Magda Saleh, die große Primaballerina! Als Ikone des ägyptischen Balletts prägte und gestaltete sie die Entwicklung eines eigenständigen nationalen Tanztheaters in Ägypten und verschaffte ihm Anerkennung auf internationaler Ebene. Ihre Erinnerungen sind eng verknüpft mit Jahrzehnten ägyptischer Geschichte und Kultur. Sie trat seit 1966 noch auf der Bühne der alten Khediven-Oper auf, die 1971 einem bis heute nicht geklärten Brand zum Opfer fiel, und hatte zuletzt 1987/88 das Amt als Gründungsdirektorin des neuen Kairener Opernhauses inne. Auch wenn sie heute als Pensionärin in New York lebt, fühlt sie sich ihrem Heimatland eng verbunden. Die Grande Dame des ägyptischen Balletts präsentiert ein Stück Kulturgeschichte dieses Landes, ihr Name ist nach wie vor präsent im kulturellen Leben Ägyptens.
Magda Saleh
Magda Saleh wurde als einzige Tochter eines Ägypters und einer Schottin in Kairo geboren. Ihr Vater, ein angesehener und vielbeschäftigter Akademiker, war zuletzt von 1965-74 Vize-Präsident der Amerikanischen Universität Kairo. Sie wuchs zusammen mit drei Brüdern auf, die sie als Jungen behandelten, was die Schwester für die damalige Zeit als besondere Auszeichnung betrachtet.
Weil sich auf politischer Ebene die Beziehungen zu Russland vertieften, erhielt 1957 das Alexandriner Theater einen Besuch der weltberühmten Moiseyev-Tanzgruppe. Ihr Leiter Alexandrovisch Moiseyev war beeindruckt von Magda Salehs Talent und schlug ihr vor sich bei der neu eröffneten Ballettschule in Kairo vorzustellen, die von einem Lehrer aus dem Bolschoi-Ballett geleitet wurde. Ein Jahr später befand sie sich zusammen mit 30 Jungen und Mädchen in dieser Ballettklasse, die die Keimzelle für das nationale ägyptische Ballett und seine Ikonen darstellte. Später kamen weitere russische Lehrer hinzu - sowohl von der Leningrader Kirov- als auch von der Moskauer Bolschoi-Ballettakademie. „Obwohl sie in ihrem Land zwei rivalisierenden Lagern angehörten, kamen sie hier in Ägypten zusammen und gaben uns von beiden Schulen das jeweils Beste.“, erinnert sich Magda Saleh voller Stolz an diese Tage. Zusammen mit fünf anderen Ballettschülerinnen, Diana Hakak, Maya Selim, Aleya Abdel Razek and Wadoud Faizi, reiste sie 1963 nach Moskau, wo sie zwei Jahre an der Bolschoi-Ballettakademie trainierten und als erste ägyptische Tänzerinnen 1965 ihren Abschluss erhielten. Kurz nach ihrer Rückkehr präsentierte sich diese Gruppe im Rahmen einer Aufführung des Kairo-Balletts von „Der Brunnen von Baktshisarai“, in der Magda Saleh die Maria tanzte. Diese Aufführung unter Leitung von Leonid Dabrovsky war für das ägyptische Tanz-Theater Durchbruch und Offenbarung. Getragen von einer Welle der Begeisterung wurde die Aufführung bis Assuan gebracht, die Tänzer erhielten Verdienstorden.
Als ihre Karriere eine ernstzunehmende Wendung einschlug, stellten sich bei ihrem Vater Sorgen ein. „Obwohl mein Vater ein sehr aufgeklärter Mann war, sagte er mir, dass meine Karriere als professionelle Balletttänzerin für ihn mit einem schwerwiegenden sozialen Risiko verbunden wäre. Außerdem war ihm bewusst, dass im Ballett ein erhebliches Risiko durch Verletzungsgefahr besteht. Es muss für ihn eine äußerst schwierige Entscheidung gewesen sein, als er mir sein Einverständnis gab.“ Zumindest im Hinblick auf das gesellschaftliche Ansehen zeigte sich glücklicherweise mit der Zeit, dass für die Ägypter das Ballett und seine Tänzer eine Ausnahme bildete im Unterschied zu dem schlecht beleumdeten Tanzmilieu, (...) „weil das Ballett als eine hochkultivierte, glamouröse und entwickelte ausländische Kunstform galt, und natürlich als Import aus dem Ausland Bewunderung fand.“ Besonderen Dank empfindet die Tänzerin für den damaligen Kulturminister Dr. Tharwat Okasha, der mit visionären Vorstellungen die ägyptische Kunst zu fördern verstand, vor allem aber erfolgreich dem Stigma entgegen wirkte, das Tänzern in einer konservativen Gesellschaft anhaftet. Schon bald verwandelten sich die Sorgen und Ängste des Vaters in ungeheuren Stolz. „Er scherzte oft, dass sein soziales Ansehen sich von Dr. Abdel Ghaffar zum Vater der Prima Ballerina Magda Saleh verändert habe.“ Parallel zu ihrer Ballettkarriere studierte Magda Saleh Englische Sprache und Literatur an der Ain-Shams-Universität, wo sie 1968 graduierte.
