Die systematische Erforschung pharaonischer Altertümer begann mit Napoleons Ägyptenfeldzug im Jahre 1798. Aber der kühne Korse konnte im Land am Nil keinen Fuß fassen. Nach ersten militärischen Erfolgen verließ ihn das Glück und er kehrte am 25. Juli 1799 heimlich nach Frankreich zurück. Trotz dieser persönlichen Niederlage hatte sein Aufenthalt in Ägypten ungeahnte Folgen für die Menschheit; denn im Tross von Napoleons Truppen befanden sich Wissenschaftler, Gelehrte und Künstler, die fasziniert von der Jahrtausend alten Kultur waren. Sie erforschten die Geschichte Ägyptens und veröffentlichten ihre Ergebnisse in der Publikation „Description de l'Egypt“. Die voluminöse Ausgabe umfasste zehn Folianten und zwei Sammelbände mit zahlreichen Abbildungen. Und mit Hilfe des sogenannten Steins von Rosette, der 1799 ausgegraben wurde, konnten die bisher nicht entzifferbaren Hieroglyphen entschlüsselt werden – ein Meilenstein in der Forschung. Dieser spektakuläre Fund und die Grabungsergebnisse der Wissenschaftler entfachten in Europa eine beispiellose Ägyptomanie. Unzählige Reisende und Abenteurer machten sich auf den Weg ins Land der Pharaonen, suchten nach Schätzen und gingen bei ihrem Vorhaben teilweise außerordentlich brutal vor. Gräber wurden geöffnet und wertvolle Artefakte heimlich außer Landes gebracht. Wollte Ägypten nicht ausgeplündert werden, musste dem Einhalt geboten werden.
Abb. 1
Aus einer zeitgenössischen Quelle erfahren wir, welche Gegenmaßnahmen die ägyptische Regierung ergriff: „Endlich wurde diesem Vandalismus ein Ziel gesetzt. Angeregt von den Franzosen faßte der vorige Vizekönig von Aegypten, Saïd Pascha, den Entschluß, zu retten, was von den Alterthümern seines Landes noch irgend zu retten sei. In Bulak, der Hafenstadt Kairo’s, hat er im alten Tempelstile einen Glaspalast errichten lassen, welcher aus einem Vorhof (Abb. 1) und vier Sälen besteht, deren größter allein 150 Fuß lang und 54 Fuß breit ist.
Dem französischen Gelehrten Mariette (Abb. 2) gab er zur Ausführung seines Planes unbeschränkte Vollmacht […]. Und August Mariette, der den Titel Bey erhalten hatte, machte von der ihm verliehenen Gewalt und den ihm gewährten Geldmitteln den umfassendsten Gebrauch. Er ließ Sphinxe und Bildsäulen, welche unter dem Sande begraben waren, wieder an das Tageslicht schaffen, Felsengräber öffnen, Tempel, die nur noch mit ihrem obersten Theile aus dem Boden sahen, wieder vollkommen frei legen. […]
Abb. 2
Für das neue Museum in Bulak [eröffnet 1859] sammelte er während der Jahre 1858 – 1861 mehr denn 18,000 Gegenstände an.“ (1) Es ist eine Ironie des Schicksals, dass Mariette, der Grabräuber in seiner ägyptischen Amtszeit aufs Energischste verfolgte, Jahre vorher selber ohne behördliche Genehmigung Grabungen vornahm, quasi diesem Gewerbe nachgegangen war. In den Jahren 1850 bis 1854 schmuggelte er rund 7.000 Objekte nach Paris. Damit war es 1858 nach seiner Rückkehr an den Nil und der Ernennung zum Direktor des Altertümerdienstes vorbei – der Saulus hatte sich zum Paulus gewandelt! Nun betreute Mariette hauptamtlich die Ausgrabungen und setzte alle Energie darauf, dass die Schätze auch im Lande blieben.
Der Augenzeugenbericht eines Besuchers verdeutlicht, wie besessen er von seiner Aufgabe war. Er erzählt: „Der Vicomte de Voguë, der das Museum in Bulak 1880 besichtigt, berichtet: »Während der Besucher den Garten durchquerte, runzelte der Besitzer verächtlich und zürnend die Brauen, folgte dem Eindringling mit eifersüchtigem Blicke, dem Blick des Liebenden, der einen Unbekannten bei seiner auserwählten, dem Blick des Laien, der einen anderen Laien in einen Tempel eintreten sieht.« Aber das ist nur der erste Eindruck: »War das Eis erst gebrochen, schloss Mariette den Besucher ins Herz, schleppte ihn in sein Museum und hielt ihm vor seinen Steinen lange Reden. Die Steine wurden beim Klang seiner Stimme lebendig, die Mumien erhoben sich aus ihren Hüllen, die Schreiber rollten ihre Papyri auseinander, die Skarabäen, Symbole befreiter Seelen, erfüllten zu tausenden die Luft.«“ (2)
Kurz vor seinem Tode war Mariette noch ein großer Erfolg beschieden: Bei Sakkara ließ er drei Pyramiden öffnen, deren Grabkammern für die Forschung wichtige Inschriften enthielten. Am 18. Januar 1881 starb der Franzose in Bulak bei Kairo.
