Das Eid Al Adha, zu Deutsch Opferfest, ist das wichtigste religiöse Fest im Islam. Dieser höchste Feiertag der Muslime bildet seit der ersten Pilgerfahrt des Propheten Muhammad nach Mekka bis heute den Abschluss der Hadsch, der großen Wallfahrt. Millionen Muslime weltweit feiern ihn. In diesem Jahr durfte ich dieses große Fest vom morgendlichen Gebet über die Opferung eines Tieres bis zum gemeinsamen Festessen mit der Familie meines Freundes Waged in Kairo hautnah miterleben.

Festgebet und frische Datteln

Es ist der Morgen des 21. Augusts 2018, des Eid Al Adha. Um 4.30 Uhr morgens herrscht bereits geschäftiges Treiben auf den Straßen Kairos. Die Muezzine rufen, die Menschen strömen zu den Moscheen. So auch in New Cairo im Osten Kairos. Auf dem Platz vor der New Police Mosque treffen sich dutzende Familien. Waged und ich mitten drin. Im Licht der frühen Sonnenstrahlen versammeln sich unzählige Männer, Frauen und Kinder zum gemeinsamen Festgebet. Normalerweise beten Frauen zu Hause, weil nur wenige Moscheen einen Gebetsraum für Frauen haben. Zum Festgebet sind jedoch Plätze für alle vorgesehen. Während Waged betet, warte ich auf dem Platz und genieße die Ruhe. Scheinbar hält die ganze Stadt inne. Um kurz vor 5 Uhr, zum Ende des Gebets, herrscht ein Moment der Stille, in der ich nur das Plätschern des Springbrunnens vor der Moschee und einige um die Minarette kreisende Vögel hören kann.

Nach dem Gebet in der New Police Moschee © Sarah Goltz

Das unendliche Vertrauen in Gott und seine Barmherzigkeit

Das Eid Al Adha wird in Gedenken an eine Geschichte des Alten Testaments gefeiert, die auch im Christentum und Judentum von Bedeutung ist. Danach bekam Abraham von Gott die Anweisung, seinen Sohn Isaak zu töten, um Gott seine bedingungslose Unterwerfung zu beweisen. Obwohl Abraham als Vater mit sich rang, so war er doch bereit, seinen einzigen Sohn zu opfern, um Gott sein maßloses Vertrauen zu zeigen. Im letzten Moment jedoch erschien ihm der Engel Gabriel und tauschte Isaak gegen einen Widder aus, den er anstelle seines Sohnes für Gott tötete.

Traditionell opfert jede wohlhabende Familie jährlich zum Eid Al Adha einen Paarhufer ihrer Wahl. Ein Drittel des Fleisches wird an Bedürftige verteilt, ein Drittel an Freunde und Verwandte und das letzte Drittel wird vom Eigentümer des Tieres selbst behalten, um es für das anstehende Festessen zuzubereiten.

Tradition auf dem Teller – trotz Schlachtverbots auf der Straße

Waged und ich machen uns auf den Weg durch die Stadt. Seit Tagen schon sah ich auf den Ladeflächen von Autos, in Hinterhöfen und in Seitengassen Rinder und Schafe stehen, die nun auf ihre letzte Stunde warten. Üblicherweise werden die Tiere zum Eid auf offener Straße geschlachtet, auf dem Bürgersteig vor dem Haus oder im Garageneingang. Aus hygienischen Gründen ist dies in Ägypten seit 2015 verboten. Wer es trotzdem tut, den erwartet eine hohe Strafe in Form eines Bußgeldes von umgerechnet 250 €, eine Summe, die das durchschnittliche Einkommen der meisten Ägypter übersteigt. Dies hält jedoch kaum jemanden davon ab, das Zabh, das traditionelle Schlachten, bei welchem dem Tier mit einem scharfen Messer und einem einzigen Schnitt die Kehle durchtrennt wird, in Hinterhöfen oder Hauseingängen zu vollziehen. Selbst innerhalb der Behörden ist umstritten, wie strikt das Verbot durchgesetzt werden kann und soll. So vertrat zum Beispiel der Parlamentsabgeordnete Ibrahim Khalif gegenüber der Tageszeitung Egypt Today die Auffassung, dass das Bußgeld an allen Tagen des Jahres mit Ausnahme der ersten drei Tage des Eid Al Adha, verhängt werden soll. Die Strafe, so sagt er, würde die Leute verärgern und ihnen die Freude am Eid verderben. Auch praktisch scheint das Verbot schwer durchsetzbar. Behörden haben geschlossen und die Ordnungsämter dürften schwach bis gar nicht besetzt sein. Mein Begleiter und ich haben jedenfalls keine Kontrollen gesehen.

Schlachten im Hauszugang © Sarah Goltz

Waged führt mich in seine Straße. In den Hauseingängen sehe ich bei genauerem Hineinschauen Männer hantieren, die gemeinsam Tiere für die Weiterverarbeitung zerlegen. In einem Hauseingang halten mehrere Männer ein Schaf fest. Alle packen mit an, die Frauen beobachten das Treiben vom darüber liegenden Balkon und tauschen sich mit den Männern per Zuruf über die richtige Vorgehensweise aus. Kinder in ihren neuen Festtagskleidern spielen auf der Straße und schauen neugierig dem Treiben zu.

Die Alternative zum Schlachten vor der eigenen Haustür sind Metzgerläden und Schlachthäuser. Hier herrscht zu dieser frühen Stunde schon Hochbetrieb. In einem abgetrennten Stall stehen angebunden Rinder und Schafe zum Verkauf. Kinder, Frauen und Männer treten neugierig heran, wählen ein Tier und warten, bis es an der Reihe ist. Alle schauen zu. Einige Männer packen mit an.

