Ganz Ägypten ist ihm erlegen. Das Mohamed-Salah-Fieber breitet sich unaufhaltsam aus in der Bevölkerung, in der Wirtschaft und in der Presse.

Ohne Mo Salah, wie ihn seine Fans nennen, hätte sich die ägyptische Nationalmannschaft sicher nicht für die Fußballweltmeisterschaft in Russland qualifiziert. Millionen Ägypter wissen das – egal ob Präsident, Trainer oder Fan. Seit Monaten feiern sie ihren Torjäger, jubeln und weinen mit ihm.

Der legendäre Strafstoß

Egal wie der WM-Sommer für die ägyptische Elf ausgeht, Mohamed Salah ist schon jetzt eine Legende. Mit seinem Treffer in der letzten Spielminute befreite er Millionen Zuschauer des Qualifikationsspiels gegen die Republik Kongo aus einem acht Minuten dauernden Horrorszenario. Das begann in der 86. Minute. Ägypten führt 1:0. Die Qualifikation ist zum Greifen nah. Doch Kongo gleicht aus. Schockstarre auf den Rängen. Mohamed Salah sinkt auf den Rasen, bleibt liegen, ganze 30 Sekunden, bevor er sich aufrappelt. Alle wissen, ein 1:1 reicht nicht. Abpfiff. Fünf Minuten Nachspielzeit. Vier verstreichen. Dann: Strafstoß für Ägypten. Mohamed Salah trifft und schießt Ägypten zur Weltmeisterschaft nach Russland - zum ersten Mal seit 28 Jahren sind die Pharaonen, wie die Nationalelf genannt wird, wieder dabei. Danach hätten sich die Leute lange gesehnt, sagte Trainer Hector Cuper. Dass dies keine leere Floskel ist, bewies auch der Jubel in Kairo. Der millionen Kehlen entweichende Schrei der Erleichterung in Bars, Restaurants und Wohnungen verschmolz zu einer Schallwelle, die die Hauptstadt-Luft erzittern ließ.

Mohamed Salah auf seinem Facebook-Account @momosalah

Freiminuten bei Vodafone

Seitdem hat die Mo-Salah-Hyperthermie das Land fest im Griff. So wurde der Stürmer nicht nur das neue Werbegesicht für Vodafone in Ägypten. Der Mobilfunk-Riese schenkt seinen Kunden sogar Freiminuten, weil Mo Salah Torschützenkönig des Jahres ist. Das Präsent: Kostenlose Flatrate für einen ganzen Tag. Drei weitere Tage können Nutzer für nur ein ägyptisches Pfund mobil telefonieren.                                                                                    

Leuchtender Star

Dem Mohamed-Salah-Virus ist auch die Ramadan-Industrie komplett erlegen. Halbmannshohe Fawanies, Laternen, die traditionell im Fastenmonat überall aufgestellt werden, zeigen den lächelnden Starfußballer.

Ramadan-Laterne mit Mohamed Salahs Konterfei © Roshanak Zangeneh

Doch damit nicht genug. Auf Plastiktüten, Kaffeetassen und allerlei Nippes ehrt Ägypten seinen Hoffnungsträger. In vielen Playstation Shops hängen Poster des Ägypters nun neben denen von Lionel Messi und Christiano Ronaldo. T-Shirts mit seinem Namen auf dem Rücken sind derzeit absolute Bestseller. Der in Ägypten bekannte Pop Musiker Hisham Abbas widmete Mohamed Salah einen Song. Ein Graffiti in Downtown Kairo setzt den Fußballer in eine Reihe mit Legenden wie der Sängerin Umm Kulthum und dem Literaturnobelpreisträger Naguib Mahfouz. „Er ist ein Beispiel für den einfachen Mann, der nie aufgegeben hat. Das inspiriert Ägypter", zitiert die Online-Ausgabe von Middle East Eye (MEE) einen Angestellten der Regierung.

