Manchmal geschieht es, dass das Leben verblüffende Fügungen bereithält. Die Susanne Wenger Foundation in Krems unterstützend, bearbeitete ich eine Leihanfrage für eine Ausstellung. Dabei lernte ich den Obmann der Deutschvilla in Strobl, Herrn Ferdinand Götz, kennen. Es ergab sich im Gespräch seltsamerweise das Thema Kairo und ich erzählte von meinem Buchprojekt.
Verwundert hörte ich zu, als Herr Götz von seinem Großonkel Hubert erzählte, der 32 Jahre lang der persönliche Sekretär und Leibdiener des ägyptischen Prinzen Yussuf Kamal war. Da wurde mir eine spannende und interessante Geschichte auf den Tisch gelegt, noch dazu mit Österreich-Bezug. Aufgeregt fragte ich nach näheren Details. Herr Götz stellte mir freundlicherweise Texte und eine Audiokassette zur Verfügung, auf der Hubert Götz selbst zu hören ist und aus seinem Leben erzählt. So erfuhr ich, wie es dazu kam, dass der Sohn eines Fleischhauers aus Kaltenleutgeben im Wienerwald, als persönlicher Sekretär mit dem ägyptischen Prinzen auf Reisen ging.
Prinz Yussuf Kamal, geboren am 17. Oktober 1882, war der Enkel Ibrahim Paschas, der ein Sohn von Muhammad Ali Pascha war. In Ägypten erfährt man wenig über den Prinzen, er wird jedoch als Patriot und Förderer von Bildung und Kunst gesehen. Die Universität Kairo unterstützte er mit der Schenkung eines großen Grundstückes, dessen Erträge der Bildungsstätte zur Verfügung standen. Schon unter den Mamluken wurde dieses Stiftungswesen praktiziert, um den Betrieb von theologischen Einrichtungen zu gewährleisten.
Weitere 2.000 ägyptische Pfund, heute ein Wert von zwei Millionen, spendete Yussuf Kamal der Universität während des Ersten Weltkrieges. 1908 gründete er gemeinsam mit dem Kunstsammler Mahmoud Khalil eine Kunstschule in Kairo, die als Vereinigung von Kunstliebhabern begann und 1932 zur Akademie erhoben wurde.
Von 1916 bis 1917 leitete er sogar selbst die Universität und sandte talentierte Studenten nach Europa, um ihre Ausbildung abzuschließen. Einer davon war der später berühmt gewordene Bildhauer Mahmoud Mukhtar, der als Vater der modernen ägyptischen Bildhauerei gilt. Yussuf Kamal war einer der reichsten Männer Ägyptens, ein Umstand, der sich in seiner Leidenschaft für Pferde und Kunst niederschlug. In seinen drei Palästen, in Alexandria, Nag Hammadi und Kairo, gab es außergewöhnliche Objekte der besten Kunsthandwerker der islamischen Welt. Seine Sammlung impressionistischer Maler, die er in Paris, London und Wien erwarb, konnte sich ebenfalls sehen lassen.
Der Prinz reiste auch für sein Leben gern und entwickelte ein großes Interesse für Geografie und Geschichte. Er gilt als erster Araber, der Tibet und Kaschmir besuchte. Seine zwischen 1913 und 1914 durchgeführte Reise fand im Buch „My Tourism in the Lands of West Tibet and Kashmir“ ihren Niederschlag. Nach Sultan Hussein Kamal sollte Prinz Yussuf die Herrschaft über Ägypten antreten, er verzichtete jedoch zu Gunsten von Prinz Ahmed Fuad I. auf den Thron.
