Im Juni 2017 ist es soweit, die Mugamma wird geschlossen - so hieß es in den Medien vor einem guten Jahr. Aber selbst kurz vor ihrem avisierten Ende scheint die leibhaftige Verkörperung ägyptischer Bürokratie ihrem Motto „Bokra, inshaallah! Komm morgen wieder!“ treu zu bleiben.
In der „Daily News" vom 6.Januar 2016 wurde unter Berufung auf den damaligen Gouverneur von Kairo Galal Mustafa angekündigt, dass Mitte 2017 die Mugamma, der Verwaltungskoloss am Tahrirplatz, ausgelagert werden solle. Der wichtigste Grund für die Auslagerung liegt in der Notwendigkeit die Innenstadt verkehrstechnisch zu entlasten. Schon seit Jahren werden Stadtentwicklungspläne für die Nutzung des Bereichs zwischen Mugamma und Maspero, dem Fernsehhochhaus, erstellt. Nachdem die American University Cairo (AUC) bereits vor Jahren ihre Gebäude am Tahrirplatz und in Bab-el-Louk geräumt hat, sollen nun auch die unzähligen Büros der Mugamma verlegt werden. Das Gebäude soll zwar weiterhin genutzt werden, aber ohne dass der Verkehr belastet wird. Da frühere Studien für die Umsetzungsphase fünf bis sechs Jahre veranschlagten, bestand angesichts einer schnellen Umsetzung berechtigte Skepsis. Außerdem war es nicht die erste Ankündigung dieser Art. Bereits 2005 wurde das Ende dieser Bürokratenfestung verkündet, weil im Zeitalter des Computers die Tage der Mugamma ohnehin gezählt seien.
Das nationale und internationale Medienecho angesichts der neuesten Schließungspläne ist bemerkenswert aber auch verständlich. Zwar ist die Mugamma im Ausland nicht so bekannt wie die Pyramiden, doch im Lande selber hat sie bei Ägyptern und Ausländern einen ähnlich hohen Symbolwert wie die Gräber der Pharaonen, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen. Der Journalist Khaled Diab bezeichnete sie in einem Beitrag vom 18.1.2016 für das Mediennetzwerk Zeitung „Al Jazeera" „als Ägyptens meist gehasstes Gebäude."
Tahrirplatz mit Mugamma in den fünfziger Jahren © Kurt Lambelet
Dabei war das monumentale Gebäude 1949 zum Ende der Ära König Farouks und der Kolonialzeit als Symbol für die nationale Autonomie und den Aufbruch des jungen Staates in das 20. Jahrhundert genau an der Stelle der ehemaligen englischen Verwaltungsbaracken errichtet worden. Die Mugamma - der Name lässt sich mit Ansammlung oder Komplex übersetzen - sollte eine zentrale Anlaufstelle für alle amtlichen Dienstleistungen von der Geburt bis zum Tod sein. In einer modernen Verwaltungseinrichtung sollten die Bürger schnell, einfach und unkompliziert alle erforderlichen Papiere wie Pass, Ausweis, Ausreise- und Aufenthaltsgenehmigungen erhalten und vor allem offizielle Bescheinigungen und Beurkundungen ausgestellt werden.
Eingang zur Mugamma © Roshanek Zanganeh
Aus dem Traum von einer kompetenten, transparenten und effizienten Administration wurde dagegen ein Albtraum an Ineffizienz und Bürokratie, in dem Visionen vom eigenen Geschäft oder Wünsche nach Auslandsreisen in papierenen Formulargebirgen versinken, und selbst die Ausstellung einer ganz banalen amtlichen Bescheinigung zu einer zermürbenden Jagd nach dem passenden Stempel wird. Auf dreizehn Stockwerken mit verschachtelten Korridoren sind laut „Daily News" vom 6. Januar 2016 ca. 1350 Räume untergebracht, in deren unübersichtlichem Gewirr 30.000 Angestellte arbeiten und sich pro Tag ca. 100 000 Besucher drängen. Mugamma steht für unbegrenzten Ärger, Demütigung, Frustration und mittlerweile im allgemeinen Bewusstsein schlichtweg für ägyptische Bürokratie, die hier ihre prachtvollsten Blüten der Korruption und Begünstigung treibt. Der ägyptisch-belgische Journalist Diab spricht gar von dem „hohen Tempel der Bürokratie“.
