„Sie [die Ägypter] sahen in mir einen Mann, der trotz seiner gehobenen Stellung in der europäischen Gesellschaft und seines Ansehens unter den europäischen Diplomaten mit ihnen gerne zusammen war, der nicht auf sie herabschaute, wie die Engländer oder die meisten anderen Europäer dies taten, die sich nicht direkt mit ihnen verständigen konnten, der vielmehr Freude an dem Leben, das sie damals noch führten, hatte und gerne an diesem teilnahm.“1 So schilderte der Forscher, Sammler und Diplomat Max von Oppenheim rückblickend seine Jahre von 1896 bis 1909 in Kairo. In dieser Zeit war er als Attaché am kaiserlichen Generalkonsulat in der ägyptischen Hauptstadt tätig und wohnte am Bab el Lûk (heutige Bezeichnung: Midan el-Falaki), nur wenige hundert Meter von seiner Arbeitsstelle entfernt. Die Innenräume seines Hauses verdeutlichten Oppenheims Doppelstellung, waren in zwei Abteilungen unterteilt: eine europäisch geprägte mit Salon, Kanzlei und Bibliothek, in der offizielle Gäste empfangen wurden, und eine mit arabischen Antiquitäten prachtvoll ausgeschmückte, in der nur der Hausherr und besondere Gäste Zutritt hatten. Die Häuser aus der Zeit um 1900 – auch das von Oppenheim – existieren nicht mehr. Heute umgeben den Platz moderne Bauten. Erhalten hat sich allerdings eine Markthalle. Die Inschrift über dem Eingang verrät uns, dass sie 1912 errichtet wurde.
Auch sonst hatte sich Oppenheim den Gewohnheiten des Gastlandes angepasst. Wie damals üblich, lebten die meisten ledigen Europäer mit sogenannten „Ehefrauen auf Zeit“ zusammen. Der Junggeselle Oppenheim machte hier keine Ausnahme und pendelte ständig zwischen dem kaiserlichen Konsulat und seinem orientalisch geprägten Wohnsitz, genoss sichtlich die landestypische Lebensweise und führte quasi ein Doppelleben.
Wer war nun dieser interessante und vielseitige Mann? Geboren wurde Max Adrian Hubert von Oppenheim am 15. Juli 1860 als Sohn einer alteingesessenen Bankiersfamilie in Köln. Oppenheim studierte Jura in Straßburg, Berlin und Köln. 1883 promovierte er zum Dr. jur. in Göttingen. Im Winter des gleichen Jahres unternahm er mit seinem Onkel Alexander Engels eine Reise nach Italien, Griechenland, Kleinasien und Konstantinopel. Während seiner Tätigkeit im Regierungsdienst machte er die Bekanntschaft mit den Afrika-Forschern Gustav Nachtigall und Gerhard Rohlfs. Es folgten mehrere Reisen in den Orient, und von 1896 bis 1907 war er als Attaché am kaiserlichen Generalkonsulat in Kairo tätig. „Diese Jahre bezeichnete er rückblickend als die ‚Glanzzeit meines Lebens.‘“2 Mitte 1899 unternahm er eine Forschungsreise ins nördliche Syrien und Mesopotamien und machte dort die Entdeckung seines Lebens: den Tell Halaf, eine berühmte archäologische Stätte in Syrien. Die Ausgrabungen von 1911 bis 1913 unter Oppenheims Leitung brachten reiche und neuartige Funde zutage. Unterbrochen wurde diese Tätigkeit durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges. Oppenheim nutzte die Zeit, um 1917 seine bisherigen Grabungsergebnisse zu publizieren. Außerdem veröffentlichte er Forschungen zu den Beduinen. 1927 reiste er erneut zum Tell Halaf, um die Lage zu sondieren, und begann zwei Jahre später wieder mit Ausgrabungen. Am 14. Februar 1929 gründete der unverheiratet gebliebene Forscher und Sammler die „Max Freiherr von Oppenheim- Stiftung. Orient-Forschungs-Institut.“ Die Stiftung sollte der wissenschaftlichen Erforschung seiner reichhaltigen Ausgrabungsfunde eine Basis geben. 1930, zum 70. Geburtstag Oppenheims, öffnete in Berlin-Charlottenburg auf dem Gelände der Technischen Universität das Tell-Halaf-Museum. In ihm konnten die 1913 und 1927 am Tell Halaf ausgegrabenen und zum Teil nach Berlin geholten Funde besichtigt werden. Das Museum erfreute sich regen Zuspruchs, und es befanden sich bekannte Persönlichkeiten unter den Besuchern. So auch die berühmte Kriminalschriftstellerin Agatha Christie mit ihrem Mann. Und als der irakische König Faisal I. im August 1930 in Berlin weilte, erhielt er als Ehrengast eine Sonderführung von Oppenheim durch die Ausstellung. Bei einem Bombenangriff im November 1943 wurden große Teile der Exponate zerstört. Oppenheim war schon vorher nach Dresden übersiedelt, nachdem seine Wohnung am Savignyplatz durch Bomben schwer beschädigt worden war. Sie hatte er, ähnlich wie sein Haus in Kairo, liebevoll mit Stücken aus seiner orientalischen Sammlung ausgestattet. Am 14. Mai 1946 übersiedelte Oppenheim nach Landshut, wo er am 15. November 1946 verstarb. Die Inschrift auf seinem Grabstein, von ihm selbst entworfen, liest sich wie ein Resümee seines Lebens: „Hier ruht in Gott ein Mann, der die Wissenschaft, den Orient, die Wüste und den von ihm entdeckten und ausgegrabenen Tell Halaf geliebt hat“.
