Der deutsch-jüdische Augenarzt und Orientalist Max Meyerhof begleitet im Winter 1900 seinen nierenkranken, 16-jährigen Verwandten Otto Meyerhof – einen späteren Nobelpreisträger für Medizin – zum Kuraufenthalt ins trocken-heiße Ägypten. Gemeinsam touren sie fünf Monate lang durchs Land.

Max Meyerhofs Reisetagebuch ist von Isolde Lehnert kommentiert, editiert und ergänzt in dem Buch „Zur Kur an den Nil" erschienen. Ein Auszug.

Der Kur- und Badeort Heluan

Die „klimatische und balneologische Station“ Heluan liegt in der arabischen Wüste am Fuße des Mokattamgebirges auf einem von Kalkbergen umgebenen Plateau, etwa fünf Kilometer östlich vom Nil. Die Höhenangabe beträgt circa 50 Meter und wird in den einzelnen Reiseführern ziemlich unterschiedlich gemessen. Meyerhof schätzt 30 Meter.

Ähnlich wie bei der französischen Bezeichnung „Hélouan-Les-Bains“ klingt auch in der Übersetzung des arabischen Ḥulwān das Charakteristische des Ortes an, „süße Lüfte“ und „süßer Brunnen“. Heluan war schon im Altertum bekannt, auch in pharaonischer Zeit, wie Funde vermuten lassen. Im 7. Jahrhundert u.Z., als wohl eine der Quellen erstmals gefasst wurde, diente es als Zufluchtsort vor der Pest. Dann gerieten die Heilquellen lange in Vergessenheit. Ab 1830 pilgerten erneut Kranke und Gebrechliche dorthin, „wohnten unter Zelten und badeten ihre Leiber in Erdlöchern“, mehr gab es zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht. Der Khedive Abbas Hilmi I. (1813-1854), ein Enkel von Muhammad Ali Pascha, ließ die Quellen mit einem hölzernen Kasten einrüsten und ein kleines Häuschen mit zwei Zimmern darüber errichten. Seinen Soldaten, von denen viele an Hautkrankheiten, Syphilis und Rheumatismus litten, wurden Heilbäder verordnet, die erstaunlich gute Resultate erbrachten.

Doch die eigentliche Wiedererstehung vollzog sich erst in der Regierungszeit des Khediven Ismail (1830-1895), als vier weitere Quellen zum Vorschein kamen und die medizinische Fachwelt mit Nachdruck auf deren therapeutische Verwendungsmöglichkeiten hinwies. Insbesondere engagierte sich der Deutsche Wilhelm Reil (1820-1880), Leibarzt des Vizekönigs, der seit 1859 die Heilfaktoren des Wüstenklimas hervorhob und den Herrscher 1868 dazu bewegen konnte, „die zwecklos in der Wüste versickernden altbekannten Schwefelquellen“ zu nutzen. Eine vom Khediven daraufhin einberufene Kommission von wissenschaftlichen Fachleuten bestätigte Reils Einschätzung, woraufhin mit den Arbeiten begonnen wurde. Bei der Freilegung der Quellen, die mittlerweile fast völlig unter einer vier Meter hohen Schicht aus Schuttmassen und Flugsand verschüttet waren, stieß man auf alte Fundamente, von deren Existenz schon arabische Geschichtsschreiber berichtet hatten. Reils große Stunde schlug, als der Khedive seinen Entwürfen für ein Badehaus direkt über den Quellen sowie seinen Plänen für eine Siedlung zustimmte und ihm 1871 die gesamte Projektleitung übertrug. Umgehend fasste man die Quellen neu ein, von denen eine täglich 620 Kubikmeter lieferte und damit zu den stärksten weltweit zählte. Zur Verbesserung der Infrastruktur wurden zwei Straßen gebaut, eine Nilwasserleitung mit Pumpwerken verlegt und gleich zwei Badehäuser errichtet, wovon eines ausschließlich für den Vizekönig vorgesehen war. Dazu legte man einen Garten an, und 1873 konnte das regierungseigene Grand Hôtel des Bains seine Pforten öffnen, dessen Leitung Emanuel Heltzel oblag.

