Wer eine orthodoxe Kirche betritt, dem fallen sofort die Ikonen und die Ikonostase, eine mit Ikonen geschmückte Wand vor dem Altarraum, ins Auge. Die Begegnung mit dem lebendigen Gott, der Mensch geworden ist, bleibt für die orthodoxen Gläubigen nicht nur auf das gedankliche Verstehen bezogen, sondern umfasst den ganzen Menschen und seine Sinne. Dazu gehört auch die Verehrung der Ikonen, welche dem Gebet der Gläubigen einen körperlichen Ausdruck zu verleihen vermögen. Jeder orthodoxe Christ besitzt eine eigene Ikone.
Altarraum im Frauenkloster von Johannes Theologos-Peloponnes © D. Klementa
Begriff und Geschichte der Ikonen
Unter dem Begriff Ikone versteht man eigentlich eine geweihte Bildtafel. Das Wort ist griechischen Ursprungs und stammt vom altgriechischen Wort „eikon" ab, das seit jeher „Bild" und „Abbild" im weitesten Sinne bedeutet. Terminologisch werden die Begriffe „Eikon" und „Ikone" als gleichbedeutend verwendet, während die deutsche Bezeichnung Bild meist vermieden wird. [1]
In den Traktaten des Johannes von Damaskos, einem 650-749 n.Chr. lebenden frühen Theologen, finden sich zwei Definitionen der Ikone: „Ikone ist also ein Ebenbild, welches das Urbild kennzeichnet und sich doch von ihm unterscheidet"; „Ikone ist also Ebenbild, Beispiel und Ausprägung von irgendetwas und zeigt in sich das Abgebildete".[2] Nach ihm stehen die Ikonen in einer Linie mit der materiellen Menschnatur des menschgewordenen Gottessohnes: „Ich sah das Bild Gottes in Menschengestalt, und meine Seele ward gerettet.”[3]
Abendmahl im Kloster Makarios © A. Vincentz
Die Geschichte der Ikonen ist sehr komplex und bewegt. Ihre Wurzeln reichen bis in die antike Kultur, insbesondere in die Portraitmalerei des späten Hellinismus zurück. Die eindrücklichen ägyptischen Mumienportraits aus Faijum aus dem ersten bis vierten Jahrhundert nach Christus liefern das Bindeglied zur Malkultur der ausgehenden Antike.[4] Die Mumienporträts zeigen meist eine Person im Brust- oder Kopfbildnis in Frontalansicht. Der Hintergrund des Bildes ist stets einfarbig gehalten. In ihrer künstlerischen Tradition sind diese Bildwerke eindeutig römischen Ursprungs. Von der Maltechnik lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: Bilder in Enkaustik (Wachsmalerei) und in Tempora, wobei die Ersteren im Schnitt von höherer Qualität sind.
Mumienportrait als historisches Vorbild © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München
Die orthodoxen Christen führen die erste Ikone auf Christus selbst zurück.[5] Nach der Überlieferung hat Christus das Mandylion (Tuch) mit dem Abdruck seiner Züge dem erkrankten König Abgar von Edessa gesandt, wodurch dieser wieder gesund wurde. Dem Tuch wurde damit dieselbe Heilkraft wie der körperlichen Anwesenheit des Gottessohns zugesprochen. Das Mandylion wurde nach Konstantinopel gebracht und von dort 1204 durch die Kreuzfahrer nach Europa entführt. Der Bildtyp des Mandylions, der seit dem 6. Jahrhundert nachweisbar ist, wurde immer wieder kopiert. Er zeigt das Gesicht Christi ohne Halsansatz; isoliert aus dem körperlichen Kontext und damit der Entstehungslegende entsprechend. Christus wird in mittlerem Alter mit mittelgescheiteltem, etwa schulterlangem braunem Haar und langem Vollbart gezeigt. Dahinter wird ein ausgebreitetes Tuch von Engeln gehalten.[6]
Beispiel für ein Mandylion © Public Domain
Der Platz der Ikone ist die Ikonostase, eine Bilderwand, die den Altarraum von der übrigen Kirche trennt. Auf dieser Bilderwand ordnen sich die Ikonen nach festen Regeln um die Mittelpunkt der Deesis, der großen Fürbitte: Christus als Richter, auf der einen Seite Maria, auf der anderen Johannes der Täufer. Beide haben die Hände zum fürbittenden Gebet erhoben. Daran schließen an die Erzengel Michael und Gabriel, die Apostel Petrus und Paulus, danach die Ikonen der Märtyrer, der Heiligen, etc.
