Dabeisein ist alles - und das immer wieder, so das Motto. Es ist Freitag, der 1. März 2019 an den Gizeh-Pyramiden: Heute findet der 40. Pyramidenlauf der DEO Kairo statt.

Vor dem Start

Um 7 Uhr morgens ist es noch empfindlich kalt auf dem Gizeh-Plateau. Dennoch herrscht für einen Freitagmorgen ungewohnte Betriebsamkeit. Es wimmelt von Sicherheitskräften. An der Auffahrt vor dem Mena-House-Hotel baut sich allmählich eine Schlange aus Bussen und Autos auf. Helfer und erste Teilnehmer treffen ein, bei den Sicherheitskontrollen muss jeder durch. Dann geht es an den drei Pyramiden vorbei: die gewaltige Cheops, die Chefren, die Mykerinos – aus der Nähe hoheitsvoll und mystisch wie seit fast 5000 Jahren. Man nennt sie heute die „ewigen Weltwunder“. Die Straßenführung hat sich geändert für die neue, westlich gelegene Zufahrt zu den Pyramiden. Scharf schneidet sich die frisch asphaltierte Straße durch das Plateau, führt zu der neuen Laufstrecke. Sie liegt ca. 2 km westlich der Pyramiden vor der Fayoum-Wüstenstraße. Im Hintergrund erstrecken sich die Betonsiedlungen des neuen Stadtteils Pyramids Garden.

Hier startet heute der von der Deutschen Evangelischen Schule (DEO) organisierte Pyramidenlauf. Rund 1200 Läufer gehen auf die 6 km lange Laufstrecke vor der traumhaften Kulisse der Pyramiden von Gizeh.

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Start eines erfolgreichen Laufs

1977 fand der Pyramidenlauf auf Initiative des Lehrers Hausmann zum ersten Mal statt. Im Jahrbuch „125 Jahre DEO“  von 1998 liest man, dass sich direkt vor der Mykerinos-Pyramide 74 Teilnehmer versammelten. Die damals noch 8 km lange Strecke habe als schnellster Schüler Ashraf Ghanem in 29:52 Minuten zurückgelegt, berichtet die Chronistin. Die Startgebühr habe 25 Piaster betragen, die Altersgrenze nach unten von 14 Jahren sei jedoch später aufgehoben worden.

Der erste Pyramidenlauf 1977 © DEO Kairo

Von Anfang an mit dabei war Laila Mansour, die beim ersten Lauf die 9. Klasse besuchte. Die heutige Mitarbeiterin der DEO erzählt mit vor Begeisterung leuchtenden Augen von ihren sportlichen Erfolgen als Schülerin. Sie schwärmt von der familiären Atmosphäre beim Pyramidenlauf.

Wagenburg aus Camping-Bullis beim Lauf 1979 © DEO Kairo

„Damals hatten alle deutschen Lehrer einen VW-Camping-Bus. Die benötigten Utensilien wurden für den Transport in diese Busse gepackt. Direkt vor der Mykerinos-Pyramide bauten sie ihre Autos wie eine Wagenburg für die Stände auf. Ihre Frauen schrieben die Urkunden und versorgten alle mit Kaffee und selbstgebackenem Kuchen.“ Die Strecke führte damals vorbei an Wochenendhäusern und dem „Resthouse“ des Präsidenten, das - mit eigenem Hubschrauberlandeplatz - auf Geheiß des Staatsoberhauptes Sadat neben den antiken Symbolen des Landes errichtet worden war. „Der Wendepunkt lag am Sahara-City-Nachtklub“, erinnert sich Laila. Hier konnten sich Touristen und betuchte Ägypter bis spät in die Nacht in geräumigen Beduinenzelten an ägyptischer Folkloremusik, Pferde- und Bauchtänzen erfreuen. Heute ist das Plateau um die Pyramiden leer geräumt. Dafür sprießen im engen Umkreis  die Betonklötze der Satellitenstädte aus dem Wüstenboden, im Nordosten kreist der ausufernde Moloch Kairo die Pyramiden immer enger ein.

