Momentaufnahme einer Krise

Anfang April: Nichts ist wie es war. Kairo kommt zur Ruhe. Kairo atmet wieder. Kein Stau, kaum Verkehr. Viele, viele leere Taxis schleichen über die Highways. Seit Läden und Restaurants nun wochenends geschlossen bleiben, hat sich der Puls dieser tosenden, lärmenden Stadt beruhigt.

Der Smog verzieht sich. Blauer Himmel. Der Blick auf die Pyramiden von Gizeh ist in diesen Tagen so klar wie seit Jahrzehnten nicht. Die Luft ist mild und frisch, wenn nicht gerade die für diese Jahreszeit üblichen Sandstürme durch die Stadt fegen.

In den Wohnvierteln kehrt jetzt abends Stille ein, denn Ende März wurde eine nächtliche Ausgangssperre verordnet. So schweigt die laute Stadt. Der Sound der City fehlt und wir Europäer sind glücklich und verstört zugleich darüber. Die in Kairo so wichtigen Sportclubs - alle geschlossen. Diese Hotspots für Sport und Bewegung vermissen wir alle besonders.

Was aber für viele Ägypter sehr bitter ist: Die Moscheen sind schon seit letzter Woche leer, es muss zu Hause gebetet werden. Insbesondere für viele alte Menschen ist es schmerzlich, wenn für sie ein wichtiger Ort der Begegnung und des Beisammenseins jetzt fehlt. Auch die Kirchen, wichtige Orte der sozialen Kommunikation, sind nachgezogen, Gottesdienste und andere Gemeindeveranstaltungen abgesagt.

Die Schulen und Unis sind seit zwei Wochen geschlossen und sollen es - so der neueste Beschluss - bis zum 15. April bleiben. Mindestens. Die arabische Schulabschlussprüfung? Auch abgesagt.

Das analoge Leben hat Pause. Alles geschieht jetzt online: chatten, zoomen, posten, skypen, streamen, gamen, zocken. Das Internet ist laut geworden - und langsam.

Warum das alles? Hat nicht Ägypten „nur“ 1200 Corona-Infizierte? 78 Tote sind zu beklagen, darunter zwei hochrangige Militärs. Ein Hundert-Millionen-Volk wappnet sich für die Pandemie? Wie soll das gehen? Mit einem bescheidenen Gesundheitssystem, das nicht einmal im Alltag die Menschen halbwegs versorgen kann?

Viele Ägypter vertrauen dem starken Mann des Staates. Präsident El Sisi will dem Land und der Welt zeigen, dass er Herr der Lage ist. Dass er handelt. „El Sisi lügt nicht“, versicherte eine Nonne kürzlich, als wieder einmal Zweifel an den niedrigen Covid-Zahlen laut wurden. Viele Kopten scheinen ihm, ihrem Schutzheiligen, blind zu glauben.

Die weniger Gläubigen hadern, zweifeln, fürchten sich. Wer es aber wagt, an den offiziellen Zahlen zu rütteln, wie vorletzte Woche die britische Guardian-Journalistin, wird des Landes verwiesen. Sie hatte Anfang März eine kanadische Studie zitiert, die von bis zu 19.000 Infizierten in Ägypten ausging. Sofort folgten offizielle Dementis. In Zeiten der Krise werden Regierungen nervöser.

Auch die Wirtschaft schlägt Alarm. Einer der Meinungsführer, Naguib Sawiris, warnt in einem Interview vor einer Verlängerung der nächtlichen Ausgangssperre. Es werde zu Lohnkürzungen und Entlassungen kommen. Der Druck auf die Währung steigt, Währungsreserven werden knapper. Wer Geld auf dem Konto hat, hebt es ab. Seit dieser Woche gelten erste Beschränkungen: 10.000 LE, etwa 550 Euro, dürfen jetzt pro Tag noch abgehoben werden. An Bankautomaten nur die Hälfte. Der Ruf nach IWF-Hilfe wird laut.

Geschlossene Geschäft, leere Straßen. Am Wochenende kehrt ungewohnte Ruhe ein. © Ana Weber

Trotz aller staatlichen Beteuerungen: Zweifel, Furcht und Angst begleiten die Menschen in Ägypten. Schon nach dem ersten stillen Wochenende steigt die Not. Der Puls der Stadt pocht leise, zu leise, um die Menschen zu versorgen. Das Treiben auf den Straßen, das Taxifahrern, Teeverkäufern, Schuhputzern, den Büglern, Blumenhändlern, Falafelbäckern ein bescheidenes Auskommen sichert, halbiert sich gerade - im günstigsten Falle. Viele haben gar kein Einkommen mehr.

Putzfrauen dürfen nicht mehr in die Häuser, Friseure müssen schließen, Schischa-Bars bleiben geschlossen. Kairo kauert.

Das öffentliche Leben hat Pause und die Abende sind autofrei – zur Freude der Katzen. © Ana Weber

Wer es sich leisten kann, zieht sich vorerst zurück, arbeitet von zu Hause aus. Mamdouh, der Arabisch-Dozent, unterrichtet nur noch online. In den letzten sieben Tagen war er nur einmal draußen. Zum Einkaufen. Danach hat er Eingekauftes umgepackt, Taschen und Schuhe desinfiziert, um keine Viren ins Haus zu schleppen. Julia, die pensionierte Lehrerin, verbringt viel Zeit in ihrem Garten, freut sich an der Orangenblüte und ist traurig über die Trennung von Kindern und Enkelkindern. Roshi, die iranische Fotografin, bleibt mit ihrem Sohn im Fayoum. Nadia, die deutsch-ägyptische Lehrerin, verschanzt sich in ihrer Stadtwohnung und korrigiert. Mena, die Architektur-Dozentin, bietet Zoom-Exkursionen an. Strenger Rückzug, auf Nummer Sicher gehen, für den Fall, dass die offiziellen Verlautbarungen nicht stimmen.

Und die vielen tausend Europäer im Land? Die Lehrerinnen und Lehrer, die GIZler, die Hochschuldozenten, die Vertreter von deutschen und internationalen Unternehmen? Sie gehen in Deckung, arbeiten im Homeoffice, so gut es eben geht. Checken die Sicherheitslage. Wissen aber auch, dass in den staatlichen Hospitälern sich die Ärzte beschwert haben, weil das Klinikpersonal nicht auf das Covid-Virus getestet wird. Von infizierten Krankenschwestern wird getwittert. Von strengeren Ausgangsbeschränkungen auch.

Kein Fußball, kein Fitness, kein Garnichts. Auch die Sportclubs haben seit Ende März geschlossen. © Ana Weber

Das Auswärtige Amt hat die Krisenstufe 2a ausgegeben. Viele Familienmitglieder und mögliche Risikopatienten haben das Land kurz vor der Flughafenschließung verlassen. Eine weitere Maschine mit „Rückreisewilligen“ ist Anfang April nach Deutschland geflogen. Was nun folgt?

Banges Harren.