Malaika bildet unterprivilegierte Frauen zu professionellen Stickerinnen aus - und lehrt sie nebenbei das Alphabet.

Lustige Skarabäuskäfer, Paviane, Kamele oder Tintenfische tummeln sich auf Kosmetikbeuteln, Wäschesäcken und Strandtaschen. Zarte Stickmuster veredeln Bettbezüge. Fische und Seesterne machen gute Laune auf bunten Strandtüchern. Alles handgemacht, handbedruckt, handbestickt. Malaika-Produkte rufen einem von Weitem zu: Kauf mich, kauf mich! Sie sind in chicen Boutiquen zu finden, in Kairo oder el Gouna; und immer öfter auch im Ausland, etwa in Berlin.

Skarabäuskäfer, Paviane, Kamele oder Tintenfische tummeln sich später auf Kosmetikbeuteln, Wäschesäcken oder Strandtaschen © Roshanak Zangeneh

Erst nachdem ich Familie, Freunde und mich selber reichlich mit Beuteln, Taschen und Tüchern ausgestattet hatte, erfuhr ich zufällig, dass Malaika nicht irgendeine Firma ist, sondern eine mit sozialem Engagement. Malaika bringt benachteiligten Frauen ein Handwerk bei, beschäftigt sie und lehrt sie nebenbei das Lesen und Schreiben. Wie genau und wo? Ein kurzer Anruf an Mitbegründerin und Firmeninhaberin Margarita Andrade genügt: “Komm, besuche die Frauen in unserer Stickschule!”

Mitbegründerin und Firmeninhaberin von Malaika, Margarita Andrade © Roshanak Zangeneh

Ein Art-Déco-Haus an der Kasr-el-Nil-Strasse in Downtown Kairo. Helle Räume mit hohen Decken. Etwa 25 Frauen in farbenfrohen Gewändern und Kopftüchern sitzen an mehreren Tischen und sind in kleine Handarbeiten vertieft. Die meisten sticken Muster auf kleine Stoffstücke. Die Fenster sind offen, draussen hupt der Verkehr. Ein Baby schläft. Es ist Anuratis’ halbjähriger Sohn; die 27-Jährige ist aus dem sudanesischen Krisengebiet Darfur nach Kairo geflüchtet. Immer wieder steht eine der Frauen auf und zeigt ihre Werk einer Lehrerin. Kurzes Feedback, weiter sticken. “Threads of Hope”, Fäden der Hoffnung, nennt Margarita Andrade diese jüngste Initiative von Malaika.

Anurati ist mit ihrem Baby aus dem sudanesischen Krisengebiet Darfur nach Kairo geflüchtet © Roshanak Zangeneh

Die Stickschule für sozial benachteiligte Ägypterinnen sowie Migrantinnen wurde vor bald drei Jahren gegründet. Hier lernen Frauen während etwa zwei Monaten den traditionellen arabischen Kreuzstich und andere Techniken. Zwei Mal die Woche kommen sie hierher, meist von weit ausserhalb. Die Ausbildung ist kostenlos. Dazu bekommen die Frauen umsonst ein Frühstück und nebenbei Schulungen zu Themen wie Ernährung, Hygiene, Erziehung oder sexueller Gewalt. Handkehrum verlangt Margarita Andrade, dass jeder Stich perfekt sitzt. Malaika soll für höchste Qualität stehen.

In der Stickschule üben die Frauen Muster auf kleinen Stoffstücken © Roshanak Zangeneh

Beherrschen die Frauen die Handarbeit, können sie fortan von zu Hause aus weitermachen und werden pro Stück bezahlt. “70 Frauen arbeiten seit ihrer Ausbildung für uns weiter”, sagt Margarita Andrade, “manche Heimarbeiterinnen verdienen bis zu 3000 Pfund pro Monat” - das entspricht etwa 170 Franken. Das ist zwar nicht viel, aber damit liegt man in Ägypten bereits über der - sehr tief angesetzten - Armutsgrenze. Es bietet diesen Frauen eine praktische Verdienstmöglichkeit neben der Haus- und Kinderarbeit, es gibt ihnen ein wenig Spielraum in ihrem meist eng gesteckten Leben. Und Flüchtlinge wie Anurati könnten aufgrund ihres Status ohnehin keiner geregelten Arbeit nachgehen.

