Aus „Daily News Egypt“ (Ägyptens Tageszeitung in englischer Sprache), vom 15.08.2015: Die Staatsministerin für Bevölkerung Hala Youssef legte während der ersten MinisterialAusschusssitzung Umfrageergebnisse einer Volksbefragung von 2014 vor, die Themen von Gewalt gegen Kinder, Kinderarbeit, Kinderheirat und weibliche Genitalverstümmelung (FGM für Female Genital Mutilation) und andere gesellschaftliche Probleme beinhalteten. Sie versprach, dass man anhand dieser Ergebnisse einen nationalen Entwicklungsplan für Mütter und Kinder ausarbeiten werde. Bei gleicher Gelegenheit wies Randa Fakhr El-Din, Direktorin der NGO-Koalition, auf die letzten statistischen Ergebnisse von Beschneidungs-Praktiken hin. Die Statistik zeigte eine deutliche Abnahme dieses Problems in Ägypten mit nur 61% bekannt gewordenen FGM-Fällen im Jahr 2014, während dagegen im Vergleich zu 2008 noch 74% der Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren beschnitten wurden.

Ebenso konnte der United Nations Childrens Fund in seinem letzten Jahresreport eine allgemeine Verminderung der FGM-Praxis in den vergangenen dreißig Jahren feststellen. „Allerdings könne man das nicht von allen betroffenen Ländern sagen“; so hieß es, „denn leider sei die genaue Zahl der Mädchen und Frauen weltweit nicht zu kontrollieren und bliebe daher unbekannt.“ Der Schätzung nach sollen aber mindestens 200 Millionen Mädchen und Frauen in 30 Ländern beschnitten worden sein. Zum gleichen Thema präsentierte Ägyptens Gesundheitsminister Ahmed Emad El-Din Said in einer offiziellen Erklärung einen Plan, der das komplette Phänomen der FGM-Praxis in Ägypten bis 2030 ausrotten solle. Dieser Plan sei „Teil einer nationalen Strategie, und allumfassendes Ziel der United Nations Social Development für 2030.“ Die Bezeichnung „Female Genitial Mutilation“ (= weibliche Genitialverstümmelung) wird unter anderem von der United States for International Development (USAID) stark kritisiert, „weil sie einerseits den kulturellen Hintergrund für die Praktiken ignoriere und andererseits dazu führen könne, Betroffene als verstümmelt zu stigmatisieren.“

Geschichte

Der ägyptische Professor Dr. Mahmoud Karim hat in seinem Buch „Female Genital Mutilation (FGM)“ die These aufgestellt, dass Ägypten als Ursprungsland eher unwahrscheinlich ist. Er ist, anhand seiner Studien, zu dem Ergebnis gekommen, dass in der Vergangenheit die Beschneidung auch in Europa sowie den USA und zahlreichen anderen Regionen des afrikanischen Kontinents praktiziert wurde. Es fehlen allerdings genaue historische Daten. Immerhin liefert eine griechische Papyrusrolle aus dem Jahre 163 vor Chr. - der erste historische Nachweis überhaupt – den Beweis, dass FGM schon vor dem Christentum und vor dem Islam praktiziert wurde. Die Ursprünge und Geschichte liegen allerdings weitgehend im Dunkeln. Und weil die Mädchenbeschneidung schon zur Zeit der Pharaonen durchgeführt wurde, kann sie also nicht als islamisch betrachtet werden, obwohl sie heute in zahlreichen islamischen Ländern des Vorderen Orients und besonders in Schwarzafrika im Namen des Islam praktiziert wird.

Gründe

In Ländern, in denen Glaube, Aberglaube, Mythen und Bräuche zu einem unentwirrbaren Ganzen vermischt wurden, sind auch für die Betroffenen die Gründe nicht mehr zugänglich. Es besteht eine tief verwurzelte Angst um die „Ehre“ (= die Jungfräulichkeit) des Mädchens, von der gleichzeitig auch die Ehre der Familie abhängt. Jungfräulichkeit ist ein von Müttern und Großmüttern oft angeführter Grund, mit der Genitalbeschneidung fortzufahren. Professor Corréa aus Senegal versuchte dieses Phänomen wie folgt zu erklären: „Das Beschneiden der Klitoris führt zur sexuellen Unempfindsamkeit des jungen Mädchens und schützt es auf diese Weise vor sexueller Instabilität und Ausschweifungen. So kann das Mädchen seine Jungfräulichkeit bis zur Heirat bewahren“.

