Die ägyptische Malerin Mirette Bakir lehnt es ab, die Realität zu akzeptieren. Und beklommen fühlt sie sich nicht in der Fremde, sondern in ihrer Heimatstadt Kairo.
Dr. Mirette Bakirs Lebensweg zeugt weder von blauäugiger Realitätsflucht noch naivem Wunschdenken. Ihre Vita entspricht vielmehr dem einer Zielstrebigen, einer Flexiblen, einer Kreativen und Mobilen mit zwei Hochschulabschlüssen und einem PH. D. Sie lebt und arbeitet seit 2006 in Leipzig. Trotzdem sagt sie: „Ich muss die Realität verleugnen, um zu überleben. Ich will und kann die Realität nicht als lebensdominierendes Element an mich heran lassen. Ich muss mich dagegen wenden."
In ihrer Einzelausstellung Denial – Oder: Die Verweigerung der Realitäten, um zu überleben, die im Sommer in Leipzig gezeigt wurde, hat Bakir die Abkehr von der Lebenswirklichkeit als Methode um fortzubestehen visualisiert. Die Frauen wenden sich ab, blicken den Betrachter nicht an, kehren der Realität den Rücken zu. Zahlenkolonnen oder das Zitat aus der „Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern" in Deutschland symbolisieren Lebenswirklichkeiten, denen ihre Figuren zu entfliehen suchen um hoffen zu können.
Denial © Mirette Bakir
Obwohl sich die 36jährige als politische Künstlerin und Frau versteht, beabsichtigt sie nicht mit ihrer Kunst etwas zu verändern oder etwas aufzuzeigen. „Es ist eher so, dass mich eine Idee, ein Gefühl packt, dem ich Ausdruck geben muss", erklärt sie. Bakirs Biografie erleichtert es, die Verleugnung der Realität als Überlebensstrategie sowohl der Person als auch der Künstlerin zu verstehen.
Denial © Mirette Bakir
Aufgewachsen in einer Kairoer Mittel-Schicht-Familie, in einem „sehr europäischen Umfeld", erlebte Bakir nach ihrem Examen an der Helwan-Universität zum ersten Mal, wie sich die Realität lebensdominierend – gleich einer Eskaladierwand – vor ihr aufbaute. Als Jahrgangsbeste hatte sie einen Lehrauftrag an der Fakultät für angewandte Kunst erhalten. Doch viele ihrer überwiegend männlichen Studenten, seien während der Seminare zum Gebet gegangen und nicht zurückgekehrt. Viele hätten sich geweigert, Körper zu zeichnen. Sie hätten sich auf den Koran berufen und werteten Akt-Malerei als haram, d.h. verboten. „Es gelang mir nicht, sie zu überzeugen, weder indem ich argumentierte, das sei doch Kunst und nicht Religion, noch mit dem Argument, Allah habe doch diese menschlichen Körper geschaffen. Es war eine repressive Atmosphäre", erinnert sich Bakir.
Nach vier „komplizierten" Jahren begann die junge Dozentin nach Auslandsstipendien zu suchen, in Frankreich, Belgien, Luxemburg, bis ihr eine Studienförderung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in den Schoß fiel: „Ein Professor fragte mich, ob ich für fünf Monate nach Deutschland gehen möchte. Und obwohl ich kein Wort Deutsch sprach, hab ich es gemacht." Sie studierte an der renommierten Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB), machte anschließend ihren Master an der Universität Leipzig und begann, unterstützt von ihren Eltern, an der Bauhaus-Universität Weimar zu promovieren. Sie fertigte erste Gemälde und Zeichnungen an, die in Gruppenausstellungen gezeigt wurden.
Denial © Mirette Bakir
Doch in ihrer Heimat erhob sich ein weiteres Mal die Lebenswirklichkeit vor der jungen Künstlerin. Zunächst voller Hoffnung flog sie zu Beginn des Ägyptischen Frühlings im Januar 2011 nach Kairo. „Ein Traum schien sich zu erfüllen, der Traum von einem Ägypten als demokratischer Staat. Doch es kam anders." Denn ihr Bruder, damals Chef-Designer an der Oper Kairo, starb in den Wirren des Ägyptischen Frühlings. Vermutlich wurde er erschossen, während er gemeinsam mit anderen eine Kette bildete, um das Ägyptische Museum auf dem Tahir-Platz vor Plünderern zu schützen. Und auch Bakirs Traum von einem demokratischen Staat realisierte sich nicht. Bis heute versucht sie zu fassen, was mit den Idealen von 2011 passiert sei, wo das Streben nach Menschlichkeit, nach Freiheit, nach Demokratie geblieben sei: „Es ist ein Gefühl, dass diese ganze Generation und die Ziele der Revolution betrifft, deren einer Teil ausgewandert ist, der zweite Teil ist inhaftiert, der dritte tot. Das war die Jugend, die Hoffnung von 2011."
Mirette Bakir in Sommer 2017 in Leipzig © Wilfried Schäfer
Mirette Bakir, Jahrgang 1980, hadert mit ihrer Heimat: „Ich bin stolz auf Ägypten, auf unsere uralte Kultur, aber ich will auch wieder stolz auf anderes sein, und ich will es noch selbst erleben." Aktiv engagiert sie sich seit 2011 für die Umsetzung der demokratischen Ziele der ägyptischen Revolution, denn der ägyptische Frühling sei für sie nach wie vor ein Traum, der Wirklichkeit werden kann. Obwohl sich nach ihrer Beobachtung in den vergangenen Jahren manches in ihrem Geburtsland noch verschärft habe. So sähen Ägypter Frauen, die keinen Hijab tragen anders, eher abschätzig an. Viele würden diese Haltung mit Stellen im Koran rechtfertigen, die leider auch offiziell gelehrt würden. „In Ägypten fühle ich eine Beklemmung, die ich in Deutschland nicht fühle. Ich habe keine Geduld. Ich spüre, dass ich zornig werde."
Ihre Ausstellung in Leipzig macht aber auch deutlich: So prägend ihre ägyptische Herkunft ist, so aufmerksam spürt Bakir auch der Dominanz der Realität in ihrer Wahlheimat Deutschland nach.
Wilfried Schäfer traf Mirette Bakir im Sommer 2017 in Leipzig und interviewte die Künstlerin für Papyrus-Magazin. Der Artikel fasst das Gespräch zusammen.