Ramadan, der heilige Monat aller Muslime, gehört dem Fasten und stärkt die Gemeinschaft der Gläubigen: Sie rücken näher zusammen. 2020 prallt Corona auf Ramadan! Und verlangt bis dato Unvorstellbares von Millionen Gläubigen Ägyptens – Verzicht auf soziale Nähe.
Statt sozialem Mit- und Beieinander ist Distanz gefordert. Statt Gastfreundschaft und Großzügigkeit gegenüber Hilfsbedürftigen beherrschen Ausgangssperre und Kontaktverbot den islamischen Fastenmonat.
Seitdem die Fatimiden im 10. Jahrhundert die Azhar-Universität und das neue islamische Kairo gründeten, bildeten sich gemeinschaftliche Ramadan-Rituale heraus. Bräuche und Geist dieser Zeit prägen bis heute das Gesicht des Fastenmonats in Ägypten.
Gemeinsames Iftar - riskant und gefährlich
Dazu gehören nicht nur mit Girlanden und Laternen festlich geschmückte Straßen. Viele Ägypter treffen sich normalerweise im Ramadan mit der größeren Familie aus nah und fern, versammeln die Generationen zum gemeinsamen Iftar. Auch im Freundes- und Kollegenkreis und für Geschäftspartner zählen Einladungen zum Iftar zu den wichtigsten gesellschaftlichen Events des Jahres. Im Ramadan 2020 gilt das gemeinsame Mahl als riskant, gar gefährlich.
Auch das Zuhur, die nächtliche Mahlzeit vor dem Fastenbeginn, erfreute sich in jüngerer Zeit wachsender Beliebtheit als soziales Ereignis im Kreis der Familie und mit Freunden. Traditionell wird diese letzte Mahlzeit nach dem Ruf des Masaharati – dem Aufwecker - zu Hause eingenommen. Trommelnd geht er durch die Straßen mit seinem lauten Ruf:„ Wacht auf! Damit ihr im gesegneten Ramadan noch etwas essen und trinken könnt!“ Erst wenn im Morgengrauen der Muezzin zum Feghr, dem Frühgebet, ruft, beginnt wieder das strikte Fasten. Die nächtliche Ausgangssperre lässt in diesem Jahr kaum Spielraum für das gemeinsame Ritual.
Leere Straßen statt quirligen Lebens © Ana Weber
Die zur Eindämmung der Pandemie erlassene Ausgangssperre, das angemahnte social distancing, die Schließungen von Restaurants und Cafés und das Verbot von Ramadanzelten sind herbe Einschnitte und fordern Verzicht. Die sonst im Ramadan allerorten üblichen Konzerte und kulturellen Veranstaltungen werden allenfalls online übertragen. Gemeinsame Café-Besuche nach dem Iftar, für viele Ägypter eigentlich ein Muss, sind schlicht unmöglich. Durch die Stadt bummeln bis spät in die Nacht, was traditionell zum Ramadan gehört wie seine Laternen, ist dieses Jahr verboten. All das verändert den festlichen Charakter der Fastenzeit deutlich.
Armenspeisung mit Sicherheitsabstand
Ein weiteres Opfer des Corona-Virus sind die Ramadantafeln. Während der Fastenzeit stehen normalerweise lange Tische und Bänke auf den Bürgersteigen oder in eigens aufgestellten Zelten in Höfen und auf leerstehenden Grundstücken. Zum Fastenbrechen versammeln sich an diesen Tischen Passanten von der Straße - Arbeiter, Bettler, Händler - oder Nachbarn zum gemeinsamen Mahl. Die Mahlzeiten werden von Privatleuten finanziert und organisiert. Alle Jahre wieder sammeln Menschen ehrenamtlich Spenden und bereiten die Speisen vor. Diese Armenspeisungen sind vielen ein Anliegen als Hilfe für Bedürftige, aber auch als Zeichen des Zusammenhalts. Die Ramadantafeln sind in diesem Jahr jedoch verboten. Wegen der Corona-Epidemie werden als Alternative zu dem gemeinsamen Mahl schon Stunden vor dem Iftar Essenspakete verteilt, die später jeder für sich verzehrt, oder Kartons mit Nahrungsmitteln gespendet.
Einzelne Jugendliche vertreiben sich die Zeit vor dem Iftar © Frank Sauer
Auch für die Kinder in den Waisenhäusern Kairos gibt es in diesem Ramadan kein Iftar mit Spendern, so Hanna Hartmann, Leiterin des Sozialkomitees an der DEO. „Normalerweise laden wir die Kinder und Jugendlichen aus unseren Kinderheimen und Waisenhäusern zu einem gemeinsamen Iftar ein oder wir packen Taschen, die wir ihnen persönlich übergeben. In diesem Jahr müssen die Schülerinnen und Schüler zu Hause bleiben, so dass dieses jährliche Zusammensein leider entfällt.“ Statt einer Einladung zum gemeinsamen Iftar gibt es Gutscheine aus den staatlichen Lebensmittelgeschäften, mit denen sich die Heime bei einer Zweigstelle Nahrungsmittel holen können.