In den folgenden Jahren entwickelte sich eine große Anhängerschaft für die ägyptischen Ballettvorstellungen, die immer schon im Voraus ausverkauft waren. Der Erfolg übertraf auch die Erwartungen des damaligen Kulturministers Dr. Tharwat Okasha. Er ließ Werkstätten für Bühnengestaltung, Kostüme und Schuhdesign einrichten, die von russischen Spezialisten geleitet wurden. Bis dahin waren die ägyptischen Balletttänzer „…angewiesen auf die Gastballett-Truppen, die uns ihre Schule überließen, damit wir unsere Aufführungen machen konnten.“, erinnert sich Magda Saleh.
Während die russischen Lehrer neue Ballettaufführungen auf das Programm setzten, beendete 1967 der erste Jahrgang seine neunjährige Ausbildung. Hier waren nun auch die männlichen Tänzer wie Reda Shehata, Abdel Moneim Kamel, Reda Farid, Ahmed Shoukri und Tarek Saleh, der jüngere Bruder Magdas, dabei, aber auch bekannte Solotänzerinnen wie Hanzada Faizi, Nadia Habib und Mary Abdel Malek. Danach kam jährlich neuer Nachwuchs aus der Schule in die Gruppe.
1967 führte die Truppe „Giselle“ auf, eines der bedeutendsten klassischen Ballette. Die Hauptrolle, Traum einer jeden Ballerina, übernahm Magda Saleh. Dennoch, außerhalb der glitzernden Rampenlichter und des nie endenden Applaus‘ brachte das Jahr 1967 viele Sorgen und Ärger besonders für die männlichen Balletttänzer, als die politische Stimmung im Sechs-Tage-Krieg eskalierte. Die Rekrutierung der Tänzer in die Armee hätte das Ende ihrer Karriere bedeutet. Aber Dr. Okasha schaffte es, das Ballett aus allem herauszuhalten, besonders zwischen 1967-71, als die Truppe die großen Werke wie den „Nussknacker“, „Don Juan“, „Daphne und Chloé“ sowie „Don Quichote“ aufführte.
“Don Juan war spektakulär und so aufwändig mit seinen Renaissance-Kostümen, dass das Publikum schon applaudierte, wenn der Vorhang sich öffnete, besonders für eine Ballraumszene“, erinnert sich die Tänzerin. Im Mai 1971 tanzte sie die „Kitri“ in „Don Quichote“, die letzte Aufführung vor dem Brand der Oper im Oktober dieses Jahres. Während dieser Zeit tanzten Magda und ihr Tanzpartner Mike auch auf der Bühne des Bolschoi, der weltgrößten Tanzgruppe, in „Don Quichote“ und „Giselle“. Es war der Höhepunkt ihrer eigenen Bühnenkarriere und der ägyptischen Ballettgeschichte, repräsentiert durch Mike und Magda Saleh.
