Schweizer Klub und Kit Kat.

„Al Kit-Kat“ ist ein in Kairo bekanntes volkstümliches Viertel im Stadtteil Embaba. Am westlichen Nilufer gegenüber der Nilinsel Zamalek liegen der Midan Kit Kat, die Kit-Kat-Metrostation und die Kit-Kat-Moschee. Hinter der Moschee stößt man in einem Gewirr von Gassen auf die rote Mauer des Schweizer Klubs. Vor 100 Jahren gehörte das gesamte Areal dem Schweizer Unternehmer Henri Meyer. Bei den ägyptischen Anwohnern war er damals als „Baron Henri Meyer“ und bei seinen Schweizer Zeit- und Eidgenossen als „moudir d’emababa“ oder - zur Unterscheidung von Kompatrioten gleichen Namens - „Dreck-Meyer“ bekannt.

Henri Meyer vor dem Eingang zur Villa Pax © Schweizer Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde in Kairo

Das heutige Viertel entwickelte sich zunächst durch Landflucht mittelloser Bauern. In den frühen neunziger Jahren erlangte es durch den Kultfilm „ Al Kit Kat“ und seine bizarr-komische Darstellung des Viertels und seiner Bewohner besondere Berühmtheit. 

Al Kit Kat

Der Schweizer Henri Meyer hatte 1919 in der Nähe des Dorfes Embaba ein großes, der Nilinsel Zamalek gegenüberliegendes Areal unbebauten Landes von Ahmed Pascha Fouad Ezzat gekauft. Der „Baron“ verpachtete sein Land an mittellose Bauern, die auf der Flucht vor der Armut aus ihren Dörfern in die Stadt strömten, vor allem aber wollte er Parzellen an wohlhabende ausländische Mitbürger verkaufen. Um die Attraktivität des Standorts zu steigern, errichtete er am Nilufer den Lido, ein vornehmes Kasino, das später unter dem Namen Kit Kat berühmt wurde und dem Platz bis heute seinen Namen gibt. In der Nachbarschaft lag inmitten eines weitläufigen, bis an den Fluss reichenden Gartens seine Villa Pax.

Villa Pax als Neubau © Schweizer Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde in Kairo

Der Lido und das Casino Kit Kat

Dort wo heute die Khalid Ibn al-Walid Moschee steht - so der offizielle Name -  befand sich zu Beginn des letzten Jahrhunderts an dem öffentlichen Platz gelegen der beeindruckende Eingang zum „Lido“. Seine monumentale Darstellung des berühmten Sieges Napoleons gegen die Mameluken im Jahre 1798 an den Pyramiden war Meyers ganzer Stolz und Anziehungspunkt für Besucher. Inmitten von Gartenanlagen und Obstbaumplantagen empfing die Besucher ein Open-Air-Kasino mit Bühne für abendliche Vorstellungen. Ein geräumiger, mit wertvollen Hölzern und weißem Marmor ausgestatteter Wintersaal soll durch große Fenster aus böhmischem Glas den Blick auf den Nil öffnen. Zur Dekoration diente auch ein Gemälde der berühmten Tänzerin Pavlova. Erlesen waren auch die Gäste, denn der Klub erfreute sich großer Beliebtheit bei Ausländern und der einheimischen Oberschicht. Selbst der König zählte zu den regelmäßigen Besuchern des „Winterpalastes“, wie ihn die Leute seinerzeit deshalb auch nannten. Die edlen Gäste brachten Glanz in die ärmlichen Hütten und Häuser der Umgebung. Zu ihrer Unterhaltung wurden Künstler aus aller Welt engagiert. Der Lido bot jedoch den Bewohnern des Viertels Beschäftigung und Einkommen.