Das Grand Hôtel des Bains unter Leitung von EMANUEL HELTZEL auf einer Postkarte des Fotoateliers KHARDIACHE Frères in Alexandria.

Drei Jahre später war die erste Eisenbahnlinie nach Kairo fertiggestellt, die den langsamen und unregelmäßigen Omnibus-Verkehr ersetzte.

Mit dem Besuch der ersten hochrangigen Gäste erlebte Heluan eine kurze Blütezeit, zumal der Khedive die Entwicklung großzügig förderte und Baugrundstücke teilweise kosten- und abgabenfrei Privatleuten überließ. Dennoch machte sich ein gewisser Verfall bemerkbar, vor allem nachdem Reil beim Souverän in Ungnade gefallen war, wohl weil er sein Budget überzogen hatte. Auch der deutsche Hofarchitekt Julius Franz Pascha (1831-1915) konnte den Niedergang nicht stoppen. Er war nach Reil als Direktor des Bades verpflichtet worden, allerdings nur kurz, da ihn der Landesherr gleich wieder für andere Aufgaben benötigte. Der absolute Tiefpunkt war im Jahr 1879 erreicht. Just in diesem Jahr vollzog sich ein erzwungener Regierungswechsel. Der Khedive Ismail musste wegen der hohen Staatsverschuldung abdanken, und sein ältester Sohn Tewfik (1852-1892) übernahm das Szepter. Unter ihm begann ein neuer Aufschwung. Der deutsche Mediziner Franz Engel (1850-1931) wurde von 1880 bis 1884 als Inspektionsarzt der Bäder mit den Renovierungsarbeiten betraut, und der Herrscher selbst erbaute sich dort 1885 eine Winterresidenz, wohin er sich gerne zurückzog. Das hatte Signalwirkung, da der Großteil des Hofstaats nachfolgte und mit ihm die etwas wohlhabenderen europäischen Residents. Die Zahl der privaten Villen stieg im Jahr 1888 auf 140, womit der Ort auch für Investoren an Attraktivität gewann. So konnte beispielsweise die marode Bahnstrecke nach Kairo durch eine schnellere und direkte Linie ersetzt werden. Heltzel, dessen Konzession für das Badehaus und das Grand Hotel verlängert wurde, fungierte zugleich als neuer Badedirektor. Kurz nach Tewfiks Tod, der ihn ebendort in Heluan ereilte, wurde sein Palast in das Tewfik-Palace-Hotel umgewandelt.

Der nächste – und zugleich letzte – Khedive, Abbas Hilmi II. (1874-1944), engagierte sich ebenfalls in Heluan. Er ließ ein noch heute bestehendes Badehaus im maurischen Stil entwerfen, das im Dezember 1899 eröffnete. „Dieses imposante Etablissement ist mit allen technischen Erfindungen der modernen Hydrotherapie ausgestattet“, konstatiert ein Reiseführer, „und kann [...] mit den grössten europäischen Anstalten dieser Art rivalisieren.“

In dieser recht abenteuerlich anmutenden Apparatur konnte man sich mit einem elektrischen Lichtbad behandeln lassen.

Man hatte an alle nötigen Einrichtungen für äußerliche Anwendungen gedacht, die damals en vogue waren: Wannenbäder, elektrische Lichtbäder, Heißluft- und Dampfbäder und ein 1000 Quadratmeter großes Schwimmbecken, in dem das schwefelhaltige Wasser eineinhalb Meter tief stand.

Bei dieser Anwendung lag man in gut temperiertem, schwefelhaltigem Wasser und erhielt dazu eine Unterwasser-Massage.

Dieses sowie weitere Bassins speisten sich aus den ununterbrochen sprudelnden Thermalquellen, die aus beträchtlicher Tiefe kamen, was übrigens ihre Temperatur von 31 oder 32 Grad anzeigt. „Als heilwirkende Bestandtheile führen dieselben freie Schwefelsäure und freie Kohlensäure.“ Außerdem gab es noch „verschiedene andere alkalische, salz- und eisenhältige Quellen“, von denen die letzt genannte Art vornehmlich bei Trinkkuren verabreicht wurde.