Spiritualität im Ramadan versus Angst vor Corona
Nicht nur auf soziale und kulturelle Rituale muss verzichtet werden, vor allem der spirituelle Charakter des Ramadans leidet, Regierungen erlassen mit Rückhalt durch die religiösen Institutionen Corona bedingte Einschnitte in das religiöse Leben, die sich bisher kein Gläubiger hätte vorstellen können.
Die Sultan-Hassan-Moschee © Christoph Scholz
Schon vor Beginn der Fastenzeit, seit März 2020, waren in ganz Ägypten alle größeren Versammlungen untersagt, auch Moscheen wurden geschlossen, das gemeinsame Freitagsgebet verboten. Im Ramadan kann das traditionelle Taraweeh, das gemeinschaftliche Ritualgebet der Gläubigen an den Abenden im Ramadan, in den Gotteshäusern nicht mehr abgehalten werden; explizit wurden auch entsprechende Zusammenkünfte auf Dächern oder in Zelten untersagt. Schließlich wurden die Gläubigen gegen Ende des Fastenmonats angewiesen, das Festgebet mit Begleitung durch Lautsprecher aus den Moscheen zu Hause zu verrichten. Das einleitende Ritual für das große Festgebet wurde kurzerhand gestrichen. Ein Schlag für die Gemeinschaft der Gläubigen, die ihre Stärke durch das Gruppenerlebnis, das enge Zusammenstehen während der öffentlichen Gebete bezieht. Besonders moderaten Muslimen, die im Ramadan eine stärkere Intensität ihrer religiösen Gefühle erleben und sich in dieser besonderen Zeit zu ihrem Glauben bekennen möchten, fehle gegenwärtig die spirituelle Gemeinschaft, konstatiert Ziad Akl in Al Ahram weekly.
Keine Hadsch?
Der Verzicht auf die gemeinsamen Gebetsrituale am Freitag und im Ramadan ist aber nicht die einzige bittere Pille für Moslems in Corona-Zeiten. Bereits im Februar hatte Saudi-Arabien die heiligen Städten Mekka und Medina für die kleine Pilgerfahrt, die Omra, geschlossen. Auch die Hadsch, die große Pilgerfahrt zum Opferfest Ende Juli, könnte abgesagt werden.
Die Furcht vor dem Virus ging sogar soweit, dass das Fasten während des Monats Ramadan hinterfragt wurde. In weiten Teilen der islamischen Welt gab es theologische Diskussionen, ob Gläubige angesichts der Corona-Pandemie in diesem Jahr vielleicht komplett von der Pflicht zum Fasten befreit werden könnten. "Wir warten ab, was das ägyptische Gesundheitsministerium und die Ärzte entscheiden werden. Das bedeutet, dass wir auch auf die Beschlüsse der WHO warten", stellte Scheich Khaled Omran, Generalsekretär des Fatwa-Rates im Dar al-Iftaa, das für die Ausarbeitung islamischer Rechtsgutachten zuständig ist, laut tagesschau.de vom 5.April klar. Wenn die Weltgesundheitsorganisation den Menschen vorschreibe, zu essen und zu trinken, würde die Fatwa lauten, dass die Menschen während der Fastenzeit essen und trinken sollen. "Dann müssten sie die verpassten Tage nach Ende der Krise nachholen", so Omran.
Zur großen Freude und Erleichterung aller Gläubigen konnte die Fatwa das Fasten auch bei Corona als religiöse Pflicht erklären. Lediglich erkrankte Menschen sollten sich von ihrem Arzt beraten lassen, ob sie auf das Fasten verzichten.
Eine andere Option hätte vermutlich auch wenig Akzeptanz gefunden: „Ramadan hilft gegen das Virus. Gott hat uns gesagt: Fastet, dann bleibt Ihr gesund! Wenn wir die 30 Tage fasten, dann wird das Fasten unseren Körper von allen Krankheiten reinigen. Und so wird Gott diese Epidemie beenden", zitiert Björn Blaschke auf tagesschau.de am 22. April die Überzeugung eines ägyptischen Sicherheitsmanns.
Die Gelehrten der Al-Azhar unterstützen die Gläubigen dabei, die Corona bedingten Widersprüche zu überwinden: „Die Zufriedenheit Gottes kann man auf vielerlei Wege erreichen. Daher empfehlen wir den Menschen für Riten, bei denen derzeit Menschenansammlungen verboten sind, Alternativen zu suchen. Es gibt Möglichkeiten, die den Zweck des Ritus und des sozialen Zusammenhaltes gleichermaßen erfüllen“, so Scheich Kahled Omran, der z.B. statt der Ramadantafeln auf die Möglichkeit von Geld- oder Lebensmittelspenden verweist.
