„Koschari, Koschari“, höre ich jemand rufen, als ich auf dem Husayn Platz nach einem Taxi Ausschau halte. Nudeln, Reis, Linsen, Zwiebel und eine scharfe Sauce wären gerade richtig für eine kleine Stärkung, bevor wir unseren Freund Saad Ali, den „König der Oase Farafra“, auf seinem Hausboot in Imbaba besuchen.

Als am 28. Jänner 2011 die ersten landesweiten Proteste gegen Mubarak begannen, erlebte auch Imbaba einen Protestmarsch. Anfangs waren es nur zwei Dutzend Menschen, unter ihnen auch Kinder, die ihre revolutionäre Parole „inzel“ skandierten, was so viel wie „komm herunter“ bedeutet. Sie riefen das Wort Beobachtern an Fenstern und auf Balkonen zu, die den Ruf nicht unbeachtet ließen und der kleinen Schar folgten, die bald auf 200 Personen anwuchs. Bereits dreißig Minuten später sah man Menschenmassen, soweit das Auge reichte. Es war die grenzenlose Wut auf ein menschenverachtendes System, die die Protestierenden antrieb. Fünf Stunden kämpften sie gegen Tränengas, Gummigeschosse und Knüppel der Polizei. Doch die Massen bewegten sich weiter zum Tahrir-Platz, wo sie die nächsten fünfzehn Tage demonstrierten, bis ihre Entschlossenheit schlussendlich Mubaraks berüchtigten Polizeistaat überwand. Danach waren die Menschen jedoch verzweifelter als je zuvor. Jene zwei Jahre unter der Militärherrschaft und Mursis Präsidentschaft ruinierten jedwede Stabilität. Händler in Imbaba sagten, dass das Geschäft um bis zu fünfzig Prozent zurückgegangen sei. Sie sagten auch, dass die Jahre mit Mubarak schlimm waren, aber am schlimmsten war es unter Mursi. Wenn ich meine ägyptischen Freunde frage, wie sich die Dinge nach der neuerlichen Machtübernahme des Militärs und unter Präsident Abd al-Fattah al-Sisi entwickeln, höre ich nur Positives. „Im Allgemeinen ist alles normal, die Sicherheitslage des Landes hat sich sehr verbessert. Versammlungen und Demonstrationen gibt es keine mehr“, lauten die Kommentare.

Von der Nilinsel Zamalek, wo unser Hotel liegt, gehen wir wagemutig zu Fuß über die stark befahrene Brücke nach Imbaba, wo die Hausboote vor Anker liegen. Die Hausnummer im Kopf, gehe ich mit meinen Freunden die Straße entlang, bis wir zur neuen Moschee kommen, die mit grünen Lämpchen geschmückt ist. „Die Hausboote und der Midan Kit Kat haben eine sehr spannende Geschichte“, beginne ich zu erzählen, während wir weiter die Straße entlang gehen. „Kairo war zur Zeit des ‚Kalten Krieges‘ eine der wichtigsten Adressen für Spione. Auch schon während des Zweiten Weltkrieges tummelten sich die Agenten am Nil. Die Engländer hatten Ägypten zwar besetzt, doch die Opposition war auf Seiten der Nazis. Einige Male schon hörte ich alte Männer in Ägypten positiv über die Nazis sprechen. Unterdrückt von den Briten, sahen sie in ihnen die Macht, die die Besatzer aus dem Land werfen würde. Die Alliierten und die Achsenmächte hatten ihre Spione zum Teil auf Hausbooten stationiert, wo sie sich gegenseitig bespitzelten. Verwickelt in diese Spionagegeschichten war Ladislaus von Almásy, der österreich-ungarische Wüstenfahrer und Entdecker, vielen als ‚Englischer Patient‘ aus dem gleichnamigen Film bekannt. Während der Operation Salam im Jahr 1942, die von Almásy geleitet wurde, führte er ein deutsches Sonderkommando über 3.000 Kilometer von Jalu über die Kufra Oasen und das Gilf Kebir Plateau, das er Jahre zuvor erforscht hatte, bis nach Assiut an den Nil. Von dort fuhren die Agenten Johannes Eppler und sein Funker Hans-Gerd Sandstede mit dem Zug nach Kairo, wo sie sich auf einem Hausboot nahe dem Kit-Kat- Platz versteckten. Seinen Namen bekam der Platz vom Kit-Kat-Kabarett, das dem griechischen Kriegsgewinnler Calomiris gehörte und auch als Treffpunkt der Nationalisten galt. In diesem Etablissement trafen die beiden Spione antibritische Militärs, Politiker und zwei spätere ägyptische Staatspräsidenten: Gamal Abdel Nasser und Anwar al-Sadat. Legendär waren die Auftritte der ägyptischen Tänzerin Hekmat Fahmy, die nach Deutschland eingeladen wurde, wo sie vor Hitler tanzte. Als Nationalistin war sie gegen die Briten eingestellt, die sie mit ihrem Charme verführte, um ihnen Geheimnisse zu entlocken. Die Spionagetätigkeit der beiden Deutschen währte aber nicht lange, denn schon im September 1942 wurden sie und einige ihrer lokalen Kontakte, so auch Fahmy und Sadat, verhaftet.“