Dass das gesamte Plateau „wie ein Schwamm voll Wasser gesogen ist“, war schon Reil aufgefallen. „Man mag auf demselben einschlagen wo man will, mit alleiniger Ausnahme der Stellen wo der Kalkfelsen zu Tage tritt, und man wird immer Wasser finden“, das Heilkraft besitzt. Im Jahr 1895 lokalisierte der österreichisch-ungarische Badearzt Dr. Adalbert Fényes (1863-1937) dort insgesamt zehn Quellen, deren chemische Eigenschaften und Inhaltsstoffe allesamt medizinisch wirksam sind. Für den studierten Neurologen entfaltete Heluan noch eine ganz andere „Heilkraft“, da er unter den zahlreichen Kurgästen 1896 seine zukünftige Frau traf, Eva Scott (1849-1930), einzige Tochter eines millionenschweren New Yorker Verlegers, geschieden, Geschäftsfrau und dazu eine begnadete Malerin. Sie war der Grund, dass Fényes Heluan verließ und nach Amerika aufbrach, wo sich das frisch gebackene Paar 1897 im kalifornischen Pasadena niederließ. Aber das ist wieder eine andere Geschichte, die man nur am Rande zu den üblicherweise genannten Heilerfolgen in Heluan rechnen kann, auch wenn diese ein überaus breites Spektrum abdecken. Für die Zusammenfassung der diversen Heilanzeigen mag das folgende genügen: „Als Badecur wirkt Heluan für chronische Gelenks- und Muskelaffectionen, Gicht, chronische Neuralgie, Hautkrankheiten u.s.w. Die schwefel- und salzhältigen Wasser werden ferner zu Inhalationen, Gurgeln und Trinken, gegen Asthma, Bronchitis u.s.w. verwendet.“

Als zweiter Heilfaktor in Heluan gilt die Luft, die dank der Lage in der Wüste warm und trocken sowie vollkommen rein – man spricht gar von steril – und fast staubfrei sei. Generell wird immer zu einem längeren Aufenthalt geraten, sei es nun ganz allgemein zur Rekonvaleszenz und Stärkung oder bei speziellen Diagnosen wie beispielsweise Diabetes. „Bei gewissen Arten von Lungenschwindsucht, bei Asthma, bei chronischer Bronchitis, bei der Bright’schen Krankheit, bei Gelenkrheumatismus, Gicht, Schlaflosigkeit u.s.w. kann man, wenn nicht auf Genesung, so doch mit Sicherheit auf Besserung rechnen“, resümiert der Baedeker.

Darauf hoffen auch die Meyerhofs, die wegen ihrer Nierenbeschwerden den Kur- und Badeort Heluan aufsuchen, der dafür erst seit kurzem verstärkt von deutschen Autoritäten empfohlen wird. Über die physiologischen Abläufe bei derartigen Leiden gibt der Arzt Dr. Stillkrauth Auskunft, als er das ein paar Jahre später entstandene „Wüstensanatorium“ in Assuan besucht, wo vergleichbare klimatische Bedingungen herrschen: „Diese Lufttrockenheit und die dadurch bewirkte enorme Wasserabgabe durch die Perspiration hat natürlich einen gewaltigen Einfluß auf die inneren Organe. [...] Das bedeutet eine enorme Entlastung und Schonung der kranken Nieren, wie sie im europäischen Klima wohl nirgends erzielt werden kann. Dabei nimmt die Eiweißmenge rasch ab, auch bei den seit Jahren dauernden Fällen.“

Diesen Wert kontrollieren die Meyerhofs regelmäßig selbst anhand der damals gebräuchlichen Esbach-Probe, mit der sich die im Urin vorhandene Eiweißmenge bestimmen lässt, die bei Gesunden möglichst gering sein sollte. Der französische Arzt Georges Hubert Esbach (1843-1890) hatte für diesen leicht und überall durchführbaren Test 1874 ein Glasröhrchen entwickelt, ein sogenanntes Albuminimeter, an dessen Skala man das Ergebnis nur abzulesen brauchte.