Abb. 3
Doch die Räumlichkeiten in Bulak erwiesen sich bald als zu klein, weshalb eine Überführung der Objekte in geeignete Räumlichkeiten notwendig wurde.
Im Baedeker’s Ägypten lesen wir dazu: „Das Schloß von Gizeh (Abb. 3), ein weitläufiges Gebäude in leichter orientalischer Bauart mit ca. 500 Räumen, welche von dem Chediw Isma’îl mit einem Kostenaufwand von angeblich 120 Mill. Fr. für seinen Harem aufgeführt und dient seit 1889 als Museum. […]"
Das Museum ist im Winter, außer Mo. und Fr., täglich 9½ - 4½, im Sommer 8½ - 12 Uhr geöffnet. Eintritt: im Winter 5 Pi., 16. April – 15. Oktober frei. […] Vor dem Schloßportal steht auf einem Unterbau der Marmorsarkophag (Abb. 4) Mariette’s.“ (3)
Abb. 4
Die Räume (Abb. 5 und 5a) im neuen Museum konnten mehr Objekte aufnehmen, aber es lag nicht im Zentrum Kairos. Von der großen Nilbrücke benötigte man 14 Minuten, um das Gebäude mit der elektrischen Straßenbahn zu erreichen. Interessant ist auch, dass außerhalb der Saison – in den heißen Sommermonaten – der Eintritt frei war.
Für Souvenirjäger, die sich nicht mit gut gemachten Nachbildungen pharaonischer Artefakte begnügen wollten, war der Museumsshop – wie wir heute sagen würden – ein gesuchter Anlaufpunkt: „In einem Verkaufsbureau (Pl. LXI) werden von Beamten die zahlreichen Dubletten, sowie sonstiger Überfluß an das Publikum veräußert. Die Preise sind von der Museumsdirektion, die auch für die Echtheit bürgt, festgesetzt und sichtbar angebracht.“ (4)
Abb 5
Abb. 5a
Abb. 6
Zu den Touristen, die sich dort mit ägyptischen Antiquitäten eindeckten, gehörte auch der Schriftsteller Karl May. Er hatte, laut Eintragung in seinem Reisetagebuch, das Museum am 9. Mai 1899 (5) besucht und unter anderem auch Skarabäen gekauft. Einen davon schenkt er der jugendlichen Verehrerin Elisabeth Barchewitz zum 16. Geburtstag. In seinem Begleitschreiben lesen wir dazu: „Der Skarabäus, das Sinnbild der Unsterblichkeit, stammt aus dem vizeköniglichen Museum von Gizeh, ist also unbedingt ächt. Ich selbst habe ihn von dort geholt. Klara [Mays Frau] trägt einen als Brosche, ich einen als Nadel.“ (6)
Die Sammlungen in Gizeh waren im Erdgeschoß und im 1. Stock untergebracht. Besonderer Anziehungs-punkt dürfte der III. Saal im Erdgeschoß gewesen sein. Er enthielt die Mumien von Sethos I., Ramses II. (Abb. 6), Ramses III., Amenophis I., Thutmosis II. und Thutmosis III.
Zu den ausgestellten Objekten gehörten auch der als Schech el Beled (Abb. 7) bekannt gewordene Dorfschulze und die berühmten sechs Gänse von Medum, die für jeden Liebhaber altägyptischer Kunst ein Begriff sind.
Abb. 7
Doch auch die Räumlichkeiten in Gizeh erwiesen sich als zu klein. Deshalb wurde im Zentrum der Stadt unweit der großen Nilbrücke und der Kaserne Kasr-el-Nil am 1. April 1897 durch den Khediven Abbas Hilmi II. der Grundstein für ein größeres Gebäude gelegt.
Abb. 8
Nach vier Jahren und acht Monaten Bauzeit konnte das im griechisch-römischen Stil errichtete Museum (Abb. 8) am 15. November 1902 eröffnet werden. Beeindruckend ist der große Saal (Abb. 9) im Erdgeschoß mit seinen gut erhaltenen Monumentalstatuen.
Zu den bekanntesten Ausstellungsfunden zählen zweifellos die Funde aus dem Grab Tutanchamuns, die der britische Archäologe Howard Carter im Tal der Könige in Luxor entdeckt hatte. Am 16. Februar 1923 erfolgte die offizielle Öffnung des Grabes im Tal der Könige in Theben West. Von den dort gefundenen, mehr als 5.300 Artefakten sind im Museum am Tahrir-Platz 1.700 ausgestellt, die restlichen lagern in Magazinen in Kairo und Luxor. Das Prunkstück – immer von Besuchern dicht umlagert – ist die goldene Totenmaske Tutanchamuns.