Die Frauen kommen aus Syrien, Jemen, Palästina, Eritrea, Somalia, Äthiopien, dem Sudan oder der Region.“Viele waren scheu und deprimiert, als sie hierher kamen. Sie trauten sich kaum, jemandem in die Augen zu sehen”, erzählt Margarita Andrade. “Hier werden sie geschützt und geschätzt. Sie entwickeln ein ganz neues Selbstbewusstsein, sind stolz auf das Gelernte.” Viele arme Menschen seien ihr Leben lang Stress und Ängsten ausgesetzt, als Kinder bekämen sie oft wenig Liebe, weil die Eltern zu sehr dem Überlebenskampf ausgesetzt seien. “Malaika soll nicht ein weiterer Teil ihrer Misere sein, sondern ein Teil der Lösung.” Hier werde niemand schlecht behandelt. Die Frauen könnten sich mit allen Problemen an sie wenden. Der Arzt ihrer Kinder sei auch deren Arzt, der Arabischlehrer ihrer Kinder bringe nun auch ihnen das Lesen und Schreiben bei. Und es sei unglaublich, wieviel versteckte Talente diese Frauen an den Tag brächten.

Da ist zum Beispiel Hanan. Sie hat für 15 Pfund am Tag das Gebäude geputzt. Vor ihren zwei Kindern und dem gewalttätigen Ehemann verheimlichte sie, womit genau sie Geld verdiente; sie schämte sich. Sie schlug eines Tages vor, für die Frauen ein Frühstück vorzubereiten und mitzubringen. Es sei ihr aufgefallen, dass viele hungrig seien. Margarita Andrades war einverstanden. Nebenbei lernte Hanan ein wenig sticken. Es wurde schnell klar, dass die 41-Jährige dafür ein besonderes Händchen hatte. Margarita stellte sie als Assistentin an. Hanan habe ihr Glück nicht fassen können. “Sie hat drei Tage lang geweint vor freudigem Unglauben, dass ihr so etwas Gutes widerfahren könne.”

Früher hat Hanan für 15 Pfund am Tag das Gebäude geputzt © Roshanak Zangeneh

Beim Erzählen kommen auch Margarita Andrade fast die Tränen. Sie sei selber eine alleinerziehende Mutter gewesen, sagt sie, und wisse, was es heisse, “die eigene Komfortzone zu verlassen”. Auch nach all den Jahren wird sie schnell emotional, wenn sie erzählt, wie sich das Leben dieser Frauen verändert hat. Frauen, die im Leben wenig Chancen hatten und nun eine bekommen haben – und sie packten. Ein kleiner Aufstieg, der automatisch auch die Chancen ihrer Kinder erhöht. Hanan etwa investiere den grössten Teil ihres Verdiensts, etwa 8000 Pfund im Monat, in eine bessere Ausbildung ihrer Kinder; beide besuchen jetzt eine etwas bessere Schule.

Margarita Andrade hat Malaika zusammen mit Goya Gallagher 2004 in Ägypten gegründet. Beide Frauen sind aus Ecuador und kennen sich noch aus Schulzeiten, beide beschäftigen sich mit Design und Frauenförderung. Sie konnten auf dem heimischen Markt keine Produkte aus der weltweit bekannten ägyptischen Baumwolle finden, die auch ihren ästhetischen Ansprüchen genügte. Das Projekt begann mit ein paar Frauen, es wuchs und wuchs. 2009 eröffnete Malaika eine Fabrik in Haram City, einer vom ägyptischen Milliardär Samih Sawiris erbauten Sozialwohnungssiedlung am Rande Kairos. Dass Sawiris der Ehemann von Goya Gallagher ist, dürfte dem Projekt nicht zum Nachteil gereicht haben.