Zum Thema der segensreichen Luft äußert sich auch Ludwig Hamann, als er in Assuan von der „plötzliche[n] Heilung solcher langwierigen Krankheiten dort in Oberägypten“ hört. „Die Trockenheit der Luft in Verbindung mit hoher Temperatur bewirken eine Anregung des Stoffwechsels und eine erhöhte Flüssigkeitsabgabe durch die Haut, ohne daß es zur Schweißbildung kommt. [...] Nierenkranke, Rheumatiker und Lungenleidende, wenn sie noch fieberfrei, ebenso Asthmatiker, deprimierte Neurastheniker und Zuckerkranke, für alle diese Leidenden ist die Wüste hier in klimatischer und therapeutischer Hinsicht das Dorado.“

Der Stadtplan von Heluan aus MEYERs Reisehandbuch von 1909 verzeichnet auch später hinzugekommene Einrichtungen wie das Hotel Al-Hayat oder die Sternwarte.

All dies trifft trotz der etwas niedrigeren Temperaturen auch auf Heluan zu, wo man über die Jahre eine künstliche Oase geschaffen hat, die ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt erlebt. Der renommierte Kurort wird in einem Atemzug genannt mit den namhaften Bädern in Europa. Um 1900 zählt er rund 8.000 Seelen und verzeichnet 800 Häuser. „Bis 1914 war Heluan sehr stark von Engländern, Deutschen und Russen besucht“, was sich im Übrigen auch bei den InhaberInnen von Pensionen und Therapieanstalten widerspiegelt.

Zum internationalen Ärztestab und Pflegepersonal gehören etliche Deutsche, die zeitweise sogar als Direktoren der Badeanstalt fungierten. Dieses Amt bekleidet seit 1896 der Brite William Page May (1863-1910), der in Heluan die „Villa Saqqara“ bewohnt. In seiner Publikation von 1901 zu Heluan hebt er die Vorzüge dieses ägyptischen „health resort“ hervor. Damit reiht er sich in die lange Liste von Ärzten ein, die sich mit den spezifischen Gegebenheiten von Heluan schriftlich auseinandersetzen. In ihren Fachpublikationen drucken sie lokale Temperaturkurven, international vergleichende Klimatabellen und Analysen zu den Inhaltsstoffen der Quellen ab, besprechen die unterschiedlichen Heilverfahren und stellen die neuesten therapeutischen Erkenntnisse vor. Darüber hinaus geben sie nützliche Tipps zum Erholungsangebot und schlagen interessante Ausflüge in die nahe oder ferne Umgebung vor.

Was die Unterkunft anbelangt, hat man in Heluan die Wahl zwischen Hotels und Pensionen in verschiedenen Preisklassen, in denen man sich auf vielfältige Weise um das Wohl der Kurgäste kümmert. „Die Direction der Hôtels und Bäder wendet alles an, um ihren Gästen angenehme Zerstreuung zu bieten. Bibliotheken, englische und französische Billards, zwei Lawn tennis-Plätze, Croquetspiele u.s.w. sind zur Verfügung. Als weitere Unterhaltung führen wir an: Concerte und Tanzunterhaltungen, französische und arabische Vorstellungen im Casino, englische Militärmusik jede Woche in dem Garten des Grand Hôtel und ägyptische Militärmusik alle Sonntage im Kiosk.“

Das Grand Hotel sowie das Bade-Etablissement Hôtel des Bains gehören zu diesem Zeitpunkt der „Nungovich Hotels Company“, die sich nach ihrer Gründung im Jahr 1899 sukzessive weitere Hotels in Kairo einverleibte. Der Kopf dahinter ist George Nungovich (1854-1908), der aus Limassol in Zypern stammt, wo er in recht einfachen Verhältnissen aufgewachsen ist. Mit 14 Jahren kam er nach Kairo und fing bescheiden als Dienstbote oder Pförtner im gerade eröffneten New Hotel an. Er sollte sich als cleverer Geschäftsmann erweisen und hatte selbst bei ziemlich riskanten Investitionen an der Börse das Glück an seiner Seite, meistens jedenfalls. Sein langjähriger Mitarbeiter, der 1869 im Elsass geborene Auguste Wild, der selbst zu einem wohlbekannten Hotelier wurde, beschreibt ihn als klein in der Statur, mit dunklem Teint und intelligentem Gesicht und einem angenehmen Lächeln. In seinen Lebenserinnerungen hebt er ihn als außergewöhnlichen Mann hervor: „Georges Nungovich, who, beginning with nothing, became the owner and organizer of a chain of first-class hotels and brilliant financier, and who was as well known for his lovable personality as for his genius in turning all he touched to gold.” Der Khedive verlieh ihm aufgrund seiner Verdienste den Titel eines Bey. Nungovich hatte unter anderem die englische Armee unterstützt, ging sogar Anfang der 1880er Jahren mit an die Front in den Sudan, um das Catering zu organisieren. Bei einer anderen Gelegenheit ließ er das Militär kostenlos in seinem Kairener Hotel wohnen.

