Flaubert wuchs ohne Zuneigung auf, da er ein ungewolltes Kind war. Er galt in der Familie als dumm und zurückgeblieben. Auf Drängen seines Vaters nahm er in Paris das Jurastudium auf, folgte aber gleichzeitig seinen literarischen Neigungen.
Wegen des Ausbruchs einer Nervenkrise brach er 1844 seine erfolglosen Studien ab. Es folgten Reisen nach Korsika, Italien, Griechenland, dem Orient und Nordafrika. Seit 1864 lebte er in selbstgewollter Isolation in Croisset, wo er am 8.5.1880 starb.
Der junge Gustav Flaubert © wikipedia
Brief an Louis Bouilhet.
2. Juni 1850. Zwischen Girgeh und Siuph.
Und zunächst, mein lieber Herr, erlaube mir, Dir die Huldigung meiner wahnsinnigen Bewunderung für das Gedicht über Don Dick von Arrah auszusprechen, das Du mir geschickt hast. Das ist vollendet! das ist Stil! Im Ernst, es ist sehr schön. Ich habe es eben noch einmal gelesen und wie drei offene Särge darüber gelacht. Es sind geradezu famose Meisterrefrains und Bewegungen darin. Dieser alte Richard! Das hat mich begierig gemacht, sein Bier zu trinken, das mir die Zunge brennt. Ich sehe den Sand auf dem Boden des Lokals, ich höre ihn unter den Stiefeln knirschen. Der Saal muss im Erdgeschoß liegen, niedrig, feucht, muss nach Schwamm riechen und wenig Licht haben. Grausamer Mensch, Du hast mir nicht gesagt, wo das Lokal steht. Es muss unten in der Stadt sein, Rue Nationale oder vielmehr Rue de la Savonnerie, wenn es nicht in Saint-Sever ist, was prachtvoll wäre. Ja, da ist einer, der sich niederlässt, der sich festsetzt, und wir, wir sind noch weit davon entfernt, uns niederzulassen oder festzusetzen, selbst uns an etwas zu binden. Was mich angeht, ich verzichte darauf. Ich habe über all das viel nachgedacht, seit wir uns verlassen haben, armer Alter. Wenn ich im Bug meiner Canja sitze und das Wasser fließen sehe, kaue ich mein vergangenes Leben mit tiefer Intensität wieder. Mir kommen viele vergessene Dinge zurück, wie alte Ammenmelodien, von denen einem Brocken einfallen. Rühre ich an eine neue Periode? Oder an vollständige Dekadenz? Und aus der Vergangenheit gehe ich träumend zur Zukunft, und da sehe ich nichts, nichts. Ich habe keinen Plan, keine Idee, keinen Vorsatz, und was das schlimmste ist, keinen Ehrgeiz. Etwas, das ewige: „wozu?“ antwortet auf alles und schließt mit seiner Erzbarriere jede Straße, die ich mir in das Land der Hypothesen öffne. Man wird auf der Reise nicht lustig. Ich weiß nicht, ob der Anblick der Ruinen große Gedanken eingibt. Aber ich frage mich, woher der tiefe Abscheu kommt, den ich jetzt vor dem Gedanken habe, mich zu rühren, um von mir reden zu machen. Ich fühle die physische Kraft nicht in mir, zu publizieren, zum Drucker zu gehen, Papier auszusuchen, Korrekturen zu lesen etc. Und was ist das im Vergleich mit dem Rest? Ebenso gut für sich allein arbeiten. Man tut, wie man will, und nach seinen eigenen Ideen. Man bewundert sich, man macht sich selber Freude, ist das nicht die Hauptsache? Und dann ist das Publikum so borniert! Und dann, wer liest? Und was liest man? Und was bewundert man? Ah! Ihr guten, ruhigen Zeiten, ihr guten Perückenzeiten, ihr lebtet aufrecht auf euren hohen Absätzen und euren Stöcken! Aber unter uns zittert der Boden. Wo unseren Stützpunkt wählen, selbst wenn wir zugeben, wir hätten den Hebel? Was uns allen fehlt, ist nicht der Stil, noch auch jene Biegsamkeit des Bogens und der Finger, die man mit dem Namen Talent bezeichnet. Wir haben ein zahlreiches Orchester, eine reiche Palette, mancherlei Hilfsquellen. Listen und Kniffe wissen wir viel mehr, als man vielleicht je gewusst hat. Nein, was uns fehlt, ist das innerliche Prinzip. Die Seele der Sache, die Idee des Vorwurfs. Wir machen Notizen, wir machen Reisen, Elend, Elend! Wir werden Belehrte, Archäologen, Historiker, Ärzte, Flickschneider und Leute von Geschmack. Was hat all das damit zu tun? Aber das Herz? Der Schwung, der Saft; von wo ausgehen und wohin gehen? Ja, wenn ich zurück bin, werde ich, und zwar auf lange, hoffe ich, mein altes ruhiges Leben an meinem runden Tisch wieder aufnehmen, zwischen der Aussicht auf meinen Kamin und der auf meinen Garten. Ich werde weiter leben wie ein Bär, mich über Heimat, Kritik und alle Welt lustig machen. Diese Ideen empören den jungen Du camp, der ganz entgegengesetzte hat: das heißt, er hat für seine Rückkehr sehr rührige Pläne und will sich in eine rasende Geschäftigkeit stürzen. Am Schluss des nächsten Winters werden wir über all das plaudern, mein guter Mann.