Oppenheim publizierte seine Forschungsergebnisse in zahlreichen Veröffentlichungen. Eine erste Bestandsaufnahme seiner Grabungen erschien 1901 in der „Zeitschrift der Gesellschaft fuer Erdkunde zu Berlin“ unter dem Titel „Bericht über eine im Jahr 1899 ausgeführte Forschungsreise in die Asiatische Türkei.“ Es folgte im Jahre 1908 in der Zeitschrift „Der alte Orient“ seine Abhandlung „Der Tell Halaf und die verschleierte Göttin.“ 1931, dreiundzwanzig Jahre später, erschien zum gleichen Thema im Verlag F.A. Brockhaus ein 276 Seiten umfassendes Buch mit 131 Abbildungen, teilweise in Farbe. Der Titel lautete: „Der Tell Halaf - Eine neue Kultur im ältesten Mesopotamien.“ In dem voluminösen Werk schilderte der Autor ausführlich seine abenteuerlichen Ausgrabungen in Syrien und stellte die Exponate vor. Das Buch enthält außerdem fünf Anhänge mit Beiträgen weiterer Autoren über die Grabungsfunde und den Tell Halaf.
Lange vorher, bereits 1899/1900, erschienen zwei Bände unter dem Titel „Vom Mittelmeer zum Persischen Golf.“ Aus dem Vorwort erfahren wir, welche Ziele und Zwecke der Verfasser mit ihnen verfolgte: „Das vorliegende Werk baut sich auf den Tagebüchern auf, die ich im Sommer 1893 während einer Reise von Bērūt durch den Ḥaurān, die Syrische Wüste und Mesopotamien nach Baŗdād und dem Persischen Golf geführt habe. Doch wollte ich keine blosse Reisebeschreibung geben, sondern war bemüht, Land und Leute in ihrer geschichtlichen Entwicklung und in ihrer ethnographischen und religiösen Eigenart zu schildern.“3
Bereits während dieser Reise hatte Oppenheim zahlreiche Begegnungen mit Beduinen. Von ihnen war er fasziniert und trug sich mit dem Gedanken, über sie ein Standardwerk zu publizieren. Schon in „Vom Mittelmeer zum Persischen Golf“ hatte ihnen Oppenheim zwei umfangreiche Kapitel gewidmet, in denen er die Lebensweise und Gebräuche der Wüstenbewohner schilderte. Aber erst 1939 kam der erste Band einer geplanten Reihe unter dem Titel „Die Beduinen“ heraus. Doch durch Oppenheims Tod im Jahre 1946 konnte die Edition von ihm nicht fortgesetzt werden. Bis 1968 erschienen deshalb drei weitere Bände unter der Herausgabe des Orientalisten Werner Caskel.
Pionierarbeit leistete Oppenheim auch 1913, als er Tonaufnahmen bei den Beduinen machte. Die Lieder und andere Musikstücke wurden mit einem Edison-Phonographen aufgenommen. Erhalten haben sich von ehemals dreiunddreißig Wachswalzen leider nur sechzehn.
In jüngster Zeit gab es mehrere Ausstellungen, die Oppenheims Vita und seine Verdienste würdigten. Den Auftakt machte das Rautenstrauch-Joest-Museum für Völkerkunde Köln vom 7. Dezember 2001 bis 29. Dezember 2002. Unter dem Titel „Faszination Orient“ beeindruckte eine umfangreiche Würdigung Oppenheims, und die Besucher konnten sich anhand zahlreicher Exponate umfassend über den aus Köln stammenden Forscher und Ausgräber informieren. In den Räumen des Museums imponierten auch zahlreiche orientalische Gegenstände aus dem Besitz des Barons.
