Das Medizinbuch der Pharaonen ist ein Kandidat für die Aufnahme ins Weltdokumentenerbe.

Georg Ebers hegte keinen Zweifel. In seinen Augen war der fast 20 Meter lange und 30 Zentimeter hohe, gelbbraune Papyrus, dem nicht ein Stück fehlt und in dem sich kein unlesbarer Buchstabe findet, ein bedeutendes Dokument der Menschheitsgeschichte. Begeistert schrieb er am 26. März 1873 aus Kairo an das königliche Hausministerium Sachsen:

„Unser Document enthält nichts Geringeres, als ein Compendium der gesammten aegyptischen Medicin (...). Ich empfehle meinen Schatz bis zu meiner Heimkehr (Ende April) der gütigen Obhut Ew. Excellenz. Die Büchse mit dem mehr als 3000 Jahre alten, die grösste Vorsicht erheischenden, gebrechlichen Papyros darf nur von mir selbst geöffnet werden. Ich bitte noch angelegentlich das Kistchen an einen trockenen Ort zu stellen. Denn nichts verdirbt einen Papyros leichter als Feuchtigkeit."

Das „Kistchen" enthielt die bis heute größte und einzig vollständig erhaltene medizinische Buchrolle Altägyptens aus dem 16. Jahrhundert v. Chr. – den später nach seinem Entdecker benannten Papyrus Ebers.

„Gleich nach meiner Heimkehr denke ich an die Veröffentlichung des Papyros zu gehen; eine schwere, aber dankbare Arbeit", schrieb der Forscher im selben Brief. Sein Vorhaben, den Papyrus der Forschung weltweit so schnell wie möglich zugänglich zu machen, nahm schließlich zwei Jahre in Anspruch. Unter dem Titel „Papyrus Ebers: Das hermetische Buch über die Arzneimittel der Alten Ägypter“ veröffentlichte Ebers 1875 eine teilweise Übersetzung und einen detailgetreuen Druck der Schriftrolle. Das Original übereignete er der Universitätsbibliothek (UB) Leipzig, wo es seit 1873 aufbewahrt wird.

Brief von Georg Ebers vom 26. März 1873 an das königliche Hausministerium Sachsen, S. 1 von 3 © Universitätsbibliothek Leipzig

Kandidatur fürs Weltdokumentenerbe

Nun bewirbt sich die längste, schönste und einzig komplett überlieferte Buchrolle zur Heilkunde Altägyptens für die Aufnahme ins Weltdokumentenerbe. Einen entsprechenden Antrag hat die Bibliotheksleitung im Frühjahr 2015 zusammen mit zwei Expertengutachten eingereicht und die ägyptische UNESCO-Nationalkommission um Unterstützung gebeten. „Alter und Vollständigkeit der Schriftrolle, ihr großer Einfluss auf die Medizingeschichte und die Intensität ihrer aktuellen Erforschung machen die Universitätsbibliothek Leipzig hoffnungsvoll, dass der Papyrus Ebers in das Register des UNESCO-Programms „Memory of the World“ aufgenommen wird, schreibt Ulrich Johannes Schneider, Direktor der UB Leipzig, im Magazin der Bibliotheken in Sachsen. Deutschland ist im Weltdokumentenerbe, das bislang 348 Einzeldokumente und Sammlungen aus der ganzen Welt umfasst, mit 21 Einträgen und Ägypten mit vier Dokumentensammlungen vertreten.

Doch das Antragsverfahren ist in der Regel langwierig und die Aussicht für einen deutsch-ägyptischen Antrag ungewiss. „Zum einen könnte der überraschende Chefwechsel im Ministerium für die Verwaltung des antiken Erbes Ägyptens bremsend wirken. Zum anderen soll möglichst mit einer Kaufquittung glaubhaft gemacht werden, dass Georg Ebers den Papyrus zu seiner Zeit ganz und gar legal erworben hat", fasst Gotthard Dittrich die Schwierigkeiten zusammen. Dittrich, Geschäftsführer der Rahn Education, die in Ägypten mehrere Bildungsinstitute betreibt, ist gut vernetzt und hat sich auf Anfrage der UB Leipzig für die Idee eines ägyptisch-deutschen Antrags in Kairo eingesetzt. Derzeit gilt in der UB Leipzig das Motto: „Gut Ding will Weile haben oder, wie die Ägypter sagen würden, Inschallah ", beschreibt Prof. Dr. Reinhold Scholl, Leiter der Papyrus-Sammlung der UB Leipzig, den Stand der Dinge.

Auch wenn die Verleihung des UNESCO-Titels für den Papyrus Ebers ungewiss ist, das "Medizinbuch der Pharaonen" ist das umfangreichste und älteste Werk zu Heilverfahren. Er enthält rund 900 medizinische Rezepturen. Lehrtexte schildern, welche Krankheiten dadurch geheilt oder gelindert werden sollen. Er gibt Anleitung zur Geburtshilfe und Rat bei Haarausfall. Zugleich verbindet der Papyrus Ebers Erfahrungswissen mit Religion und Magie, vergleichbar mit späteren Heilkundebüchern, etwa denen von Hildegard von Bingen. Bei Schnupfen zum Beispiel empfiehlt der Papyrus folgendes:

 

Eb 762 (Kolumne 90, Zeile 14 – 15)
Ein anderes (Heilmittel) für das Beseitigen von Niesen (oder Schnupfen ?) in der Nase.Minze (?); werde verrieben mit Datteln; werde an die Nase gegeben.

