„Als ich am Morgen erwachte, hörte ich den Bulbul locken, der draußen vor meiner Fensteröffnung auf dem Zweige saß“, so schrieb schon Karl May 1892 in einem seiner Werke: „Von Bagdad nach Stambul“, obwohl er diesen singenden Vogel erst anlässlich seiner Orientreise 1899/1900 zum ersten Mal gesehen oder gehört haben dürfte.
Wir hingegen schon. Beinahe täglich in der Morgendämmerung beginnen die Persischen bzw. Arabischen Nachtigallen ihren Gesang und geleiten uns durch den Tag. Lange Zeit wusste ich gar nicht, wer da gar so schön seine Lieder sang – hätte ich nur einmal meinen Mann gefragt, denn als erfahrener Karl May Leser wusste er ein „Lied“ über Bulbul zu singen. Ich jedoch hörte diesen Namen zum ersten Mal.
Im Netz fand ich nur mühsam Informationen. Ein wenig nachlesen konnte ich unter: „Singvögel in Ägypten“ (keine angenehme Lektüre), „Nachtigall“, „Arabische Nachtigall“ und eben „Bulbul“, den persischen Namen. Laut Wikipedia wird Bulbul - oder türkisch Bülbül - mit „Nachtigall“ übersetzt, der Vogel ist jedoch nicht mit der in Europa ansässigen und verehrten Verwandten identisch. In der weitverzweigten Gruppe der Bülbül, die wegen ihrer mehr oder weniger üppigen Federbüschel im Nacken auch Haarvögel genannt werden, finden sich jedoch ebenfalls einige Sangeskünstler, unter anderem der in Ägypten verbreitete Graubülbül.
Der Gesang der Nachtigallenmännchen mit zahlreichen unterschiedlichen Tontypen ist wunderschön und kündigt den nahenden Frühling an, den wir nach einem kalten ägyptischen Winter schmerzlich herbeisehnen. Sie beginnen spät nachts damit, singen uns in den Schlaf und wecken uns sanft in der Morgendämmerung. Allerdings nicht um uns zu gefallen, sondern wohl um Weibchen anzulocken. Während der Brutzeit singen sie im Übrigen auch tagsüber.
Früher hielt man sich sehr gerne Nachtigallen in Volieren, denn dem Gesang sprach man heilende Kräfte zu. Er soll schmerzlindernd wirken, Kranken schnelle Heilung bringen und Sterbenden ein ruhiges Hinübergleiten ermöglichen. Auch der Name der Nachtigall leitet sich von ihrem Gesang ab – „gal“ (althochdeutsch) bedeutet „Gesang“, die Nachtigall ist also der „Nachtsänger.“
Sehr oft wird sie in der persischen Dichtung besungen, besonders in Bezug auf ihren eher klagenden Gesang als Symbol unerfüllter Liebessehnsucht, und wird zudem häufig mit Rosen in Verbindung gebracht. Die angeblich in eine Rose verliebte Nachtigall ist das Symbol des Liebenden, des Dichters und des Gottsuchers schlechthin, so wie die Rose Symbol alles Schönen und der Liebe ist. Die Nachtigall als Symbol wird auch schon in der Antike, im Mittelalter durch Walther von der Vogelweide, bei Shakespeares „Romeo und Julia“ („Es war die Nachtigall und nicht die Lerche, / Die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang.“ ) erwähnt und Hans Christian Andersen, mein Lieblingsmärchenonkel, schrieb: „... die Nachtigall hat just italienische Manieren, das meiste sind Triller und Läufe mit der Stimme, sie klagt überhaupt nicht, sondern singt aus vollem Halse ihre stolzen Bravour-Arien“ (Die frühen Reisebilder, Hans Christian Andersen, Kiepenheuer Verlag, 1984, S 205). Volkstümliche Bekanntheit erlangte der Vogel durch die berlinerische Redewendung: „Nachtigall, ick hör' dir trapsen“, aus „Des Knaben Wunderhorn".
Und hier nun begegnet der kleine Vogel meiner bzw. unserer Liebe. Der Liebe zu diesem Land, der Liebe zu dieser üppigen Vegetation, die wir niemals erwartet hätten, aber auch der Liebe zu der Wüste Sand und Kargheit, die eine eigene Schönheit in sich birgt und in der man, wenn man sich einmal hineingewagt hat, Ruhe und Frieden findet.
Singender Geselle im Mangobaum © wikipedia common
All das vermag uns der kleine Sänger immer wieder ins Gedächtnis rufen, wenn er neben unserem Morgentee trällert, denn sogar ein wenig zutraulich ist er geworden. Wie werden wir seinen Gesang und den all seiner Freunde vermissen. Und wie dankbar sind wir Bulbul und seiner Familie für viele Jahre voll mit Liedern und Freude.
Ma’salama, kleiner Geselle – wir verabschieden uns von dir und deinen Gefährten mit zwei Strophen von Johann Wolfgang von Goethe:
Bulbuls Nachtlied
Bulbuls Nachtlied durch die Schauer
Drang zu Allahs lichtem Throne,
Und dem Wohlgesang zu Lohne
Sperrt er sie in goldnen Bauer.
Dieser sind des Menschen Glieder.
Zwar sie fühlet sich beschränket;
Doch, wenn sie es recht bedenket,
Singt das Seelchen immer wieder.
Ein Gleichniß
Wie David königlich zur Harfe sang,
Der Winzerin Lied am Throne lieblich klang,
Des Persers Bulbul Rosenbusch umbangt,
Und Schlangenhaut als Wildengürtel prangt,
Von Pol zu Pol Gesänge sich ernenn
Ein Sphärentanz harmonisch im Getümmel –
Laßt alle Völker unter gleichem Himmel
Sich gleicher Habe wohlgemuth erfreun!
In einem Märchen-Atelier habe ich noch eine Geschichte gefunden, die hier ganz wunderbar passt:
Bulbul Nachtigall
Es war einmal eine Nachtigall, eine Bulbul. Die verirrte sich in einen großen Mangogarten, in dem weder ein Tier noch ein Mensch anzutreffen war. Da sie große Lust auf Mangos verspürte, setzte sie sich auf einen Ast und pickte kräftig zu. Es schmeckte ihr so gut, dass sie von nun an jeden Tag in den herrlichen Garten kam und eine Mango aß, bis alle Bäume leer waren. Und jedes Mal, wenn sie eine Mango gegessen hatte, da legte sie ein Ei. Eines Tages entdeckte ein Adler den einsamen Garten, in dem die vielen Eier lagen und er pickte eines nach dem andern auf und schlürfte sie alle aus. Nur ein Ei, das fand er nicht. Das blieb unter einem Jasminbusch verborgen… Weiter geht es hier.