Vor der Wendemarke - Laila Mansour beim Pyramidenlauf 1979 © DEO Kairo

Der ehemalige DEO-Schüler Mohamed El Sawy nahm 1978 zum ersten Mal teil. „Damals hatte ich bei 180 Teilnehmern eine gute Chance, den Pyramidenlauf zu gewinnen. Heute bin ich zufrieden, wenn ich meine persönliche gute Zeit laufe“, erinnert er sich. Denn schon bald stieg die Beliebtheit des Pyramiden-Laufs an, die Zahl der Teilnehmer wuchs. Bereits damals gehörte der DEO-Lauf zu den größten Laufveranstaltungen in Ägypten. Bald traten von den anderen deutschen Schulen ganze Mannschaften an und professionelle Läufer aus der Region räumen regelmäßig die ersten Plätze ab. Immer wieder kommen aber auch Ehemalige extra für den Pyramidenlauf aus dem Ausland angereist. „Der Pyramidenlauf ist das schönste Event des Jahres!“ schwärmt eine Schülerinnenmutter von der DSB Alexandria, die ebenfalls seit Jahren dabei ist.

Der Pyramidenlauf ist bis heute eine Erfolgsnummer. Nur zweimal seit 1977 musste er ausfallen: 1991 wegen des Golfkriegs und nach dem Umsturz im Januar 2011. Wie oft stand der Lauf jedoch auf der Kippe, denn bei der Genehmigung des Laufs und der Streckenführung sind die Antiquitätenverwaltung, das Tourismusministerium und die Sicherheitskräfte beteiligt – eine aufregende und diplomatische Herausforderung, für die alle Kräfte mobilisiert werden müssen.

Die DEO ohne Pyramidenlauf ist einfach unvorstellbar

2019 ging der 40. Pyramidenlauf über das Pyramidenplateau. „Es war und ist ein Lauf für alle:  Alt und Jung, Groß und Klein, Dick und Dünn, Schnell und Langsam….“, erklärt Laila schmunzelnd.  Sie selber kann seit einer Knieoperation vor 27 Jahren nicht mehr mitlaufen.

Dieses Mal schafft ein ehrgeiziger Profiläufer die 6 km in 18:27 Minuten, weitere folgen mit Zeiten unter 20 Minuten. Währenddessen zieht sich das große und langgezogene Feld der Hobbysportler die Straße entlang. Eltern motivieren ihre kleinen Kinder für den Rückweg, neben Power-Walkern sieht man Paare, die händchenhaltend die Gelegenheit zu einem Morgenspaziergang nutzen, sogar eine ältere Dame mit Stock geht frohen Mutes die Strecke ab. „Ich bin seit 30 Jahren jedes Mal dabei und schaffe es auch heute“,  ehnt sie lachend das Angebot der Streckenfahrer ab, sie auf den letzten Kilometern im Auto mitzunehmen.

Nach dem Lauf trifft man sich am Sammelplatz, begrüßt alte Bekannte, trinkt an Biertischen Kaffee und Tee und stärkt sich leiblich und seelisch in der guten, mittlerweile auch aufgewärmten Morgenluft.

Frau Harken, Frau Hartmann und das Sozialkomitee kümmern sich um die jungen Läuferinnen und Läufer aus den Kinderheimen, die seit einigen Jahren ebenfalls regelmäßig an dem Lauf teilnehmen. „Seit Monaten wurde schon in den sechs Heimen, die das Sozialkomitee betreut, für den Pyramidenlauf trainiert. Je drei Mädchen und Jungen durften teilnehmen, von denen drei Läufer Bestzeiten erreichten“, erklärt  Frau Hartmann, die das Sozialkomitee leitet, voller Stolz. Alle genießen jetzt ein leckeres Frühstück und freuen sich über ihre Erfolge, kleine Geschenke und das gemeinsame Erlebnis.

