Bei den Olympischen Spielen und den Paralympics 2016 in Rio de Janeiro konnte Ägypten mit bemerkenswerten sportlichen Leistungen einige Medaillen erringen – Schlagzeilen gab es aber aus anderen Gründen.
Bronze für Mohammed Ihab im Mittelgewicht © Egyptian Olympic Committe
Die erste Medaille für eine ägyptische Sportlerin
Für Rio 2016 qualifizierten sich mit 122 Athleten in 24 Sportarten mehr ägyptische Sportler als je zuvor für Olympische Spiele. Und mit drei Bronzemedaillen - im Gewichtheben für Mohamed Ihab im Mittelgewicht und für Sara Ahmed im Leichtgewicht Frauen sowie im Taekwondo-Federgewicht für Hedaya Malak - landete die Olympiamannschaft auf Rang 75 von 78; immerhin vor zwölf anderen Nationen und vor Österreich. Zwar waren die ägyptischen Sportler im Medaillenspiegel damit nicht ganz so erfolgreich wie 2012 in London, wo das Land bei 19 Sportarten und mit 113 Athleten vertreten war und eine Silbermedaille im Fechten und eine im Ringen gewinnen konnte. Aber Sara Ahmed schrieb Sportgeschichte, denn sie ist nun die erste Ägypterin, die je eine Olympische Medaille gewann.
... und für Hedeya Malak im Taekwondo-Federgewicht © 2016 Comité International Olympique (CIO) / STOCKMAN, Matthew
Weltrekord und zwölf Medaillen bei den Paralympics
Auch für die Paralympics in Rio de Janeiro hatten sich mit 44 Sportlern in fünf Sportarten - Tischtennis, Gewichtheben, Leichtathletik, Schwimmen und Sitzvolleyball - zumindest mehr als vor vier Jahren qualifiziert. Und mit zwölf Medaillen schafften sie einen beachtlichen 30. Rang unter 159 Mannschaften. Damit waren sie zwar bei weitem nicht so erfolgreich wie in der Vergangenheit, dennoch zeigte sich die Vorsitzende des ägyptischen Paralympics-Komitees, Hayat Khattab, in Anbetracht verschärfter Wettkampfbedingungen sehr zufrieden. Am erfolgreichsten war die Paralympics-Mannschaft im Gewichtheben, wo zehn von den zwölf ägyptischen Medaillen errungen wurden. Die erste Goldmedaille erkämpfte Fliegengewichtler Sherif Osman. Mit 211 kg im vierten Versuch stemmte er einen neuen Weltrekord.
Gold für die Gewichtheberin Randa Mahmoud © Agencia Brasil CC BY 3.0
Die zweite Goldmedaille ging im Gewichtheben der Frauen an Randa Mahmoud, die auch schon in Peking und London je eine Silbermedaille erstritten hatte. Die beiden anderen Medaillen errangen der Leichtathlet Mustafa Fathallah, der mit 11.54 Sekunden im 100-m-Lauf für die T- 37- Kategorie (Zerebralparese) Zweiter wurde, und die Sitzvolleyballmannschaft, die nach dem 3:2 Sieg gegen Deutschland in der Vorrunde und gegen Brasilien im Spiel um Platz drei eine Bronzemedaille bekam.
Ibrahim Hamatou begeistert mit seiner Spieltechnik © ittfworld
Doch war der ägyptische Tischtennisspieler Ibrahim Hamatou, der als 10-Jähriger bei einem Zugunglück beide Arme verlor, den Schläger mit dem Mund hält und den Ball mit dem Fuß zum Aufschlag wirft, neben der Gewichtheberin Sara Ahmed einer der wenigen ägyptischen Athleten, die durch ihre sportliche Leistung weltweite Aufmerksamkeit erregten.
