Groß springt mir beim Tanken das Schild „Coffee to go“ entgegen. Jede bessere Tankstelle bietet ihn an, den Kaffee zum Gehen. Jeder kennt den Slogan, jeder nennt ihn so. Dabei stimmt noch nicht einmal die Übersetzung. „Coffee take away“ träfe es wohl eher und nicht „Kaffee zum Gehen“.
Beanos, Cilantro, Coffee Bean & Tea Leaf, Costa Coffee, Cinnabon, McCafé, Starbucks und gar Cova Coffee mit Kopi Luwak, dem vermutlich exklusivsten Kaffee der Welt – weltweit und längst auch in Ägypten prangen die Logos dieser modernen globalen Caféketten an jeder Straßenecke, in den Malls, an Tankstellen und Rasthäusern. Kaffeemaschinen, Kaffeepads, Kaffeekapseln mit unzähligen Geschmacksnuancen und interessanten Namen haben Einzug gehalten in die Regale der Kaufhäuser, Küchen und Kantinen vieler kaufkräftiger Kunden.
Ägyptens neue Kaffeekultur
Ägypten unterscheidet sich in der modernen Kaffeekultur nicht nennenswert von anderen Ländern. Kaffeetrinken ist wieder sehr in Mode gekommen, allerdings ist diese Art des Kaffeekonsums ein sehr kostspieliger Genuss und nur gut verdienenden Bevölkerungsteilen vorbehalten. Der Preis eines Cappuccinos entspricht in etwa dem Tagesbudgets einer einfachen Familie. Wer es sich also leisten kann, verweilt alleine oder mit Freunden nun wieder länger in Kaffeehäusern und nippt am Latte. Der Coffee to go, d.h. Kaffeetrinken auf der Straße, früher ein grober Verstoß gegen Anstandsregeln, hat sich auch auf Ägyptens Straßen ausgebreitet. Die lange Tradition des Kaffeegenusses, die ihren Anfang im orientalischen Raum nahm, und von dort aus Kunst und Kultur in Europa prägte, verändert sich nun in umgekehrter Richtung.
Coffee to go auch auf dem Motorrad © Nuri Kenjo
Legenden und Fakten über Anfänge im Orient
Der Ursprung des Wortes Kaffee geht auf das arabische Wort „qahwa“ zurück und bezeichnete ein anregendes Getränk, ursprünglich auch Wein, mit Bezug auf die Ursprungsregion Kaffa, eine Provinz im Südwesten von Äthiopien. Die türkische Bezeichnung „kahve“ gelangte zuerst in den italienischen Sprachgebrauch als „caffè“, weiter ins Französische als „café“ und mit angepasster Schreibweise in die deutsche Sprache. Das Wort „Bohnen“ lässt sich von dem arabischen Wort „bunn“ für nicht zubereiteten Kaffee ableiten.
Eine der zahlreichen Legenden über die Entdeckung des Kaffees besagt, dass Ziegenhirten aus Kaffa beobachteten, wie jene Tiere, die von einem Strauch mit weißen Blüten und roten Früchten fraßen, bis in die Nacht hinein aktiv blieben während die restlichen Ziegen schliefen. Ein abessinischer Hirte, dessen Name in der Legende oft mit Kaldi angegeben wird, soll daraufhin selbst die Früchte des Strauchs verzehrt haben und ebenfalls eine belebende Wirkung erfahren haben. Als der Hirte eines Tages den Mönchen eines nahegelegenen Klosters von den Früchten und ihrer Wirkung berichtete, sollen sich diese aufgemacht haben, um die kirschenartigen Früchte einzusammeln. Nachdem sie daraus einen Aufguss zubereitet und konsumiert hatten, erlebten auch sie die anregende Wirkung, durch die ihre Müdigkeit beim Nachtgebet vertrieben wurde.
Eine andere Legende berichtet davon, dass ein Hirte von den rohen und ungenießbaren Früchten probierte und sie daraufhin angewidert ins Feuer ausspuckte. Inspiriert durch den so entstandenen Duft, soll die Idee entstanden sein, die Bohnen zu rösten. Oder aber gebührt Ali Ibn Omar al-Schadhili, Scheich der Hafenstadt Mokka, der Ruhm, den Kaffee erfunden zu haben, den er im 16. Jahrhundert vorbeisegelnden portugiesischen Kaufleuten zum Probieren anbot?
Historiker bezweifeln all diese Geschichten. Doch unabhängig davon, ob eine dieser Legenden der Wahrheit entspricht, nennt man die Region Kaffa gemeinhin als Ursprungsgebiet des Kaffees. Sie war jahrhundertelang Hauptumschlagsort des Kaffees. Die äthiopische Kaffeekultur und Zubereitung gilt als die ursprünglichste.