GEORGE NUNGOVICH (1854-1908), der „Napoleon“ unter den Hoteliers, fotografiert von PAUL DITTRICH.

Die britischen Offiziere dankten es ihm und kürten ihn zum „Napoleon of Egypt” mit der Erklärung: “He was in his way a very great little man; but it was his ready smile, his modesty and his kindness which won him the regard of all.“

Nungovich machte Millionen mit Immobilien, Aktien und Hotels, obwohl ihm Charles Baehler, der neue Star am Hotelhimmel, 1904 ein gewinnträchtiges Projekt vor der Nase wegschnappte. Erst 1907 kam der große Einbruch, als infolge des New Yorker Börsenkrachs im März auch der Wachstumsboom in Ägypten wie eine Blase in sich zusammenfiel. Während Nungovich sein privates Vermögen verlor, blieb seine Gesellschaft davon mehr oder weniger verschont. Im Sommer 1908 starb er in seinem Hotel San Stefano in Alexandria an einem Schlaganfall. Sein Begräbnis in Kairo soll eines der größten gewesen sein, das die Stadt jemals gesehen hat.

Doch zurück zum Jahr 1900, in dem die Nungovich-Hotel-Gesellschaft gerade dabei ist, ihr Portfolio in Kairo und Umgebung zu erweitern. In Heluan wirbt der Konzern mit zeitgemäßem Komfort und einem breit gefächerten Erholungsprogramm, das sogar mit einem Golfplatz aufwarten kann. Für weitere sportliche Betätigung sorgen regelmäßig stattfindende Rennen auf mehr oder weniger allem, was sich bewegt, und – vielleicht weniger anstrengend – die wöchentlichen Tanzabende im Grand Hotel, dem größten Haus am Ort, das bis zu 150 Gäste beherbergen kann.

Hier logieren die beiden Meyerhofs für die nächsten sechs Wochen, ziemlich beeindruckt von der fürstlichen Einrichtung sowohl in den privaten als auch in den gemeinschaftlich genutzten Räumen.

Ein privates, äußerst geräumiges Wohnzimmer im Grand Hotel, eingerichtet im Stil der Zeit.

„Das genannte Etablissement liegt an dem gesündesten Platze Heluans, gegenüber dem Grand Casino und dem Park. Es ist mit allem Comfort und den modernsten hygienischen Einrichtungen luxuriös ausgestattet, besitzt Aufzug und elektrisches Licht in allen Räumen. Die Küche ist allerersten Ranges und wird auch Specialküche für Diabetiker geführt.“ Besonders einladend wirkt die weitläufige Terrasse, auf der man sich in bequemen Liegestühlen entspannen und eines der ärztlich verordneten Sonnen- oder Luftbäder genießen kann. Dies beinhaltet auch das Kurprogramm der beiden Meyerhofs, dazu reichlich Bewegung in frischer Luft und eine spezielle gewürzarme Kost am sogenannten „Nierentisch“. Viel mehr erzählt Max nicht. Auch sein Gespräch mit dem zuständigen Badearzt Dr. Urbahn, der eine eigene Kuranstalt im Ort betreibt, streift er nur flüchtig. Er kann dort, assistiert von seiner Gattin Catharine, einer früheren Oberin des Bethanien-Krankenhauses im Hamburger Stadtteil Eppendorf, zehn bis zwölf PatientInnen betreuen.

