Es ist alles perfekt organisiert: Bereits einen Kilometer vor der Einfahrt zum Parkplatz des Mena-Hauses bzw. direkt oben an den Pyramiden von Gizeh steht alle 20 Meter ein Verkehrspolizist in neongelber Reflektoren-Jacke und schwenkt einen orangen Leuchtstab, damit man ja nicht den Weg verfehlt – auch wenn man sich sowieso nur schrittweise im Stau bewegen kann und seinem Vorfahrer folgen muss. Aber schließlich soll alles möglichst reibungslos verlaufen, denn es werden an zwei Tagen, dem 8. und 9. März 2018, jeweils 3000 Besucher erwartet; unter ihnen sogar der ägyptische Präsident und viele Touristen aus aller Welt, die eine Menge Geld bezahlt haben, um diesem außergewöhnlichen Spektakel beiwohnen zu können: der Aida, Verdis bekannter Oper. Die „größte Oper aller Zeiten“ und „meistgespielte Oper der Welt“ schreibt der Reiseveranstalter, um möglichst viele musikbegeisterte, reiselustige Kunden anzulocken. Aida ist also nach Ägypten zurückgekommen, war sie doch am 24. Dezember 1871 von dem italienischen Komponisten Giuseppe Verdi nachträglich zur Fertigstellung und Eröffnung des Suez-Kanals erschaffen und im Khedivial-Opernhaus in Kairo als Oper „in ausschließlich ägyptischem Stil“ uraufgeführt worden.
Oben auf dem Parkplatz nach unzähligen Sicherheitskontrollen angelangt, wird das Publikum in Shuttle-Bussen wieder nach unten zu dem geräumigen Sphinx-Vorfeld gebracht, wo ein großer Einlassbereich, eine Lounge, die Tribünen und die Bühne mit großen Scheinwerferanlagen aufgebaut worden sind. Es weht ein kühler Wind, so dass man schon ahnen kann, dass die dreistündige Vorstellung - reine Spielzeit, ohne Unterbrechung durch Pausen - eine kalte, körperliche Herausforderung werden wird, sollte man, dem extravaganten Anlass entsprechend, nur sein kleines Schwarzes angezogen haben. Schon jetzt gelten neidische Blicken denjenigen Gästen, die sich vorausschauenden mit Decken, Wolljacken und Schals ausgestattet haben. Die Bestuhlung ist eng, damit 3000 Besucher untergebracht werden können. Und da es eben auch dauert, bis so viele Menschen ihren Platz gefunden haben, beginnt die Oper gegen 20:30 Uhr mit 1,5 Stunden Verspätung.
Showtime
Die Ansagerin wünscht „viel Spaß bei der Show“, ein befremdlicher Ausdruck für eine Opernaufführung. Doch er ist treffend, denn Besuchern, die einen musikalischen Kunstgenuss, Ohrenschmaus oder Ähnliches erwartet hatten, waren sich nicht der akustischen Verhältnisse bewusst, die bei einem solchen Open-Air-Event herrschen. Orchester, Chor und Solisten müssen natürlich verstärkt werden, so dass die gesamte Musik durch Lautsprecheranlagen über den Platz schallt. Und da wir dazu in Ägypten sind und Ägypter es bekanntlich gerne laut haben, erklingt Verdis Oper quasi in einem Dauerfortissimo. Ungünstige Windverhältnisse führen darüber hinaus vor allem bei Solopassagen des Männerchores zu Intonationsproblemen, die besonders deutlich werden, wenn das Orchester und die Solisten wieder einsetzen. Insgesamt zeigen aber der Chor und die Solisten unter der musikalischen Leitung Abdalla Saads sowie das Orchester der Cairo Opera mit seinem Dirigenten David Crescenzi eine beeindruckende Leistung. Musikalische Höhepunkte sind natürlich der bekannte Triumphmarsch, der allen Erwartungen entspricht und zum Mitsummen verführt, die Arie Celeste Aida, forma divina sowie der Chor Gloria all´Egitto.