In einem arabischen Manuskript von 1587 wird berichtet, dass seit Mitte des 15. Jahrhunderts in Arabien Kaffee getrunken wird und dass in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Kaffeebohne über Mekka und Medina das arabische Reich eroberte und 1510 oder 1532 Kairo erreichte – die verschiedenen Quellen sind sich da nicht wirklich einig.
In Ägypten geht der Genuss von Kaffee auf die Bruderschaft der islamischen Mystiker des Sufismus zurück, die ihn während ihrer Gebete tranken. Schnell übernahm das Getränk eine gesellschaftliche und kulturelle Rolle: Gegen Ende des 17. Jahrhunderts gab es in Kairo bereits 643 „bayt qahwa“, d.h. Kaffeehäuser, die gleichzeitig Kulturzentrum und öffentlicher Treffpunkt waren. Noch heute ist das Kaffeetrinken für alle Ägypter, unabhängig von ihrer sozialen Stellung, ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Lebens das Café bleibt ein Ort für private oder geschäftliche Treffen, für literarische Gespräche oder politische Diskussionen.
Auch in Kleinasien und Syrien verbreitete sich der Kaffee bald. Trotz der heftigen Opposition des islamischen Klerus und des Staates, wurde 1554 das erste Kaffeehaus in Istanbul eröffnet. Ende des 16. Jahrhunderts war der Kaffee für lange Zeit verboten, was anfangs aber kaum jemanden kümmerte. Während der Amtszeit von Sultan Murat IV jedoch wurden Kaffeehäuser niedergerissen und Kaffeetrinker verfolgt. Kaffee zählte mit Wein, Tabak und Opium zu den „vier Werkzeugen des Teufels“. Später erst, während der Periode der "Tanzmat" genannten Neuordnungen im Osmanischen Reich, wurde der Kaffee schließlich endgültig akzeptiert.
Danach galt Kaffee in der Türkei sogar lange Zeit als Aphrodisiakum und war landesweit das Getränk der moslemischen Bevölkerung. So musste der Mann bei einer Heirat das Gelübde ablegen, stets für eine ausreichende Menge Kaffee im Haushalt zu sorgen – gelang ihm dies nicht, hatte die Frau das Recht sich von ihm scheiden zu lassen. In Ägypten gehört die gekonnte Zubereitung des Mokkas mit einer festen Schaumschicht – „bil wisch“, auf Deutsch "mit Gesicht" - zum traditionellen Brauttest.
Da ungeröstete Kaffeebohnen für den Menschen unverträglich sind, wurden diese anfänglich überhaupt nicht genutzt. Zu Beginn wurde nur aus den Blättern der Pflanze ein Tee zubereitet, welcher in Teilen Äthiopiens noch heute verbreitet ist. Erst sehr viel später wurde das Rösten und Mahlen der Bohnen als Zubereitungsgrundlage entdeckt. Dazu wurden die Bohnen in einer großen Eisenpfanne geröstet, anschließend grob gemahlen bzw. in einem Mörser zerstampft und mit Wasser und Zucker in einem „Jabana“ genannten, bauchigen Krug gut aufgekocht. Getrunken wurde der Kaffee aus kleinen Schalen. Diese Art der Zubereitung findet sich bis heute bei den Beduinen und in den Golfstaaten.
Hell gerösteter Kaffee mit Kardomom ist vor allem in Saudi Arabien und bei Beduinen beliebt © Renate Gomaa
Laut mehrerer Überlieferungen kam der Kaffee nach Wien und damit nach ganz Europa schließlich durch eine Nachlässigkeit: Als die Türken 1683 vor der Stadt in die Flucht geschlagen wurden, ließen sie säckeweise ihre Kaffeebohnen zurück. Ziemlich schnell erkannte man diese Schätze und bald öffneten in Wien die ersten Kaffeehäuser ihre Tore.
Einige Jahrzehnte später wurde der Kaffee zum typischen Getränk während der Aufklärung, da er im Gegensatz zum berauschenden Alkohol als Wachmacher und „Ernüchterer“ galt, dem man außerdem gesundheitsfördernde Eigenschaften zuschrieb. So wurde durch das Aufkommen des Kaffees die Trinkkultur in Mitteleuropa nachhaltig verändert.