Teilnehmer aus dem Verein der Ehemaligen  versammeln sich an einem Tisch um den Dr.-Karl-Alban-Pokal, der jährlich an die ältesten Ehemaligen unter den Teilnehmern verliehen wird. Viele kennen sich seit Jahrzehnten, tauschen Neuigkeiten aus, einige stellen stolz ihre Kinder und Enkel vor, die ebenfalls mitlaufen. Den Ehemaligen liegt dieser Lauf ganz besonders am Herzen. „Die DEO ohne Pyramidenlauf ist einfach unvorstellbar“, hieß es immer wieder voller Wehmut und Trauer, als er 2011 wegen des Ausnahmezustandes abgesagt werden musste.

Ehemalige mit dem Ehrenpokal beim Pyramidenlauf 2019 @ Renate Gomaa

Viele Erinnerungen werden ausgetauscht, die vor allem dem Wetter gewidmet sind: „Wisst ihr noch vor 10 Jahren, als hier ein Regensturm aufzog und wir in dicke Jacken eingemummt froren wie die Schneider? - Aber letztes Jahr war es vor Hitze kaum auszuhalten! Oder vor einigen Jahren, als am Ende des Laufs ein Sandsturm über uns hinweg zog, der Papiere, Kisten und Stühle durch die Luft wirbelte und alle in ihre Autos und zur Flucht zwang. Die Siegerehrung fand dann am nächsten Sonntag in der Schule statt.“ Nun, der Wettergott meint es gut an diesem 40. Pyramidenlauf. Es herrscht eine Superstimmung.

Über die Sicherheitskontrollen mit Hundestaffeln und Autochecks, die früh morgens für Warteschlangen sorgen, redet kaum noch jemand. Sie gehören mittlerweile dazu. Stark verändert habe den Lauf das neue elektronische Zeiterfassungssystem, so ein Helfer. Wo bis vor zwei Jahren noch ein stimmgewaltiger Lehrer über Megaphon die Zeit abzählte, und sogenannte „Fänger“ die Läuferinnen und Läufer in jeder Kategorie abfingen und ihre Laufzeiten und ihre Rangnummer mit Holzstäbchen festhielten, werde jetzt mit Chip und elektronischer Kontaktschwelle die jeweilige Laufzeit erfasst. Anmeldung und Vorbereitung mit diesem neuen Verfahren seien umfangreich und noch immer mit unliebsamen Überraschungen behaftet, aber die hohe Teilnehmerzahl dieser beliebten Veranstaltung sei anders nicht mehr zu bewältigen.

Auf die nächsten 40 Jahre

„Wir arbeiten dran, dass diese  beliebte Veranstaltung auch weiterhin stattfinden kann, denn die große Zahl der Anmeldungen und Teilnehmer ist ein echtes Problem für die Organisation geworden“, gibt der Fachleiter Sport zu bedenken. Die bürokratischen Hindernisse sind nach wie vor unkalkulierbar. Aber zur Zeit werde der Pyramidenlauf der DEO von den ägyptischen Behörden auch als Attraktion zur Imagepflege und zur Förderung des Tourismus angesehen,  vermutet ein Mitarbeiter der DEO. Das stimmt optimistisch. Zumal der älteste Pyramidenlauf der Gegenwart einen Nachahmer gefunden hat. Im Februar 2019 fand der erste pyramids marathon über 42 km statt. Ins Leben gerufen wurde er von DEO-Alumni Ayman Hakky, der selber als Schüler am Pyramidenlauf teilnahm und sich dadurch inspiriert fühlte. Er ist Gründer eines erfolgreichen ägyptischen Sport-Startups für Triathlon und Organisator u.a. von Sahl Hasheesh Triathlon und Aswan42 - the Magdi Yacoub Heart Foundation Marathon.

Auch der 40. Pyramidenlauf ist ein besonderes Ereignis im DEO-Jahr und in der gesamten Region. Neben den Siegerinnen und Siegern des Laufs gebühre der Dank der gesamten DEO-Gemeinschaft, betont der Schulleiter in seiner Dankesrede. Denn früher wie heute laufe der Pyramidenlauf nur, wenn alle mitanpacken. Wir wünschen, dass wir noch viele Jahre dabei sein dürfen!