Eins will ich Dir ganz klar vertrauen: ich kümmere mich um meine Mission so wenig wie um den König von Preußen. Um „mein Mandat zu erfüllen“, hätte ich auf meine Reise verzichten müssen. Das wäre zu dumm gewesen. Ich mache bisweilen Dummheiten, aber keine so faustdicken. Siehst Du, wie ich mich in jedem Lande nach den Ernten erkundige, nach den Erzeugnissen, dem Verbrauch? Wieviel Öl man macht, wieviel Kartoffel man frisst? Und in jedem Hafen: wieviel Schiffe, welcher Tonneninhalt? wieviel Abfahrten? wieviel Einläufe? Ebenso Übertrag auf der andern Seite etc.! Ah nein, ich frage Dich offen, wäre es möglich? Und wenn man nach so viel Niedrigkeiten mein Titel allein ist schon eine, die genügt ein paar Schritte getan, wenn die Freunde sich gerührt hätten und der Minister ein guter Kerl gewesen wäre, so hätte ich das Kreuz bekommen! Tableau! Genugtuung für den Vater Parain. O nein, tausendmal, ich will nicht, denn ich ehre mich selber so sehr, dass mich nichts mehr ehren kann.
Ich denke verdammt an Dich, Du großer Halunke, ich sehe Dich in den Straßen umherziehen, die Ellbogen eng angelegt, die Nase im Wind, mit Deinem Stock und dem grauen Hut, jetzt, wo wir im Sommer sind. In diesem Moment, Dienstag, den 4. Juni, halb drei Uhr nachmittags, sehe ich Dich, wie Du neben dem Bischofsstab um: die Ecke der Rue Ganterie biegst. Nebenbei, jetzt naht der große Moment. Es wird entscheidend sein und unwiderruflich, endlich wird man wissen, woran man sich halten kann, der Preis für die französische Abhandlung wird alles entscheiden. Ich werde nicht mehr in dieser scheußlichen Ungewißheit schweben, die mich wie die Dschinji bis mitten in die Wüste hinein verfolgt. Wird es Pigny sein? Wird es Defodon sein? Wer? Es ist wie die Schlacht von Aktium. Vielleicht hängt das Schicksal der Menschheit davon ab. Ich würde den einen gern mit Catilina vergleichen, den andern Caesar. Wenn nur der erste kein Marius wird und sich später im zweiten kein Sulla enthüllt! Eh, wer weiß! Die besten Republiken sind schon durch einen Ehrgeiz erschüttert worden, der in seinem Ursprung weniger gefährlich erschien; eine nichtige Handlung verbirgt oft ein ernstes Motiv. Alkibiades ließ seinem Hund den Schwanz abschneiden, um die Aufmerksamkeit der Athener abzulenken. Es scheint, das Baccalaureus Iinstitut ist in gutem Gange und Du treibst Dein Repetitorium mit Erfolg. Umso besser; versuche Geld zu verdienen und gut zu leben. Darauf kommt's immer an.