Zwischen den medizinischen Anwendungen, zu denen auch Massagen gehören, stellt sich für die Meyerhofs bald eine Tagesroutine ein. Morgens hält man sich vorzugsweise im Freien auf und widmet sich der Lektüre der ausliegenden deutschen Zeitungen oder liest Bücher aus der Hotelbibliothek. Hier trifft man Bekannte, knüpft neue Kontakte und nimmt gelegentlich an einer der zahlreichen Hotelveranstaltungen teil. Auch die nähere Umgebung will erkundet werden, angefangen mit der auf dem Reißbrett entstandenen, fast quadratischen Siedlung Heluan. Die schnurgerade verlaufenden Straßen stoßen rechtwinklig aufeinander und sind teilweise mit Bäumen bepflanzt. Die überwiegend weißen Steinhäuser im Villenstil besitzen höchstens ein Stockwerk und „in den Gärten spriesst bescheidenes Grün.“ Während dies für den einen Reiseführer durchaus „einen freundlichen Eindruck“ macht, wirkt es auf den anderen „überaus langweilig“. Max tendiert zu letzterem und tituliert gleich am ersten Tag den Ort als „eintönig“.

Für etwas Abwechslung sorgen Spaziergänge, die auf der Karawanenstraße in das alte Dorf am Nil führen oder aber in die endlos weite Wüste, die sich nach Osten bis zum Horizont auszudehnen scheint. Überhaupt steht die Natur mit ihren heilenden Kräften im Vordergrund. „Man geniesst hier nach allen Seiten einen herrlichen abwechslungsreichen Rundblick. Ringsumher die Wüste, die Berge, der Nil mit seinen entzückenden Ufern, die Pyramiden einschliesslich jener von Gîze, hinter welchen sich die lybische Wüste am fernen Horizonte ausbreitet. Besonders schön und Erfurcht einflössend ist von hier aus der Anblick des Sonnenaufganges sowie des Sonnenunterganges.“ Das können die beiden Meyerhofs uneingeschränkt bestätigen, nicht jedoch die Angaben zum Klima. Es soll während der Wintermonate von November bis Mai trocken, frisch und mild sein, durch Regen nur „sehr selten und von kurzer Dauer“ beeinträchtigt. Doch ausgerechnet dieser Winter zeigt sich von seiner kältesten und nassesten Seite und durchkreuzt mehr als einmal ihre Planungen.

Max Meyerhofers Tagebuch

Heluan, d. 28.XI.1900

Heute eilen wir gleich wieder zur Wüste hinaus, um das Panorama von gestern Abend bei Morgenlicht zu betrachten. Jetzt sind zwar die großen Pyramiden von Gizeh (I,38) vom Morgendunst verhüllt, dafür sehen wir aber nun die ganze Kette der übrigen. Sie sind meist klein und zum Teil ganz zerfallen. Sehr deutlich im Sonnenglanz zeigt sich die sonderbare Stufenpyramide von Sakkâra, dem uralten König Zoser angehörend und die eigenartige sogen[annte] Knickpyramide von Dahschûr, letztere riesengroß, mit meiner mehr nördlichen Lieblingspyramide konkurrierend, deren Nordostseite jetzt in tiefem Schatten liegt. 

MEYERHOFs Zeichnung von den drei unterschiedlichen Pyramiden im Tagebuch auf Seite I,38.

Wir bummeln nun mitten durch die Wüste, wo außer Sand, Steinen und Knochen nur Thonscherben und zahlreiche Fußspuren an die Nähe menschlicher Wohnungen erinnern. Ein einziger niedriger Strauch kommt an einzelnen Stellen kaum sichtbar unter Steinen hervor. Sonst Alles tot. Nun kommen wir an eine Karawanenstraße, die sich durch die großen Fußspuren von Kamelen dokumentiert. Bald von dieser, bald von jener Seite naht auch ein Zug von 4 - 8 der häßlichen aber so gedul- (I,39) digen und guten Tiere, alle teils mit Sandsteinquadern, teils mit Säcken oder Schilfkörben beladen. Auf einzelnen thront ein Araber oder Beduine, geht auch wohl nebenher. Die letzteren sind ganz weiß in Burnus gekleidet, manchmal mit schwarzen Mänteln. Auch die Weiber welche mit Wasserkrügen vom Nil heraufkommen sind alle schwarz gekleidet, ein eigenartiger Gegensatz zur grellweißen Morgenwüste. Näher und näher kommen wir dem hellgrünen Fruchtland und am Saum desselben erreichen wir das eigentliche Dorf Heluan, lehmig, schmierig wie alle Araberdörfer. Darüber kreisen die Aasgeier so zahlreich, wie bei uns die Raben. Am Wege liegt friedlich ein Kamel und läßt sich von zwei Beduinen scheeren. Ein anderes sieht stoisch zu. Eselkarren, zerlumpte Kinder, Wasserträgerinnen kommen zahlreich vorbei. Wir kehren auf der Fahrstraße nach Heluan zurück, die künstlich mit Bäumen bepflanzt aber doch recht schattenlos ist. Da – wir trauen unsren Augen kaum – (I,40) mitten in der Wüste auf dem Wege ein – Sprengwagen, von einem Araber geführt, mit einem Maultier bespannt.