„Kulturschock" an der Copa Cabana
Für besonderes Aufsehen sorgten dagegen zwei Ereignisse, die unfreiwillig das eigentliche, das erklärte Ziel der olympischen Spiele wieder ins Bewusstsein brachten. Pierre de Coubertin hatte 1894 die modernen olympischen Spiele wiederbegründet: Als „Treffen der Jugend der Welt“ sollten sie dem sportlichen Vergleich und der Völkerverständigung dienen.
Großen Wirbel, vor allem in den sozialen Medien und später in der Presse, verursachte der Auftritt der ägyptischen Beachvolleyball-Spielerinnen Nada Meawad und Doaa el Ghobashy. Im Spiel gegen die deutschen Volleyballerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst, das mit 2:0 für das deutsche Team endete, zeigten die ägyptischen Frauen bemerkenswerte sportliche Leistungen. Aber im Unterschied zu den üblichen Bikinis traten sie im Ganzkörperanzug auf, el Ghobashy trug dazu ein Kopftuch. Diese für Ägypten übliche Sportbekleidung bot an der Copa Cabana sicherlich ein befremdliches Bild und sorgte entsprechend zunächst in den sozialen Medien – wegen angeblicher Regelverstöße gegen die strengen Bekleidungsvorschriften des Olympischen Komitees – für einen Sturm der Entrüstung, für Spekulationen und Beschimpfungen. In den Medien war die Rede von einem "cultural clash" und "Kulturschock an der Copa Cabana". Nur allmählich verbreitete sich die Information, dass der Weltvolleyballverband (FIVB) seit 2012 seine strengen Bikinivorschriften, nach denen z.B. die Hose an der Hüfte nicht breiter als sieben Zentimeter sein durfte, gelockert hatte. Ziel dieser Lockerung war es, diese attraktive Sportart stärker zu verbreiten. Der Erfolg spricht für diese Änderung. In Rio gingen bereits 169 Spielerinnen, d.h. 30 Frauen mehr als vier Jahre zuvor in London, auf den Sand. Doaa el Ghobashy und Nada Meawad sind das erste ägyptische Beachvolleyballduo bei den olympischen Spielen überhaupt. El Ghobashy selber störte es überhaupt nicht, so ganz anders auszusehen als ihre Mitspielerinnen. Für sie zähle ganz allein, dass sie dank der Änderung des Weltverbandes das tun kann, was ihr am liebsten ist: Beachvolleyball spielen. Und das darf sie jetzt – auch mit einem Kopftuch, das sie seit zehn Jahren in der Öffentlichkeit trägt.
Die Diskussion ging schließlich noch in eine andere Richtung. Hier wurden Stimmen laut, welche die Entscheidung des Volleyballweltverbandes gegen die knappe Sportkleidung begrüßten, vor allem weil damit der Sport und nicht das sexy Aussehen der Spielerinnen wieder in den Vordergrund gerückt würde. Beim Spiel gegen Italien hatte sich das Publikum an der Copa Cabana offensichtlich bereits an die Langarmshirts und Hosenbeine der Ägypterinnen gewöhnt. Statt Pfiffen ernteten sie nunmehr lautstarke Anfeuerung und Beifall. Ein Fall erfolgreicher Begegnung.