Ich habe Theben gesehen, Alter, es ist sehr schön; wir sind abends um neun bei einem Mondschein, der auf den Säulen leuchtete, hingekommen. Die Hunde bellten, die großen weißen Ruinen sahen aus wie rote Phantome, und der Mond lag am ganz runden Horizont und berührte die Erde und schien sich nicht zu regen, als bliebe er eigens da stehen. In Karnak haben wir den Eindruck eines Gigantenlebens gehabt. Ich habe eine Nacht, von Moskitos verzehrt, am Fuß des Memnonskolosses verbracht. Dieser alte Kerl hat ein gutes Gesicht, er ist mit Inschriften bedeckt – die Inschriften und die Vogelsch..., das sind die beiden einzigen Zeichen des Lebens auf den Ruinen von Ägypten; der zernagteste Stein trägt keinen Grashalm. Das fällt wie eine Mumie in Staub, weiter nichts. Die Inschriften der Reisenden und der Mist der Raubvögel sind die beiden einzigen Zierrate der Ruine. Oft sieht man einen großen, ganz senkrechten Obelisken mit einem langen weißen Fleck, der wie eine Draperie in seiner ganzen Länge hinabreicht, vom Gipfel an breit, und nach unten zu schmaler werdend. Dahin kommen die Geier seit Jahrhunderten und nisten. Es sieht sehr schön aus und ist von „merkwürdigem Symbolismus“. Die Natur hat zu den ägyptischen Monumenten gesagt: Ihr wollt mich nicht, die Saat der Flechte wächst nicht aus euch, nun gut, ich werde euch auf den Leib kacken.
In den Gewölben von Theben (sie gehören zu den merkwürdigsten und amüsantesten Dingen, die man sehen kann) haben wir pharaonische Schwänke entdeckt, was beweist, mein Herr, dass man sich zu allen Zeiten der Verdammnis überliefert hat, man hat „das Mädel geliebt“, wie unser unsterblicher Chansondichter sagt. Es ist ein Bild, das Männer und Frauen bei Tisch darstellt, wie sie essen und trinken, und sich dabei um die Hüften fassen und umarmen. Da sieht man Profile von entzückender Wüstheit, wundervolle Augen von Bürgern in lustiger Laune. Weiterhin haben wir zwei kleine Mädchen in durchsichtigen Kleidern gesehen, mit Formen, wie sie nicht k... sein können; sie spielen mit lasziver Miene die Gitarre. Das ist g... wie ein schlüpfriger Stich, Palais-Royal, 1816. Es hat uns tüchtig lachen gemacht und zu denken gegeben. Etwas verhenkert Großartiges sind die Gräber der Könige. Stelle Dir Steinbrüche von Caumont vor, in die man auf einer Folge von Treppen hinabsteigt, all das von oben bis unten bemalt und vergoldet, mit Darstellungen von Trauerszenen: Tote, die man einbalsamiert. Könige auf ihren Thronen, mit all ihren Attributen, und furchtbare und merkwürdige Phantasien: Schlangen, die auf Menschenbeinen gehen, enthauptete Köpfe, die auf den Rücken von Krokodilen getragen werden, und dann Spieler von Musikinstrumenten und Lotoswälder.
Wir haben da drei Tage verlebt. Es ist sehr ruiniert und verwüstet, nicht von der Zeit, sondern von den Reisenden und Gelehrten. Wir haben eine Hyänenjagd veranstaltet. Das bestand darin, dass wir die Nacht unter freiem Himmel verbrachten, den ich noch nie so schön gesehen habe wie diese Nacht. Aber das Raubtier hat sich über uns lustig gemacht: es ist nicht gekommen. Dafür stieg ich eines Tages, als ich ganz allein und ohne Waffen, auf der Seite der Gewölbe spazieren ritt, während Maxime seinerseits photographierte, langsam und die Nase auf die Brust gesenkt, aufwärts, indem ich mich dem Willen des Pferdes überließ, als ich plötzlich ein Geräusch abbröckelnder Steine höre, ich hebe den Kopf und sehe zehn Schritt vor mir etwas aus einer Höhle kommen, was wie eine Schlange den steilen Felsen erklettert. Es war ein großer Fuchs; er bleibt stehen, setzt sich auf die Hinterbeine und blickt mich an. Ich griff zu meinem Kneifer, und so sahen wir uns gegenseitig drei Minuten lang an, indem wir uns ohne Zweifel bei uns selber verschiedenen Reflexionen hingaben. Als ich ruhig umkehrte und die Dummheit verfluchte, die ich begangen hatte, als ich meine Flinte nicht mitnahm, bricht da zu meiner Linken aus einer andern Höhle (der Boden ist hier mehr damit durchlöchert als ein Schaumlöffel mit Löchern) mit unverschämter Ruhe der schönste Schakal hervor, den man sehen kann. Er ging ruhig mit kleinen Schritten davon, blieb von Zeit zu Zeit stehen, um den Kopf zu wenden und mir verächtliche Blicke zuzuwerfen. In Karnak würden wir nachts vom Lärm dieser Burschen betäubt, die wie die Teufel heulten; einer davon ist eines Nachts gekommen und hat uns mitten aus unserm Lager unsere Butter gestohlen.
