen und zu singen. Lamech weinte und klagte solange, bis er blind wurde. Weil das Instrument ganz aus Holz war, nannte er es „al-oud“, das Holz.

Der Ursprung der Oud ist nicht ganz geklärt. Die oben beschriebene Geschichte klingt sehr makaber, daher ist jene glaubwürdiger, nach der sie von einem Instrument aus der Mitte des 3. Jahrtausends vor Christus aus dem heutigen Irak abstammt. Ägyptische Oud-Hersteller berufen sich allerdings auf ihre Entstehung im Neuen Reich ab 1580 vor Christus, das als Hochblüte in der langen Geschichte des Alten Ägypten gilt. Ende des 7. Jahrhunderts ist die Oud in Mekka und Medina nachweisbar, von wo sie in andere arabisch-islamische Länder kam. Den Weg nach Mitteleuropa nahm sie über Spanien und Byzanz durch zurückkehrende Kreuzfahrer. Troubadoure entdeckten das Instrument für sich und begleiteten damit ihren Gesang. Die Namen, die dem Instrument in mehreren europäischen Sprachen gegeben wurden, wie Laute, laud, luth oder lute, lassen sich alle auf die arabische Bezeichnung „al-Oud“ zurückführen.

Eine Oud-Werkstatt in Kairo © Leone Strizik

Die heilenden Kräfte der Oud

Mittelalterliche islamische Gelehrte wie Muhammad al-Farabi, einer der maßgeblichen Begründer der Musiktherapie und heutigen Medizin im Allgemeinen, sah die Ursprünge der Oud in der griechischen Kultur. Im 10. Jahrhundert beschrieb der Gelehrte das Instrument in einem musiktheoretischen Traktat. Dabei analysierte er auch die harmonischen Zusammenhänge und den Einfluss der Musik auf die Seele, den er nach Denis Mete in seinen Ausführungen „Musiktherapie“ auf folgende Weise zum Ausdruck brachte: „Wenn der Körper krank ist, ist die Seele des Menschen geschwächt. Durch die Stärkung der Seele vermag der Körper wieder zu Kräften zu gelangen. Mittels der Schwingungen dieser Musik wird die Seele gestärkt und in ein rechtes Verhältnis zum Körper gesetzt.“

Auch heute ist bekannt, dass die Klänge der Oud über heilende Kräfte verfügen. Musiker, Heiler und religiöse Gruppen sprechen von ihrer Fähigkeit zu beruhigen und die Herzen der Menschen zu beleben. Nach Denis Mete leitet sich die Maqam-Musiktherapie von der griechischen Harmonielehre ab und wurde durch arabische Gelehrsamkeit und persische Kunstfertigkeit übermittelt. Gemeinsam mit der schamanistischen Spielweise der Türken erlangte sie im Schmelztiegel von Khorasan einen Höhepunkt. Diese Musik wurde in der osmanischen Epoche bis ins 19. Jahrhundert weiterentwickelt, vergessen wurde sie erst im 20. Jahrhundert. Erst durch Dr. Oruç Güvenç aus Istanbul habe die altorientalische Musiktherapie in den 1970er-Jahren eine Renaissance erfahren. Seine musikalischen Fähigkeiten, seine Feldstudien in Anatolien und Zentralasien, sowie die Kenntnis musiktheoretischer Schriften hätten die Makam-Musiktherapie zu neuem Leben erweckt. „Indem er Kunst, Wissenschaft und Spiritualität vereinte, erstand diese Therapieform neu.“

Oud-Macher in Kairo © Wikipedia Commons

Die Oud im heutigen Ägypten

Christian, ein guter Freund, nebenbei noch Tischler, Musiker und Bandmitglied, begleitete uns vor einigen Jahren nach Ägypten. Geplant waren mehrere Tage in Kairo und eine Kameltour durch die Weiße Wüste. Als Gitarrist lockte ihn die Oud, die er unbedingt erstehen wollte. Die Muhammad-Ali-Straße anzupeilen war ein Tipp von unserem Freund Saad, denn hier sollte es die meisten Geschäfte für Instrumente geben, aber auch Werkstätten von Oud-Herstellern. „Das Geschäft mit der Oud ist am Absteigen, eine gute Oud können sich die wenigsten leisten und die Touristen kaufen nur die billigste Ware. Früher wurde sie auch viel mehr von Privatpersonen geschätzt. Viele wollten dieses wundervolle traditionelle Instrument bei sich zu Hause haben und manche lernten auch darauf zu spielen“, erzählte Saad. Was eine orientalische Laute können muss, wie sie beschaffen sein muss und wie man eine schlechte von einer guten unterscheidet, davon hatten wir keine Ahnung. Zuerst beobachteten wir zwei Instrumentenbauer, von denen der eine am Korpus einer Oud arbeitete und der andere die Saiten spannte. Holzteile, halbfertige Korpusse und schön polierte Instrumente lagen in der Werkstatt, an die noch ein kleines Geschäft angeschlossen war. Christian steuerte direkt darauf zu, begann zu gustieren, nahm einmal diese, dann wieder jene und versuchte zu spielen. Sehr schnell merkte er, dass eine Oud ganz etwas anderes ist als eine Gitarre. Doch er erlag der Versuchung und kaufte, doch die Qualität war leider nicht so wie erwartet. Dies bewog mich zu recherchieren und ich fand tatsächlich einen Artikel in der al-Ahram Zeitung über Fathi Amin, einen der wenigen noch verbliebenen Meister des Oudbaus. Da war zu lesen, dass er auf engstem Raum in der Nähe des Sayyida-Aisha-Platzes in einem Gewirr von schmalen Gassen neben einem Friedhof arbeitet. Selbst der einheimische Reporter hatte Schwierigkeiten, die Werkstatt zu finden. Er war schon mehrere Male daran vorbei gelaufen, ohne sie zu entdecken. Wenn ihm nicht eine Frau schließlich den Tipp gegeben hätte, dass er sich nur umzudrehen braucht, hätte er aufgegeben. Fathi Amin sagt, dass er für eine Oud in höchster Qualität ein halbes Jahr benötigt. So ein besonderes Instrument kostet dann auch bis zu 15.000 ägyptische Pfund (720 Euro). Im Hinblick auf den Zeitaufwand ist das immer noch ein Geschenk. Fathi Amin ist überzeugt, dass die Seele des Handwerkers im Zentrum der Oud einen Abdruck hinterlässt. Dieser entsteht aus der Energie, mit der das Werkstück gefertigt wurde, die sich auf den Spieler und die Zuhörer überträgt.

Der Text ist ein Auszug aus „Das Wunder Kairo. Geschichten aus der Mutter aller Städte" von Leone Strizik. Erschienen bei BoD – Books on Demand, Norderstedt 2018