„Sind Sie direkter männlicher Nachkomme der Pharaonen? iGENEA publiziert exklusiv das Y-DNA- Profil Tutanchamuns und sucht nach seinen letzten lebenden Verwandten.“ Dies ist ein Angebot einer real existierenden, auf Ahnen- und Abstammungsforschung spezialisierten Schweizer Firma, die neben Tutanchamun auch die Verwandtschaft zu Ötzi, Napoleon, Che Guevara, Jesse James, Jingis Khan u. a. gegen eine simple Speichelprobe und die Zahlung von – je nach Umfang der gewünschten Analyse – 199 Euro bis 1099 Euro festzustellen anbietet.

Man stelle sich vor: Mann (Frau ist dabei leider wegen des fehlenden Y-Chromosomens ausgeschlossen) könnte mit dem entsprechenden Zertifikat in der Tasche im ägyptischen Museum seinem vor ca. 3350 Jahren verstorbenen Urahnen in die gläsernen Augen seiner Mumienmaske blicken und sich ein kleines bisschen in seinem Goldglanz sonnen. Apropos Gold: Wären da evtl. noch Erbschaftsangelegenheiten offen? Aber Scherz beiseite und aus dem Traum in die Realität: Laut Homepage ist es dem geschäftstüchtigen Schweizer Unternehmern gelungen, aus Filmaufnahmen des einschlägig bekannten Fernsehkanals Discovery Channel das Y-DNA-Profil Tutanchamuns, seines Vaters Echnaton und seines Großvaters Amenophis III. zu rekonstruieren. Diese werden mit dem jeweiligen Y-DNA-Profil eines neugierigen Kunden verglichen. Nur eine windige Geschäftsidee?

Die DNA (englisch: Desoxyribo-Nucleic-Acid) oder DNS (Desoxyribo-Nuklein-Säure) enthält die gesamte Erbinformation lebender Zellen und Organismen. Der chemische Aufbau und die molekulare Struktur der DNA sind in allen Lebewesen identisch, gleichgültig, ob es sich um Mensch, Pflanze oder Bakterium handelt. Die Struktur der DNA besteht aber nicht allein aus Erbinformationen für den jeweiligen Zellaufbau, sondern zu einem sehr großen Teil aus Abschnitten, die keine speziellen Erbinformationen tragen. Und diese Tatsache ist bei der DNA-Analyse wichtig: In diesen "blinden" Abschnitten zwischen den informationstragenden wiederholen sich bestimmte Kombinationen der Basen in typischer Weise, und zwar je nach Individuum unterschiedlich. Im Labor werden die DNA mit Hilfe chemischer Substanzen zerteilt und so die Abschnitte ohne Erbinformation freigelegt. Diese werden der Länge nach sortiert und fotografiert. So entsteht das DNA-Muster. Das aus Nukleinsäure bestehende Molekül wurde bereits 1943 von Oswald Avery bei Experimenten mit Bakterien als Ort des Erbguts ausgemacht. 1953 entdeckten James Watson und Francis Crick die Doppelhelix  als  die  molekulare  DNA-Struktur,  wofür  sie  1962  mit  dem  Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Erst 50 Jahre nach dieser Entdeckung gelang die Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes. DNA-oder Gen-Analysen sind molekularbiologische Verfahren, in denen die DNA auf individuelle genetische Merkmale untersucht wird. Auch wenn bis heute die Funktionsweise des Genoms Rätsel aufgibt und sich besonders aus ethischen, aber auch datenschutzrechtlichen Gründen erhebliche Risiken und  Bedenken  auftun,  ist  der Nutzen der wissenschaftlichen Erkenntnisse überwältigend. Die verschiedenen  Untersuchungsmethoden  werden  für  breite  Zwecke eingesetzt, z.B.  zur Abstammungsklärung, in der medizinischen  Diagnostik,  zu  Lebensmittelkontrollen,  in  der Genetik und ganz besonders zu kriminalistischen Zwecken.