Am 28. Oktober 1971, auf dem Gipfel ihres Erfolgs, erschütterte die tragische Neuigkeit vom Brand des Kairoer Opernhauses die gesamte Kulturszene und die Gesellschaft. Sie erinnert sich mit tiefer Trauer: „Ich war im Institut in Giza, als uns die Nachricht erreichte, dass das Opernhaus brenne. Wir fuhren sofort nach Abdin. Als wir uns dem Opernplatz näherten, sahen wir die riesige Menge von Menschen, alle still und geschockt. Das hölzerne Gebäude brannte einfach ab. Die gesamte Mannschaft der Künstler, Sänger, Musiker, Tänzer, Schauspieler, Handwerker, alle, die mit der Oper und den Künsten zu tun hatte, wir alle standen da und weinten.“ Dieser mysteriöse, bis heute ungeklärte Opernbrand bedeutete einen schwerwiegenden Umbruch in der Kunst- und Kulturszene, aber auch darüber hinaus. „Ich musste meine Primaballerina-Karriere aufgeben und mich erneut wieder als Studentin einschreiben. Während viele meiner Kollegen nach Moskau reisten um ihre klassische Ausbildung weiterzuverfolgen, erhielt ich ein Stipendium für das Studium moderner Tanztechniken und Choreographie an der Universität von Kalifornien Los Angeles. Natürlich hatte ich nicht die leiseste Ahnung von modernem Tanz, weil wir nie eine Chance gehabt hatten, das in Ägypten zu sehen.“
Mit einer Arbeit, in der sie eine Choreographie zu der altägyptischen Legende von Isis und Osiris kreierte, erhielt sie im Jahre 1974 ihren Master-Abschluss. Anschließend erwarb sie 1979 ihren Doktortitel (PhD) mit dem Thema „ Dokumentation der ethischen Tanztraditionen in der Arabischen Republik Ägypten“ an der Universität New York. Zu der Arbeit gehörte auch eine filmische Darstellung der ägyptischen Tanztraditionen. In der Zwischenzeit versuchte das ägyptische National-Ballett sich auf verschiedenen Behelfsbühnen der Kunstakademie, des Ballon-Theaters und des Gumhoreya-Theaters über Wasser zu halten, der Niedergang war aber nicht aufzuhalten.
Als Magda Saleh aus den USA nach Kairo zurückkehrte, wurde sie Professorin am Ballett-Institut bei der Kunstakademie. Mit ihr kamen einige andere Ballett-Talente wieder ins Land zurück; man versuchte eine neue Balletttruppe aufzubauen. “Unglücklicherweise war zu der Zeit, als wir zurückkehrten, de facto alles zerstört. Was im Institut passierte, spiegelte nur die Abwärtsspirale in Ägypten wider. Das wunderbare Institut, an dem ich ausgebildet wurde und meinen Abschluss erhalten hatte, der Stolz des Kulturministeriums, war kaum noch ein Schatten dessen, was es einmal gewesen war“.
Für Magda Saleh waren diese Tage die unglücklichste Zeit ihres Lebens, die noch schwieriger wurde wegen der sich verschlechternden Gesundheit ihrer Eltern. In dieser sehr schwierigen Zeit erfuhr sie zudem starken Gegenwind im kulturellen Bereich. Als sie alle diese Hindernisse nicht mehr ertragen konnte, trat sie von ihren Ämtern als Professorin und Dekan am Ballettinstitut zurück.
1987 kam Magda Saleh zufällig mit dem Projekt des neuen Kairener Opernhauses in Kontakt. „Ich gehörte zu verschiedenen sozialen und diplomatischen Zirkeln in Kairo und hatte bereits Kontakte zu den Japanern, die eine neue Oper bauen sollten. Während einer Sitzung traf ich den japanischen Botschafter, mit dem ich ein lockeres Gespräch über die besonderen Erfordernisse an ein Theater für Ballettaufführungen führte. Einen Tag später wurde ich von Chefarchitekten des Kairoer Bauwesens kontaktiert.” Kurz darauf wurde ihr von Minister Farouk Hosni die Leitung des Neubaus angetragen und jegliche Unterstützung zugesagt.
Als Gründungsdirektorin der neuen Oper erlebte Magda Saleh in der Zusammenarbeit mit dem japanischen Team trotz aller Herausforderungen und Krisen die wunderbarste professionelle Erfahrung ihres Lebens. Ziel der Japaner war es, innerhalb von drei Jahren ein Kultur- und Ausbildungszentrum, eher eine Mehrzweckeinrichtung als ein Opernhaus im engeren Sinne, zu errichten.