Das Highlight fand vom 28. Januar bis 14. August 2011 in den Staatlichen Museen Berlin im Pergamonmuseum statt. „Der Tagesspiegel“ berichtete darüber am 26. Januar 2011 unter dem Titel „Eine Göttin kehrt zurück“: „Der Anblick ist überwältigend. Als wäre Max von Oppenheims Charlottenburger Tell-Halaf-Museum wieder auferstanden, das 1943 zerstört worden war. Seltsam aufgeräumt wirken die beiden großen Hallen der Restaurierungswerkstatt der Staatlichen Museen zu Berlin, wo seit 2002 versucht wird, aus 80 Kubikmetern Schutt und 27 000 Bruchstücken möglichst viele Skulpturen und Bildwerken wieder herzustellen. Eine Herkules-Aufgabe. Jahrelang lagerten hier, in der Friedrichshagener Werkstatt, auf 300 Paletten die Fragmente aus Basalt, man konnte sich kaum bewegen. Ein geordnetes Chaos, selbst in den Büros lagen Bruchstücke. Nun blicken einem die 3000 Jahre alten Götter, Stiere, Greifen und
Sphingen entgegen, auch die Thronende Göttin, Oppenheims Lieblingsfigur, ist dabei. Und mitten in der Werkstatt arbeitet Steinrestaurator Knut Zimmermann aus Potsdam an der Göttin aus Aleppo.“
Im gleichen Jahr zeigte das Museum für Fotografie in Berlin die Ausstellung „Von Kairo zum Tell Halaf – Die Fotosammlung Max von Oppenheim“ vom 18. Februar bis zum 15. Mai 2011. Zu sehen waren Bilder, die im Zeitraum von 1899 und 1939 entstanden. Oppenheim hatte verschiedene Fotografen beschäftigt, deren Arbeiten in einer Auswahl besichtigt werden konnten.
Vorläufigen Schlusspunkt bildete die Ausstellung „Abenteuer Orient – Max von Oppenheim und seine Entdeckung des Tell Halaf“ in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn vom 30. April bis 10. August 2014.
Kehren wir noch einmal in jene Zeit zurück, in der Oppenheim am Kaiserlichen Generalkonsulat tätig war. Über Besuche von Freunden und Bekannten in seinem Heim am Bab el Lûk gibt es bisher keinerlei veröffentlichte Berichte. Allerdings hat sich Oppenheim in seinen Lebenserinnerungen und in einem Brief über einen prominenten Gast geäußert.
Am 8. Mai 1899 hatte er Karl May zu sich eingeladen, der damals auch in Kairo weilte. In seinen Erinnerungen, die bisher nur auszugsweise erschienen sind, schrieb Oppenheim: „Im Jahre 1899 besuchte mich in Cairo Karl May, der bekannte fruchtbare Schriftsteller, dessen Romane zu den verbreitetsten deutschen Büchern gehören und von unserer reiferen Jugend geradezu verschlungen werden. […] Das Amüsante ist, dass er selbst niemals in den Ländern, in denen seine Romane spielen, gewesen ist. Was den Orient angeht, ist er nie in das Innere vorgedrungen, wo wirklich Beduinen und Kurden leben. Dagegen hat er eifrig die vorhandene Literatur gelesen und aus ihr alles Nötige herausgesogen. Auch meine Arbeiten kannte er. Er liess sich von mir möglichst viel über die Sitten und Gebräuche, die Stämme und ihre Zusammensetzungen usw., vor allem der Beduinen, erzählen, was ich gerne tat, da er ein interessanter Mann war: gross, teutonisch aussehend, mit blondem Vollbart.“4
Und am 11. Dezember 1936 schrieb er in einem Brief an den Karl-May-Forscher Amand von Ozoroczy:
„Doch möchte ich Ihnen gern bestätigen, dass ich die Freude hatte, Herrn Karl May in Kairo zu sehen. Wir haben uns lange miteinander unterhalten. Eine grössere Gesellschaft war bei unserem Zusammensein nicht vorhanden; ich wollte gerade mit ihm, dessen Schriften ich z.T. schon kannte, gern allein plaudern. Seine grosse schöne Erscheinung habe ich nicht vergessen.“5
Anmerkungen und Quellen:
1 Faszination Orient Ausstellungsbegleiter, Max von Oppenheim, Forscher, Sammler, Diplomat. Rautenstrauch- Joest-Museum für Völkerkunde Köln, Köln 2001, S. 12.
2 Martin Kröger: Mit Eifer ein Fremder. Im Auswärtigen Dienst. In: Faszination Orient, Max von Oppenheim,
Forscher – Sammler – Diplomat. Herausgegeben von Gabriele Teichmann und Gisela Völger im Auftrag der Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung, Köln 2001. S. 114 f.
3 Max Freiherr von Oppenheim: Vom Mittelmeer zum Persischen Golf – Durch den Haurān, die Syrische Wüste
und Mesopotamien. Erster Band, Berlin 1899, Vorwort (unpaginiert).
4 Erstveröffentlichung: Hartmut Schmidt: „Will ganz für mich allein bleiben…“ Karl Mays Begegnung mit Max von Oppenheim in Kairo. In: Karl-May-Haus-Information, Nummer 16, Hohenstein-Ernstthal 2003, S. 17.
Oppenheim irrte sich hier in der Schilderung Karl Mays. Der Schriftsteller trug zum Zeitpunkt der Orientreise keinen Vollbart, sondern Schnurrbart und Unterlippenbärtchen.
5 Ebd.