Die aber am häufigsten genannten Gründe für FGM sind weder religiöser Natur, noch kann die Hartnäckigkeit dieses Brauchtums wissenschaftlich untermauert werden. Auch ist die Beschneidung kein Garant für Jungfräulichkeit noch verringert sie die Promiskuität. Eltern unterziehen ihre Töchter scheinbar in bester Absicht den Verstümmelungspraktiken, weil sie an keine andere Möglichkeit als Heirat, und die damit verbundene soziale Sicherheit, glauben. Selbst wenn man die Praktiken nicht für gut heißt, bleibt sehr oft eine Verunsicherung in das Vertrauen eines unbeschnittenen Mädchens.

Mit westlichem Verständnis kann man die Gründe für den Brauch der Beschneidung nicht nachvollziehen. Für die meisten beschnittenen Frauen ist diese Verstümmelung selbstverständlich. Tradition, Religion und Kultur verlangen aus ihrer Sicht das Ritual, damit Mädchen überhaupt geheiratet werden. Sogar in Zeiten der inzwischen berufstätigen Frau glaubt man, dass nur eine Ehe die Existenz einer Frau sichert. Man glaubt, dass die Beschneidung die Jungfräulichkeit vor der Ehe garantiert, und dass dann logischerweise die Frau auch in der Ehe treu bleiben wird. Nur so kann der Mann sicher sein, dass die Frau „seine“ Kinder zur Welt bringt. Als weitere Rechtfertigungsgründe der Mädchenbeschneidung werden Religion, Brautpreis, Familienehre sowie anatomische, ästhetische oder hygienische Gründe genannt. Oder um es kurz auszudrücken: „Man macht es halt, weil man es macht.”

Neben den genannten Gründen bleibt bei vielen die beharrliche Auffassung, dass die genitale Veränderung von Mädchen und Frauen vom Islam vorgeschrieben wird. Warum aber bleibt diese Meinung so konstant? Höchste religiöse Führer haben seit langem bestätigt, dass weder der Koran noch die Bibel diesen Eingriff von Frauen verlangt. Allerdings hat 1979 Sheikh Ibrahim Mahmoud, damaliger Chairman vom Fatwa-Komitee der Al-Azhar, die Auslegung der vier islamischen Schulen über die Beschneidung wie folgt erklärt: „Die Al-Shafei-Schule sagt, die Beschneidung für Männer und Frauen sei eine Pflicht. Beim Malikitt heißt es, Beschneidung sei Bestimmung für Männer und eine Verschönerung für Frauen. Die Hanabilites und die Hanafites meinen, Beschneidung wäre Sunnah (erforderlich) für Männer und eine Veredelung für Frauen.“ Nähere Ausführungen über die Praxis der Beschneidung wurden allerdings nicht gemacht.

Die ägyptische Ärztin Nawal El Saadawi, Gründerin und Präsidentin des Solidaritätsvereins der arabischen Frauen und Mitbegründerin der Arabischen Gesellschaft für Menschenrechte, kritisierte in ihrem Buch „Women and Sex“ (1972) die FGM. Das Buch wurde übrigens in Ägypten verboten und Dr. Nawal El Saadawi verlor ihre Position als Generaldirektorin für das Staatliche Gesundheitswesen. Sie kämpfte aber trotzdem weiter gegen die Mädchenbeschneidung und beschrieb in ihrem Buch „The Circumcision of Girls", in „The Hidden Face of Eve: Women in the Arab World“ (1980), ihre eigene Clitoridectomy als sie sechs Jahre alt war: „Ich wusste nicht, was sie von meinem Körper abgeschnitten hatten, und ich habe nicht versucht es herauszufinden. Ich habe nur geweint und rief nach meiner Mutter, damit sie mir helfen solle. Aber der schlimmste Schock von allen war der, als ich mich umblickte, sah ich sie an meiner Seite stehen. Ja, sie war es, es war kein Irrtum, da stand sie, in Fleisch und Blut, mitten unter diesen Fremden. Sie unterhielt sich und lächelte mit ihnen gerade so, als hätten sie nicht soeben an dem Blutbad teilgenommen, welches ihre Tochter wenige Minuten zuvor erlitten hatte.“

