Zu den Leseempfehlungen gehören dieses Mal die Biografie der ehemaligen Direktorin des ägyptischen Museums, ein klassischer Exilroman aus einer deutschen Kleinstadt in den Sechzigern, die Erlebnisse einer Schweizerin während der Revolution 2011 und ein weiterer Band von Kriminalkommissar Abdel Kader. Wir bieten zudem provokative Thesen zum Islam in Deutschland, spannende Berichte über den islamistischen Terror sowie historische Hintergründe und aktuelle Zusammenhänge aus der zerbrechenden Nah-Ost-Region.
Casablanca 1943
Das geheime Treffen, der Film und die Wende des Krieges
Text: Wolfgang Freund
Wann war dem objektiven Beobachter Ende der 1930er bzw. Anfang der 1940er Jahre eigentlich klar geworden, dass Hitlerdeutschland und seine „Achsenmächte“ ihren Zweiten Weltkrieg nie gewinnen konnten? Vielleicht schon 1938 beim „Anschluss“ von Österreich, als die massenhaft anrollenden Wehrmachtspanzer und -LKWs auf den total verstopften Straßen im deutsch-österreichischen Grenzgebiet zunächst steckenblieben?
Oder erst wenige Jahre später, 1942/43, nach dem Debakel der Niederlagen von El-Alamein, Stalingrad und der nahezu klammheimlichen amerikanisch-britischen Landung in Marokko mit nachfolgendem Aufrollen der Vichy- und Nazifronten im ganzen „französischen“ Nordafrika? Oder dem militärischen Griff nach dem italienischen Stiefel von Süden nach Norden?
Norbert F. Pötzls „Casablanca 1943“ könnte weiterhelfen. Wobei sich zuvor eine spontane Frage noch aufdrängt: Ist sein Buch die Geschichte eines Filmes oder die eines kriegsentscheidenden Ereignisses? Oder eben von beidem – kurios ineinander verwoben hinter den Porträts der Hauptdarsteller Humphrey Bogart, Ingrid Bergman und Paul Henreid für das Filmische und des britischen Premierministers Winston Churchill und des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt für die Politszene?
Plötzl, früherer SPIEGEL-Redakteur und Autor mehrerer zeitgeschichtlicher Sachbücher, versucht den Spagat zwischen Polit- und Spionagenschnulze auf Zelluloid made in Hollywood und dem historischen Ereignis „Casablanca Konferenz 1943“, auf der Amerikaner und Briten den Fortgang des alliierten Kampfes gegen Nazideutschland und die sonstigen „Achsenmächte“ wie Italien, Japan u.a. ausgearbeitet hatten.
Die graduelle Befreiung Europas vom Nazi- und Faschismusterror entlang der Linie Algerien-Tunesien-Sizilien-Italien wurde Anfang 1943 in Casablanca eingeläutet. Ohne das alliierte Maghreb-Abenteuer über das Jahr 1943 hinweg – der „Wüstenfuchs“ in Nordafrika, Erwin Rommel, war in alliierten Generalstabskreisen längst kein Grund zur Beunruhigung mehr – wäre eine siegreiche Landung in der Normandie Juni 1944 nicht möglich gewesen: Flügelschläge von Schmetterlingen, die später und anderswo Hurrikane ausgelöst hatten. Man kann es wohl so sagen, ohne fehlzugehen.
Das Buch ist flott geschrieben sowie großzügig dokumentiert, d.h. Respekt vor jenen Details zeigend, in denen der Teufel zu sitzen pflegt. Im Anhang finden sich 35 Seiten Anmerkungen, Literaturverweise, Personenregister und Bildnachweise. Die solide SPIEGEL-Kultur des Autors ist unübersehbar. Kritische Überlegungen zielen deshalb mehr ins Innenleben, auf die „Seele“ des Buches, auf seine Natur als „Zwitter“ der Sachliteratur. Einmal Filmgeschichte, dann aber auch vor allem Zeitgeschichte, greift es doch einen entscheidenden Moment im Verlauf des Zweiten Weltkrieges heraus, da die spektakuläre Unterwerfung nahezu Gesamteuropas unter die deutsche Nazikuratel an Algeriens und Marokkos Küsten zu kippen begann. Ab Casablanca 1943 ging es dann weiter im unaufhaltsamen „Blitzkrieg“ an allen Fronten bis hin zum Revolverschuss von Hitlers Selbstmord Ende April 1945.