Der beißende Geruch von Stall und Blut, der hier niemanden zu stören scheint, lässt es mir im Magen etwas mulmig werden. Als die Männer ein Tier nach vorne holen, um es zu schlachten, verstecke ich mich leicht unbehaglich hinter einer Gruppe von Leuten und traue mich kaum, richtig zuzuschauen. Mehrere Männer drücken das Tier zu Boden, der Schlachter hebt das Messer und durchtrennt die Kehle. Die Helfer treten einen Schritt zurück. Das Schaf bäumt sich noch ein letztes Mal auf, schafft es aber nicht, noch einmal auf seinen Hufen zu stehen. „Das ist ganz normal, die Seele versucht den Körper zu verlassen“, erklärt mit Waged. „Du musst kein Mitleid mit den Tieren haben. Sie werden nicht gequält, sondern auf eine respektvolle Weise und für etwas Gutes geopfert. Wenn du das jedes Jahr siehst, gewöhnst du dich daran.“

Schlachthaus in Kairo © Sarah Goltz

Das Schlachten muss nach islamischem Glauben würdevoll geschehen, von einem Muslim durchgeführt und mit einem Bismillah el rahman el rahim, im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes, begonnen und durch ein Gebet begleitet werden. In Deutschland ist diese Art des Schlachtens, die wir Schächten nennen, verboten, weil das Tier vorher nicht betäubt wird.

Festtraditionen in der Familie

Am Nachmittag bin ich bei Wageds Familie eingeladen. Als ich sein Haus betrete, sitzt die engste Familie bei Kaffee und Kuchen zusammen, genießt die letzten Momente der Ruhe in kleinem Kreis, bevor die Vorbereitungen für das große Festessen losgehen und die ganze Familie eintreffen wird. Obwohl ich hier niemanden kenne, werde ich herzlich begrüßt und gleich zum Küchendienst gebeten. Mir wird die Zubereitung von verschiedenen Gerichten genau erklärt und ich habe das Vergnügen, mit Waged und seinen Eltern zu kochen. Dies ist hier nicht nur Frauensache, sondern alle helfen mit. In der gesamten Küche stehen Töpfe und Pfannen verteilt, es wird geschnitten, gehackt und vermengt, vor allem aber gelacht. Für zwei Tage und rund dreißig hungrige Gäste werden verschiedene Köstlichkeiten vorbereitet. „Manchmal feiern wir sogar bis zu vier Tage das Eid-Fest, deswegen hat auch ganz Kairo eine Woche Urlaub“, schmunzelt Wageds Schwester. Traditionelle Gerichte wie Molokheia, Kufta, Fattha und Kunafa zur Nachspeise dürfen an diesem Tag nicht fehlen. Fattha ist eine besondere Art der Zubereitung von Reis mit geröstetem und in Suppe eingeweichtem Brot, wozu gekochtes Fleisch gereicht wird. Den typischen Geschmack erhält das Gericht durch eine Sauce aus reichlich in Öl gebratenem und mit Essig abgeschrecktem Knoblauch, der mit Koriander und Tomaten gewürzt wird. „Wir machen es jedes Jahr zum Eid Al Adha. Es ist die wichtigste Speise an diesem Tag“, kommentiert Wageds Mutter. Die Köchin der Familie verrät mir mit Händen und Füßen ein sehr wichtiges Geheimnis: Beim Kochen von Molokheia, einer landestypischen grünen Kräutersauce, müsse unbedingt beim Hineingeben in den Topf zu Beginn ein lautes „Ahhh“ ausgerufen werden. Nur so würde die Speise gelingen, meint der Aberglaube.

Die Köchin der Familie © Sarah Goltz

Nach stundenlangem Köcheln, Dämpfen und Braten ist alles zubereitet. Die Sonne verschwindet langsam am Horizont. Ein großes Buffet ist angerichtet und die bereits eingetroffenen Verwandten bestaunen die vorbereiteten Köstlichkeiten und greifen hungrig zu. Wageds Vater stellt mich als Köchin der Soup Al Basal vor. Geschwister, Großeltern, Tanten, Onkel, Nichten und Neffen schütteln mir die Hand und gratulieren zu der gelungenen Zwiebelsuppe. Und es kommen immer mehr. Ich versuche, mir die wichtigsten Personen zu merken, verliere jedoch schnell den Überblick. „Meine Eltern haben jeweils acht oder mehr Geschwister, die wiederum Kinder haben. Die Familien sind nicht gerade klein“, lacht Waged, der allerdings nur eine Schwester hat.

Zwischen Hauptgang und Nachtisch laufen im Fernseher alte arabische Schwarz-Weiß-Filme, die wie Karten- und Ratespiele zum Eid Al Adha gehören. Hierbei machen alle mit. Erwachsene und Kinder kichern, necken sich und fiebern mit. Nur eine Tante verfolgt interessiert den Film und trinkt gemütlich ihren Tee mit viel Zucker. „Sie holen jedes Jahr wieder die gleichen alten Filme heraus. Die Klassiker, die zum Eid gezeigt werden“, erzählt sie mir. Es erinnert mich sehr an Weihnachten in Deutschland, wo die beliebten Weihnachtsgeschichten, die nie aus der Mode zu kommen scheinen, jedes Jahr wieder gezeigt werden. Gegen Mitternacht mache ich mich auf den Heimweg. Ich bin die Erste. Außer mir scheint niemand müde zu werden. Morgen werden die Feierlichkeiten weitergehen.