Bekämpfung

Das Problem wurde in Ägypten 1994/95 massiv angegangen. Man wollte erreichen, dass ein Gesetz verabschiedet werden sollte, welches die weibliche Beschneidung verbietet. Ein klares Signal an die Eltern und als Mahnung, dass die Praxis der FGM gesundheitsschädlich, bei der Ausführung sogar gefährlich und gegen das gesunde Empfinden jeder Frau sei. Allerdings vertraten die Befürworter der Beschneidung die Ansicht, dass man das Recht des Individuums respektieren solle, seine überlieferten Bräuche weiterhin ausüben zu dürfen. Wahrscheinlich befürchtete man auch, dass, wenn ein Gesetz die Beschneidung untersagt, die Eltern diese Praxis illegal und im Geheimen weiterhin praktizieren würde, mit mehr gesundheitsgefährdenden Konsequenzen für die betroffenen Frauen und Mädchen, als wenn sie es in Hospitälern machen lassen würden.

Gesetzgebung

Interessant ist die Tatsache, dass in Ägypten die Beschneidung seit 1959 verboten war. 1986 jedoch wurde sie wieder offiziell gestattet. Am 28.12.1997 wiederum genehmigte das ägyptische Oberste Verwaltungsgericht den Vorschlag des Gesundheitsministers, die Beschneidung zu verbieten und als illegale Straftat zu betrachten, auch wenn das Mädchen oder ihre Eltern dies so wollten. Laut dieses Urteils durfte FGM in Hospitälern oder Kliniken nicht mehr ausgeführt werden. Ausnahmen seien nur bei medizinischer Notwendigkeit gestattet. Dieses Urteil galt als willkommener Durchbruch im Kampf gegen die Mädchenbeschneidung.

Aber leider war das nicht das Ende der Bemühungen. Ein ministeriales Dekret ist kein Gesetz. Ein Gesetz benötigt die Genehmigung von Parlament (Maglis el Shaab), des Verfassungsgerichtes sowie die Befürwortung der höchsten religiösen Instanz. Was aber das eigentliche Gesetz betrifft, gab es noch kein konkretes Verbot der Beschneidung. Es wurde allerdings in Betracht gezogen, dass eine FGM dem menschlichen Körper schadet und daher - als solche - eine Straftat sei. Als Straftaten galten in diesem Zusammenhang medizinische Eingriffe ohne amtliche Zulassung, ein absichtlich zugefügter Schaden am menschlichen Körper und das Freilegen der Intimsphäre eines Körpers ohne medizinische Notwendigkeit. Wenn nun ein praktizierender Arzt diesen Eingriff durchführen würde, hätte es bedeutet, dass er willentlich und ohne Notwenigkeit einem Körper eine Wunde zugefügt hätte. Dies würde dann als Straftat, unter Artikel 242 des Strafgesetzbuches, geahndet.