Dieses relative Durcheinander – einerseits der faktisch-historisch verbriefte Ablauf des Churchill-Roosevelt-Meetings in Casablanca und andererseits der Film, der seinen Ruf als opus magnum der Filmgeschichte wohl vor allem dem genauen Zeitpunkt seiner Entstehung im Herbst 1942 verdankt, als nahezu zeitgleich die eher diskret verlaufende anglo-amerikanische Landung an Nordafrikas Küsten erfolgte – mag manchen Leser irritieren. Sogar Alleswisser Josef Goebbels soll völlig überrascht gewesen sein.
Casablanca war bis zum Eintreffen der anglo-amerikanischen Landungstruppen im November 1942 eine Spionage-Hochburg inmitten der von Vichy-Frankreich mit hitlerscher Zustimmung weiter verwalteten französischen Kolonialgebiete, an denen Nazideutschland kein Interesse besaß. Spione aller damals kriegsführenden Mächte konnten sich auf nahezu neutralem Territorium die Türklinken in die Hand geben: ein Mata-Hari- und James-Bond-Ambiente, wo Filmemacher alles finden konnten, was sie zur Garnierung ihrer Story benötigten. Pünktlich zum Abschluss des Churchill-Roosevelt-Treffens, im inzwischen anglo-amerikanisch gewordenen Casablanca, fanden erste Vorführungen von „Casablanca“ in den amerikanischen Kinos statt. Es wurde viel herumgeraten, ob diese Premieren-Terminierung zwischen den Hollywoodianern Warner Bros., die den Film produziert hatten, und dem Weißen Haus in Washington D.C. abgesprochen oder ganz einfach dem Zufall zu verdanken war.
Wie dem auch sei: Norbert F. Pötzls „Casablanca 1943“ gehört sowohl in die amerikanische Filmgeschichte als auch zur Historie des amerikanischen und britischen Engagements bei der Niederringung jener Sonderform von „deutschem Wesen“, an dem einmal „die Welt genesen“ sollte. Spagatsprung eines Autors und damit Janusgesicht eines Buches? Nur der Leser kann dies letztgültig entscheiden.
Norbert F. Pötzl : CASABLANCA 1943.Siedler Verlag. München 2017. 256 Seiten. 22.00 Euro
Zerbrochene Länder
Wie die arabische Welt aus den Fugen geriet
Text: Wolfgang Freund
Dass die arabische Welt, so wie wir diese bislang zu kennen glaubten, allmählich in ein multidimensionales Chaos zu versinken droht, gehört inzwischen zu den global nachgebeteten Binsenweisheiten politischen Fühlens, Denkens und Redens. Auslösefaktor Nummer eins: der sogenannte „Arabische Frühling“ des Winterhalbjahres 2010/11, inszeniert von Tunesien und, im Schulterschluss, Ägypten. Der jeweilige „Demokrator“ bzw. postpharaonische Alleinherrscher, Zine El-Abidine Ben Ali wie Hosni Mubarak, ging bzw. „wurde gegangen“.
Dem libyschen Muammar El-Kadhafi, selbsternannter „König aller afrikanischen Könige“ geschah Schlimmeres. Er wurde neutralisiert, wie der zeitgemäße Fachbegriff für eine offiziell sanktionierte Ermordung lautet, und zwar auf eine Art und Weise, die weder an Abscheulichkeit noch an nebulöser Rätselhaftigkeit hinsichtlich der Auftraggeber solcher „Neutralisierung“ etwas zu wünschen übrig ließe.