In der Forensik, das weiß jeder Krimi-Fan, lassen sich seit Jahren viele Kriminalfälle schneller und eindeutiger klären. Die Kriminalpolizei stellt an Tatorten Spurenmaterial sicher und sendet es an die rechtsmedizinischen Untersuchungsstellen. Dort soll das den Asservaten möglicherweise anhaftende biologische Material – beispielsweise Blut, Sperma, Speichel oder Hautpartikel – DNA-analytisch untersucht werden, um ein DNA-Profil (DNA-Identifizierungsmuster) für einen Personenabgleich zu erstellen. Dabei soll durch den Vergleich von DNA-Profilen möglichst eine für die Tat relevante biologische Spur einer Person zugeordnet oder eine unbekannte Leiche identifiziert werden. Möglich ist dies seit der Entdeckung individualspezifischer DNA-Muster im Jahre 1985, womit der Grundstein für die Erstellung von DNA-Profilen in der forensischen Spurenanalytik gelegt wurde. Den zweiten großen Meilenstein in der Entwicklung der heute angewandten forensischen DNA-Analyse-Methoden setzte Anfang der 1990er-Jahre die Einführung der Polymerasekettenreaktion (PCR), die heute die zentrale Methode zur Erstellung von DNA-Profilen darstellt. Während vorher noch relativ große Mengen hochmolekularer DNA aus Blut- und Sekretspuren benötigt wurden, ermöglicht die PCR-Technik eine Zuordnung von Spurenmaterial häufig auch bei geringen DNA-Mengen. Heute braucht man für die Bestimmung des persönlichen DNA-Profils zwischen acht und 15 Abschnitte aus der DNA, die mit Hilfe der PCR-Methode millionenfach vervielfältigt werden. Da die DNA-Degradation mit der Liegezeit von Leichen fortschreitet und oft nur noch geringe Spuren von Genmaterial übrig bleiben, ermöglicht dieses neue Verfahren auch eine Vervielfältigung von Spurenextrakten und eine anschließende Sequenzierung.

Das Prinzip des DNA-Profils beruht auf der Untersuchung hochvariabler DNA-Abschnitte (Mikrosatelliten), die sich zwischen den einzelnen Individuen durch ihre Länge voneinander unterscheiden (Längenpolymorphismus). Die Gesamtheit der Mikrosatelliten in Kombination ergibt für jedes Individuum mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 99,99 % ein unverwechselbares DNA- Profil. Eine Ausnahme stellen eineiige Zwillinge dar. Das Verfahren, das in der Molekularbiologie auch als genetischer Fingerabdruck bezeichnet wird, wurde 1988 in Deutschland erstmalig als Beweismittel  in einem Gerichtsprozess anerkannt und gehört heute zum Standard bei polizeilicher Ermittlungsarbeit.

Dank der Fortschritte in der Molekulargenetik lassen sich zeitlich  weit zurückliegende Genmaterialien gewinnen und sequenzieren. Hierdurch scheint es möglich, sowohl Abstammungen Einzelner, als auch über Genspuren bei den heutigen Bewohnern frühe Wanderbewegungen von Völkerstämmen zu rekonstruieren. Die Methode der sogenannten „ancient DNA“ hielt wohl auch der ehemalige ägyptische Chef-Archäologen Zahi Hawass für eine bahnbrechende Möglichkeit, Licht in die ungeklärten und höchst umstrittenen Verwandt- schaftsverhältnisse der 18. Dynastie, insbesondere von Echnaton und Tutanchamun, zu bringen. Vor allem sollten einige rätselhafte Mumienfunde im Grab von Amenophis II. im Tal der Könige, die seit ihrer Entdeckung im Jahr 1889 Generationen von Archäologen reichlich Forschungs- und Spekulationsmaterial geboten hatten, endgültig identifiziert werden. Im Rahmen des  „King  Tutankhamun Family Project" untersuchte ein internationales Team aus Anthropologen, Humangenetikern, Radiologen und Medizinern 16 Mumien auf verwandtschaftliche Verhältnisse, mögliche Erkrankungen und Todesursachen. 2010 gab Hawass bekannt, dass die Molekulargenetiker Carsten Pusch aus Tübingen und Albert Zink aus Bozen aus einigen Mumien menschliche DNA gewinnen konnten, mit denen auch die Verwandtschaftsbeziehungen von Tutanchamun, Echnaton und Amenophis III. belegt und der Stammbaum über fünf Generationen rekonstruiert werden konnten. Da alle drei Mumien das gleiche DNA-Profil aufwiesen, sei ihre Identität geklärt und die Vaterschaft der Pharaonen der 18. Dynastie belegt. Eine als „younger lady“ bekannte Mumie wurde als Mutter von Tutanchamun und Tochter von Amenophis II. und seiner Frau Teje identifiziert, die sogenannte „elder lady“ als Teje selbst.