Ikonostase im Makarioskloster © A. Vincentz
Streit um die Bilder
Seit dem 6. Jahrhundert beschäftigt die Orthodoxen die Bilderfrage, wobei es zwei gegensätzliche Standpunkte gibt: Während das Alte Testament verbietet, sich ein Abbild Gottes zu machen, da im Dekalog des Exodus‘ Gott sagt: „Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde." (Ex 20, 4), wurde Gott im Neuen Testament in der Gestalt seines Sohnes Jesus Christus sichtbar. Die Auseinandersetzung gipfelte zwischen den Jahren 726 und 843 im sogenannten Bilderstreit (Ikonoklasten).[7] Während dieser Zeit wurden sehr viele Ikonen vernichtet. Es gab jedoch auch Befürworter der bildlichen Darstellung, welche die Bibelstellen anders auslegten. Im 8. Jahrhundert wurde der Bilderstreit beigelegt. Vor allem unter dem Einfluss von Johannes von Damaskos, dem 2. Konzil von Nizäa im Jahre 787 und dem 7. Ökumenischen Konzil, einberufen von der byzantinischen Kaiserin Irene, endete der Bilderstreit und die Darstellung heiliger Personen auf Ikonen war wieder erlaubt.[8]
Ikonen – Fenster zum Göttlichen
Ikonen sind das eigentliche Kultbild der Orthodoxen Kirche. Die Ikonenverehrung gehört zu ihren unveränderlichen Dogmen. Die Ikone dient der Vergegenwärtigung christlicher Wahrheiten. Ihr Zweck ist es, eine existenzielle, reelle Verbindung zwischen dem Betrachter und dem Dargestellten aufzubauen; indirekt auch zwischen dem Betrachter und Gott. Zum einen ist die Ikone das getreue Abbild eines jenseitigen Urbildes.[9] Zum anderen besteht der Unterschied zu einem normalem Bild darin, dass eine Ikone im Gebet gemalt und als geweiht gilt. Die Person, die auf ihr abgebildet ist, wird real vergegenwärtigt - mitsamt den eigenen heiligen Kräften der Gnade.[10] Die gemalte Person (Heilige, Engel, Jesus, Maria…) ist durch die Ikone wirklich in diesem Raum anwesend. Sie ist ein Durchlass für das Göttliche in unsere Welt herein. Die Verehrung, die einer Ikone erwiesen wird, gilt deshalb auch nie dem Bild als solchem, sondern der darauf abgebildeten Person. Indem die Ikone das Fenster zum Göttlichen öffnet, zeigt sie zum anderen den gemalten Glauben der Kirche. Sie verkündet die Wahrheit des Glaubens, der in der Kirche offenbart und gelebt wird.[11] .
Wandmalerei in Bawit, 6./7. Jh Apollon-Kloster © St. Mina Magazin - Koptisch- Orthodoxe Kirche in München
Die Orthodoxe Kirche unterscheidet dabei klar zwischen Anbetung (Latreia), die nur Gott zukommt, und der Verehrung (Proskynesis), die den Ikonen gilt.[12] Bei der Verehrung (Proskynesis) der Ikone tritt der Orthodoxgläubige aus der begrenzten diesseitigen Welt mit der jenseitigen Göttlichkeit in Verbindung. Das Göttliche, der göttliche Glanz, scheint aus der Ikone in unsere materielle Welt hinein.[13] Demgegenüber ist die Anbetung ausschließlich auf Gott gerichtet.