Die Gerüchteküche zu den letzten Lebensminuten des libyschen „Ritters", den der frühere tunesische Außenminister Mohamed Masmoudi Mitte der siebziger Jahre einmal zum „intelligentesten und weitsichtigsten arabischen Staatslenker der Gegenwart“ hochgejubelt hatte, quillt über von unappetitlichen Details. Und was auf solchem Niveau in „arabischen Frühlingsländern“ wie Syrien, Irak oder Jemen demnächst noch geschehen wird, wer weiß es schon?
Entsprechend sprudelt seit Jahren der Bücher-Quell in allen Zungen. Viel echtes Fachwissen und Pseudowissen durchmischen sich zu einem weitgehend unverdaulichen Ragout. Der Leser bleibt dabei zumeist auf der Strecke, erschlagen von exotisch klingenden Namen, die ihm nichts bedeuten, und regionalen Einzelheiten, die er nicht durchschauen kann, da ihm „die innere Linie“ der Betrachtung fehlt. Bleibt dann noch die Frage offen, ob die Mehrzahl der Autoren, an die hier gedacht wird, je eine solche besaß.
Scott Anderson, Jahrgang 1959, US-amerikanischer Erfolgsjournalist bei der New York Times, Autor einer Lawrence of Arabia-Biographie (2013), ging einen anderen Weg, um uns die 1001 Facetten des gegenwärtigen arabo-islamischen Horrors näherzubringen. Versuch gelungen oder verfehlt? Liegt auch am Leser und seiner Motivation, sich derartiger Lektüre auszusetzen sowie seinen geopolitischen Vorkenntnissen.
Die aus den Fugen geratene Arabische Welt durchsichtiger werden zu lassen, versucht S. Anderson über den Weg von sechs Lebensgeschichten. Wer einen solchen Einstieg in komplexe politische und soziale Probleme zu goutieren mag, wird Andersons Buch mit Interesse und innerer Zustimmung lesen. Auch wurde das anglo-amerikanische Original von Laura Su Bischoff treffend ins Deutsche übersetzt.
Laila Soueif, die Kairoer Mathematikprofessorin, Majdi El-Mangoush aus Libyen, der Arzt Dr. Azar Mirkhan aus Kurdistan, Majid Ibrahim aus Syrien, die Irakerin Khulood Al-Zajdi und der etwas einfältig-düstere, vermutlich schlimm verendete Iraker Wakaz Hassan sind die Hauptakteure in Andersons Stück. Migratorisch durchgeschüttelt von den „Frühlingsstürmen“ ihrer jeweiligen Herkunftsländer halten sie Scott Andersons Story am Laufen. Das Buch wirkt typisch amerikanisch. Es ließe sich leicht zu einem Hollywood-Drehbuch umschreiben. Auch die zahlreichen, zum Teil durchaus aussagekräftigen, Fotos von Paolo Pellegrin mögen Derartiges suggerieren.
Doch das Buch als solches hätte an spontaner Lesbarkeit zweifelsohne gewonnen, hätte der deutsche Verlag, wie sonst üblich, bei der Herausgabe den Texten ein strukturiertes Inhaltsverzeichnis voran- oder nachgestellt. Auf Anfrage bei Suhrkamp wurde mitgeteilt, man habe dies absichtlich nicht getan, um deren Entstehungsgeschichte, bzw. das aus ihnen entstandene englischsprachige Buchoriginal nicht zu verfälschen; denn ursprünglich waren die Texte im The New York Times Magazine erschienen und später zu einem Buch mit dem Titel: Fractured Lands. How the Arab World Came Apart, zusammengefasst worden. In der amerikanischen Buchausgabe gebe es, so der angeschriebene Verlagsmitarbeiter, auch kein Inhaltsverszeichnis. Fair enough. Nur kann man hier auch anderer Ansicht sein. Jedes an sachlichen Zusammenhängen orientierte Druckerzeugnis erschließt sich dem Leser zunächst einmal dadurch, dass dieser erste Blicke auf ein Inhaltsverzeichnis zu werfen wünscht, um herauszufinden, was da im Einzelnen auf ihn zukommt. Ein klares Manko hier.