Gleich am Anfang der Audiokassette erzählte Hubert Götz von der jüdischen Handleserin Gusti Blumenfeld, die später von den Nazis ermordet wurde. 1932 sagte sie dem jungen Hubert Folgendes: „Ich sehe viele Sachen. Du wirst eine ganz große Reise tun. Du wirst ein angenehmes Leben haben und viele Überraschungen erleben. Wir gehen furchtbaren Zeiten entgegen, aber du wirst verschont bleiben und ein Leben in prunkvollen Umständen führen.“
Diese Voraussage gefiel Hubert zuerst gar nicht, da er eine gute Stellung im Grand Hotel Wien hatte. Doch die Zahnschmerzen des Kammerdieners von Prinz Yussuf, der im Grand Hotel auf den Prinzen wartete, sollten Huberts bisheriges Leben total auf den Kopf stellen. Da Hubert Englisch sprach, wurde ihm die Aufgabe übertragen, den von Schmerzen geplagten Kammerdiener zum Zahnarzt zu begleiten. Es musste eine Wurzelbehandlung gemacht werden, die über eine Woche dauerte. So ging er jeden Tag mit dem Ägypter zum Arzt und zeigte ihm auch einiges von Wien, denn der Prinz weilte zu dieser Zeit noch in Ungarn und sollte erst in zwölf Tagen nachkommen. „Er war ein bisschen gschreckt [ängstlich], er traute sich nicht alleine auszugehen. Da bin ich mit ihm in den Prater gegangen, durch die Kärntnerstraße und halt umanand [herum]“, erzählt Hubert auf der Kassette.
Eines Tages forderte der Kammerdiener Hubert auf, doch eine Bewerbung zu schreiben, da der Prinz vorhatte, zwei Österreicher nach Ägypten mitzunehmen. Hubert nahm das nicht ernst, außerdem traute er sich nicht zu, eine Bewerbung in Englisch zu verfassen. Doch der Kammerdiener ließ nicht locker und bot ihm an, den Brief aufzusetzen. So geschah es und schon bald kam die Antwort aus Ungarn: der gutaussehende Hubert sollte engagiert werden.
Der Prinz wollte aber noch Huberts Eltern kennenlernen und deren Zustimmung einholen, da der junge Mann nicht großjährig war. „Ich war damals noch nicht großjährig, mein Vater stellte sich quer und sagte: du fährst nicht. Der Vater wollte auch nicht mit mir zur Polizei gehen. Um einen Pass zu bekommen, musste man damals ja zur Polizei. Da habe ich die Mutter angerufen und ihr gesagt, jetzt fahre ich erst recht. Sie begleitete mich und ich bekam den Pass.
Über Turin ging es nach Ägypten. Auf dem Schiff erfuhr ich, dass wir dann mehrere Monate in Afrika verbringen würden, um zu jagen. Danach sollte es wieder per Schiff über den Atlantik zur Weltausstellung nach Chicago gehen.“ Heimweh hatte Hubert nur in Turin, da der Prinz auf Einladung des italienischen Königs für einige Tage zur Jagd in Savoyen war. Er blieb alleine im Hotel zurück und erlebte Momente großer Einsamkeit. Sich ablenkend, fütterte er die Tauben, die ans Fenster seines Zimmers kamen, womit eine lebenslange Liebe zu diesen Vögeln begann. Als sie endlich in Matariya, einem Stadtteil von Kairo, wo der Prinz einen Palast hatte, ankamen, war es um den Österreicher geschehen. Als er den Palast, den Park und die vielen Tiere sah, sagte er sich: „Da bleibst, denn wo es dir gut geht, da bist du daheim.“
Acht Monate im Jahr war er mit dem Prinz auf Reisen, im Sommer meistens in Europa und im Winter in Kenia und Ägypten. Am 24. Dezember 1938 brachen sie zu einer fünfmonatigen Safari mit dem Schiff von Port Said auf, durchquerten den Suezkanal und das Rote Meer, bis sie in Mombasa an Land gingen. Mit den mitgebrachten Fahrzeugen (mehrere Lastwägen und ein Sportwagen), Zelten, Betten, Geschirr und allem, was für eine Safari benötigt wurde, begann in Mombasa die Expedition ins Landesinnere. Es war nicht immer angenehm in den Zelten. Hubert wurde krank, er bekam Malaria und Ruhr. Wieder genesen, ging es nach Paris, London, Madrid und Österreich.
Schon im Frühjahr 1937 kam Prinz Yussuf Kamal zum ersten Mal an den Wolfgangsee, da Fürst Tassilo von Fürstenberg ihm die Schönheit des Salzkammerguts in lebendigen Farben schilderte. Er verliebte sich in Sankt Gilgen und wollte dort Land kaufen. Doch die Fürstenberger, die in Strobl residierten, empfahlen dem Prinzen ein Grundstück in ihrer Nähe. So kaufte er eine Wiese vom Laimerbauer, worauf ein Baumeister ein geräumiges zweigeschossiges Holzhaus errichtete. Schon im Spätsommer desselben Jahres zog der „Prinz von Ägypten“ am Wolfgangsee ein. Als Bedienstete wurden Huberts Bruder Josef als Chauffeur und dessen Frau Maria als Köchin angestellt.