Das 7. Ökumenische Konzil definiert die Prinzipien der Bilderverehrung folgendermaßen: „Wir bestimmen mit aller Sorgfalt und Genauigkeit, dass ebenso wie das Bild des ehrwürdigen und lebenspendenden Kreuzes auch die erhabenen und heiligen Bilder aufgestellt werden sollen. Dabei ist es gleichgültig, ob sie aus Farben, Mosaiksteinen oder aus einem anderen geeigneten Material bestehen (....) ob es sich um Bilder unseres Herrn und Gottes, des Erlösers Jesus Christus, unserer unbefleckten Herrin, der heiligen Gottesgebärerin, der ehrwürdigen Engel oder aller Heiligen und Seligen handelt. (...) Und diesen soll Kuss und Verehrung (gr.proskenisis) zuteil werden; nicht aber die unserem Glauben gemäße Anbetung (gr. Latrea), die allein der göttlichen Natur zukommt (...). Denn die dem Abbild gewährte Ehre geht auf das Urbild über, und wer das Bild verehrt, verehrt die auf ihm dargestellte Hypostase".[14]
Man kann über die Bedeutung der Ikonen in der christlichen Erziehung kaum reden, ohne sich in Erinnerung zu rufen, was der Apostel Paulus schreibt: ,,Wir werden verklärt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur anderen von dem Herrn, der der Geist ist (2. Kor. 3,18)".
[1] Vgl. Fischer, H., Die Ikone. Ursprung-Sinn-Gestalt, Herder, Freiburg 1995, S. 129.
[2] Johannes von Damaskos widmete dem Them Ikonenverehrung drei Traktate (PG, 94, 1232-1420) und ein Kapitel seines Werkes „De fide orthodoxa“ (PG, 94, 1168-1176). Vgl. Altaner, B., Stuiber, A., Patrologie. Leben, Schrift und Lehre der Kirchenväter, Freiburg – Basel – Wien 1966, S. 527; Menges, H., Die Bilderlehre des hl. Johannes von Damaskus, Kallmünz 1937
[3] Vgl. S. B. Kotter (Hg.), „Die Schriften des Johannes von Damaskos“, vol. 2 (Patristische Texte und Studien 12. Berlin: De Gruyter, 1973), S. 111.
[4] Vgl. Hämmerle, E., Zugänge zur Orthodoxie, Göttingen 1988, S. 147f.; Wessel, K., Spätantike Kunst in Ägypten, in: Koptische Sammlung des Ikonen-Museums. Sammlung des Ikonenmuseums Recklinghaus, Recklinghaus 1963, S. 10-15.
[5] Vgl. Ouspensky, L., Lossky, W., Der Sinn der Ikonen, Bern 1952, S. 25.
[6] Vgl. Wilson, J., Eine Spur von Jesus, Freiburg 1980; Cust, E., v. Dobschütz, Das Christus-Bild Abgars, in: Monatsschrift für Gottesdienst und kirchl. Kunst 14 (1909); von Dobschütz, E., Christusbilder. Untersuchungen zur christl. Legende, Leipzig 1899; Grabar, A., La Sainte Face de Laon: Le mandylion dans l'art orthodoxe, Prag 1931; Wessel, A., in: RByzK I, 22 - 28; Cameron, A., The History of the Image of Edessa: The Telling of a Story, in: Okeanos. Essays presented to I. Ševčenko, Cambridge/Mass. 1983, 80 – 94.
[7] Vgl. Der byzantinische Bilderstreit (= Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte 9), hg. v. H.J. Geischer, Gütersloh 1968, S. 15-17. S. auch W. Elliger, Die Stellungnahme der alten Christen zu den Bildern in den ersten vier Jahrhunderten, S. 47 ff ;
[8] Vgl. Nikolau, Th., Die Ikonenverehrung als Beispiel ostkirchlicher Theologie und Frömmigkeit nach Johannes von Damaskos, in: Ostkirchliche Studien, Würzburg 25 (1976), S. 140-147.
[9] Vgl. Ε. Moutsoulas, Die Fleischwerdung des Logos und die Vergottlichung des Menschen nach der Lehre Gregors von Nyssa (Griech.), Athen 1965.
[10] Vgl. Ouspensky, L., S. 23.
[11] Vgl. Nikolau, Th., S. 149ff.
[12] Vgl. Nikolau, Th., S. 159ff.
[13] Vgl. Bornheim, B., Ikonen, Weltbild. Augsburg 2003, S. 13ff.
[14] Definition des 7. Ökumenischen Konzils, bei Denziger, H., Enchiridion Symbolorum, Freiburg: Herder, 1955, S. 302.