Die arabischen Länder des Jahrgangs 2017 sind an ihrer post-osmanischen Entstehungsgeschichte erkrankt und heute im Begriff, an dieser zu zerbrechen, bzw. in neue unerwartete Einheiten zu zerfallen, wie zum Beispiel anhand des Kurdenkonflikts zwischen der Türkei, Syrien, dem Irak und dem Iran zu beobachten ist. Ein Blick von der nordafrikanischen Atlantikküste bis an den Arabisch-Persischen Golf zeigt auch ein ins Auge springendes Kuriosum. Nur drei Länder dieser Region können heute bei der näherern Betrachtung ihrer inneren Angelegenheiten auf eine eigene, im engeren Sinne nationale, Geschichte zurückgreifen, die zumindest teilweise auch ohne die Bindung an das 1918 zu Ende gegangene Osmanische Imperium existiert hätte: Ägypten, Tunesien, Marokko. Alle anderen waren über Jahrhunderte hinweg einigermaßen deutlich umrissene Provinzen des Osmanischen Reiches gewesen und nie etwas Anderes - vielleicht mit Ausnahme des Jemen und einiger kleiner Gebiete an der Golfküste. Aber was zählt das schon vor der Gesamtfläche dieser arabo-islamischen Welt? Heutige Staaten wie Libanon, Syrien, Jordanien und Israel waren bis 1916/1918 der aus dem damaligen Stambul Istanbul fernverwaltete sogenannte „Fruchtbare Halbmond“ – auf Französisch bis 1918 La Grande Syrie geheißen, mit Regionalhauptstadt Damaskus – eine osmanische Provinz, der das anglo-französische Sykes-Picot-Abkommen (1916) und die britische Balfour Declaration (1917) den Garaus gemacht hatten. Bei Auflösung des Osmanischen Reiches wurden alte Grenzen niedergerissen und eine Unzahl neuer Grenzen von den Versailler Siegermächten mit dem Lineal frisch gezogen, ohne Rücksicht auf die Ethnien, Sprachen, Religionen, Kulturen und Sozialordnungen der dort lebenden Völker. Damals entstanden die Keime jener regionalpolitischen Krebszellen, die heute zu unterschiedlichen, durchweg perversen Metastasen explodieren.
Wir werden an diesen geopolitischen Krebsgeschwüren noch lange zu therapieren haben; eine Erkenntnis, die sich bei der Lektüre von Scott Andersons „zerbrochenen Ländern“ einmal mehr brutal aufdrängt.
Scott Anderson : Zerbrochene Länder - Wie die arabische Welt aus den Fugen geriet. Edition Suhrkamp. Berlin 2017. 264 Seiten. 18,00 €
Die verschleierte Gefahr
Die Macht der muslimischen Mütter und der Toleranzwahn der Deutschen
Zana Ramadani stellt in ihrem ersten Buch klare Forderungen: Der politische Islam, der sich als radikale rückwärtsgewandete Ideologie weltweit ausbreitet, gehört nicht zu Deutschland. Konsequente Nulltoleranz ist aus ihrer Sicht das einzige Mittel, Deutschland vor einem rassistischen Islam einerseits und einer rechtsnationalen antimoslemischen Gegenbewegung andererseits zu bewahren. Moslems gehören nur zu Deutschland, wenn sie sich den demokratischen Grundwerten anschließen.