Das Casino mit seinem monumentalen Eingang im Hintergrund © Schweizer Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde in Kairo

Bereits 1937 taucht das Casino Lido unter dem Namen Kit Kat in Meyers schriftlichem Vermächtnis auf, mit dem er unter anderem zwei Schweizer Gemeinden, seinem Geburtsort Fontaines sowie dem Ort Luterbach, einen erheblichen Anteil an der Nutzung des Casinos vererbte. Unter dem Titel „Embabeh- Nouvelle Enclave die Fontaines“ berichtet „Le veritable Messager Boiteux de Neuchatel pour l’an de grace 1945“ in seiner Ausgabe vom 12.August 1944 über diese unerwartete Erbschaft des neben den Pyramiden gelegenen Kit-Kat-Casinos im heißen Wüstensand Ägyptens. Um Herkunft und Bedeutung des eher unarabisch klingenden Namens Kit-Kat ranken sich verschiedene Vermutungen - von der Katzenpopulation bis über die Anlehnung an einen europäischen bzw. Berliner Nachtclub. Sie alle lassen sich jedoch nicht plausibel belegen und aus den zahlreichen, im Schweizer Institut Kairo hinterlegten Dokumenten auch nicht mehr rekonstruieren. Kabarett und Lido führte Ende der 40er Jahre der „Khawaga Calomiris“, ein Grieche, der zu den führenden Persönlichkeiten im ägyptischen Hotelwesen gehörte,  aber auch als eine der schillernden Gestalten seiner Zeit galt und laut Klatsch- und Tratschmeldungen als Frau verkleidet ermordet aufgefunden wurde.

Wertmarken oder Jetons des Lidos © africa.worldofcoins.eu

Während des zweiten Weltkriegs und bis zu Beginn der 50er Jahre zählte das  Kit-Kat-Kabarett zu den angesagtesten Adressen, neben dem König verkehrten hier viele einflussreiche Persönlichkeiten, unter denen auch Nasser und Sadat gewesen sein sollen. Ebenfalls beliebt war wohl das Casino bei ausländischen Spionen, die Erzählungen zufolge damals ihre Stütz- und Treffpunkte auf den benachbarten Hausbooten hatten, die auch als Lasterhöhlen für Glücksspiel, Prostitution und Drogen galten.

Nach der Revolution von 1952 wurde das Etablissement als Zeichen westlicher Dekadenz geschlossen. In den Erinnerungen der Bewohner des Kit-Kat-Viertels blieben der „Baron Henri Meyer“ und der Winterpalast noch lange präsent und fanden Eingang in Ibrahim Aslans Roman „Der Ibis“ aus dem Jahre 1983, der später zur Vorlage für den oben erwähnten Film dienste „Der Kit-Kat-Klub – das war Tanz, Trommelwirbel, Gesang, Könige, Minister“, heißt es. Nach der Schließung des Palastes eröffneten in dem ausgeplünderten Gebäude symbolträchtig kleine Läden und Cafés, der große Wintergarten wurde zum freitäglichen Gebet benutzt und die Fischer breiteten ihre Netze zum Trocknen aus, bis das Gebäude in den sechziger Jahren abgerissen und an seiner Stelle die Khalid-Ibn-al-Walid-Moschee erbaut wurde, allgemein unter dem Namen Kit-Kat-Moschee bekannt.

Khalid-Ibn-al-Walid-Moschee – allgemein unter dem Namen Kit-Kat-Moschee bekannt © Roshanak Zangeneh

Heute quirlt das Leben um die mehrstöckigen Sozialbauten und in den schmalen Gassen, der Verkehr tost die Corniche entlang, am Nilufer liegen noch immer Hausboote, heute beliebte Treffpunkte ägyptischer und ausländischer Künstler-Bohemien.

Das Schweizer Heim und der Vereinsmeyer

Wie eine Oase inmitten dieses Trubels erscheint die Villa Pax heutzutage, das Vereinsgebäude des Schweizer Clubs, auch bekannt unter Maison Swiss oder Swiss Club. Die Villa wurde 1947 vom Cercle Swiss übernommen und ist heute ein Freizeit- und Sportclub mit internationaler Ausrichtung. Das Gebäude befindet sich noch im Originalzustand und beherbergt einen Kindergarten und einen Restaurantbetrieb.

