Christian Eckmann wurde vor vier Jahren weltberühmt. Der Spiegel nannte ihn den „Chirurg des Pharao". Denn der renommierte Experte für antike Metallobjekte des Römisch-Germanischen Zentralmuseums (RGZM) in Mainz war es, der gemeinsam mit seiner Kollegin Katja Broschat Tutanchamuns Bart wieder „ansetzte", nachdem das gute Stück bei einem Unfall abgefallen war. Nun haben die beiden auch einen bislang unbeachteten Goldschatz  des Pharao „gerettet".

Als Howard Carter die goldenen Bleche im Jahr 1922 in einer Vorkammer von Tutanchamuns Grab fand, waren sie bereits in „ heiklem Zustand und relativ schlecht erhalten", wie der englische Ägyptologe seinerzeit selbst anmerkte.Doch er dokumentierte die lose zwischen Streitwagen auf dem Boden verstreuten Fragmente ebenso gewissenhaft wie die goldene Totenmaske des Kindkönigs, ließ sie fotografieren, sorgsam in eine Holzkiste packen und nach Kairo schicken.

Fotostrecke | 3 Fotos

© Griffith Institute, University of Oxford
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Vermutlich wegen Carters Anmerkung blieb die Truhe mit der Aufschrift:  „Harness" - Zaumzeug - zunächst verschlossen, bis sie wohl nach und nach in „Vergessenheit“ geriet. „Dass diese Kiste im Museum aufbewahrt wurde, war bekannt. Der enorme Arbeitsaufwand jedoch, der mit der archäologisch restauratorischen Aufarbeitung dieser Artefakte verbunden war, hat bisher wohl eher abschreckend gewirkt", erklärt Christian Eckmann.

Unbeachtet lagerten die gut 90 Goldbleche aus dem Grab des legendären Kindkönigs über neun Jahrzehnte im Ägyptischen Museum in Kairo, bis der Tübinger Archäologe Peter Pfälzner in Syrien gefundene Bleche mit Carters Fotos verglich und verblüffende Ähnlichkeiten fand.

Kiste voll Goldbrösel

Neugierig geworden, fragte Pfälzner daraufhin im Deutschen Archäologischen Institut in Kairo an, ob man die Plättchen nicht restaurieren könne. Im Rahmen eines gemeinsam initiierten und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützten Kooperationsprojektes, hoben schließlich 2013 Christian Eckmann und Katja Broschat den Deckel der fast 100 Jahre verschlossenen Truhe. „Wir hatten einen Scherbenhaufen vor uns liegen. Vieles war zerrissen, zerknüllt", erinnert sich Eckmann. "Wir waren ein bisschen erschüttert."

Zerfallenes Goldblech © Christian Eckmann

Die wertvollen Goldbleche waren nach 3000 Jahren im Pharaonengrab und fast einem Jahrhundert im Lager des Museums in schätzungsweise 1500 kleine Fragmente zerfallen. Drei Jahre puzzelten die beiden Spezialisten für antikes Metall, Eckmann und Broschat. Stück für Stück setzten sie die einst Bogenkästen, Pfeilköcher und Zaumzeug schmückenden Bleche wieder zusammen, stabilisierten die Bruchstellen mit Japan-Papier und Acrylharz und untersuchten aufwändig deren komplexe Herstellungstechnik. Julia Bertsch, Promovendin der Universität Tübingen, arbeitete die Ikonographie der Bildmotive auf.

Mühsame Puzzle-Arbeit © Christian Eckmann

„Das waren zeitintensive Arbeiten", entsinnt sich Eckmann. Denn die Objekte sind außerordentlich kompliziert aufgebaut. Sie bestehen aus sehr dünnen Leder-, Gips- und Textil-Schichten. Die hauchdünnen Goldfolien sind nur wenige  Mikrometer dick, was ein paar Hundertstel Millimetern entspricht. Aber sie seien „unglaublich detailfreudig und präzise dekoriert. In dieser Perfektion sind die Fundstücke einzigartig", begründet Eckmann den enormen Aufwand.

Das absolut Feinste vom Feinsten

Offensichtlich stellt nicht nur Tutanchamuns goldene Totenmaske die Gesichtshüllen seiner Vor- und Nachfahren in den Schatten. Auch das Zaumzeug seiner Pferde, seine Pfeilköcher und Bogenkästen sollten wohl im Jenseits die Gäule und Waffen aller anderen Pharaonen überstrahlen. „Wenn man sich andere Objekte aus dieser Zeit und ähnlichem Kontext anschaut“, so Eckmann, „dann hat Tutanchamuns Grabschatz auch hier wieder etwas Herausragendes zu bieten. Es ist technologisch betrachtet das Feinste vom Feinsten."

Rätselhafte Legierung

Bemerkenswert ist auch: Nur ein Teil der Bleche ist mit typisch ägyptischen Bildern royaler Macht dekoriert, wie etwa dem Pharao in Gestalt einer Sphinx, der seine Feinde niedertrampelt.

Tutanchamun in Gestalt einer Sphinx © Christian Eckmann

Ein anderer Teil zeigt Motive, die dem sogenannten „Internationalen Stil" zugeordnet werden und vor allem im ost-mediterranen Raum gebräuchlich waren.

Stilisierte Pflanzen sind typisch für den Internationalen Stil © Christian Eckmann

Den Clou brachte aber letztlich die Analyse des Goldes. Denn die Applikationen mit traditionell ägyptischen Bildern haben eine geringere Legierung als die mit „internationalen" Elementen. Hat Tutanchamun die wertvollen Stücke etwa aus Vorderasien importieren lassen? Möglich wär‘s. Aber Eckmann und seine Kollegen gehen nicht davon aus. Sie vermuten, dass sie ebenso in Ägypten gefertigt wurden, möglicherweise von eingewanderten levantinischen Handwerkern, die einst das Motiv-Repertoire mitbrachten. Vielleicht, so könnte man nun spekulieren, hatte sich eine der königlichen Werkstätten darauf spezialisiert, die zufälligerweise ein höher legiertes Gold verarbeitete. Wenn es so wäre, wäre das Rätsel gelöst. Doch für die Forschung bleibt die Frage nach der Herkunft des fast reinen Goldes zunächst offen.

Restaurator Christian Eckmann und Ägyptens Antiken-Minister Khaled al-Anany während der Ausstellungseröffnung © Yvonne Krause

Die goldenen Appliken werden seit November 2017 im Ägyptischen Museum Kairo erstmals ausgestellt.