Aufgebracht äußerte sich Hubert über den Kriegsbeginn 1939: „Wir waren gerade in Mariazell beim Grafen Meran zur Gamsjagd eingeladen. Der Prinz wollte meinen Vater, den Benno und meinen ältesten Bruder dabei haben, da alle Jäger waren. Da sagte der Vater: ‚Für den Führer gebe ich meine vier Buben‛, worauf ich ihm antwortete, dass er mit den drei anderen machen kann, was er will, aber ich sicher nicht dabei sein werde. Beim Krieg mache ich nicht mit! Deppert waren sie alle, mitgeschrien haben sie.“
Um die Villa in Strobl dem Zugriff der Nazis zu entziehen, ließ Prinz Yussuf sie seinem Sekretär Hubert überschreiben, da nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich das gesamte Ausseerland in den Reichsgau Oberdonau eingegliedert wurde.
Während der Prinz mit seiner Entourage die Kriegsjahre in Ägypten verbrachte, kümmerte sich Huberts Familie um das Haus in Strobl. „Wie der Krieg aus war“, sagte Hubert, „war ich schon dreizehn Jahre beim Prinzen, da bin ich schon gut im Sattel gesessen. Ich war auch kurz interniert, weil ich einen deutschen Pass hatte, bin aber bald wieder im Palast gewesen.“
1949 kehrten sie ins Salzkammergut zurück und die Besitzrechte gingen wieder an den Prinzen. 1952 waren der Prinz und sein Sekretär wieder nach Ägypten unterwegs, als eine Tagesreise vor Alexandria ein Funkspruch das Schiff erreichte. Dem Prinzen wurde geraten, besser nicht an Land zu gehen, da sich das Volk unter Gamal Abdel Nasser, dem späteren ägyptischen Präsidenten, erhoben habe. Prinz Yussuf schickte Hubert alleine nach Kairo, um die Umstände zu erkunden und sich später wieder zu treffen. Hubert fand die Paläste geplündert und seine Vögel entlassen, eine Rückkehr des Prinzen war unmöglich geworden.
„Ich hatte einen Freund beim Secret Service, einen Türken. Ich hatte ja keinen Kontakt zu den Deutschen, bin nie in den deutschen Club gegangen. Der Freund gab mir den Tipp, dem Prinzen zu sagen, er soll Geld nach Europa oder Amerika transferieren. Aber der Prinz weigerte sich, denn das sei verboten und er schicke kein Geld ins Ausland. Dem Königshaus wird nie etwas passieren, meinte er, aber da hat er sich geirrt, die gesamte königliche Familie wurde 1953 enteignet. Alles war weg, von einem Tag auf den anderen. Er hatte zwar ein paar Millionen Schweizer Franken außerhalb gehabt, aber das war ein Trinkgeld. Von dem haben wir gelebt, am Schluss sind 6.000 Franken übrig geblieben. 32 Jahre war ich bei ihm, bis er im Werndl in Salzburg gestorben ist. Vieles, das mir die Gusti Blumenfeld gesagt hat, ist eingetreten, oft habe ich daran gedacht“, sagte Hubert resümierend.
Über die zwei Ehen des Prinzen erfährt man sehr wenig, da sie unglücklich verlaufen sein sollen. Vermutet wird, dass das Verhältnis des Prinzen zu Hubert über das eines Sekretärs hinausging und sie eine Liebesbeziehung gehabt hätten. Hubert Götz erfüllt den letzten Wunsch seines Herrn, in Ägypten begraben zu werden. Mit Unterstützung der ägyptischen Botschaft in Wien wird der Sarg in die Heimat des Prinzen transportiert. Seine letzte Ruhestätte soll sich in einem Mausoleum auf dem Muqattam Berg befinden. Einer ägyptischen Quelle zufolge ist nichts über sein Grab bekannt, es wird sogar vermutet, dass es sich noch in Österreich befindet. Hubert Götz starb am 5. Mai 2006 im 93. Lebensjahr und ist in Strobl am Wolfgangsee begraben.
Der Text ist ein Auszug aus „Das Wunder Kairo. Geschichten aus der Mutter aller Städte" von Leone Strizik. Erschienen bei BoD – Books on Demand, Norderstedt 2018