Die Krokodile sind im Nil gewöhnlicher als die Elsen in der Seine. Wir schießen mitunter auf sie, aber immer auf zu große Entfernung. Um sie zu töten, muss man sie in den Kopf treffen, und nur, wenn man sehr nahe kommt (aber sie haben ein feines Ohr und entschlüpfen behände), hat man Aussicht, diese scheußlichen Ungeheuer zu vernichten. Was für eine schöne Idee, die des Ungeheuers! Das um des Vergnügens willen, boshaft zu sein, boshafte Tier! Zu Esneh habe ich Ruschuk-Hanem wiedergesehen; das war traurig. Ich habe sie verändert gefunden. Sie war krank gewesen. Das Wetter war trübe, es standen Wolken am Himmel. Ihre abessinische Dienerin spritzte Wasser auf den Boden, um das Zimmer aufzufrischen. Ich habe sie lange angeblickt, um ihr Bild gut im Kopf zu behalten. Als ich aufbrach, haben wir ihr gesagt, wir würden am folgenden Tage wiederkommen, und wir sind nicht wieder hingegangen. Übrigens habe ich die Bitterkeit von all dem gut durchgekostet, das ist die Hauptsache; es ist mir bis in die Eingeweide gedrungen.
In Kosseïr habe ich das Rote Meer gesehen. Es war eine Reise von vier Tagen hin und von fünf zurück, zu Kamel und durch eine Hitze, die um die Mitte des Tages auf 45 Grad Reaumur stieg. Das stach, und ich habe bisweilen das Bier Richards herbeigewünscht, denn wir hatten Wasser, das außer dem Bocksgeschmack, der ihm von den Schläuchen mitgeteilt wurde, an sich schon nach Schwefel und Seife roch. Wir standen um drei Uhr morgens auf und legten uns um neun Uhr abends schlafen; wir lebten von harten Eiern, trockenen Früchten und Wassermelonen. Es war das echte Wüstenleben. Auf dem ganzen Wege trafen wir immer von Ort zu Ort Leichen von Kamelen, die vor Ermattung gestorben waren. Es gibt Stellen, wo man große Fliesenplatten aus Sand findet: das ist glatt und blank wie die Tenne einer Scheune; es sind die Stellen, wo die Kamele anhalten, um zu pissen. Der Urin hat auf die Dauer den Boden schließlich glasiert und ihn wie ein Parkett geebnet. Wir hatten einiges kaltes Fleisch mitgenommen. Schon um die Mitte des zweiten Tages waren wir gezwungen, es fortzuwerfen. Eine Hammelkeule, die wir auf einem Stein hatten liegen lassen, zog durch ihren Geruch sofort einen Bartgeier an, der weit darum zu kreisen begann.
Wir trafen wiederholt große Pilgerkarawanen, die nach Mekka zogen, (Kosseïr ist der Hafen, wo sie sich nach Gedda einschiffen; von da nach Mekka sind nur noch drei Tage) alte Türken mit ihren Frauen, die in Körben getragen wurden, einen ganzen Harem, der verschleiert reiste, und der wie ein Bataillon Elstern schrie, als wir an ihm vorbeikamen und einen Derwisch mit einer Leopardenhaut auf dem Rücken. Die Kamele der Karawanen gehen bisweilen hintereinander in einer Linie, mitunter alle in gleicher Reihe. Wenn man diese Köpfe ganz fern am Horizont, verkürzt, sich wiegen und auf einen zukommen sieht, könnte man an eine Wanderung von Straußen denken, die langsam, langsam vorrückt und sich nähert. In Kosseïr haben wir Pilger aus dem Innern von Afrika gesehen, arme Neger, die seit einem Jahr, seit zwei Jahren auf dem Marsch sind. Da sieht man höchst merkwürdige Schädel. Wir haben auch Leute aus Bukkara gesehen, Tataren in spitzer Mütze, die im Schatten einer aus totem indischem Holz erbauten, gescheiterten Barke ihre Suppe kochten. Von den Perlenfischern haben wir nur ihre Boote gesehen. Sie setzen sich zu zweit hinein, ein Ruderer und ein Taucher, und so gehen sie aufs hohe Meer hinaus. Wenn der Taucher wieder zur Wasseroberfläche emporsteigt, dringt ihm das Blut aus Ohren, Nasenlöchern und Augen.