Die Kritik der streitbaren Autorin richtet sich einerseits gegen eine unter Deutschen weitverbreitete Haltung der Rücksichtnahme und Toleranz: gegenüber religiös begründeten Eigentümlichkeiten und heimischen Sitten, mit denen Gewalt gegen Frauen bis hin zu Ehrenmorde, Zwangs- und Frühehen, Unterdrückung usw. verharmlost werden. Politikern und Behörden wirft sie vor, moslemische Zuwanderer positiv zu diskriminieren und nicht konsequent zur Integration anzuhalten. Sie kritisiert vor allem moslemische Mütter, die ihre Töchter zu Sklavinnen und ihre Söhne zu Tyrannen und lebensuntüchtigen Terroristen erziehen. Genauso greift sie die Sprecher islamischer Gruppierungen in Deutschland an, die sich als stärkste Maßnahme von islamistischen Strömungen abgrenzen: „Dies ist nicht unser Islam“ verkünden sie, verbreiten aber weiterhin in Moscheen und Gemeinden ihren konservativen Islam, den Zana Ramadani als Ursache allen Übels ausmacht. Sie stellt den Islam selbst an den Pranger. Zwar räumt sie ein, dass auch die christlichen Schriften gewaltbereite und frauenfeindliche Passagen enthielten. Allerdings habe sich deren Bedeutung an die moderne demokratische Gesellschaft angepasst. In den relevanten islamischen Schriften, so versucht sie nachzuweisen, gebe es expliziteund dezidierte Aussagen, die sowohl das Selbstverständnis als einzig wahren Glauben und den Dschihad, den Krieg gegen Ungläubige verkünden, als auch die Unterordnung der Frau fordern. Sie bietet Erklärungen an, warum es im Islam bis auf einzelne Ansätze keine Aufklärungsphase und keine breite Reformbewegung wie im Christentum unter Martin Luther gab. Moslems in Deutschland und Europa müssten endlich ein modernes Religionsverständnis entwickeln. Das bedeutet zunächst eine Trennung von Staat und Religion. Ihre radikalste Anforderung an einen modernen Islam ist, dass der Prophet Mohamed als Mensch und der Koran als Menschenwerk betrachtet werden.
Die Autorin Zana Ramadani kam als Tochter einer konservativen moslemischen Einwanderfamilie mit sechs Jahren nach Deutschland, wo sie in einer ländlichen Umgebung im Siegerland aufwuchs. Letzteres sieht sie als Glücksfall für ihre Integration. Die Verteilung in ländliche Gebiete und die Vermeidung einer Ghettobildung sind folglich ihre wichtigen Forderungen für eine Integrationspolitik. Ihr erstes Buch und Spiegelbestseller „Die verschleierte Gefahr“ stellt sich als provokative Streitschrift für das deutsche demokratische System dar, das CDU-Mitglied und Frauenrechtsaktivistin Ramadani mit allen Mitteln gegen einen radikalen und rassistischen politischen Islam verteidigen möchte. Ihre ungewöhnlichen Ansichten untermauert sie gerne mit umfangreichen, für den Leser durchaus interessanten Fakten, die ein Laie jedoch nur schlecht bewerten kann. Schwer verdaulich sind ihre zum Teil extrem-radikalen Pauschalierungen und oft blauäugig wirkenden Forderungen. Den wohlmeinenden Leser irritieren vor allem ihr polemischer Stil und ihre teilweise grenzwertige Ausdrucksweise, wenn sie z. B. von „Biodeutschen“ spricht oder ihre Aufforderung an die deutsche Gesellschaft richtet, zu ihren Wurzeln und den „deutschen Tugenden“ zurückzukehren.
Die Kampfschrift ist auf Krawall angelegt und hat entsprechend für Wirbel in den deutschen Medien gesorgt. Bleibt zu hoffen, dass dieser Sturm positiv für Denkanstöße in der deutschen und europäischen Integrationspolitik genutzt werden kann. Dafür lohnt sich auch die Lektüre. Einen Beitrag zur Reformierung des Islams wird die Schrift vermutlich nicht leisten, da die Autorin mit ihren überzogenen Ansichten selbst liberale Moslems und ausgewiesene Gegner des politischen Islams überfordern dürfte.
