In der Kunstwelt der Malerei gilt die Perspektive als eine zeichnerische Darstellung, die mit bestimmten Mitteln den Eindruck von Räumlichkeit hervorruft. Schon bei meinen ersten Streifzügen durch Gräber, Tempel und Ruinen, wie auch beim Betrachten von Papyri, fiel es mir auf. All die wundervollen Malereien, die Reliefs und Zeichnungen: Wieso nur wurde in alter Zeit alles nur zweidimensional dargestellt? Ein Versuch, dieser Frage auf den Grund zu gehen.

Abb. 1

Über fast alle Epochen und Dynastien kennen wir die Darstellungen wie sie heute noch zahlreich in vielen Gräbern, Tempeln und Museen zu bewundern sind. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Künstler der damaligen Zeit durchaus in der Lage waren, dreidimensionale Bilder zu schaffen. Die ägyptische Malerei besaß eigene Normen. Vermutlich fanden diese ihren Ursprung im Alten Reich und waren geprägt von religiösen, sozialen und ästhetischen Überlegungen. Die altägyptische Malerei war aspektivisch, was man besonders in Personendarstellungen wiederfindet. Die Personen wurden im Profil dargestellt. Waren sie nach rechts gerichtet, konnten sie lediglich den linken Arm und den linken Fuß nach vorne strecken (siehe Abb.1).

Man kann annehmen, dass hier der ästhetische Grund dominierte, denn im gegenteiligen Fall würden sich Arme und Beine des Körpers kreuzen und die Harmonie der Darstellung wäre dahin (siehe Abb. 2). Die Figuren sind auf Standlinien angeordnet und zeigen das Wesentliche. Der Kopf wurde von der Seite, die Augen und die Brust von vorne wiedergegeben. Unterscheidet man die Malereien in den Gräbern und Tempeln mit den Darstellungen der Rund-bildkunst, also Büsten und Statuen von Königen und Göttern, erkennt man sehr wohl, dass die Künstler in der Lage waren, Dreidimensionalität zu erschaffen (siehe Abb. 6 unten).

Abb. 2

Abb. 3

Die Flachbild-kunst, so detailliert sie auch ist, blieb in der zweidimensionalen Darstellungsweise hängen. Man durfte durch Perspektive und Schattierung die Illusion eines dreidimensionalen Raumes nicht abbilden. Räumlichkeit wurde einfach durch Hervorhebung oder Vertiefung eines Reliefs geschaffen.

Typisch für die ägyptischen Reliefs und Malereien sind die Aufteilungen der Fläche in Register, d. h. in unterschiedliche Ebenen durch Trennlinien. Die einzelnen Szenen in den Registern ergeben eine Bildfolge (siehe Abb. 3). Manchmal ergeben die Bilder eine Abfolge unterschiedlicher Themen aus der Religion (z. B. Götterszenen, Szenen aus dem Totenbuch, Szenen aus der Unterwelt) oder aus dem Alltagsleben eines Grabinhabers (siehe Abb. 4).

Abb. 4

Abb. 5

Zusammen mit den Inschriften lesen sich die Wandbilder und Reliefs wie ein Comic. Nur einmal wurde mit den Gesetzen und Normen der Kunst im Alten Ägypten gebrochen. Zur Zeit der 18. Dynastie durch den Pharao Echnaton. In seiner Regierungsphase hob man die Kunstregeln der Perspektivlosigkeit auf. Erstmals wurden Darstellungen detailgetreu gezeigt, sei es aus dem Bereich von Personen, Gegenständen, Tieren oder der Natur (siehe Abb. 5).

Egal, ob die alten Ägypter nun die räumliche Tiefe ihrer Bildnisse nicht darstellen durften oder konnten, ich finde die Ästhetik, wie sie es trotz alledem schafften, alles so darzustellen, wie wir es heute noch sehen können, einfach nur einzigartig und wundervoll.

Abb. 6

Martin Missfeldt bemerkt hierzu: “Die Perspektive in ihrer Durchsehungsbedeutung gründet auf einem Phänomen, das ursprünglich nur Bildern innewohnte: der Zweidimensionalität. Die Perspektive ist eine Erfindung (keine Entdeckung!), die sich am Sehmechanismus orientiert, um unsere dreidimensionale Seherfahrung auf einem zweidimensionalen Bildgrund zu simulieren. Perspektivisches Sehen ist ein gelernter Prozess, der nicht unwesentlich mit den perspektivischen Bildern zusammenhängt. Nur so ist zu erklären, warum so viele Kulturen und Epochen gänzlich ohne perspektivische Bilder auskamen.“

Martin Missfeldt: www.martin-missfeldt.de/perspektive-zeichnen-tutorial/perspektive-kunst-entwicklung. php/erfindung-perspektive-antike