Am Tage nach meiner Ankunft habe ich im Roten Meer ein Bad genommen. Das war einer der wollüstigsten Genüsse meines Lebens; ich habe mich in den Wellen wie auf tausend flüssigen Brüsten gewälzt, die mir den ganzen Körper durchliefen. Abends hat Maxime sich aus Höflichkeit, und um unserm Wirt Ehre zu machen, den Magen verdorben. Wir waren in einem getrennten Pavillon untergebracht, schliefen auf Diwanen im Angesicht des Meeres und wurden von einem jungen Eunuchenneger bedient, der die Teebretter mit den Tassen Kaffee schick auf dem linken Arm trug. Am Morgen des Tages, als wir wieder fort mussten, sind wir zwei Meilen von dort im alten Kosseïr gewesen, von dem nur noch Name und Ort übrig sind. Der kranke Maxime begann alsbald auf dem Sande zu schnarchen. Der Kawass des Konsuls von Gedda und sein Sekretär, die, ebenso wie der Sohn unsres Wirtes, mit uns gekommen waren, begannen alsbald Muscheln zu suchen, und ich bin ganz allein geblieben und habe aufs Meer hinausgeblickt. Nie werde ich diesen Morgen vergessen. Ich bin wie von einem Abenteuer bewegt gewesen. Der Grund des Wassers war farbenreicher mit all den Muscheln und Schalentieren, den Madreporen und Korallen etc. etc., als es im Frühjahr eine mit Primeln bedeckte Wiese ist. Auf der Oberfläche des Meeres zogen alle möglichen Töne hin, schillerten, stuften sich von einem zum andern ab, mischten sich untereinander, vom Schokoladenbraun bis zum Amethyst, vom Rosa bis zum Lapislazuli und zum blassesten Grün. Es war unerhört, und wenn ich Maler gewesen wäre, so wäre ich bei dem Gedanken gewaltig eingeschüchtert worden, wie falsch die Reproduktion dieser Wahrheit (zugegeben, dass sie überhaupt möglich wäre) erscheinen würde.
Wir sind am Abend dieses Tages um vier Uhr und in großer Trauer von Kosseïr aufgebrochen. Ich habe gefühlt, wie mir die Augen feucht wurden, als ich unsern Wirt umarmte und wieder auf mein Kamel stieg. Es ist immer traurig, von einem Ort aufzubrechen, wenn man weiß, dass man ihn niemals wiedersehen wird. Das sind jene Melancholien, die vielleicht zu den nutzbringendsten Dingen einer Reise gehören. Was die Veränderung angeht, die während unserer Trennung vielleicht bei uns hat eintreten können, so glaube ich nicht, lieber alter Kerl, wenn sie eingetreten ist, dass sie zu meinem Vorteil ist. Du wirst die Einsamkeit und Konzentration gewonnen haben; ich werde durch die Zerstreuung und die Träumerei verloren haben. Ich werde sehr leer und sehr steril. Ich fühle es. Das fasst mich wie eine steigende Flut. Vielleicht liegt es daran, dass der Körper sich regt; ich kann nicht zwei Dinge zugleich tun. Vielleicht habe ich meinen Intellekt mit meinen Schnürhosen, meinem Maroquinsofa und Deiner Gesellschaft, lieber Herr, da unten gelassen. Wohin wird all das uns führen? Was werden wir in zehn Jahren getan haben? Für mich, scheint mir, wenn ich das erste Werk, das ich jetzt mache, wieder verderbe, so bleibt mir nichts, als mich ins Wasser zu werfen. Ich, der so verwegen war, werde übertrieben furchtsam, was in den Künsten von allen Dingen das schlimmste ist und das größte Zeichen von Schwäche.
In Kairo lebt ein Dichter, der orientalische Tragödien im Geschmack Marmontels schreibt, gemildert durch Ducis. Er hat uns eine Tragödie über Abd-el-Kader vorgelesen, der in eine Französin verliebt ist, und sich schließlich aus Eifersucht tötet. Da gibt es Stellen! Du kannst sie Dir nach dem Sujet vorstellen. Der Dichter, ein Arzt, ist ein Wesen aufgebläht von Eitelkeit, ein Schuft, ein Dieb, der alle Welt mit seinen Werken tötet und von seinen Landsleuten zurückgestoßen wird. Zur Zeit der Februarrevolution richtete er ein Gedicht an Lamartine, dessen Schlussvers lautete: „Es lebe stets die provisorische Regierung!“ In einem zweiten an das französische Volk stand dies: „Französisch Volk! O meine Lands Genossen!“ Er lebt mit einem schmutzigen Neger in einem düsteren Hause. Seine Familie fürchtet ihn, und wenn er seine Tragödie liest, zittert alles bei ihm vor Stille und Aufmerksamkeit. Er hat eine Papagei-Nase, trägt eine blaue Brille, und wird von einem Ingenieur beschuldigt, er habe ihm eine Kiste Kleider gestohlen. Die französische Kanaille im Ausland ist prachtvoll, und ich füge hinzu, zahlreich.