Zana Ramadani: Die verschleierte Gefahr – Die Macht der muslimischen Mütter und der Toleranzwahn der Deutschen. Europa-Verlag. Berlin 2017. 264 Seiten. 18,90 Euro
Nur wenn du allein kommst
Eine Reporterin hinter den Fronten des Dschihad
„Die mutigste Reporterin Deutschlands“ tituliert ein bekanntes buntes Blatt über Souad Mekhennet und ihr aktuelles Buch zum islamistischen Terror. Die junge Journalistin beeindruckte während einer Gerichtsverhandlung die Ehefrau eines am 11. September ums Leben gekommenen Feuerwehrmannes mit ihrer verzweifelten Klage, dass es Politik und Medien nicht gelänge, die Welt zu informieren über „Menschen, die uns derart abgrundtief hassen“.
Dieses Anliegen wird Souad Mekhennet zur Mission: Die Frage „Was treibt Menschen zu solcher Gewalt, solchem Hass, solchem Extremismus?“, lässt sie nicht mehr ruhen. Sie will Antworten und sie will die Welt über die Radikalisierung des Islams informieren, um damit eine einseitige und verzerrte Darstellung in Medien und Politik auszugleichen.
Ihr gelingt das in beeindruckender Weise. Angefangen mit den Anschlägen des 11. Septembers 2001, über die amerikanische Besetzung des Iraks und den arabischen Frühling bis in die Gegenwart recherchiert sie die Weltsicht und Pläne der militanten Islamisten in den Ländern des Nahen Ostens und in Europa. Sie findet verblüffende und beängstigende Antworten und bietet ihren Lesern neben unzähligen unbekannten Fakten vor allem ungewöhnliche Sichtweisen und Erklärungsansätze zu Entwicklung und Perspektiven des politischen Islams.
Ihren Erfolg verdankt Souad Mekhennet neben ihren professionellen Fähigkeiten vor allem auch ihrem persönlichen Hintergrund. Sie ist die Tochter eines sunnitischen Marokkaners und einer schiitischen Türkin und vereint damit in ihrer Familie den wieder aufbrandenden innerislamischen Konflikt. Sie wächst sowohl bei ihrer Großmutter in Marokko als auch in Deutschland auf, wo sie enge Kontakte zu ihren deutschen Nachbarn hat. Sie kämpft aber auch gegen massive Vorurteile und demütigende Diskriminierung. Im Rückblick stellt sie fest, dass sie wohl nur ihre Eltern und ein glücklicher Zufall vor der Radikalisierung bewahrt hätten. Wegen ihrer Herkunft, ihrer Kenntnisse der arabischen Sprache und Denkweisen findet sie Zugang zu den Kreisen der Dschihadisten. Sie betrachten die Moslema als eine der Ihren, bringen ihr besonderen Respekt entgegen und bewundern zugleich ihren Mut, ihre Unvoreingenommenheit, Klugheit und Stärke. Auch erhält sie den einen oder anderen Heiratsantrag als Zweitfrau eines Gotteskriegers. In diesem unbedingt lesenswerten Buch sind Biographie und Reportage eng miteinander verwoben. Es liest sich spannend wie ein Thriller und ist deshalb auch für Leser ohne politische Kenntnisse eine echte Bereicherung.
Souad Mekhennet: Nur wenn du allein kommst - Eine Reporterin hinter den Fronten des Dschihad. Verlag C.H. Beck. München 2017. 384 Seiten. 24,95 Euro
Es gibt nur den geraden Weg
Mein Leben als Schatzhüterin Ägyptens
Wafaa El Saddik war von 2004 bis 2010 als Generaldirektorin des Ägyptischen Museums in Kairo für die bedeutendsten antiken Schätze Ägyptens verantwortlich. Sie richtete dort nicht nur ein Kindermuseum ein, sondern motivierte ihre schlechtbezahlten Mitarbeiter, unzählige, seit Jahrzehnten in den Lagern des Museums vergessene Schätze ein zweites Mal zu bergen und zu erfassen. Es gelang ihr, auch ihre Landsleute, denen häufig das Bewusstsein für die antiken Werte im eigenen Land fehlt, für deren großartige Vergangenheit zu begeistern.