Auch die Schlagzeilen in Ägyptens großen Tageszeitungen zeugen von heftigen Fieberschüben. Nahezu täglich berichtet zum Beispiel Egypt Independent über den „Egyptian King" - den Ägyptischen König. Jedes Detail aus dem Leben des Fußballers reicht für eine Story. Wie seine Liebe zu Koshari – einem Mix aus Makkaroni, Reis und Röstzwiebeln –, das er sich von Freunden in einem Becher zum Flughafen mitbringen ließ und auf dem Weg nach Hause im Auto aufaß.

Beim Barte des Mo Salah

Und selbst Salahs Bart wurde für ein paar Tage zum Thema. Zunächst hatte der ägyptische Kolumnist Salah Montaser in Al Ahram weekly darüber geschrieben. Mohamed Salah trüge einen Bart wie ein Terrorist und solle sich diesen schleunigst abnehmen lassen, so der Kolumnist. Fans und Presse reagierten empört. Montaser ist nun in Ägypten wahrscheinlich genauso bekannt wie der Fußballer. Aber einen Platz in den Herzen der Ägypter hat er mit seiner Kolumne wohl auf immer verspielt.

Salah - der neue „Pharao"

Mit seinem WM-Qualifikationstor wurde Salah in seiner Heimat zum Nationalhelden und Hoffnungsträger für Jung und Alt. Und einige Ägypter trauen der „vierten Pyramide", wie er auch gern genannt wird, offenbar noch viel mehr zu, als ihr Land bis ins WM-Finale zu schießen. Manche meinten, er habe gar das  Zeug zum Staatschef und gaben dem Kicker ihre Stimme bei der ägyptischen Präsidentenwahl im März. Zwar stand er gar nicht auf dem Stimmzettel, aber sie strichen die beiden Kandidaten einfach durch, setzten den Namen Mohamed Salah dazu und verbreiteten Fotos davon in sozialen Netzwerken. Wie viele Wähler ihren Wahlbogen auf diese Art modifizierten, ist jedoch nicht bekannt.

Einer von uns

Die meiste Sympathie wird dem „Ägyptischen Messi" wegen seiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen und seines bescheidenen Auftretens entgegengebracht. „Er ist einer von uns. Er hat gelitten wie wir, stand vor denselben Schwierigkeiten und Hürden wie wir. Aber er war hartnäckig und hat es geschafft", fasst ein Chemiker gegenüber MEE die Gründe für seine Begeisterung in Worte.

Salah stammt aus Nagrig, einem Dorf rund 150 Kilometer von Kairo entfernt. Als 14-jähriger fuhr er fünf Mal die Woche stundenlang mit dem Bus zum Training in die Hauptstadt und zurück. Sein Aufstieg in den Fußball-Olymp inspiriert Millionen junger Ägypter, denn er zeigt ihnen, mit Hartnäckigkeit und Willen ist alles möglich. Aus eigener Leistung hat es der Junge aus der Provinz in seinem Metier in die Weltspitze geschafft, ohne von seiner familiären Herkunft profitiert zu haben.

Und, er hat nie für einen der großen ägyptischen Fußballklubs, Al Ahly oder Zamalek, gespielt. Das macht es Fans der Kontrahenten gleichermaßen leicht, ihn zu lieben.

Ägyptens Botschafter

Zur Zeit gehört Mohamed Salah neben Lionel Messie und Christiano Ronaldo zu den erfolgreichsten Torjägern der Welt. Seit 2017 stürmt er für den FC Liverpool und die Fans der Reds liegen ihm zu Füßen. Er wurde in England zum Fußballer des Jahres und zum Spieler des Jahres in der Premier League gekürt.

Die arabische Welt verehrt ihn aber nicht nur als Spitzensportler, sondern auch als Botschafter Ägyptens und aller Muslime in Europa. Der ist zum Aushängeschild seiner Heimat und Religion geworden.