Hausboote erfreuen sich zunehmender Beliebtheit © Roshanak Zangeneh

Mittlerweile sind wir bei der richtigen Hausnummer angekommen und öffnen das Tor. Staunend entdecken wir einen Garten mit Bäumen, Sträuchern und einer kühlen Brise. Eine schmale Holzbrücke führt zur Eingangstür des schaukelnden Holzkastens. Da sie keine Klinke hat, klopfe ich ein paar Mal kräftig an und es dauert nicht lange und Saad öffnet. Er begrüßt uns überschwänglich und freut sich sichtlich, uns wiederzusehen. Wir sind begeistert von seinem kleinen Reich, besonders von der Veranda mit Nilblick.

Gemütliche Veranda direkt über dem Nil © L. Strizik/ A. Marowetz

Saad erzählt in einer Mischung aus Deutsch und Englisch, dass es sich hier sogar im Sommer angenehm leben lässt. „Früher wurden die Hausboote eher zwiespältig gesehen. Die Leute, die hier wohnten oder zu Besuch kamen, waren unkonventionell. Intellektuelle, Künstler und die Oberschicht trafen sich auf den Booten, um den neugierigen Blicken der Konservativen zu entkommen. Hier konnten sie in der Abgeschiedenheit das eine oder andere Abenteuer erleben. Wir hatten auch Spione hier, vielleicht waren sie sogar auf diesem Boot“, sagt er lachend. „Nach diesen wilden Zeiten interessierten sich wenige Menschen für die Hausboote und die Miete belief sich auf wenige ägyptische Pfund pro Monat. Heute sind die Plätze am Wasser wieder heiß begehrt und die Monatsmieten entsprechend höher, wie ihr euch vorstellen könnt. Das Hausboot ist ein wichtiger Treffpunkt für meine Freunde und Geschäftspartner. Seit Jahren wohne ich abwechselnd in Farafra und auf dem Hausboot. Manchmal fahre ich zweimal in der Woche die Strecke von 800 Kilometern in nur eine Richtung, aber das wisst ihr ja von euren letzten Reisen“, erzählt er weiter und lässt sein schallendes Lachen hören. Nur zu gut erinnere ich mich an die Fahrt mit dem öffentlichen Bus und an meinen Sitznachbarn, den ich damals „Ali Baba und die vierzig Kürbiskerne“ nannte.

Blick auf die Nachbarn © L. Strizik/ A. Marowetz

Saad bringt kaltes Stella-Bier, eine Eigenproduktion der Ägypter, die wir nicht ablehnen. Es klopft und dem nächsten Gast wird aufgemacht. Es ist Badr, der Künstler, der wie sein Cousin Saad auch aus der Oase Farafra stammt. Badr ist seit der ersten Begegnung 1998 unser Freund und dementsprechend herzlich ist die Begrüßung. Wir kennen seine Familie und so gibt es eine lange Befragung, wie es Ragab, Manar, Shedi, Rami und den Eltern geht. Alhamdulillah, alle sind gesund. Das Hausboot beherbergt noch einen weiteren Gast, einen „echten Berliner“, zumindest hat es den Anschein, da er Berliner Dialekt spricht. Verblüfft bin ich allerdings über sein exzellentes Arabisch. Auf meine Frage, wie das kommt, antwortet er: „Weißt du, ich habe die Sprache so nach und nach gelernt, wenn man in Damaskus geboren und aufgewachsen ist, passiert das schon manchmal. Berlin ist allerdings seit Langem meine zweite Heimat, wo ich arabischen Tanz und Musik unterrichte“, klärt er mich mit einem breiten Grinsen auf.

Wir werden zum Abendessen eingeladen. Ein Anruf genügt und in Kürze stehen orientalische Köstlichkeiten auf dem Tisch. Doch der Abend ist damit noch nicht zu Ende. Eine Freundin von Saad, ausgebildete Tänzerin mit Schwerpunkt orientalischer Tanz, feiert an diesem Abend Abschied. Nach sieben Jahren Ägypten will sie wieder in die Vereinigten Staaten zurückkehren. Trommelrhythmen schweben über dem Nil und kündigen uns eine fröhliche Gruppe an. „Alle raus“, lautet das Kommando von Saad und mit einem Sprung über das Geländer der Veranda landen wir im Partyboot. Obwohl der Tag schon ausgefüllt war mit interessanten Erlebnissen und Begegnungen, erfährt er nochmals einen Höhepunkt. Als ein starker Wind aufkommt und uns seine kalte Schulter zeigt, schenkt uns die Tänzerin noch eine Performance mit dem „Berliner aus Damaskus“. Eingehüllt in die karierten Kopftücher, „Arafats“ genannt, sitzen wir in einer Ecke und genießen den Tanz und die Musik.

Der Text ist ein Auszug aus „Das Wunder Kairo. Geschichten aus der Mutter aller Städte" von Leone Strizik. Erschienen bei BoD – Books on Demand, Norderstedt 2018