Aufgewachsen in dörflicher Umgebung im Nildelta, studierte sie Ägyptologie an der Kairo-Universität und promovierte später in Wien. Mit ihrem ägyptischen Mann und ihren Kindern lebte sie viele Jahre in Köln. Die willensstarke junge Frau setzte sich mit ihrem damals ungewöhnlichen Wunsch, Ägyptologie zu studieren, gegen die traditionelle Vorstellungen ihrer Eltern durch. Später erlangte sie ihren Ruf, weil sie nicht nur bei den Ausgrabungen Hand anlegte und überall dabei war, sondern auch stets für die Nöte ihrer Mitarbeit ein offenes Ohr hatte und sich um die Rettung ägyptischer Antiquitäten sorgte. Fest verwurzelt in Ägypten setzt sie sich für die Belange des Landes ein, kann aber auch eine kritische Distanz einnehmen. In ihren Memoiren schreibt Wafaa ganz persönlich von ihrem Leben, ihren Träumen, ihren Kämpfen und ihren Erfolgen. Für den Leser entsteht ein interessantes Bild von der ägyptischen Archäologie/Ägyptologie und sowie von der Entwicklung des modernen Ägyptens. Ihre Erinnerungen zeugen von großer Liebe zu ihrem Land, sie scheut sich aber auch nicht vor kritischen Bemerkungen zu Korruption, persönlicher Bereicherung, Achtlosigkeit und fehlender Wertschätzung für das großartige Erbe.
Wafaa El Saddik: Es gibt nur den geraden Weg - Mein Leben als Schatzhüterin Ägyptens: Kiepenheuer& Witsch. Köln 2013. 361 Seiten. 19,99 €
Beer in the Snooker Club
Im Kairo der 50er Jahre versucht ein junger Intellektueller, seine idealistischen, durch ausufernde Lektüre europäischer Literatur geprägten Träume mit der Realität des nachrevolutionären Ägyptens zusammenzubringen. Ram ist der traurige, aber gleichzeitig sympathisch humorvolle Protagonist dieses Romans. Er stammt aus einer wohlhabenden christlichen Familie, die den Annehmlichkeiten unter König Faruk nachtrauert. Ram selber ist wegen seines leichtfertigen Lebenswandels zumeist mittellos. Der 1964 auf Englisch erschienene Roman lohnt sich auch heute noch unbedingt zu lesen.
Der Autor schildert autobiographisch aus der Ich-Perspektive authentisch und unprätentiös das Leben in der polyglotten Oberschicht während der 40er und 50er Jahre und lässt diese Zeit anschaulich vor dem Leser entstehen: eine bereichernde Lektüren nicht nur für Nostalgiker, sondern für alle, die mehr über Ägyptens Zeitgeschichte erfahren möchten. Der 1964 in London auf Englisch erschienene Roman gilt als Meisterstück der modernen Klassik im anglo-amerikanischen Raum.
Waguih Ghali: Beer In The Snooker Club. Verlag Serpent’s tail classic. London 2010. 220 Seiten. 9,49 €
The Diaries of Waguih Ghali
An Egyptian Writer in the Swinging Sixties
Waguih Ghali, geboren 1929 oder 30 in Alexandria, war ein ägyptischer Intellektueller und Schriftsteller. Aus einer wohlhabenden koptischen Familie stammend wurde er kosmopolitisch erzogen und vertrat pazifistisch-liberale Ansichten. Wegen seiner Zugehörigkeit zu kommunistischen Widerstandskreisen musste er aus Ägypten fliehen und lebte in Paris, Schweden, Deutschland und England im Exil. Sein Geld verdiente der Autor mit Gelegenheitsjobs, schrieb einen Roman „Beer in the Snooker Club“ und Beiträge zu englischen Zeitschriften und Tagebücher, die in zwei Bänden veröffentlicht wurden.