Eh, Alter, ich hoffe, da hast Du ein Paket, und ich bin ein lieber Kerl! Antworte mir nach Beyruth, wo wir Ende Juli sein werden, dann nach Jerusalem. Adieu, Alter von der Feder, ich küsse Dich auf Deinen guten Kopf. 5. Juni. Morgen ist der sechste, der Geburtstag des großen Corneille! Welche Sitzung in der Akademie zu Rouen! welche Reden! Kostüme der Herren: weiße Krawatten, Pomp, gesunde Tradition! ein kleiner Bericht über den Ackerbau.
Brief an seine Mutter.
6 Meilen vor Benisuef, 24. Juni 1850
Als ich Dir meinen letzten Brief von Siuph schickte, liebe, arme alte Mutter, glaubte ich noch, um diese Zeit würden wir schon seit mehreren Tagen in Kairo sein, aber ich hatte die Rechnung ohne den Wind gemacht, er ist uns beständig ungünstig gewesen. Seit vierzehn Tagen haben wir sechzig Meilen gemacht; es kommen Tage, wo wir eine Viertelmeile machen, und auch nur, wenn wir uns Hundemühe geben. Da der Nil jetzt seinen niedrigsten Stand hat, laufen wir oft auf, was unsere Reise nicht beschleunigt. Kurz, da ich daran verzweifle, vor mindestens acht Tagen in Kairo einzutreffen (von Benisuef bis Kairo sind genau 25 Meilen) und fürchte, dass Du einen Kurier überschlagen musst, ohne Briefe zu bekommen, will ich diesen auf jeden Fall nach Kairo schicken, sobald wir in Benisuef an Land gehen. Aber ich fürchte, die indische Post ist noch nicht angekommen und der Kurier von Ende Juni schon fort. Infolgedessen wirst Du einen Monat lang ohne Nachricht von mir sein. Arme Mutter, ich tue alles, was ich kann, damit Du so oft wie möglich welche erhältst. Aber ich beherrsche weder den Wind noch die Boote, noch die Post, noch den guten Willen der Leute, durch deren Hand meine Briefe gehen. In Syrien werden in meiner Korrespondenz wahrscheinlich große Unregelmäßigkeiten eintreten; ich sage Dir das im Voraus.
Unsere Matrosen sind vor Anstrengung abgemagert; unser Raïs ist gelb vor Ungeduld. Joseph sehnt sich nach der Ankunft, um seiner Frau Geld zu schicken, und Sassetti kommt um vor Verlangen, wieder in Kairo zu sein, ohne dass er weiß, warum, aus Nachahmungsgeist. Was Maxime und mich angeht, so haben wir uns an Bord nie weniger gelangweilt, obgleich wir nichts mehr zu tun und zu sehen haben. Wir haben Bücher und lesen nicht. Schreiben tun wir auch nichts. Wir verbringen ziemlich all unsere Zeit, indem wir die Sheiks spielen, das heißt, die Alten; der Sheik ist der alte Herr, untauglich, Rentier, angesehen, sehr versorgt, invalide; und wir stellen uns Fragen über unsere Reise im Geschmack der folgenden:
• Und findet man in den Städten, durch die Sie gekommen sind, ein wenig Gesellschaft?
• Haben Sie einen Zirkel gehabt, wo man die Zeitungen liest?
• Macht sich die Bewegung der Eisenbahnen ein wenig bemerklich? Gibt es irgendeine große Linie?
• Und die sozialistischen Lehren, hoffe ich, sind, Gott sei Dank, noch nicht bis in diese Gegenden gedrungen?
• Gibt es wenigstens guten Wein? Haben Sie irgendein berühmtes Wachstum? etc. etc.
• Sind die Damen liebenswürdig?
• Gibt es wenigstens ein paar schöne Cafés? Entfalten die Ladenmädchen einen kostspieligen Luxus?
Quellen:
Projekt Gutenberg
Gustave Flaubert
Reiseblätter/Briefe aus dem Orient
JCC Bruns Verlag