Während der Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Teams bemerkte sie, dass das japanische Team Tonnen an Plänen und Ordnern hatte, sowie einen dreijährigen Schriftverkehr an das Kulturministerium, auf die nie jemand geantwortet hatte. Darüber hinaus war kein Budget für die Einweihungsfeier des neuen Gebäudes vorgesehen. Sie musste kreativ werden. Sie entwarf einen Vorschlag für ein grandioses Eröffnungsevent und legte Pläne für die erste Saison fest. Hierzu bat sie alle ägyptischen Unternehmen um Unterstützung. Sie wollte neben der arabischen und folkloristischen Musik auch die traditionelle Musik des alten Ägyptens einbeziehen. Sie konnte eine große Summe an Geldern akquirieren, hatte klare künstlerische Erwartungen fixiert und war überall bei der Einrichtung des Gebäudes involviert von der Klimaanlage bis zu den Klempnerarbeiten, so Magda über ihre Arbeit. „Ich arbeitete wie eine Verrückte, aber alles ging ins Leere. Entgegen den Versprechen bekam ich keinerlei Unterstützung von Seiten des Ministeriums und allmählich machten sich auch die Intrigen bemerkbar.“ Während die Japaner ihren Leistungen höchstes Lob zollten, machten es die Hindernisse und der Mangel an Unterstützung von Seiten des eigenen Ministeriums schwer für sie, etwas von dem umzusetzen, was sie sich vorgestellt hatte. Auf dem Höhepunkt dieser Querelen wurde Ratiba El-Hefny zur Präsidentin der Oper ernannt und als ihre Vorgesetzte etabliert. Nachdem Magda Saleh nicht wie erwartet zurücktrat steigerte sich eine kleine interne Auseinandersetzung zur Beleidigung und Verletzung. „Ich wurde offiziell aus der Oper gefeuert, fand mein Büro verschlossen vor.“ Magda Saleh empfand diesen Umstand als schockierendes, strafendes Verfahren. Sie legte Klage ein und in einem Gerichtsverfahren wurde ihr Recht zugesprochen, allerdings erst Jahre später, als sie bereits in Amerika lebte.
Nach dieser bitteren Erfahrung bei der Oper wurde Magda Saleh wieder bei der Kunstakademie eingesetzt, wo sie ein Jahr blieb und dann um ein Sabbatjahr bat, so dass sie in die USA gehen konnte, wohin sie als Gastprofessorin für Tanz an der Kunstakademie New York eingeladen war. Während ihres einjährigen Aufenthalts traf sie Jack Josephen, den bekannten Kunsthistoriker und Experten für altägyptische Skulpturen. „Wir kannten uns schon von früher, unsere Wege hatten sich mehrmals gekreuzt.“ Aber nun wurde ihre Beziehung ernsthafter und enger: Sie heirateten und seit 1992 ist New York ihr Zuhause.
Seit dieser Zeit pflegt sie weiterhin enge Beziehungen mit Ägypten, sowohl durch Reisen mit Freunden als auch über kulturelle Kooperationen. In den ersten Jahren ihres Aufenthaltes in den USA konnte sie unter der Schirmherrschaft des ägyptischen Tourismusministeriums ein Engagement des Grigorovisch-Balletts vom Bolschoi-Theater am Kairoer Internationalen Kongresszentrum organisieren und koordinieren. Zu den zwölf Vorstellungen kamen insgesamt 33.0000 Zuschauer. In den folgenden Jahren organisierte sie gemeinsam mit ägyptischen Freunden einen ägyptisch-amerikanischen Kulturaustausch. Sehr enttäuscht ist sie von den fehlenden Bemühungen ihres Heimatlandes, die vielen jungen Talente im Land zu fördern. „Ich habe so viele vergeudete Talente gesehen und nur einige schaffen es herauszukommen und eigenständig ihren Weg zu machen.“
Offiziell seit 1993 im Ruhestand, sieht sie heute mit Dankbarkeit auf ihr erfülltes Leben. „Es war ein besonderes Zusammentreffen von Zeit, Ort und Umständen, das mein Leben bestimmte. Eine solche Karriere wäre weder vorher noch nachher möglich gewesen. In dieser Hinsicht hatte ich großes Glück und in diesem Sinne auch ein gutes und gesegnetes Leben. Meine Laufbahn als Tänzerin war nur sehr kurz, wurde jedoch gefolgt von einer dynamischen akademischen Entwicklung. Die Dinge entwickelten sich nicht immer wie geplant, aber so geht es eben im Leben. Trotz der Hindernisse, die sich mir bei der neuen Oper und bei der Akademie entgegenstellten, wollte ich immer wieder Ägypten etwas zurückgeben, auch wenn die Umstände es nicht immer ermöglichten. Obwohl ich nicht mehr in Ägypten lebe, ist Ägypten immer in mir, egal wo ich gerade bin. Vielleicht erscheint das als eine romantische Sichtweise, aber es hält mich aufrecht.“