Begleitet und finanziell unterstützt wurde das aufwendige Unternehmen durch den Fernsehsender Discovery Channel, der die Arbeiten filmen durfte und in seinem Programm zeigte. Der Euphorie der einen Seite stehen jedoch erhebliche Zweifel an der Validität der Ergebnisse von Seiten  anderer Forscher gegenüber. Fraglich ist vor allem, ob die von Zink und Pusch entdeckten DNA-Profile tatsächlich von den Mumien stammen oder durch Verunreinigung mit neueren Genmaterialen unbrauchbar wurden. Kleinste Hautpartikel von Grabräubern, Ausgräbern oder den Forschern selbst, aber auch Pilz- und Bakterienbefall können dazu führen, dass die historische Erbsubstanz wie ein Halm im Heuhaufen gesucht und identifiziert werden muss, damit im sogenannten PCR-Verfahren kleinste Spuren einschlägiger DNA-Fragmente millionenfach im Reagenzgefäß kopiert und solange  vervielfältigt werden, bis diese "sichtbar" sind. Die Gefahr ist groß, dass anstelle der gesuchten Erbsubstanz aus dem historischen Gewebe eine jüngere DNA vervielfältigt wird. Molekularanalysen werden deshalb heutzutage in Reinstraumlaboren mit größter Sorgfalt durchgeführt.

Einige Forscher bezweifeln zudem, dass sich in dem heißen Klima Ägyptens überhaupt für das PCR- Verfahren ausreichende Gen-Fragmente erhalten haben, denn das Makromolekül der menschlichen Erbsubstanz ist empfindlich und zersetzt sich umso vollständiger, je mehr Zeit verstreicht und je wärmer es ist. Der Molekulargenetiker Franco Rollo von der Universität in Cambridge hat ermittelt, dass sich zur PCR erforderliche Fragmente von wenigstens 90 Basenpaaren bereits nach 600 Jahren zersetzt haben. Dem setzen andere Forscher entgegen, dass sich gerade aufgrund der verfeinerten Konservierungsmethoden der alten Ägypter die Erbsubstanz erhalten haben könnte. Weiterhin wird kritisiert, dass die Laborarbeit ausschließlich in Ägypten stattfand und Proben und Ergebnisse unter Verschluss gehalten werden. Die für Beweisführungen in der Forschung übliche Mehrfachtestung durch verschiedene Experten konnte bis heute nicht durchgeführt werden. Ein großes Problem bei der Interpretation der Forschungsergebnisse bereitete zudem die damalige Sitte der ägyptischen Königsfamilien, auch mit ihren engsten Blutsverwandten Nachkommen zu zeugen.

Zwischen den Ergebnissen der DNA-Analyse und den historischen Fakten bestehen nach wie vor Unstimmigkeiten, und in der Ägyptologie haben diese Ergebnisse zu einer kaum zu überbrückenden Kluft geführt. So werden rund um die Welt von den jeweiligen Lagern unzählige Studien erstellt und veröffentlicht, ohne dass ein Austausch stattfindet. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Fluch der Pharaonen offenbar auch die Ägyptologie und die Molekulargenetik getroffen hat.

Derzeit werden in den Laboren der Molekulargenetiker neue Analyseverfahren getestet, sogenannte "next generation"-Sequenzierungen, mit denen sich bald nur 30 Basenpaar lange Fragmente analysieren lassen sollen. Die könnten auch in einer jahrtausendealten ägyptischen Mumie zu finden sein. Carsten Pusch und Albert Zink versuchen deshalb die Erlaubnis zu bekommen, auch die neuesten Genomik- Verfahren an ägyptischen Mumien zu testen. So ist noch auf neuere und validere Ergebnisse zu hoffen und evtl. sogar auf einen produktiven Frieden zwischen den Forscherlagern. Das Schweizer Unternehmen hat eh keinen Anspruch auf solide wissenschaftliche Ergebnisse und begnügt sich für die Herkunftsanalyse mit einem Videomitschnitt des Discovery Channels als Vergleich. Welches Genprofil darauf zu sehen ist, weiß derzeit niemand genau zu sagen. Dennoch: Vielleicht ein origineller Geschenktipp für Leute, die schon alles haben?

Quellen:
Glaubrecht, Matthias: Der Fluch der Pharaonen erreicht die Genetik, http://www.welt.de/wissenschaft/ article13527786/Der-Fluch-der-Pharaonen-erreicht-die-Genetik.html vom 07.08.11 https://www.igenea.com/de/tutanchamun; https://de.wikipedia.org/wiki/Genetischer_Fingerabdruck; https://de.wikipedia.org/wiki/DNA-Analyse; Reuss, Esther: Anwendung der PCR in der forensischen DNA- Analyse; http://www.biospektrum.de/blatt/d_bs_pdf&_id=973596 ; Schlott, Karin: Streit um Tutanchamun, http://www.spektrum.de/news/streit-um-tutanchamun/1172285 vom 29.11.2012