Machen wir einen Sprung in die Gegenwart: Im Herbst 2014 löste sich bei Reinigungsarbeiten der Bart von der Maske und wurde daraufhin nicht fachgemäß wieder angebracht. Deshalb wandte sich der ägyptische Minister für Antike, Prof. Dr. Mamdouh Eldamaty, an das Deutsche Archäologische Institut in Kairo und das Römisch-Germanische Zentralmuseum Mainz. Experten beider Institutionen konnten in Kooperation mit ihren ägyptischen Kollegen die Restauration erfolgreich fachmännisch durchführen. Am 16. Dezember 2015 nahm die frisch restaurierte Totenmaske wieder ihren Platz im Museum ein, strahlt im alten Glanz und ist seitdem wieder der Anziehungspunkt und Liebling vieler Besucher.
Die Ereignisse der Revolution im Jahre 2011 gingen auch an dem Museum nicht spurlos vorüber. Weil es in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Auseinandersetzungen lag, gab es vereinzelte Plünderungen und Beschädigungen von Objekten.
Abb. 9
Gemessen am Gesamtbestand der Sammlung hielten sich die Verluste aber in Grenzen. Sie wurden auf insgesamt 54 Ausstellungsstücke beziffert, von denen 25 wieder dem eigentlichen Bestimmungsort zugeführt werden konnten.
Wie in den meisten Museen sind auch am Tahrir-Platz nicht alle vorhandenen Stücke ausgestellt. Viele Artefakte lagern im Depot. Um hier Abhilfe zu schaffen, wurde im Jahre 2002 ein Neubau in der Nähe der Pyramiden auf dem Gizeh-Plateau geplant und begonnen.
Abb. 10
Eigentlich sollte die Eröffnung bereits im Jahre 2015 stattfinden, aber der Termin konnte nicht gehalten werden und wurde auf 2022 verschoben. Chronischer Geldmangel ist eine Ursache dafür; auch die politischen Unruhen in den jüngsten Jahren trugen dazu bei.
Aber die Ägypter haben ja Erfahrungen mit Großprojekten. Denken wir nur an die Pyramiden, die unter wesentlich primitiveren Verhältnissen erbaut wurden. Nach Fertigstellung des Bauvorhabens können dann endlich auch jene Stücke des Schatzes von Tutanchamun und andere Artefakte bewundert werden, die bisher nur ausgesuchten Wissenschaftlern zugänglich waren und im Keller des Gebäudes am Tahrir-Platz lagerten. Aber die Pläne reichen noch weiter: Auf dem bisherigen Museumsgelände sind Restaurierungswerkstätten, Verwaltungsgebäude und ein Pharaonischer Garten geplant. Vom Nil bis zum Museum existiert ein unterirdischer Tunnel, durch den in der Vergangenheit große Exponate ins Gebäude transportiert wurden. Durch den Tunnel könnten Flussreisende auf kürzestem Weg zu den Ausstellungsräumen gelangen – aber das ist alles Zukunftsmusik.
Ein drittes Großprojekt entsteht zurzeit in Al-Fustat: das National Museum of Egyptian Civilization (NMEC). Der Standort wurde gut gewählt, denn in Al-Fustat befand sich einst die Keimzelle von El- Kahira. Bis zur endgültigen Eröffnung wird aber noch viel Wasser durch den Nil fließen.
Ägypten ist eine rasche Eröffnung der neuen Museen zu wünschen, denn der Tourismus ist ein bedeutender Faktor des Landes. Die Neubauten werden sicher dazu beitragen, dass Interessierte aus vielen Erdteilen in das Land am Nil gelockt werden und sich an den pharaonischen Schätzen sowie Gegenständen aus dem Alltagsleben der Ägypter erfreuen können.
Quellen(1) Karl Oppel: Das Wunderland der Pyramiden. Verlag von Otto Spamer, Leipzig 1868, S. 318f.
(2) Robert Solé/Marc Walter: Legendäre Reisen in Ägypten. Frederking & Thaler Verlag GmbH, München 2004, S. 82.
(3) Ägypten, Handbuch für Reisende von K. BÆDEKER. Fünfte Auflage, Leipzig 1902, S. 78f.
(4) Ebd., S. 79.
(5) Dieter Sudhoff/Hans-Dieter Steinmetz: Karl-May-Chronik II. Karl-May-Verlag, Bamberg – Radebeul 2005, S. 236.
(6) Dieter Sudhoff/Hans-Dieter Steinmetz: Karl-May-Chronik IV. Karl-May-Verlag, Bamberg – Radebeul 2005. S. 24.
Für Hinweise zur jüngsten Entwicklung und geplante Vorhaben am Tahrir-Platz und in Al-Fustat dankt der Verfasser Renate Gomaa und Dr. Christian Eckmann.
Der Autor lebt in Berlin.
Bildnachweis: Abb. 10 - Stefan Usée, alle anderen Fotos wurden vom Autor zur Verfügung gestellt.