Ein Wasser-Sprengwagen in Heluan.

Soweit ist die Kultur hier schon vorgeschritten! Dabei verfliegt das gesprengte Wasser bei der trockenen Luft schon nach ganz kurzer Zeit. Das Wetter ist trübe, eher kühl als warm, und bleibt so bis zum Abend. Nach dem Lunch sitze ich im Garten lesend. Da naht plötzlich militärischen Schrittes eine Abteilung schottischer Hochländer, Musiker eines englischen Regiments aus Kairo, in ihrer bekannten malerischen Tracht: kariertes Käppi auf dem rechten Ohr, rote oder weiße Jacke, karierter Rock mit der Mardertasche, bloße Knie und Gamaschen. Zwischen ihren recht netten Musikstücken spielen acht Mann auf und abmarschierend nationale Märsche auf dem Dudelsack, ein fürchterliches Gequietsch und Gebrumm, zu dessen Verständnis gewiß schottische Ohren gehören. Immerhin ein eigenartiger Genuß mehr, die Söhne des hohen Nordens (I,41) konzertieren tief im Süden. Auf der Straße ist wenig Leben. Einzelne Araber preisen mit näselndem Gesang ihre Waaren an, hie und da schreit ein Esel. Abends lesen wir die Berliner und Frankfurter Zeitung. Nachts beginnt der Kampf mit den Mosquitos, deren 7 trotz aller Vorsicht unter meinen großen Mosquitoschleier geraten sind. Sie sehen aus, wie unsre Mücken, greifen aber viel energischer an und saugen sich so voll Blut, daß ihr ganzer Hinterleib anschwillt.

Heluan, d. 29.XI.00.

Übel zerstochen machen wir uns nach dem Frühstück auf den Weg zu Dr. Urbahn, dem Badearzt, der uns freundlich empfängt, uns aber nicht Neues sagt. Nachmittags sehe ich mir Zimmer in einer Privatpension „Sphinx“ an und gehe dann wieder vor den Ort hinaus in die Wüste, um mir den Sonnenuntergang anzuschauen. Schon ist das Mokattamgebirge im Osten purpurfarben, seine grellen Schatten blau geworden. Leichter Dunst liegt weithin über dem Nil. (I,42) Die beiden Riesenpyramiden von Gizeh sind trotz der großen Entfernung mit je einer beleuchteten und beschatteten Seite auf das deutlichste zu sehen. Auch die Stufenpyramide von Sakkara liegt noch klar im roten Abendschein. Auf dem Nil blähen sich die weißen dreieckigen Segel der Dahabijen. Tiefer sinkt die große Sonnenscheibe, mein Schatten in der Wüste verlängert sich bis im Unendliche, das Mokattamgebirge wird fahlgrau. Um 450 erreicht der glühende Ball die Berge der libyschen Wüste zwischen den beiden Dahschurpyramiden. 3 ½ Minuten später ist die Sonne bereits versunken und der ganze westliche Himmel scheint in Flammen zu stehn.

PERLBERGs „Kairo am Abend“ mit den Pyramiden von Giza und einem „in flüssiges Gold“ verwandelten Nil laut MEYERHOFs Worten.