Interessanterweise hat man im ägyptischen Sprachgebrauch für Bürokratie nur den recht harmlosen Begriff „al routine“ aus dem Englischen übernommen. Für die mit dem Behördenapparat verbundenen Umgangsweisen gibt es jedoch eigene Benennungen: „Wasta“ bedeutet Beziehung, „Mahsoubiya" steht für Begünstigung, „Kosa" (Zucchini) für Seilschaften. Die Arbeitsmoral der Angestellten wird mit der Umschreibung der Verwaltungseinrichtung als „Civil-Servant’s Teahouse" deutlich. Für Diab steht die Mugamma Pate für eine Wortschöpfung: als Steigerung des Attributs kafkaesk scheint ihm der Ausdruck mugammaesk noch passender für dieses „verstaubte, klaustrophobische, trotzdem ungestüme und laute, befremdliche Labyrinth, ein Teil Kafka, ein bisschen Orwell, etwas Surrealismus von Margritte und ein Schuss ägyptischer Esprit“.
Nicht nur im Volksmund und in den Medien, auch in Filmen ist die Mugamma zu trauriger Berühmtheit gelangt, in dem bekanntesten „ Il irhab wal kakab – Terroristen und Kebab“ wird sie selbst zum Schauplatz. Ein durchschnittlicher Ägypter, einfacher Angestellter im öffentlichen Dienst, möchte seine Kinder auf eine näher gelegene Schule schicken und braucht dafür lediglich eine Beglaubigung der Papiere. Der in Ägypten sehr beliebte Film zeigt mit schwarzem ägyptischem Humor sowohl die beklemmende unmenschliche Willkür der Mächtigen und die Hilf- und Würdelosigkeit der einfachen Menschen, als auch deren unschlagbare Überlebenskunst.
Die Ankündigung über das Ende der Mugamma sorgt jedoch keineswegs für vorbehaltlose Freude, sondern löst für viele Ägypter einen Schock aus. Das Sinnbild des Staates und der Regierung gehört zu Ägypten wie die Pyramiden. Man würde sie vermissen? Während der Proteste und Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz war die Mugamma stets das wuchtige allgegenwärtige Wahrzeichen staatlicher Willkür. Ein Hotelgebäude hätte diesen symbolträchtigen Wert nicht mehr. Wogegen könnte man anstürmen? Verbunden damit ist auch die Gewissheit, dass die Mugamma lediglich ein Symptom darstellt für das eigentliche Problem der ägyptischen Bürokratie. Um dieses zu zu lösen braucht es neben einer Dezentralisierung noch viele andere Maßnahmen wie eine bessere Bezahlung der Angestellten und die Bekämpfung der Korruption. Wie ließe sich das ändern?
Mugamma während der Unruhen 2011 auf dem Tahrir-Platz © Roshanek Zanganeh
Einiges scheint sich jedoch bereits getan zu haben. Die vielfach kritisierten Defizite von öffentlichen Angestellten, die mit Teetrinken, Telefonieren, Beten und Gemüseputzen ihre Bürozeiten vergeuden, lassen sich bei einem kürzlichen Besuch der Mugamma jedenfalls nicht bestätigen. Jedem Besucher, der schon nach einer Stunde in dem Gewühle, Gedränge und Gewusel völlig aus der Fassung geraten ist, muss es größte Bewunderung abringen, wie die Angestellten hier noch sehr geordnet, konzentriert und professionell unter schier unglaublichen Arbeitsbedingungen ihre Arbeit verrichten. In provisorisch anmutenden Büros holen sie zielsicher Akten aus dem Stapel, erinnern sich nicht nur nach einer halben Stunde noch an eine wartende alte Dame und rufen sie pünktlich auf, sondern erinnern sich sogar noch nach einem halben Jahr an ihr Gesicht. Einem Polizeioffizier, dem ein fassungsloser, auf Krawall gebürsteter Mann ins Büro stürmt und ihn mit Schimpftiraden überschüttet, gelingt nicht nur eine Deeskalation des Konflikts wie aus dem Lehrbuch, sondern er findet auch noch eine – wenn auch nicht einfache – Lösung. Wie halten es diese Angestellten eigentlich jeden Tag in diesem Chaos aus? Eine Veränderung erscheint von höchster Dringlichkeit!
Was wird nun mit der Mugamma? Neue Nachrichten bezüglich einer Auslagerung gibt es auch kurz vor dem verkündeten Termin noch nicht. Man sucht noch nach Lösungen für die Auflösung: Laut „Telegraf" vom 13.6.2016 möchte die Regierung für einige Dienstleistungen mobile apps einführen, da aber laut Weltbank nur ein Drittel aller Ägypter über einen Internet-Zugriff verfügt, ist dies keine grundsätzliche Alternative. Ein großer Teil der Administration sollte auch in die neue Hauptstadt mit ihren riesigen Regierungs- und Verwaltungsgebäuden verlegt werden. Diese Planung ist aber bisher auch wieder ungewiss. Es gibt bisher keine Hinweise auf eine baldige Umsetzung, deshalb bleibt das bekannte Resümee: Bokra, inshaallah!