Eingang zur Villa Pax mit Wächter (Ghaffir) © Schweizer Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde in Kairo

Die Neuchateller Moschee in Shobra

„In Embaba, sind es die Europäer, die hier ihre Villen bauen. In Chobra habe ich eine Moschee bauen lassen, um damit die Muselmanen anzulocken“, zitiert ihn ein Zeitzeuge in der Schweizer Zeitung „Gazette de Lausanne“. Unter dem Titel „Wie Meyer sein Glück in Kairo machte“ berichtet die Ausgabe vom 20.1.1986 über Henri Meyers weiteres Landprojekt in Shobra. Auf einem großen Areal Brachland, das er an Bauern verpachten wollte, errichtete er als Erstes eine Moschee. Damit zog er Bauern an, die aus ihren Dörfern in die Nähe Kairos zogen. Um die Moschee herum errichteten sie ihre Häuser und pachteten seine Äcker. Als Zeichen seiner Heimatverbundenheit ließ er auf dem Minarett das Wappen des Schweizer Kantons Neuchatel eingravieren, zu dem seine Geburtsstadt Fontaines gehört. Leider ist nicht bekannt, ob diese Moschee in Shobra noch steht und wo sie sich befinden könnte.

Findiger Geschäftsmann und Revolutionär der Landwirtschaft

Mit seinen Landkäufen legte der umtriebige Schweizer sein Geld an, das er buchstäblich aus dem Dreck, genauer mit menschlichen Fäkalien und tierischen Abfällen, machte. Er stellte daraus Dünger her, den er in großen Mengen verkaufte.

In den Erinnerungen und Dokumenten „Cent ans de vie suisse au cairo“, die 1946 von J.R. Fiechter zum 20. Geburtstag der Erscheinens des „Journal Suisse d’egypte et du proche-orient“ herausgegeben wurden, heißt es, dass er 1895 als 27-Jähriger von seinem bereits früher aus der Schweiz eingewanderten älteren Bruder die Leitung der Cairo Sewage Transport Company LTD übernommen hatte. Diese sammelte organische Abfälle in der Stadt, in erster Linie Fäkalien. „Die Entleerung erfolgt mittels pneumatischer Pumpen, die ein Vakuum schaffen und geruchlos die Gruben entleeren und dann mehrere Kilometer außerhalb aufs Land transportiert werden.“ Auf Deponien trockneten sie im heißen Wüstenklima, vermischten sich mit anderem Schutt. Die getrockneten Krumen wurden als Dünger unter der Bezeichnung „la poudrette“ verkauft, weshalb sich in den Archiven als weiterer Spitzname „Meyer la Poudrette“ findet.

Dieser organische Dünger wurde nur selten eingesetzt, weil die ägyptische Landwirtschaft traditionell auf dem jährlich wiederkehrenden Schlamm der Nilflut anbaute. Meyer erkannte sehr schnell, dass die Erträge mit zusätzlichem Dünger enorm gesteigert werden könnten. Er professionalisierte das Verfahren zur Trocknung, indem er die Abfälle trennte und in neu konstruierten Anlagen bearbeitete. Durch chemische Anreicherungen und Zusammensetzungen ließ er verschiedene an den Bedarf der Pflanzen angepasste Düngemittel herstellen. Durch die Herstellung eines preiswerten Massenprodukts, das nun erstmalig für 1 Schelling pro Tonne verkauft wurde, hatte er sofort großen Erfolg. Die neuen Düngemethoden trugen insbesondere zu einer Revolutionierung der ägyptischen Landwirtschaft bei, sie ermöglichten moderne Intensivkulturen, förderten dadurch auch Monokulturen und Plantagenwirtschaft.