Der Journalist Zaki Akl in Al Ahram weekly erwartet, dass diese neuen Erfahrungen eine Chance böten für die Erkenntnis, dass Spiritualität und Glauben nicht eine Frage der kollektiven Praxis seien, sondern auch im Alleinsein verwirklicht werden können. Der Glaube werde nicht nur in der Menge der Betenden erfahren, sondern allein in einem ehrlichen Herzen. Ohne Ablenkung könne man sich zudem besser auf den Glauben konzentrieren.
Corona als Reformbeschleuniger
Zaki Akl vermutet auch, dass die Folgen der Pandemie eine Veränderung der Vorstellungen und der Verhaltensweisen der Muslime nach sich ziehen und den religiösen Reformierungsprozess vorantreiben könnten.
Die bisher unvorstellbaren Einschnitte und Einschränkungen erschütterten die Grundfesten des Islams. Die Maßnahmen würden von Regierungen umgesetzt, die von radikalen Muslimen grundsätzlich nicht anerkannt würden und erhielten Unterstützung von höchsten religiösen Autoritäten.
In Ägypten sprach der höhere Rat der Al-Azhar der Regierung ausdrücklich das Recht zu, Moscheen zu schließen, „um Menschen vor dem Coronavirus zu schützen bis zum Ende der Epidemie.“
In der Islamischen Republik Iran, dem am schlimmsten vom Virus betroffene Land im Nahen Osten, verfügte der Große Ayatollah Ali Al-Sistani, das religiöse Oberhaupt der Schiiten, dass ein Muslim auf das Ramadanfasten aus Angst vor dem Coronavirus verzichten dürfe, heißt es in den Medien.
Staatliche Institutionen setzen sich immer wieder im Rahmen der Epidemieabwehr sogar gegen religiöse Führer durch, die bei der Bewältigung der modernen Herausforderungen mit traditionellen Lösungen nicht weiterkommen.
Das Virus setzt eine ungeahnte Flexibilität frei. In dieser Situation der Bedrohung habe man Argumente in der Sunna gesucht und gefunden. So erläutert Scheich Kahled Omran: "Ein Beispiel aus der Sunna ist, dass der Prophet in einigen Nächten, in denen die Umstände kein Gemeinschaftsgebet in der Moschee erlaubten, die Gläubigen angewiesen hat, zu Hause zu beten. Der Prophet sagte den Gläubigen: 'Betet in Euren Zelten oder in Euren Häusern!“ Das nehme man nun als Botschaft Gottes, dass an keinem bestimmten Ort gebetet werden müsse. Die Moschee sei ohnehin nicht immer der Ort des Gebetes im Islam. "Und der Prophet Mohamed hat diesbezüglich gesagt: 'Mir wurde die ganze Erde zur Moschee - und deren Boden ist für mich rein.“
Die neuen Herausforderungen könnten ein Impuls für weitere Offenheit und Veränderungen sein und den Prozess einer islamischen Renaissance anstoßen, vermutet Zaki Akl von Al Ahram weekly. Forderungen nach einer Reform wurden schon früher von modernen Muslimen immer wieder laut geäußert. Vor allem nach dem Aufkommen des islamischen Fundamentalismus in den 70er Jahren und insbesondere mit dem Entstehen terroristischer Gruppen wie el Qaeda und IS ist es vielen Muslimen ein Anliegen mit einem modernen Islamverständnis sich von Extremismus, Gewalt und Terror abzugrenzen und Menschen zu schützen.
Moderne Medien bei der Verbreitung der neuen Botschaft
Für die Azhar-Gelehrten in Kairo stellen die neuen Regeln und ihre religiöse Begründung eine besondere Herausforderung und Prüfung dar, denn es gilt diese bei den Gläubigen zu verbreiten. Während Radio und Fernsehen schon immer ein wichtiges Medium gewesen sind, um die Gläubigen in den Städten und vor allem auf dem Lande zu erreichen, sind heute Internet und soziale Netzwerke die Kanäle, um mit den Gläubigen in Kontakt zu kommen, „wo wir - die Fatwa-Fachleute und die Religionswissenschaftler - die Menschen treffen können", so Scheich Omran. Die Gelehrten im Dar al-Ifta besäßen die größte Website, wenn es um die Zahl der Follower geht, besonders auf Facebook und in allen anderen sozialen Netzwerken.
Omran ist optimistisch: "Wir werden unsere Botschaft zu den Menschen bringen und ihnen alles erklären. Dann werden wir sehen, wie die Menschen auf unsere Entscheidungen antworten. Wir sorgen uns vor allem um die Gesundheit der Menschen. Darum haben wir auch keine Probleme, die Menschen zu erreichen. Denn die islamische Rechtsprechung, die Scharia, mahne zum Erhalt der menschlichen Gesundheit“ zitiert tagesschau.de den Gelehrten.