Inzwischen ist die weibliche Beschneidung seit 2008, mit allen Konsequenzen, gesetzlich verboten. Nachdem aber die Islamisten an die Macht kamen, wollten viele von ihnen dieses gesetzliche Verbot wieder aufheben. Medienberichten zufolge haben sich Muslimbrüder und Salafisten öffentlich für die weibliche Genitalverstümmlung und gegen das Gesetz ausgesprochen. Während der Amtszeit von Präsident Morsi wurde im April 2012, in den Medien von mobilen Kliniken in Bussen berichtet, die von der regierenden „Freedom and Justice Party“ (FJP) in der Provinz Minia in Oberägypten die Genitialverstümmelung als kostenlosen Gesundheitsservice anbieten würden. Nicht ohne Grund, denn die Mütter ließen und lassen sich durch nichts davon abhalten, ihre Töchter dieser Prozedur zu unterziehen, obwohl Eltern und Ärzten Geld- und Gefängnisstrafen drohen. Zudem muss ein Gesetz nicht zwangsläufig durchgesetzt werden. Manchmal liegt es an mangelnder Entschlossenheit der Entscheidungsträger, speziell bei diesem Gesetz gegen FGM, konsequent zu bleiben. Vielleicht zögert man, sich in eine tief verwurzelte Tradition einzumischen. Wenn das Gesetz wirklich streng eingehalten würde, könnte ein gesellschaftlicher Wandel in diesem Bereich unterstützt und beschleunigt werden.

Die Aktivistin und Direktorin der ägyptischen Niederlassung der internationalen NGO „Human Rights Watch“, Heba Morayef, erklärte in einem Interview, dass die Verfassung unter Präsident Morsi, nicht nur für Frauenrechte, sondern auch für Menschenrechte ein eindeutiger Rückschritt war. Es wurde vehement versucht, religiöse und moralische Werte in die Legislative zu integrieren. Auch gab es hartnäckige Weigerungen, über Themen zu diskutieren, die nach Ansicht der Muslimbrüder und Salafisten zum privaten Familienleben gehören, wo das männliche Haupt des Haushalts nach eigenem Ermessen bestimmen sollte.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie hauptsächlich ausländische NGOs und Frauenrechtlerinnen mit diversen Aufklärungs-Kampagnen versuchen dieses „Unwesen“ zu beenden. Zahlreiche internationale Organisationen engagieren sich seit Jahren im Kampf gegen die Mädchenbeschneidung. Am 20. Dezember 2012 hat z.B. die UN-Vollversammlung einstimmig eine Resolution verabschiedet, die die Mitgliedsstaaten zur Verstärkung ihrer Anstrengungen für eine vollständige Beendigung weiblicher Genitalverstümmelung auffordert.

Man redet, schreibt, protestiert und kreiert Projekte über „Gewalt gegen Frauen und Mädchen“, dabei sind es die Frauen selber, die diese fragwürdige Praxis zulassen und sogar befürworten. Was nutzen Gesetze und Mahnungen der Frauenbewegungen, wenn die betroffenen Mütter, die eigentliche Zielgruppe, selbst nichts ändern (wollen)? Warum lassen Mütter, die dieses Grauen selbst durchlebt haben, die gleichen Praktiken weiterhin an ihren Töchtern vollziehen? Was spornt diese Frauen an, die alten Bräuche an ihren Töchtern gleichermaßen zu praktizieren? Es scheint unfassbar. Dabei liegt so viel in den Händen der Frauen und Mütter. Sie sind die Erzieherinnen. Sie sind die Lehrerinnen, die in den ersten Jahren - naturbedingt - einen immensen Einfluss auf ihre Töchter und Söhne haben. Mittlerweile sind die Frauen auch keine Analphabetinnen mehr; wobei Analphabetismus nicht mit Dummheit gleichzusetzen ist. Die Frauen wissen genau, was sie tun. Die Praktiken sind und waren lange verboten, sogar für Krankenhäuser und Arztpraxen. Ebenso ist es hinreichend bekannt, dass FGM keine religiöse Verordnung ist, und trotzdem scheint es unmöglich zu sein, diesem Unwesen ein Ende zu bereiten.

Ergo

Solange es Menschen gibt, die glauben, ein beschnittenes Mädchen wäre ihr Beitrag zu einer funktionierenden Familie, und solange religiöse Naivität über Gesetz und Vernunft siegt, solange kann es keine Änderungen geben, da kämpfen NGOs, Frauenrechtlerinnen und unzählige AufklärungsKampagnen gegen Windmühlen. Ich persönlich glaube, dass die eigentliche Zielgruppe sich nur von verantwortungsbewussten Imamen oder Frauen aus dem gleichen sozialen Umfeld andere Perspektiven aufzeigen lassen.