Die Cairo Sewage entwickelte sich dynamisch weiter. 1896 erhielt das Unternehmen die Erlaubnis zur Nutzung der Deponien von Kairo, 1899 kaufte sie die Fabriken für Schlachtabfälle und Tierkörperbeseitigung der Stadt.  1909 wurde Cairo Sewage in The Manure Company of Egypt SAE überführt. Zwar trat Meyer 1928 in den Ruhestand, kehrte jedoch 1937 als delegierter Geschäftsführer wieder zurück, um la Manure, „ die eine vorübergehende Sonnenfinsternis erlitten hatte“,  wieder auf Schwung zu bringen, so der Laudator im Golden Book. Das Dünger-Imperium breitete sich im Delta zu einer Industrie aus, mit drei Fabriken in Altkairo, Abbasieya und Abou el Soud sowie Depots in Tanta, Damanhour und Ismailia. Bis heute ist die  Manoura Company eine der großen Düngemittelfabriken Ägyptens.

Heimatliebender Patriot und Abenteurer

Der erfolgreiche Unternehmer Frédéric Henri Meyer, so sein Taufname, wurde am 2.11.1868, als Sohn eines mittellosen Steinmetzes in Fontaines/Neuchatel geboren. Seine Familie war so arm, dass er als Junge sogar ein Jahr auf den Schulbesuch verzichten musste. Nach einer Lehre als Drahtzieher wurde er Schreiber in der Omega-Fabrik und lernte in Abendkursen Sprachen. Schon bald folgte er seinem älteren Bruder Adolf, der bereits nach Kairo ausgewandert war und eine Fabrik für chemischen Dünger leitete. Doch den umtriebigen Schweizer hielt es auch in Ägypten nicht bei der Büroarbeit. Zunächst als Dolmetscher tätig, kam ihm bald die Idee zu einer Weltreise. Er machte sich auf nach Amerika, wurde bestohlen und kehrte mittellos und krank nach Ägypten zurück. Er galt vielen als Abenteurer, doch als sein Bruder auf einer Reise in die Schweiz zu Tode kam, übernahm Henri 1895 seinen Posten in der Cairo Sewage Transport Company und wurde Unternehmer.

Er machte später noch zwei weitere Weltreisen unter angenehmeren Bedingungen. Regelmäßig besuchte er die Schweiz, wohin ihn jährliche Arztbesuche führten und wo er sein Rheuma kurierte. Hier verstarb er am 17.4.1943 offenbar an einer Lungenentzündung. Er ist bestattet auf dem Friedhof in Fontaines. Sein Grab ist seinem testamentarischen Wunsch gemäß bekrönt „von einem 7 Meter hohen Obelisken ohne den Sockel. Er soll aus einem Stück polierten Granits aus Baveno bestehen, der Brunnen aus Jurastein errichtet werden.“

Henri Meyer war verheiratet mit der Französin Marie Nathalie Richard, die vor dem zweiten Weltkrieg laut „Gazette de Lausanne“ in der Villa Pax lebte. Die Ehe blieb kinderlos und nach ihrer Scheidung lebte die Ehefrau in einer Wohnung Meyers in Nizza. In seinen Testamenten vom 17.1.1925 und weiteren Anhängen von 1937 werden seiner geschiedenen Ehefrau die Nutzungsrechte bis zu ihrem Ableben auch an der Villa Pax gesichert.

Seitenansicht der Villa Pax © Schweizer Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde in Kairo

In zwei Testamenten und mehreren Zusätzen regelte Meyer akribisch seinen Nachlass in Kairo, Genf und Nizza und bedachte seine zahlreiche Familie (ein noch lebender Bruder, fünf Schwestern, Nichten und Neffen), seine Frau sowie Fontaine und Luterbach in der Schweiz ebenso wie den Cercle Swiss. Der Schützengruppe vermachte er „eine Versorgung mit Munition ad aeternum“.

Neben der Beteiligung am Kit-Kat-Kasino vererbte Henry Meyer der Gemeinde Fontaines 10 000 Francs für Arme und Schulstipendien.  Als Gegenleistung hat Meyer in seinem Vermächtnis die genaue Gestaltung seines Grabes festgehalten, berichtet „Le veritable Messager Boiteux de Neuchatel“, ebenso sollte ein Springbrunnen in Fontaines errichtet werden. Der Rest diente der Wartung und dem Erhalt der Neuchateller Moschee in Shobra sowie der Villa Pax.