Kaffee und Cafés traditionell
In Ägypten prägen nach wie vor die kleinen „Ahwas“ an allen möglichen und unmöglichen Ecken und in allen Gegenden die Kultur des Kaffeetrinkens und des geselligen Zusammenseins. Dies sind meist kleine, nach außen weit geöffnete Kaffee- und Teehäuschen, mit höchst einfachem, oft zusammengewürfeltem Mobiliar. Sie sind aus dem ägyptischen Alltag unmöglich wegzudenken. Die Bezeichnung „ahwa“ ist synonym mit dem arabischen Namen des Getränks Kaffee. Meist sieht man nur Männer in diesen Kaffee- und Teestuben, die sich zum Diskutieren, Backgammon spielen, Wasserpfeife rauchen und Kaffee- oder Teetrinken treffen. Weibliche Gäste sah man dort selten bis gar nicht – erst seit der Revolution im Januar 2011 änderte sich in Kairos Innenstadt nach und nach auch dort ein wenig das Bild und weibliche Gäste lassen sich auf ein Getränk nieder.
Ein Ahwa vor ca. 100 Jahren - es hat sich wenig verändert © Lehnert&Landrock
Möchten Sie in Ägypten einen „ahwa türky“ - auf Deutsch "Türkischer Kaffee - bestellen, erwartet man genaue Angaben, denn der Kaffee wird gezuckert zubereitet. In der Regel bestellt man einfach einen „masboot“. Wenn Sie etwas anderes möchten, müssen Sie es ausdrücklich wünschen:
- leicht süß - arriha
- mittelsüß - mazboot
- sehr süß - ziyada
- ungezuckert - sada, wird jedoch vor allem zu traurigen Anlässen wie Beerdigungsfeiern getrunken
Die Zubereitung des Türkischen Kaffees erfordert - neben einem hochwertigen, eventuell mit Gewürzen versetzten, möglichst frischen Kaffeepulver - Geduld bei der rituellen Zubereitung.
Im „Kanaka“, einem kleinen Kaffeetopf aus Kupfer, werden das Kaffeepulver und Zucker in kaltem Wasser angesetzt und bei sehr niedriger Hitze bis kurz vor dem Siedepunkt erhitzt, damit sich auf der Oberfläche eine feste Schaumschicht, „el wisch“, bildet. Diese Schicht darf auch nicht verschwinden, wenn das heiße Getränk in kleine Tässchen oder Gläser gegossen wird. Den Kaffee schlürft man heiß mit der Schicht. Wer das nicht möchte, kann dem Kaffee einen Tropfen Wasser hinzufügen. Der Kaffeesatz verbleibt in der Tasse. Gerne benutzen ihn Wahrsagerinnen um Prophezeiungen herauszulesen.
Türkischer Kaffee wird nur schwarz oder gezuckert getrunken. Dazu gibt es immer ein Glas kaltes Wasser.
Milch oder Kaffeesahne im Kaffee gibt man nur in den „amerikanischen“ Kaffee, dem Filterkaffee ähnlich, oder in den Nescafé, der sich seit Jahren in ägyptischen Haushalten und Supermärkten wachsender Beliebtheit erfreut.
Kaffee, Cafés und Kultur
Im Unterschied zu den traditionellen Cafés, die bis auf wenige Ausnahmen noch immer Männern vorbehalten sind, gibt es in den Filialen der Caféketten für Mädchen und Frauen die Möglichkeit öffentlich und im Freien Kontakte zu pflegen – auch zu gleichaltrigen Jungen und Männern. Es ist schön, bei einem Espresso – einen echten „ahwa türky“ gibt es in diesen Ketten meiner Erfahrung nach nicht- vom Nebentisch aus dies fröhliche und ungezwungene Zusammensein und Miteinander beobachten können. Was nämlich für europäische Verhältnisse ganz selbstverständlich sein mag, ist in Ägypten und anderen islamischen Staaten nicht unbedingt an der Tagesordnung.
Über die Jahrhunderte hinweg waren die Kaffeehäuser die Wohnzimmer aller Künstler. Schriftsteller, Maler, Musiker verbrachten Jahre ihres Lebens in diesen Räumen. Nicht nur in den europäischen Großstädten wie Wien, Venedig, London oder München, sondern auch in den orientalischen Ländern. Manche europäisch gewandet, wie das Café Groppi oder Cafè Riche in Kairos Stadtmitte, orientalisch wie das Fishawy mit seinem morbiden Charme oder auch das Machfus - beide im Kahn il Kallili. Nicht nur Machfus, sondern auch andere namhafte ägyptische Literaten wie Yaha Hakki, Taufik al-Hakim oder Taha Hussain dürften zahlreiche Stunden in ihren Stammkaffeehäusern in Kairo oder Alexandria verbracht haben
Kaffee gilt seit jeher und bis heute als Hochgenuss, selbst bei großer Hitze. Den arabischen Scheich und Philosophen Ab del-Kader Anfang des 16. Jhd. Inspirierte er zu folgendem Lobgesang:
„Oh Kaffee, du zerstreust die Sorgen, bist das
Getränk der Götterfreunde, du gibst Gesundheit denen,
die arbeiten, um Weisheit zu erwerben.“