Band 1 enthält die Tagebücher aus seinem Aufenthalt in Rheydt/Deutschland, wo er 1960-66 lebte und arbeitete. Hier schrieb er auch seinen einzigen Roman. Ghali, der seit seiner Jugend unter Depressionen litt, schildert in seinen Tagebucheinträgen den Kampf gegen seine Krankheit und die Ödnis und Langeweile in einer deutschen Kleinstadt der Sechziger. Verzweiflung und seine Suche nach menschlicher Zuwendung treiben ihn immer wieder in Exzesse aus Alkohol, Spiel und Sex, aus denen schwere finanzielle Krisen folgen. 1966 gelingt ihm die Rückkehr in sein geliebtes London der swinging sixties. Seine Entfremdung und Verzweiflung kann er auch hier letztendlich nicht überwinden, 1969 nimmt er sich sein Leben. Die biographischen Aufzeichnungen erhellen für geduldige Leserinnen und Leser viele Momente der Zeitgeschichte und offenbaren das verzweifelte Leben eines depressiven Menschen auf der Suche nach Halt und Identität. Eine Lektüre, die vor allem für an diesem Spezialgebiet interessierte Leser lesenswert sein dürfte.
May Hawas (ed): The Diaries of Waguih Ghali – An egyptian writer in the swinging sixties. AUC-Press. Cairo 2016. 300 LE
Abdel Kader und die Friseuse
Abdel Kader, seit vielen Jahren als Kriminalkommissar in der Polizeibehörde in Gisa, freut sich auf ein ruhiges Wochenende. Als später Junggeselle lebt er mit seiner fürsorglichen Mutter zusammen und pflegt liebgewonnene Freitags-Rituale. Doch dieser Donnerstag beschert ihm die Leiche einer jungen Tunesierin. Seine Ermittlungsarbeiten bringen ihn zu einer unbequemen Dienstreise in den Touristenbadeort Sharm el Sheich am Roten Meer und schon bald gerät er auf Spuren aus den eigenen Reihen eines korrupten Polizeiapparats.
Auch ihr zweiter Kriminalroman mit dem ägyptischen Helden Abdel Kader erfreut Susanne Emeralds ihre Leser: Ein spannender Krimi, der gleichzeitig viele interessante Einblicke in die ägyptische Gesellschaft und Seele erlaubt. Mit einem scharfen Blick für das Wesentliche gelingt ihr auch dieses Mal eine gelungene und überraschend authentische Darstellung der ägyptischen Kultur und Mentalität.
Susanne Emerald: Abdel Kader und die Friseuse. Autumnus-Verlag. Berlin 2013. 250 Seiten. 14,90 Euro
Ein Augenblick im Wind
Die junge Schweizerin Alba möchte der unbefriedigenden Routine und den engen Verpflichtungen in ihrer Heimat entfliehen. Sie belegt einen Sprachkurs in der pulsierenden Metropole Kairo, die sie so sehr fasziniert, dass sie beschließt, ihren Aufenthalt zu verlängern. Über ihre Kontakte zu jungen Künstlern und Intellektuellen gerät sie mitten in die Revolutionsszene 2011 auf dem Tahrirplatz. Gleichzeitig beginnt sie eine stürmische Affäre mit einem britischen Reporter. Eine aus Sicht einer Europäerin geschriebene interessante Schilderung eines vergänglichen Augenblicks bewegter authentischer ägyptischer Zeitgeschichte.
Edita Truninger: Ein Augenblick im Wind. KaMeRu-Verlag. Zürich 2017. 257 Seiten. 19,00 Euro