Sportliche Gratulation nach dem 2:0 der Italienerinnen © Source FIVB
Verweigerter Handschlag
Ein anderer Vorfall im ägyptischen Judo-Team wirft dagegen ein Schlaglicht auf unverrückbare Standards bei interkulturellen sportlichen Begegnungen. Der ägyptische Judoka Islam El Shehaby verweigerte nach seiner Niederlage gegen den israelischen Gegner Or Sassan diesem den Handschlag und löste dadurch Empörung beim Publikum und natürlich in den Medien aus. Der Handschlag nach dem Kampf gehört, wie die Verbeugung zu Beginn als Zeichen des gegenseitigen Respekts, zum Standard bei Judo-Wettkämpfen. Während politisch dieser Vorfall eher hochgespielt wurde – ein Sprecher der israelischen Regierung nannte das Verhalten des Ägypters „schockierend“ und „gegen den Geist der Olympischen Spiele“ gerichtet – ging man in olympischen Kreisen eher im Sinne des olympischen Credos vor. Auch wenn man das Verhalten des Ägypters als „nicht akzeptabel“ erkläre, betonte Mark Adams, Sprecher des Internationalen Olympischen Komitees (IOC): „Wir glauben, dass es in der Olympischen Bewegung darum gehen muss, Brücken zu bauen, niemals Mauern.“ Solche Situationen, die sich aufgrund des Nahost-Konflikts im Aufeinandertreffen und im Wettkampf zwischen arabischen und israelischen Sportlern entwickeln, sind kein Einzelfall. So hatten libanesische Sportler sich geweigert mit israelischen Team-Mitgliedern in einem Bus zu fahren; ein Verhalten, das von libanesischen Politkern und Medien gelobt und gefeiert wurde. Nicolas Messner, Sprecher des internationalen Judoverbandes, hob hervor, dass es positiv sei, dass der Kampf überhaupt stattgefunden habe. "Es ist schon ein großer Fortschritt, dass die arabischen Länder es akzeptieren, gegen Israel zu kämpfen", erklärte er mit Blick auf den andauernden Nahost-Konflikt, in dem viele Araber sich mit den Palästinensern gegen Israel solidarisieren. Die Disziplinarkommission des IOC urteilte, dass El Shehabys Verhalten gegen die Regeln des Fairplays und die olympischen Werte verstoßen habe. Auch das Nationale Olympische Komitee Ägyptens verurteilte der IOC-Mitteilung zufolge das Verhalten seines Athleten und schickte ihn nach Hause. Der Präsident von Ägyptens Olympischem Komitee, Hescham Hatab, bezeichnete El Schehabis Gebaren als "persönliches Verhalten (...) Wir haben ihm wiederholt gesagt, dass er den sportlichen Geist respektieren, nicht die Regeln verletzen und sich nicht dem Druck beugen soll", so Hatab.
Olympische Geschichte in Ägypten
In Ägypten wurde das Nationale Olympische Komitee, al-Ladschna al-ulympyya al-misriyya, im Jahre 1910 gegründet. Seither nimmt das Land regelmäßig an den Spielen teil, lediglich 1956 in Melbourne und 1976 in Montreal wurden die Spiele aus politischen Gründen boykottiert. Die ägyptischen Sportler gewannen insgesamt sieben goldene, neun silberne und dreizehn bronzene Medaillen. Ägypten steht damit im Mittelfeld auf Rang 55 des Ewigen Medaillenspiegels.
Traditionell schaffen es die ägyptischen Athleten bei den Sommerspielen besonders im Gewichtheben und Ringen auf die Medaillenplätze. Aber auch im Boxen, Wasserspringen, Judo und Taekwondo erreichten die Sportler einzelne Medaillen. Der erfolgreichste Olympionike Ägyptens ist der Ringer Karam Ibrahim mit Gold 2004 in Athen und Silber 2012 in London. Hier errang auch der Fechter Alaaeldin Abulelkasem eine Silbermedaille. Als erste ägyptische Sportlerinnen starteten 1984 in Los Angeles zwei Schwimmerinnen bei den olympischen Spielen über 100 m Freistil.
An den Winterspielen war Ägypten nur ein einziges Mal, 1984 in Sarajewo, beteiligt und nominierte den Skirennfahrer Jamil el Reedy.
Seit den Paralympics 1992 in Barcelona nimmt Ägypten auch erfolgreich an diesen Wettkämpfen teil. 2012 in London bestand die Mannschaft bereits aus 40 Sportlern in vier Sportarten: Tischtennis, Gewichtheben, Leichtathletik und Sitzvolleyball. Sie gewannen vier goldene, vier silberne und sieben Bronzemedaillen.
Weitere Artikel zum Fechten und zu den Paralympics in Papyrus-Magazin Heft 2 von Nov./Dez. 2013.