Wo der Sonnengott zu Hause ist

Ein internationales Forscherteam einer ägyptisch-deutschen Kooperation unter Leitung von Dr. Aiman Ashmawy vom Ägyptischen Antikenministerium und Dr. Dietrich Raue, Kustos des Ägyptischen Museums der Universität Leipzig, hat im ägyptischen Tempel von Heliopolis einzigartige Fragmente gefunden. Darunter befinden sich gut erhaltene Blöcke aus Basalt aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., die den Sonnengott und die Göttin Hathor nennen. Erstmals wurden auch Säulenfragmente zu einem bisher unbekannten Tempel des späten 2. Jahrhunderts v. Chr. entdeckt.

Der Tempel von Heliopolis war eines der religiösen Zentren des pharaonischen Ägyptens für mehr als 2.500 Jahre. Aufgrund der problematischen Lage im modernen Kairo ist der Tempel jedoch über weite Strecken hinweg vollkommen unerforscht. Die Bedeutung des Heiligtums wurde von der Annahme abgeleitet, dass an diesem Platz die Welt entstand und dort die irdische Hauptresidenz des Sonnengottes angesiedelt sei.

Im Herbst 2015 hat ein 20-köpfiges Forscherteam um Dr. Dietrich Raue den Tempel von Heliopolis untersucht. Ziel war, die im Frühjahr 2015 begonnenen Grabungen auszuweiten, die zu überraschenden ersten Hinweisen auf den Tempel Nektanebos I (380 bis 363 v. Chr.) geführt hatten. Dabei machten die Archäologen erstaunliche Entdeckungen.

Ebenfalls aus Basalt wurden Fragmente einer geographischen Prozession gefunden: Hierbei werden alle Regionen des Landes mit einer Personifikation der Nilüberschwemmung einzeln dargestellt. Die Funde wurden in das Freilichtmuseum am Obelisken von Heliopolis gebracht und werden dort konservatorisch behandelt. Daneben wurden auch Säulenfragmente aus Kalkstein mit dem Namen des Herrschers Nektanebos I ausfindig gemacht. „Mit dieser Menge an Funden kann inzwischen gesichert davon ausgegangen werden, dass die Blöcke nicht von weither gebracht wurden. Erstmals kann damit im Tempelbezirk von Heliopolis eine Gebäudeeinheit exakt lokalisiert werden“, sagt Archäologe Dr. Aiman Ashmawy, der ägyptische Kooperationspartner. Zusätzlich fanden die Forscher Fragmente von Sphingen aus Rosengranit sowie einer Königsstatue des Merenptah (um 1200 v. Chr.), deren Oberteil im Frühjahr gefunden wurde.

Am Rande des Grabungsgebietes wurden erstmals große Säulenfragmente mit annähernd zwei Metern Durchmesser zu einem Tempel des späten 2. Jahrhunderts v. Chr. sichtbar. Aus dem gleichen Gebiet stammen auch Hinweise, die kunsthandwerkliche Tätigkeiten um 1250 v. Chr. in Gestalt von Farbpigmenten und Alabaster nachweisen.

Eine zweite Untersuchung im Süden des Geländes brachte ebenfalls bemerkenswerte Funde: Hier wurde ein Tempelabschnitt entdeckt, in dem Produktionsbereiche mit zahlreichen, erstaunlich gut erhaltenen Ofenanlagen aus dem 4. bis 2. Jahrhundert v. Chr. zu finden sind. Die Ausgrabungsstätte wurde vom Antikenminister Dr. Mamduh Eldamaty besucht, der angesichts der Entdeckungen seine weitere Unterstützung zusicherte. „Der Einsatz für diese Rettungsgrabung hat sich gelohnt. Mit den jüngsten Funden konnte nun Zeit gewonnen werden. Schließlich besteht konstant die Gefahr der Überbauung dieses zentralen Denkmals der altägyptischen Kultur durch die moderne Millionenstadt Kairo“, sagt Raue. Die diesjährige Herbstkampagne wurde durch eine finanzielle Unterstützung des American Research Center in Egypt für Rettungsgrabungen ermöglicht.

An der Ausgrabung haben neben Dr. Ashmawy und Dr. Raue unter anderem  zehn ägyptische Archäologen und Restauratoren teilgenommen, sowie vier Leipziger Studierende der Ägyptologie und ein niederländischer Zeichner. Ziel weiterer Kampagnen soll die Untersuchung weiterer Strukturen sein, die Jakub Ordutowski, polnischer Spezialist von der Akademie der Wissenschaften Warschau, in 3,5 m Tiefe entdeckte.

 Ergänzungen der Redaktion: Das altägyptische Heliopolis ist eine der frühesten Stadtgründungen der pharaonischen Zeit. Es ist nicht zu verwechseln mit dem heutigen Stadtteil Heliopolis (Misr el gedida), liegt aber nicht weit davon entfernt im Norden des Großraums Kairo im Gebiet von el Matariya in der Nachbarschaft von Ain Shams und Saray el Qobba. El Matariya ist auch bekannt für den „Baum der Jungfrau Maria“, in dessen Schatten die heilige Familie auf ihrer Flucht durch Ägypten Schutz gefunden haben soll.

In diesem Pressetext der Uni Leipzig wurden in Absprache mit Herrn Dr.Raue kleinere Modifizierungen vorgenommen.