Einzigartiger Augenschmaus vor atemberaubender Kulisse © four seasons
Die Inszenierung dieser Oper bzw. Show ist hingegen atemberaubend und das beeinträchtigte Klangerlebnis wird durch einen einzigartigen Augenschmaus wieder gutgemacht. Die Regisseure wissen die Szenerie des Originalschauplatzes mit den drei Pyramiden und der Sphinx im Hintergrund vor einer schlicht in Weiß gehaltenen Bühne perfekt zu nutzen. Durch geschickte Scheinwerfereinstellungen wechselt die Beleuchtung der Pyramiden und der Sphinx immer wieder. Sie erscheinen mal mystisch bläulich, mal in Gelb und Violett, werden ein- oder ausgeblendet, so dass Bühnenbild und Kulisse, passend zur Handlung, sich ständig verändern und zu leben scheinen. Große Fackelsäulen begrenzen die Bühne, ein bläuliches Lichtband assoziiert den Nil, und im vierten Akt bilden 17 gigantische, konisch in den Himmel ragende Lichtsäulen eine Pyramide, unter der die Handlung tragisch endet.
Lovestory
Vor dieser atemberaubenden Kulisse bleibt die vieraktige Opernhandlung bis zuletzt spannend. Sie geht auf eine ägyptische Legende zurück, die von dem französischen Ägyptologen Auguste Mariette auf einem Papyrus gefunden und als Libretto umgeschrieben wurde. Die Handlung spielt in Ägypten zur Pharaonenzeit, wohin die äthiopische Königstochter Aida als Geisel verschleppt wird. Als sich der ägyptische Heerführer Radames in Aida verliebt, entwickelt sich eine komplizierte Liebesgeschichte, in der sich Radames zwischen seiner Liebe zu Aida und seiner Treue gegenüber dem Pharao entscheiden muss. Denn eigentlich soll er dessen Tochter Amneris heiraten. Anderseits gerät Aida in einen Konflikt zwischen ihrer Liebe zu Ramades und der Loyalität zu ihrem äthiopischen Volk. Da ihr Vater König Amonasron sich ebenfalls unter den Gefangenen befindet, kommt es in einer Begegnung zu weiteren Spannungen zwischen Vater und Tochter. Zusätzlich spitzt die Feindschaft der ägyptischen Prinzessin Amneris ihrer Rivalin Aida gegenüber die Konflikte zu. Die tragische Lösung dieser Konflikte bringt nur der Tod von Radames und Aida. Eingemauert in einem Gewölbe der Pyramide sterben sie gemeinsam nach ihrem gegenseitigen Liebesbekenntnis. Amneris kann jedoch ihren verletzten Stolz besiegen, so dass die Oper mit dem Trauergesang der Prinzessin und ihrem Gebet nach Frieden ausklingt.
Glanzvolle Kostüme und Requisiten © four seasons
Kostümierung und Requisiten beeindrucken durch ihre Pracht: So wie schon zu Verdis Zeiten die Oper laut Werbung mit „großem Glanz aufgeführt wurde“, hat man auch bei der aktuellen stilgetreuen Nachgestaltung der Pharaonenzeit viel Wert auf Prunk und Gold gelegt. Allerdings sind bei der aktuellen Aufführung die Krone der Aramis und das Schwert des Ramades nicht mehr aus massivem Gold und purem Silber. Befremdlich bleibt für den heutigen Zuschauer allein die Darstellung der äthiopischen Geiseln. Das hervorragende Ballett-Ensemble der Kairoer Oper, gekleidet in braune Leggins und Shirts mit bananenförmigen Baströckchen, bewegt sich tölpelhaft über die Bühne, um als unzivilisierte Barbaren im Gegensatz zu den Ägyptern aufzutreten, wofür das Publikum sogar noch extra applaudiert. Ein solches Klischee erscheint heutzutage nicht mehr zeitgemäß.
Insgesamt bleibt es ein unvergesslicher Abend, der das Versprechen des Veranstalters einlöst: „Nur am Originalschauplatz lässt sich diese Oper derart eindrucksvoll erleben.“
Besetzung der Rollen
Aida: Iman Moustafa/ Dragana Radakovic -Sopran
Radames: Dario di Vietri-Tenor
Pharao: Abdel Wahab El Sayed/ Gelu Dobrea –Bass
Amneris: Jolie Faizy/ Sanja Anastasia –Mezzo
Amonasro: Carlos Almaguer-Bariton