Wunderbar prächtig heben sich die großen Dahschurpyramiden von dem glühenden Grund ab. Im Osten steigen über der arabischen Wüste schon „die Schatten der Nacht“ unter einem starken Purpurstreifen am Himmel empor. Der Nil hat sich aus einem silbernen Band (I,43) in flüssiges Gold verwandelt, gegen das die Uferpalmen schon als schwarze Silhouetten abstechen. Rasch verlieren sich alle Farbtöne. Der Mond steht in breiter Sichel am Himmel und die Wüste verschwindet in blauen und grauen Schatten. Auf dem Heimweg finde ich unter einem Stein zum erstenmal einen Skorpion, der mit hochaufgerichtetem Schwanz sehr geschickt umherläuft.

Heluan, d. 30.XI.00.

Nachmittags produziert sich eine indische Gauklerbande auf der Hotelterrasse mit verstümmeltem Englisch. Ein Ichneumon, 2 Skorpione und eine Cobra capella bilden den animalischen Teil der Schaustellung. Abends wandern wir zum Sonnenuntergang ins Mokattamgebirge. Es ist das eine Bildung aus Muschelkalk, Basalt, Sandstein, in dem auch Gips in Steinbrüchen gewonnen wird. Ausgetrocknete Bäche haben das ganze Bergplateau mit tiefen Rinnen durchfurcht, in denen wir über scheußliche (I,44) Steine zu der geringen Höhe emporklettern. Von oben übersieht man noch mehr vom Nilthal. Die Landschaft und der Sonnenuntergang entwickeln sich genau wie gestern und wieder gleich entzückend. Im Mondlicht kehren wir heim. Heut

d.1.XII.00.

Heute verbringen wir den Tag lesend, lernend, stets im Freien vor der Terrasse des Hotels, wo Zelte und dergl[eichen] errichtet sind. Ich liege als besondere Kur zwei Stunden in der warmen Sonne. Wenn das nicht hilft –. Übrigens ist es nicht unangenehm. Aus der großen Hotelbibliothek, die meist englische Romane enthält, entlieh ich heute Irvings Sketch-book, das zu lesen mir recht schwer fällt. Aber ich will. Abends suchen wir vergebens den Sonnenuntergang, er verbirgt sich heute hinter Wolken. Das Essen ist andauernd gut, auch die Milch seit heute besser. (I,45)

2.XII.00.

Nachmittags im Casino von Heluan gegenüber dem Hotel Eselreiten und Wettläufen [sic] der Eseljungen, kompliciert mit Späßen, die uns nicht besonders komisch vorkommen, über die sich aber die anwesenden Araber freuen wie die Kinder. Dazu die rauschende Musik der arabischen Kapelle, ohne Melodie.

3.XII.00.

Seit gestern sind 6 Nierenmenschen mit Milchdiät etc. zu einem „diätetischen Tisch“ vereinigt, an dem gewürzlose Kost etc. verabreicht wird. Außer uns zwei steife deutsche Studenten, ein Pole und ein junger jüdischer Russe, den wir schon auf dem Schiff kennen gelernt hatten. Morgens wird, natürlich immer im Freien, gearbeitet, Mittags lege ich mich 1 Stunde in die Sonne, nach dem Lunch lesen wir Zeitungen aus Deutschland und gehen dann nördlich in die Wüste hinaus, um die Golfplätze und die Eisenbahn nach Kairo zu besehen. Es ist dunstig jenseits des Nils, (I,46) die Sonne geht daher nur als Ma matte riesengroße rötliche Scheibe hinter der nördlichen Dahschur-Pyramide unter. Beim Heimweg leuchtet der Mond, obgleich noch nicht voll, so hell, daß man bei seinem Schein bequem lesen kann. Nach dem Dinner sitzen wir Abends in der lauen Luft auf der Terrasse. Als zoologische Besonderheiten kommen uns eine große ägyptische Heuschrecke und ein dicker schwarzer Krabbelkäfer, der berühmte Skarabaeus der alten Ägypter zugeflogen.

Eine Golfspielerin auf dem Heluaner Golfplatz mit Sandboden, der auf Initiative von Dr. MAY, einem begeisterten Golfer, angelegt wurde.

Auf die Fußnoten des Originaltextes wurde für die online-Fassung aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichtet.

© 2017 Dr. Ludwig Reichert Verlag Wiesbaden
ISBN: 978-3-95490-136-4
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