Rund 60 Mitarbeiterinnen und auch einige Mitarbeiter sind bei Malaika beschäftigt © Roshanak Zangeneh

“Ihr müsst die Fabrik besuchen, wenn ihr verstehen wollt, warum die Produkte so schön sind”, sagt Margarita Andrade. Eine Woche später betreten die Fotografin und ich einen grossen, hellen Raum in Haram City. Die vielen Pflanzen verstärken den freundlichen Eindruck. Rund 60 Mitarbeiterinnen und auch einige Mitarbeiter sind hier beschäftigt. Die meisten sitzen an Nähmaschinen im Hauptgebäude. In Nebenräumen entstehen die handgeschöpften Siebdrucke: Schablone um Schablone gewinnen hier die hübschen Tier- und Blumenmuster ihre Vielfarbigkeit. Um 12 Uhr legen alle ihre Arbeit nieder. Es gibt ein Mittagessen; frisches Brot, Humus, Tomaten, Gurken. Wenn es das Wetter zulässt, setzen sich die Frauen und Männer zum Essen draussen auf Teppiche. Fröhliches Geplauder.

Handgeschöpfte Siebdrucke zieren Tücher, Beutel, Kissen uvm. © Roshanak Zangeneh

Auch für die Fabrikarbeiter gibt es Arabisch-Unterricht. Wie sie sich sowas leisten könne, sei Margarita Andrade schon des öfteren gefragt worden. “Wie kann man sich ungebildete Mitarbeiter leisten?”, frage sie jeweils zurück. Nur glückliche Mitarbeiter würden auch höchste Qualität liefern, ist sie sich sicher. “Sie stecken ihre Energie in etwas, von dem sie wissen, dass sie ein Teil davon sind.”

Die Fadendichte von Malaika-Baumwolle ist 360, die Leinwandbindung ist Perkal: eng gewebt mit einer glatten, festen Oberfläche. Margarita Andrade erinnert selber an Baumwolle. Sie trägt eine adrette Bluse und hat etwas Reines, Gepflegtes an sich. Gleichzeitig etwas Zähes. Reissfest, aber warm. Am Ende will auch sie ein gutes Geschäft machen. Am Ende sei das keine Sozialeinrichtung, sondern ein Ort, der Frauen dazu befähige, stärker zu werden und sich selber zu helfen.

Malaika-Baumwolle ist eng gewebt mit einer glatten, festen Oberfläche - reissfest und warm © Roshanak Zangeneh

Sie möchte nun weiter in Menschen, in denen niemand etwas sehen wollte, Talente finden und fördern. Und sie hat noch viele Pläne für Malaika: Weitere Designer sollen ihre kreativen Ideen von den Frauen im Heimwerk umsetzen lassen oder ihre Produkte in dieser Fabrik produzieren lassen. Ein Kindergarten wäre schön! Sie möchte den Export steigern! Blinde Frauen könnten die Fäden aus den Stoffen ziehen! Vielleicht könnte man auch Papier herstellen, Kerzen! Doch noch sucht Margarita Andrade Sponsoren und mehr Kunden; das Ausbildungszentrum ist kostspielig und lässt sich bisher nur mit einer Querfinanzierung über die anderen Malaika-Produkte tragen.

Doch warum erfährt die Käuferin im Laden nichts über den Hintergrund der Malaika-Produkte, warum sind sie nicht entsprechend angeschrieben? “Die Produkte sollen im Vordergrund stehen, sie sollen für sich sprechen”, sagt Margarita Andrade. “Ich fände es beleidigend, die Armut der Frauen auszustellen. Ich empfinde den Frauen gegenüber viel Liebe und Respekt.” Malaika heisst auf Arabisch Engel.