Eb 763 (Kolumne 90, Zeile 15 – Kolumne 91, Zeile 1)
Ein anderes (Heilmittel), eine Beschwörung des Schnupfens:
Du mögest ausfließen, Schnupfen, Sohn des Schnupfens, der die Knochen zerbricht, der den Schädel zerstört, der im Knochenmark (des Schädels) hackt, der veranlaßt, daß die sieben Höhlen/Öffnungen schmerzen im Kopf der Gefolgsmannschaft (im Sonnenboot) des Re, die (hilfesuchend) Thoth anbeten.
Siehe ich habe dein gegen dich gerichtetes Heilmittel gebracht (und) dein gegen dich gerichtetes Schutzmittel: Milch einer (Frau), die einen Knaben geboren hat; Duft-Gummi; es wird dich beseitigen, es wird dich entfernen – werde umgekehrt angeordnet (d.h. es wird dich entfernen, es wird dich beseitigen). – Komme heraus zu Boden; verfaule, verfaule, viermal.
Werde rezitiert über Milch einer (Frau), die einen Knaben geboren hat; Duft-Gummi; werde in die Nase gegeben.

 

Alter von 3500 Jahren bestätigt

Neben Inhalt und Alter besticht der Papyrus Ebers auch durch seine Vollständigkeit und Größe. Denn es handelt sich nicht um Fragmente oder Bruchstücke, sondern um ein geschlossenes Kompendium mit einer Staunen machenden Länge. Er war einst 18,63 Meter lang und 30 Zentimeter breit. Aus konservatorischen Gründen war die Leipziger UB jedoch gezwungen ihn in 29 Einzelteile zu trennen, um ihn verglasen zu können. Deshalb spricht man jetzt von Tafeln. Ihre Nummerierung hilft, sich in der Textfülle zurechtzufinden.

Bemerkenswert ist zudem die Schönheit des Papyrus Ebers. Das Dokument ist in hieratischer Schönschrift geschrieben. Die mit den Hieroglyphen zusammenhängende Schrift wurde nachweislich ab dem 3. Jahrtausend vor Chr. und bis ins 3. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung gebraucht; hauptsächlich für die Niederschrift geweihter, heiliger und priesterlicher Texte.

Das Hieratische hat sich im Laufe der Zeit immer wieder im Detail verändert. Das betrifft insbesondere die Anordnung der Zeichen in Spalten und Zeilen, aber auch die Zeichen selbst. Mittels Analyse dieser Veränderungen im Schreibstil haben Spezialisten für die Schriftarten des Altertums, sogenannte Paläografen, unabhängig voneinander Georg Ebers Datierung seines „Schatzes" bestätigt.

Ebers hatte seinerzeit auf Basis des Kalenders, der sich auf der Rückseite der 1. Kolumne findet, das Alter der Rolle bestimmt. Der Kalender erwähnt den Frühaufgang des Sothis-Sterns, womit Sirius gemeint war, am neunten Tag des dritten Sommers im neunten Jahr der Herrschaft von Amenophis I. Dieser bedeutende Pharao regierte von 1525 bis etwa 1505 vor Chr. Folglich vermutete Ebers, dass der Papyrus im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts vor Chr. geschrieben wurde. Eine von der UB Leipzig in Auftrag gegebene Datierung mit der sog. C14-Methode hat diese Annahme endgültig bestätigt. Das Dokument wurde vor ca. 3500 Jahren verfasst.

Geschrieben wurde der Papyrus Ebers mit schwarzer und roter Tusche. Die rote Tusche diente der Hervorhebung von Überschriften und besonders wichtigen Informationen, wie Mengenangaben von Zutaten der Heilmittel. Beide Farben haben ihre Leuchtkraft bis heute vollständig erhalten. Faszinierend ist zudem die feine Qualität des Beschreibstoffes.

Papyrus Ebers Kolumne 90 © Universitätsbibliothek Leipzig

Viele Fragen unbeantwortet

Wer hat ihn verfasst? Zu welchem Zweck? Wo wurde er 3000 Jahre aufbewahrt? Wer hat ihn wo gefunden? Auf diese Fragen gibt es bis heute keine Antworten. Ägyptologen vermuten, dass die Rolle zu den Beständen einer Bibliothek gehörte und ein kurzgefasstes Lehrbuch des damaligen Wissens zur Heilkunde ist. Möglicherweise war es für die Ausbildung von Ärzten gedacht. Die Schrift, die feine Qualität und der exzellente Zustand des Papyrus Ebers sprechen u.a. für diese These.

Und auch der Verbleib von zwölf Abschnitten des Papyrus Ebers ist rätselhaft. Sie gelten seit dem 2. Weltkrieg als verschollen. Die UB Leipzig hatte die Schriftrolle zum Schutz vor Raub oder Zerstörung ins südöstlich von Leipzig gelegene Schloss Rochlitz gebracht. Aber nach Ende des Krieges konnte die Buchrolle nur teilweise wieder geborgen werden.

Selbst wenn der Papyrus Ebers nicht den UNESCO-Titel tragen darf, die UB Leipzig arbeitet bereits daran, das Dokument in ihre digitale Schatzkammer aufzunehmen, um es der Welt zugänglich zu machen. Das Prestige des Weltschriftenerbes wäre insofern hilfreich, würde es doch für weltweite Aufmerksamkeit sorgen und die Finanzierung für den momentanen Umbau der Internetpräsentation des Papyrus Ebers erleichtern. Voraussichtlich ab März/ April 2017 wird die neue Website www.papyrusebers.de in mehreren Sprachen online sein.