Abdel Ghani Hendi, Mitglied des Supreme Council for Islamic Affairs, beschreibt Salah als „einen der erfolgreichsten Repräsentanten Ägyptens im Ausland." Er habe es geschafft, so Hendi weiter, eine „größere Rolle im Kampf gegen Islamophobie zu spielen als alle anderen religiösen Institutionen." Salah fördere ein gutes Bild vom Islam, wird Hendi in Egypt Today zitiert.

Schadete der Wechsel ägyptischer Profis nach Europa bis vor zehn Jahren noch dem gesellschaftlichen Status der ganzen Familie, wie Nationalspieler Ahmed Elmohamady u.a. in der Frankfurter Rundschau zitiert wird, sehen die ägyptischen Fans heute in dem FC Liverpool-Stürmer Salah nicht den Netzbeschmutzer, sondern den „besten Repräsentanten Ägyptens", so Sherif Nasr, ein Cafe- Manager in Downtown Cairo gegenüber MEE.

Nationaler Fußball in Schutt und Asche

Der damals 20-jährige Mohamed unterschrieb 2013 seinen ersten Vertrag außerhalb der Heimat beim FC Basel. Auch weil der ägyptische Fußball gerade in Schutt und Asche lag und die heimische Liga ihm keine Spiel-Chancen mehr bot. 2012 waren mit Messern und Flaschen Bewaffnete in einem Fußballstadion in Port Said nach einem Spiel auf die Anhänger des Kairoer Klubs Al Ahly losgegangen. 74 Menschen wurden getötet. Die Polizei griff nicht ein. Der Ligabetrieb wurde anschließend für zwei Jahre eingestellt, später fanden die Spiele unter Ausschluss von Zuschauern statt. Bis heute kicken die Klubs vor fast leeren Rängen. Nur eine überschaubare Anzahl Tickets wird an Klubmitglieder verkauft. Die Nationalmannschaft scheiterte seitdem nicht nur an der WM-Qualifikation 2014, sondern verpasste auch dreimal die Teilnahme am Afrika-Cup.

Neue Generation

Heute gilt die Spielerfahrung, die ägyptische Fußballer wie Mohamed Salah in größeren europäischen Ligen sammeln, als zentrales Erfolgsgeheimnis der Ägypter: „Ägypten hat das Zeug, bei der WM zu überraschen", verkündete Ossama Nabih, Ägyptens Assistenztrainer, kurz nach dem erfolgreichen Qualifikationsspiel und fügte bescheiden hinzu: „Ich bin sicher, wir werden die Runde der letzten 16 erreichen."

Schock für Fußball-Ägypten

Wie sehr Ägyptens Fußball-Fans und Medien Mohamed Salah verehren, zeigt die Bestürzung und Anteilnahme, die Salahs Verletzung im Champions-League-Finale gegen Real Madrid auslöste. Der „Glücklich-Macher", wie ihn Al Ahrams Kolumnist Khaled Ezzedine nannte, war durch ein nicht geahndetes Foul von Madrids Kapitän Sergio Ramos böse gestürzt, zog sich eine Bänderverletzung in der linken Schulter zu und ging weinend vom Platz.

Es war eine „Nacht, in der ganz Ägypten weinte", zitiert die Zeitung Egypt Today einen Fan. Ägypten sei untröstlich, schreibt Egypt Independent und Daily News titelt: „Ägypter in Schock, Salahs Verletzung bringt WM-Hoffnung in Gefahr".

WM-Hoffnung auf der Kippe

Zwar ist Mohamed Salah im Kader für die WM, doch der Stürmer wird in Ägyptens erstem Gruppenspiel gegen Uruguay am 15. Juni vielleicht nicht auf dem Rasen stehen. „Salahs Kampfmoral ist hoch, er ist fest entschlossen, sobald als möglich gesund zu werden.", sagte der Vorsitzende des ägyptischen Fußballverbandes, Hani Abo Rida, in lokalen Medien. „Aber lassen sie uns vernünftig bleiben. Er wird es höchstwahrscheinlich verpassen. Wir wollen ihn einsatzbereit für das zweite Spiel", dämpft er allzu große Hoffnungen.